S 157 AS 16471/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
157
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 157 AS 16471/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Festsetzungs- und Erstattungsbescheid es Beklagten im Rahmen der von ihr bezogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Zeiträume vom 1.4.2008 bis zum 31.7.2008 und vom 1.9.2008 bis zum 30.9.2008.

Sie steht im laufenden Leistungsbezug beim Beklagten und ist selbstständig als Yogalehrerin und als Ayurvedaberaterin bzw. als Ayurvedacoach tätig. Die daraus erzielten Einkünfte waren nicht bedarfsdeckend.

Mit vorläufigen Bewilligungsbescheiden vom 13.3.2008 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den streitigen Zeitraum. Diese Bewilligung änderte er mit Bescheiden vom 22.8.2008 und vom 2.2.2009 ab. Wegen der Einzelheiten der Bedarfsberechnung wird auf die genannten Bescheide verwiesen

Am 22.3.2009 reichte die Klägerin für den vorgenannten Bewilligungszeitraum eine abschließende Erklärung über ihre Einnahmen und Ausgaben ein ("abschließende EKS").

Daraus errechneten sich für die Zeit 4/08 bis 9/08 Einnahmen in Höhe von insgesamt 4.030,22 EUR und Ausgaben in Höhe von 3225,35 EUR. Aus diesen Angaben errechnete der Beklagte einen monatlichen Gewinn in Höhe von 276,48 EUR, wobei er eine Ausgabenposition der Klägerin in Höhe von 854,00 EUR nicht anerkannte. Es handelt sich dabei um Reisekosten für einen Hin- und Rückflug nach Sri Lanka, die am 16.6.2008 abgerechnet wurden.

Mit angefochtenen Festsetzungs- und Erstattungsbescheiden vom 30.1.2012 setzte der Beklagte die Leistungen auf Basis der Angaben der Klägerin, mit Ausnahme der streitigen Reisekosten, endgültig fest und forderte die Klägerin zur Erstattung von insgesamt 627,00 EUR auf.

Den ohne Begründung eingelegten Widerspruch der Klägerin vom 1.3.2012 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22.5.2012 zurück.

Die Klägerin trägt vor, dass die ca. siebenwöchige Reise einem Praktikum in einem Ayurveda-Kur-Ressort diente und daher betrieblich veranlasst war. Sie habe in dem Ressort in authentischer Umgebung die Anwendungen und Praktiken einheimischer Ayurvedaärzte kennenlernen können. Sie habe dort freie Kost- und Logis gehabt, so dass diese Fortbildung mit den reinen Reisekosten sehr günstig gewesen sei. Sie legt auch eine Praktikumsbescheinigung vor, wonach sie in den betrieblichen Abläufen entsprechend integriert war. Sie ist der Auffassung, dass die Reise notwendig und angemessen war um die Qualität der eigenen Dienstleistungen zu verbessern. Dies sei nur in einem authentischen Umfeld möglich und sinnvoll. Der Beklagte habe der Ortsabwesenheit zudem zugestimmt. Wegen der Einzelheiten des Vortrages wird insbesondere auf die Schriftsätze der Klägerin und das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Sie beantragt,

die Feststellungs- und Erstattungsbescheide vom 30.1.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2012 werden aufgehoben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Bescheide für rechtmäßig. Insbesondere sei eine Fortbildungsreise nach Sri Lanka nicht den Lebensumständen eines Leistungsempfängers angemessen.

Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts¬akten sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, Aktenzeichen BG 0010815, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.

Die Bescheide beruhen auf § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 SGB III.

Danach sind auf Grund einer vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten

Der Beklagte hat die Leistungen der Kläger mit Bescheiden vom 13.3.2008 und vom 2.2.2009 vorläufig bewilligt.

Vorliegend hat der Beklagte das abschließende Einkommen der Klägerin nach § 11 Abs. 1, § 11b SGB II, § 3 ALG II-V auch in rechtmäßiger Weise ermittelt.

Nach § 11 Abs. 1 SGB II sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen als Einkommen anzurechnen.

Bei Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ist der Ausgangspunkt der Einkommensermittlung der Betriebsgewinn. Dieser errechnet sich nach § 3 Abs. 1 und 2 ALG II-V aus der Differenz der tatsächlichen Betriebseinnahmen und den tatsächlichen notwendigen Betriebsausgaben. Diese Berechnung erfolgte zwischen Beteiligten im Wesentlichen unstreitig, so dass sie übereinstimmend von Einnahmen in Höhe von 4030,22 EUR und betrieblich veranlassten Ausgaben in Höhe von mindestens 2371,87 EUR ausgegangen sind.

Die Klägerin kann jedoch keine weiteren Ausgaben in Höhe von 854,00 EUR für die Reise nach Sri Lanka als Betriebsausgabe im Sinne von § 3 Abs. 2 und 3 ALG II-V geltend machen. Denn nach der genannten Regelung sind nur die tatsächlichen "notwendigen" Ausgaben ohne Berücksichtigung steuerrechtlicher Vorschriften zu berücksichtigen. Diese dürfen darüber hinaus auch nicht vermeidbar gewesen sein und dürfen den Lebensumständen eines Leistungsempfängers nicht offensichtlich widersprechen. Dies bedeutet, dass jede Ausgabenposition eines Selbstständigen im Leistungsbezug vom Gericht bzw. im Verwaltungsverfahren vom Beklagten einer individuellen grundsicherungsrechtlichen Wertung und Prüfung zu unterziehen ist. Die Leistungsträger und die Gerichte haben damit die Aufgaben von besonderen Betriebsprüfern zu übernehmen und über die Notwendigkeit und Angemessenheit von Ausgaben im Einzelnen zu entscheiden (vgl. dazu Mecke in Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 13 Rn. 59).

Die Reise der Klägerin war nach Auffassung der Kammer betrieblich veranlasst und nicht dem privaten Bereich zuzuordnen. Die Ausgaben für diese Reise waren nach Auffassung der Kammer jedoch nicht notwendig. Bei der Beurteilung, ob eine Ausgabe notwendig und unvermeidbar ist, ist auf der einen Seite die unternehmerische Freiheit des Selbstständigen zu berücksichtigen und ihm ein gewisser Prognosespielraum zuzugestehen, ob diese Ausgabe nötig oder zumindest so unternehmensfördernd ist, dass die Ausgabe gerechtfertigt ist (vgl. Geiger in LPK-SGB II, 5. Aufl., § 11, Rn. 54 f.). Es ist jedoch auch in den Blick zunehmen, dass der Leistungsberechtigte nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II die Verpflichtung hat, sämtliche Möglichkeiten auszuschöpfen, um seine Hilfebedürftigkeit zu verringern. Das bedeutet für den selbständig Tätigen, dass er sein unternehmerisches Handeln daran auszurichten hat, dass der Betrieb ausreichend Erträge erwirtschaftet, die dem Selbstständigen neben der Deckung der betrieblichen Ausgaben auch die Deckung seines Lebensunterhalts erlaubt (Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14.6.2010 – L 7 AS 163/10 B PKH –, juris).

Diese Abwägung geht vorliegend dahin aus, dass die Ausgabe für die Reise nach Sri Lanka nicht gerechtfertigt war. Zum einen entsprechen die Reisekosten einem erheblichen Anteil am Umsatz im Bewilligungszeitraum, nämlich 20%. Zudem wäre der Betriebsgewinn ohne die Reisekosten von 804,87 EUR auf 1658,87 EUR und damit auf über das Doppelte gestiegen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin während des Praktikums für ca. 7 Wochen keinen Umsatz erwirtschaften konnte. Dieser Umsatzausfall entspricht – sehr vorsichtig geschätzt - in etwa nochmal dem Betrag der Reisekosten. Auch dieser Einnahmenausfall ist bei der Frage, ob die Fortbildungsreise unternehmerisch und grundsicherungsrechtlich gerechtfertigt war, zu berücksichtigen.

Diesen Ausgaben steht gegenüber, dass die Klägerin ihre Kenntnisse im Bereich Ayurveda verbessern konnte. Damit stand ebenfalls zu erwarten, dass die Qualität der Dienstleistungen der Klägerin und damit sich die Zufriedenheit ihrer Kundschaft verbesserte. Nicht zu erwarten war hingegen eine direkt messbare Erhöhung der Umsätze, weil sich bspw. durch die Reise der Bekanntheitsgrad der Klägerin am Markt unmittelbar erhöht hätte. Die erteilte Praktikumsbescheinigung steht zudem nicht der Erteilung eines Zertifikats o.ä. gleich, welches werbewirksam eingesetzt werden könnte. Die im Zeitpunkt der Ausgabe zu erwartenden positiven Effekte auf den Betrieb der Klägerin sind nach Auffassung der Kammer allenfalls indirekt und bestenfalls langfristig zu erwarten gewesen. Damit meint die Kammer nicht, dass eine solche Reise grds. nicht nützlich oder sinnvoll zur Entwicklung eines Ayurveda-Coachs sein kann. Die Aufwendungen stehen jedoch in keinem so guten Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen und den erzielten Umsätzen, als dass diese Ausgabe und deren Folgekosten (Umsatzausfall) als notwendig im Sinne § 3 Abs. 2 ALG II-V anzuerkennen sind.

Die Rechtmäßigkeit des Erstattungsbescheides folgt aus § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 a SGB II i.V.m. § 328 Abs. 3 S. 2 SGB III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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