S 89 KR 1936/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
89
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 1936/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.Zur Frage der Kodierung einer intraoperativen Femurschaftfraktur bei Implantation einer Duokopfendoprothese (hier: Verschlüsselung des M-Kodes M96.6 verneint)
2.Zur Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben in den Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkasse bei einer sich im Verlauf eines Rechtsstreits ergebenden veränderten Kodierung
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.395,07 EUR einschließlich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 BGB aus einem Betrag in Höhe von 10.876,95 EUR für den Zeitraum vom 7. bis zum 9. November 2009 und aus einem Betrag in Höhe von 2.395,07 EUR seit dem 10. November 2011 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Von den Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten jeweils die Hälfte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin ist Trägerin eines in den Krankenhausplan des Freistaates Sachsen aufgenommenen Krankenhauses. Darin wurde eine Versicherte der beklagten Krankenkasse stationär in der Zeit vom 17. April 2009 bis zum 9. Mai 2009 behandelt. Die 1923 geborene Patientin war im häuslichen Bereich auf die rechte Hüfte gestürzt. Nach Röntgen und Computertomographie wurde eine eingestauchte mediale Schenkelhalsfraktur rechts diagnostiziert, die zunächst konservativ behandelt wurde. Nachdem eine sekundäre Dislokation der medialen Schenkelhalsfraktur festgestellt worden war, stellten die behandelnden Ärzte die Indikation zur operativen Versorgung. Der geplante Eingriff am 30. April 2009 wurde wegen ausgeprägter Weichteilödeme vorzeitig abgebrochen. Am 4. Mai 2009 erfolgte die Implantation einer Duokopfendoprothese am rechten Hüftgelenk. Ausweislich des Operations (OP)-Berichts kam es "beim Einschlagen des zementfreien Schaftes ( ) zur Längsspaltung des Femurschaftes". Der Prothesenschaft wurde in situ belassen. Die Spaltung wurde mit 3 Cerclagen osteosynthetisch versorgt. Am 9. Mai 2009 wurde die Versicherte zyanotisch und bewusstlos im Bett aufgefunden; Reanimationsversuche waren nicht erfolgreich.

Die Klägerin kodierte für die Abrechnung die Hauptdiagnose ICD-10 S72.01 (Schenkelhalsfraktur: Intrakapsulär) sowie als Nebendiagnose ICD-10 M96.6 (Knochenfraktur nach Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte). Sie berechnete die Fallpauschale (Diagnosis Related Group - DRG) I03A (Revision oder Ersatz des Hüftgelenkes mit komplizierender Diagnose oder Arthrodese oder Alter (16 Jahre oder beidseitige Eingriffe oder mehrere große Eingriffe an Gelenken der unteren Extremität mit komplexem Eingriff, mit äußerst schweren CC) in Höhe von 13.282,92 EUR zuzüglich diverser Zuschläge (Gesamtsumme: 13.554,63).

Die Beklagte bezahlte zunächst den in der Rechnung vom 12. Mai 2009 ausgewiesenen Betrag, nahm jedoch am 6. November 2009 eine komplette Rückbuchung der gezahlten Summe vor und wies am 9. November 2009 einen Teilbetrag in Höhe von 8.481,88 EUR an (Differenz zur Forderung der Klägerin: 5.072,75 EUR).

Der mit der Prüfung des Falles beauftragte Medizinische Dienst (MDK Sachsen) kam zu dem Ergebnis (vgl. die gutachterlichen Stellungnahmen vom 15. Juni 2009, 14. August 2009, 30. Juli 2012), die in Rede stehende Behandlung sei nach der DRG I05Z (Anderer großer Gelenkersatz oder Revision oder Ersatz des Hüftgelenks ohne komplizierende Diagnose, ohne Arthrodese, ohne komplexen Eingriff, mit äußerst schweren CC) zu vergüten gewesen. Es sei nicht die Nebendiagnose M96.6 zu kodieren, sondern vielmehr der Sekundärkode ICD-10 Y96! (Zwischenfälle bei chirurgischem Eingriff und medizinischer Behandlung), weshalb – bei sonst unveränderter Kodierung – die G-DRG I05Z zur Abrechnung komme.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin die Bezahlung weiterer 5.072,75 EUR geltend. Sie trägt vor: Eine intraoperative Femurschaftfraktur, wie sie z.B. beim Einschlagen der Prothese entstehen könne, sei mit der Nebendiagnose M96.6 zu verschlüsseln. Vom Wortlaut her bilde der Sekundärkode M96.6 den Sachverhalt spezifischer ab als der allgemeine Y-Kode. Der Kode Y96! sei definiert als "Zwischenfälle bei chirurgischem Eingriff und medizinischer Behandlung". Hieraus gehe gerade nicht eindeutig vor, dass es sich um einen Zwischenfall nach dem Einsetzen eines orthopädischen Implantats handele. Angesichts der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wonach es für die korrekte Verschlüsselung auf den Wortlaut der Kodierung ankomme, sei die Nebendiagnose M96.6 zur Kodierung heranzuziehen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie – die Klägerin – für die stationäre Behandlung der Patientin G. P. weitere 5.072,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gem. § 247 Abs. 1 BGB aus einem Betrag in Höhe von 13.554,63 EUR für den Zeitraum vom 7. bis zum 9. November 2009 und aus einem Betrag in Höhe von 5.072,75 EUR seit dem 10. November 2009 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen. Sie trägt vor, die Klägerin habe eine unzulässige Doppelkodierung vorgenommen. Es sei nicht zulässig, eine S-Diagnose, wie sie die Klägerin gestellt habe, mit einem M-Kode zu kombinieren. Vielmehr sei die Kodierung einer S-Diagnose nur mit einer Y-Diagnose kombinierbar.

Die Kammer hat den Sachverständigen Prof. Dr. N. R. mit der Begutachtung des Sachverhalts beauftragt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, als Hauptdiagnose sei der ICD-Kode S72.01 (Schenkelhalsfraktur: Intrakapsulär), als Nebendiagnose sei u.a. S72.3 (Fraktur des Femurschaftes) zusammen mit dem Sekundärkode Y69! (Zwischenfälle bei chirurgischem Eingriff und medizinischer Behandlung) zu kodieren. Als Prozedur sei u.a. – insoweit abweichend von der Auffassung beider Beteiligter – der OPS-Kode 5-782.0f (Exzision und Resektion von erkranktem Knochengewebe: Partielle Resektion: Femur proximal mit der Seitenlokalisation "R") zu kodieren. Hieraus resultiere die G-DRG I08C (Andere Eingriffe am Hüftgelenk und Femur mit Mehrfacheingriff, komplexe Prozedur oder Diagnose, äußerst schweren CC oder bei Zerebralparese oder Ersatz des Hüftgelenkes mit Eingriff an oberer Extremität oder Wirbelsäule, Alter ) 15 Jahre oder bei Para-/Tetraplegie). Zwar stehe grundsätzlich auch der von der Klägerin gewählte ICD-Kode M96.6 zur Beschreibung des vorliegenden Knochenbruchs zur Verfügung. Jedoch liege hier keine Situation vor, in der eine Mehrfachkodierung vorgenommen werden dürfe. Eine Freigabe der Mehrfachklassifizierung im G-DRG-System für Knochenbrüche finde sich weder in der Allgemeinen Kodierrichtlinie noch in DKR D002f. Auch in den speziellen Kodierrichtlinien finde sich kein Hinweis darauf, dass ein Knochenbruch mit mehr als einem, diesen Bruch als solchen beschreibenden ICD-Kode kodiert werden sollte. Der Sekundärkode Y96! dürfe hingegen nach Tabelle 1 in der DKR D012f (Mehrfachkodierung) optional dem Primärkode für den Knochenbruch zugeordnet werden. Komme daher entweder die Kodierung des Kodes S72.3 oder des Kodes M96.6 in Betracht, bilde S72.3 medizinisch spezifischer die Erkrankung bzw. Störung ab, weshalb er einzig zu verschlüsseln sei.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin könne jetzt keine Vergütung nach der vom Sachverständigen ermittelten DRG I08C in Höhe von insgesamt 10.876,95 EUR mehr verlangen, da der vom Sachverständigen berücksichtigte Kode 5-782.0f von der Klägerin nicht gemeldet worden sei. Eine korrigierte Rechnung liege bisher nicht vor. Eine Rechnungskorrektur sei nach den Grundsätzen von Treu und Glauben jetzt ausgeschlossen.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, den weiteren Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte und den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten (1 Hefter) sowie der Patientenakte der Klägerin Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die im vorliegenden Gleichordnungsverhältnis zulässige (echte) allgemeine Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG – (vgl. dazu stellvertretend BSG, Urteil vom 25. November 2010 – B 3 KR 4/10 R -, juris) ist teilweise in Höhe von 2.395,07 EUR begründet, nicht hingegen hinsichtlich des darüber hinaus gehenden Betrages in Höhe von 2.677,68 EUR. Dabei ist die Kammer in Übereinstimmung mit dem Gutachter Prof. Dr. R. der Auffassung, dass die Behandlung der Versicherten P. in der Zeit vom 17. April 2009 bis zum 9. Mai 2009 weder einen Anspruch auf Zahlung einer Krankenhausvergütung nach der DRG I03A in Höhe von 13.554,63 EUR (so aber die Klägerin) noch nach der DRG I05Z in Höhe von 8.481,88 EUR (so aber die Beklagte) auslöst, sondern vielmehr nach der DRG I08C in Höhe von 10.876,95 EUR. Dem danach bestehenden Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung weiterer 2.395,07 EUR steht nicht entgegen, dass der vom Sachverständigen berücksichtigte Kode 5-782.0f bisher von der Klägerin nicht gemeldet worden ist und eine korrigierte Rechnung nicht gestellt wurde. Ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben liegt nicht vor.

Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse (KK) entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne von § 39 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) erforderlich ist (st. Rpsr., vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 47/12 R -, juris, dort Rn. 8). Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs, dessen rechnerische Höhe nicht im Streit steht, ist § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 9 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz – KHEntgG -), § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2009 (FPV 2009) nebst Anlage 1 Teil a) Fallpauschalen-Katalog der G-DRG-Version 2009 und dem Krankenhausbehandlungsvertrag (KBV) nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Sachsen sowie der Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2009.

Die Krankenhausleistungen werden nach § 7 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG u.a. mit Fallpauschalen nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog abgerechnet. Dieser umfasst gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG insbesondere den Fallpauschalen-Katalog nach § 17b Abs. 1 KHG. Der im Jahr 2009 maßgebliche Fallpauschalen-Katalog ist in der Anlage 1 der FPV 2009 enthalten.

Der Fallpauschalenkatalog ist nach Fallgruppen (DRG) geordnet. Für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalles zu einer DRG wird in einem ersten Schritt die durchgeführte Behandlung nach ihrem Gegenstand und ihren prägenden Merkmalen mit einem Kode gemäß dem vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen "Operationen- und Prozedurenschlüssel nach § 301 SGB V" (OPS-301) verschlüsselt. Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung ("Kodierung") haben die Vertragspartner auf Bundesebene "Kodierrichtlinien" beschlossen. In einem zweiten Schritt wird der in den Computer eingegebene Kode einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand derer dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als "Groupierung" bezeichneten Prozess der DRG-Zuordnung liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde; in diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Kode nach dem OPS-301 eine bestimmte DRG angesteuert (st. Rspr., vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 18. Juli 2013 – B 3 KR 25/12 R -, juris)

Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin Anspruch auf Zahlung weiterer 2.395,07 EUR. Mit dem Gutachter Prof. Dr. R. geht die Kammer davon aus, dass die durchgeführte Behandlung die Voraussetzungen des Kodes S72.01 zusammen mit dem Sekundärkode Y96! und dem OPS-Kode 5-782.0f erfüllt. Bei dieser Kodierung – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - ergibt das Grouping mit einem zertifizierten Grouper für 2009 mit den weiteren unstreitigen Nebendiagnosen und Prozeduren die DRG I08C und auf dieser Grundlage einen Betrag in Höhe von insgesamt 10.876,95 EUR.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war der ICD-Kode M96.6 (Knochenfraktur nach Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte) nicht zu kodieren. Wie der Gutachter schlüssig und nachvollziehbar anhand des einschlägigen Regelwerks aufzeigt hat, kann der ICD-Kode M96.6 zwar klassifikatorisch den Zustand eines Knochenbruchs anlässlich des Einschlagens der Endoprothese in den Oberschenkelknochen darstellen (wobei offen bleiben kann, ob der ICD-Kode M96.6 überhaupt zur Anwendung kommt, wenn – wie hier ausweislich des OP-Berichts anzunehmen ist – die Knochenfraktur nicht nach Einsetzen des Implantats, sondern bei dessen Einsetzen auftritt). Jedoch liegt hier keine Situation vor, in der eine Mehrfachkodierung vorgenommen werden darf, wie sie die Klägerin mit der Kodierung von ICD-10 S72.01 sowie ICD-10 M96.6 vorgenommen hat. Grundprinzip des DRG-Systems ist es, monokausal einen durchgeführten Eingriff mit möglichst allen Einzelaspekten in einem Kode abzubilden. Die kombinierte Verschlüsselung mehrerer Prinzipien soll die Ausnahme sein (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18. September 2008 – B3 KR 15/07 R -, juris, dort Rdnr. 19 ff.); jene ist abschließend geregelt. Wie der Gutachter ausgeführt hat, ist nach DKR D012f eine Mehrfachkodierung erforderlich, wenn 1. eine Ätiologie- und Manifestationsverschlüsselung über das Kreuz-Stern-System (= Primär-Sekundärkodekombinationen) notwendig ist oder wenn 2. für bestimmte Situationen eine andere Form der Doppelklassifizierung als die des Kreuz-Stern-Systems anwendbar ist, um den Gesundheitszustand einer Person vollständig zu beschreiben. Bei "Situationen" im Sinne von Nr. 2 handelt es sich im Einzelnen um lokale Infektionen bei Zuständen, die den Kapiteln der "Organkrankheiten" zuzuordnen sind, Neubildungen mit funktioneller Aktivität, Morphologie von Neubildungen, Ergänzungen für Zustände, die Kapitel V, F00–F09 (Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen) betreffen sowie zwei Schlüsselnummern zur Beschreibung einer Verletzung, einer Vergiftung oder einer sonstigen Nebenwirkung. Eine Freigabe der Mehrfachklassifizierung für Knochenbrüche ist diesen Regelungen nicht zu entnehmen. Auch in DKR D002f (Hauptdiagnose) findet sich bei den Hinweisen zur Kodierung von Erkrankungen bzw. Störungen nach medizinischen Maßnahmen kein Hinweis auf die gewünschte Doppel- bzw. Mehrfachkodierung. Wie der Gutachter im Einzelnen begründet ausgeführt hat, findet sich auch in den Speziellen Kodierrichtlinien kein Hinweis darauf, dass ein Knochenbruch mit mehr als einem, diesen Bruch als solchen beschreibenden ICD-Kode kodiert werden soll. Hingegen darf der Sekundärkode Y96! nach Tabelle 1 in der DKR D012f optional dem Primärkode für den Knochenbruch zugeordnet werden.

Bleibt danach zu entscheiden, welcher der beiden ICD-Primärkodes im vorliegenden Fall zur Beschreibung des im Rahmen der OP aufgetretenen Knochenbruchs zu verwenden ist, ist im konkreten Fall der ICD-Kode S72.3 (Fraktur des Femurschaftes) als die in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung spezifischere Kodierung zu wählen. Nach DKR D002f sind ICD-Kodes aus Tabelle 1 (in der u.a. die ICD-Kategorie M96.- aufgeführt wird) nur dann als Hauptdiagnose zu kodieren, "wenn kein spezifischerer Kode in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung existiert oder die Verschlüsselung dieses spezifischeren Kodes durch ein Exklusivum der ICD-10-GM ausgeschlossen ist." Wie der Gutachter nachvollziehbar ausgeführt hat, wird in den DKR der medizinischen und damit meist organspezifischen Kodierung prinzipiell der Vorrang vor der komplikationsspezifischen Kodierung eingeräumt. Im vorliegenden Fall ist der ICD-Kode S72.3 in Bezug auf die Erkrankung bzw. Störung die spezifischere Kodierung, da aus ihm sowohl der Knochenbruch als auch dessen genaue Lokalisation hervorgeht. Demgegenüber ergibt sich aus dem Kode ICD-10 M96.6 (Knochenfraktur nach Einsetzen eines orthopädischen Implantates, einer Gelenkprothese oder einer Knochenplatte) nicht, welcher Knochen genau von dem Bruch betroffen ist.

Dem Gutachter ist auch darin zu folgen, dass zusätzlich zum ICD-Kode S72.3 der Sekundärkode Y96! (Zwischenfälle bei chirurgischem Eingriff und medizinischer Behandlung) zu kodieren ist. Er darf nach Tabelle 1 in der DKR D012f (Mehrfachkodierung) optional dem Primärkode für den Knochenbruch zugeordnet werden und stellt den Zusammenhang des Knochenbruchs mit dem erfolgten operativen Eingriff dar.

Nachvollziehbar hat der Gutachter zudem erläutert, dass zusätzlich zu den von den Beteiligten genannten Prozeduren der OPS-Kode 5-782.0f (Exzision und Resektion von erkranktem Knochengewebe: Partielle Resektion: Femur proximal mit der Seitenlokalisation "R") zu kodieren ist. Er bildet ab, dass während der OP Knochenfragmente entfernt werden mussten, die sich nicht fixieren ließen.

Der Geltendmachung des Vergütungsanspruchs nach der hieraus resultierenden DRG I08C steht nicht entgegen, dass der OPS-Kode 5-782.0f bisher von der Klägerin nicht gemeldet worden ist und eine korrigierte Rechnung nicht gestellt wurde. Ein Verstoß gegen die Grundsätze von Treu und Glauben liegt nicht vor.

Zwar wirkt nach der Rechtsprechung des BSG der Grundsatz von Treu und Glauben (vgl. § 69 SGB V, § 242 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB -) auf die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhaus und Krankenkasse ein und verpflichtet zur gegenseitigen Rücksichtnahme, so dass die Befugnis von Krankenhäusern zur nachträglichen Rechnungskorrektur begrenzt ist (st. Rspr., vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 18. Juli 2013 – B 3 KR 22/12 R – und vom 13. November 2012 – B 1 KR 6/12 R -, juris).

Die vom Bundessozialgericht aufgestellten Grundsätze betreffen jedoch – soweit ersichtlich – nur "echte" Nachforderungen, also Fälle, in denen die Krankenkasse die ursprüngliche Rechnung des Krankenhauses vollständig bezahlt hat und das Krankenhaus erst im Nachhinein aufgrund einer Neuberechnung einen höheren Vergütungsanspruch geltend macht. Sie können nach Auffassung der Kammer demgegenüber nicht ohne Weiteres auf einen Fall wie den vorliegenden übertragen werden, in dem die Krankenkasse den ursprünglich geltend gemachte Rechnungsbetrag nicht voll bezahlt hat und die Beteiligten sowohl über die Höhe der Rechnung als auch über die einzelnen Begründungselemente für die Abrechnung streiten. Im Anschluss an das LSG Hamburg (Urteil vom 20. Februar 2014 – L 1 KR 34/12 -, juris, dort Rdnr. 20 f. – Revision anhängig: B 1 KR 21/14 R) ist die Kammer der Auffassung, dass das Vertrauen der Krankenkasse in den endgültigen Abschluss eines Abrechnungsfalles nur dann schutzwürdig ist, wenn sie die Rechnung des Krankenhauses vollständig bezahlt hat. In diesem Fall nämlich hat sie regelmäßig keinen Anlass, mit nachträglichen Korrekturen zu rechnen. Hat sie aber selbst die ursprüngliche Rechnung angegriffen und nur einen Teilbetrag gezahlt, ist ihr von vornherein bewusst, dass über die Richtigkeit der Abrechnung Streit besteht, sodass innerhalb der Verjährungsfrist weitere Umstände hinzu kommen müssen, damit die Krankenkasse davon ausgehen darf, dass das Krankenhaus seinen von Anfang an geltend gemachten Anspruch nicht mehr weiter verfolgen will. Solche Umstände sind hier nicht ersichtlich. Vielmehr waren beide Beteiligte bis zum Abschluss des Verfahrens erster Instanz darüber uneinig, wie die erbrachte Krankenhausbehandlung abzurechnen sei.

Die Klägerin hat Anspruch auf Verzugszinsen auf den nicht erfüllten Vergütungsanspruch, soweit er ihr zusteht. Für die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Krankenhäusern gelten die Zinsvorschriften des BGB entsprechend, soweit nicht in den Verträgen nach § 112 SGB V etwas anderes geregelt ist (st. Rspr., vgl. stellvertretend BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 61/12 R - , juris, dort Rdnr. 24). Ausweislich § 13 Abs. 1 Satz 1 – 3 KHBV Sachsen hat die Krankenkasse die Schlussrechnung innerhalb von 18 Tagen zu bezahlen, wenn Schlussrechnung und fristgerechte Entlassungsanzeige vollständig und fehlerfrei gem. der Datenübermittlungsvereinbarung nach § 301 SGB V bei der Krankenkasse oder deren zentraler Datenannahmestelle eingegangen sind. Der diese Frist auslösende Datenzugang erfolgte hier am 12. Mai 2009. Gem. § 13 Abs. 3 KHBV Sachsen kann das Krankenhaus Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz gem. § 247 BGB ab dem auf dem auf den Fälligkeitstag folgenden Werktag verlangen, ohne dass es einer Mahnung bedarf, wenn die Zahlung nicht rechtzeitig erfolgt. Zwar wurde die Rechnung von der Beklagten zunächst komplett beglichen. Die Beklagte nahm jedoch am 6. November 2009 eine komplette Rückbuchung des gezahlten Betrages vor, so dass ab diesem Zeitpunkt Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem der Klägerin insgesamt zustehenden Betrag von 10.876,95 EUR zu zahlen waren. Nach Überweisung eines Teilbetrages in Höhe von 8.481,88 EUR durch die Beklagte am 9. November 2009 waren seit dem 10. November 2011 Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem der Klägerin dann noch zustehenden Betrag in Höhe von 2.395,07 EUR zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und berücksichtigt das teilweise Obsiegen der Klägerin in Höhe von rund der Hälfte der streitigen Forderung.
Rechtskraft
Aus
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