L 20 SO 54/07

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 41 (30) SO 343/05
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 SO 54/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 14/09 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Auf die Revision der Beigel. zu 2 wird das Urteil des LSG vom 25.05.2009 im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, als die Beigeladene zu 2 verurteilt worden ist.
Die Anschlussrevision der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander k
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.06.2007 geändert. Die Beigeladene zu 2) wird verurteilt, über den Anspruch der Klägerin auf Übernahme der Kosten für die Schuldnerberatung in Höhe von 225,- Euro unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Die Beigeladene zu 2) hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu übernehmen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte bzw. die Beigeladene zu 2) auf Übernahme der ihr entstandenen Kosten der Schuldnerberatung.

Die 1967 geborene Klägerin ist erwerbstätig und erwerbsfähig. Sie hatte (im streitigen Zeitraum) ein monatliches Nettoeinkommen von 1.467 EUR, dessen pfändbare Anteile in Höhe von 332,39 EUR durch den Pfändungsgläubiger Finanzverwaltung NRW/Finanzamt T beansprucht wurden. Auf Antrag der X Bausparkasse AG gab sie am 12.11.2004 die eidesstattliche Versicherung ab.

Zur Ursache ihrer Schulden hat die Klägerin angegeben: Die Schulden gegenüber der Finanzverwaltung resultierten aus einer Maklertätigkeit, die ihr zwischenzeitlich verstorbener Vater über einen am 24.07.1996 auf seine Tochter ausgestellten Gewerbeschein ausgeübt habe. Sie sei, auf die Kompetenz ihres Vaters vertrauend, Darlehensverträge eingegangen, die sie selbst nicht hinreichend verstanden habe. Weitere Schulden bestünden wegen Darlehen mit einer monatlichen Gesamtrate von 874 EUR wegen Investitionen in das elterliche Wohnhaus, insbesondere für die eigens für sie selbst durch Aufstockung entstandene abgeteilte Eigentumswohnung. Das Zwangsversteigerungsverfahren sei eingeleitet worden. Am 29.06.2005 sei die Eigentumswohnung durch Gutachten auf einen Wert von 97.000 EUR geschätzt worden. Eine Versteigerung habe bisher nicht stattgefunden.

Am 21.04.2005 beantragte sie durch die von ihr bevollmächtigte Beratungsstelle bei dem Beklagten die Kostenübernahme für eine von der Schuldner-/INSO-Beratung des Caritasverbandes T-X1 e.V., der Beigeladenen zu 1), durchzuführende Schuldnerberatung. Zur Begründung des Antrags wurde ausgeführt, die Klägerin sei vom Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt bedroht. Die Schuldnerberatung werde den Bezug mit hinreichender Wahrscheinlichkeit verhindern, zumindest jedoch zeitlich begrenzen. In einer Anlage zu dem Antrag wurde die wirtschaftliche Situation der Klägerin wie folgt dargestellt:

Dem Bedarf der Klägerin von 652,52 EUR (296 EUR Regelsatz, Sonderbedarf in Höhe von 44,40 EUR, 30% Erhöhung 101,12 EUR, Kosten der Unterkunft in Höhe von 210 EUR) stehe ein bereinigtes Einkommen von 1.107 EUR gegenüber. Bei Schuldverpflichtungen von 874 EUR ergebe sich ein Fehlbetrag von 419,52 EUR.

Mit Bescheid vom 11.05.2005 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, seit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) komme eine Kostenübernahme für Erwerbsfähige durch den Sozialhilfeträger nicht mehr in Betracht. Das Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) und das SGB XII regelten, dass Erwerbsfähige einen Anspruch nach §§ 19ff. SGB II hätten. Dieser Anspruch schließe Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII aus.

Mit Widerspruch vom 09.06.2005 vertrat die Klägerin die Auffassung, dass sich ein Anspruch auf Schuldnerberatung sowohl nach dem SGB II als auch nach dem SGB XII wegen drohender Hilfebedürftigkeit herleiten lasse. Der Fortbestand ihres Beschäftigungsverhältnisses sei gefährdet aufgrund der Folgen aus der Überschuldung (Lohnpfändungen beim Arbeitgeber, drohender Verlust des Girokontos). Der Verlust des Arbeitsplatzes habe Hilfebedürftigkeit unmittelbar dann zur Folge, wenn dadurch der Lebensunterhalt gefährdet sei. Der Anspruch ergebe sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 3 Abs. 1 SGB II und § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II, zumindest jedoch aus § 11 Abs. 5 SGB XII. Von Verfassungs wegen sei demjenigen Sozialhilfe zu gewähren, der sich selbst nicht helfen könne und die Hilfe auch nicht von dritter Seite erhalte. Dies beruhe auf der Verpflichtung des Sozialstaates, dem Bürger ein Leben in Würde zu ermöglichen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit vertrete in einem Schreiben vom 12.08.2004 die Auffassung, dass Eingliederungsleistungen zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit erbracht werden könnten. Wörtlich heiße es: "hierdurch soll verhindert werden, dass Erwerbstätige, deren Verbleib in Arbeit durch sofortige Unterstützung gesichert werden könnte, diese Unterstützung erst im Falle der Arbeitslosigkeit erhalten".

Mit Schreiben vom 20.06.2005 teilte der Beklagte mit, eine Auffangfunktion durch das SGB XII bestehe im Hinblick auf die klaren Regelungen § 11 Abs. 5 S. 3 SGB XII nicht. Denn wenn Hilfebedürftigkeit entstehen würde, kämen wegen der vorliegenden Erwerbsfähigkeit ausschließlich Leistungen nach dem SGB II in Frage. Über einen Anspruch nach dem SGB II müsse die Arge selbst entscheiden.

Die Klägerin teilte daraufhin mit, es bestehe ein grundsätzlicher Klärungsbedarf bezüglich der Schuldnerberatung erwerbstätiger Hilfebedürftiger; daher bleibe der Widerspruch aufrecht erhalten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.09.2005 (ergangen unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter gemäß § 116 Abs. 2 SGB XII) wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 10.10.2005 Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben. Zur Begründung der Klage hat sie ausgeführt, sie habe erstmals am 21.10.2004 telefonischen Kontakt mit der Schuldnerberatungsstelle des Caritasverbandes aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt habe sie noch in einer selbstgenutzten, voll finanzierten Eigentumswohnung im elterlichen Haus gewohnt. Sie habe seit geraumer Zeit ihre Kreditraten nicht mehr zahlen können. Sie gehöre zu den Personen, die sich durch einen Mangel an finanzieller Kompetenz auszeichneten und infolge eines außerordentlichen Ereignisses, in diesem Fall durch eine gescheiterte Immobilienfinanzierung, in Zahlungsschwierigkeiten geraten seien. Hinzu seien die Erkrankung des Vaters und sein Tod am 00.00.2004 gekommen. Sie sei alleinstehend, und es mischten sich persönliche Schuldgefühle mit tatsächlich vorhandene Schulden. Ihr Beschäftigungsverhältnis sei dadurch bedroht, dass verstärkt Lohn- und Gehaltspfändungen beim Arbeitgeber eingingen und die Leistungen am Arbeitsplatz wegen Folgen der Überschuldung nachließen. Sie habe die Befürchtung gehabt, die kraftaufreibende Akkordtätigkeit nicht mehr ausüben zu können. Der ganzheitliche Beratungsansatz der Schuldnerberatung, der neben allen erforderlichen finanzwirtschaftlichen Belangen auch eine psychosoziale Stabilisierung beinhalte, habe immer wieder den Erhalt ihrer Beschäftigung gesichert. Wie in ähnlich gelagerten Fällen sei zu befürchten, dass sich zu den vorhandenen Darlehensschulden Miet- und Energieschulden gesellten, da ohne die Hilfe der Schuldnerberatung nicht unterschieden werde zwischen vorrangigen, existenziell notwendigen Zahlungsverpflichtungen (Primärschulden) und nachgelagerten Sekundärschulden. Häufig sei dann auch der Wohnungserhalt gefährdet. Es werde an der Auffassung festgehalten, dass aufgrund des präventiven Charakters von Schuldnerberatung ein Anspruch auf Kostenübernahme im Falle drohender Hilfebedürftigkeit auch nach § 11 Abs. 5 S. 3 SGB XII bestehe.

Auf entsprechende Anforderung des Sozialgerichts hat die Klägerin einen Leistungsnachweis über die Tätigkeit der Schuldnerberatungsstelle im Zeitraum 21.10.2004 bis 09.06.2006 überreicht. Sodann hat sie die ihr entstandenen Kosten der Schuldnerberatung mit 225 EUR (fünfmal 45 EUR für fünf Stunden) konkretisiert. Der Beklagte hat hierzu ausgeführt, die nach Antragstellung erbrachten Schuldnerberatungsleistungen seien im Rahmen der zu § 17 S. 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) ergangenen Richtlinien vom Umfang her als angemessen anzusehen. Da der bis Ende 2004 gültige Stundensatz von 40 EUR nicht angepasst worden sei, könne unter Berücksichtigung nachvollziehbarer Kostensteigerungen der Stundensatz von 45 EUR als angemessen betrachtet werden. Der Stundensatz entspreche dem mit der Beklagten und auch der Beigeladenen zu 2) grundsätzlich für Leistungen der Schuldberatung vereinbarten Entgelt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich unter Klagerücknahme im Übrigen (betreffend Beratungstermine vor Antragstellung) schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 11.05.2005 in Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 08.09.2005 zu verurteilen, die Kosten für eine Schuldnerberatung in einem Umfang von fünf Stunden zu je 45 EUR zu gewähren.

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat seine Ausführungen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.

Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 14.06.2007 hat das Sozialgericht den Beklagten unter teilweiser Aufhebung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, (über) den Antrag der Klägerin vom 21.04.2005 auf Übernahme der Kosten für eine Schuldnerberatung in einem Umfang von fünf Stunden zu je 45 EUR unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat das Sozialgericht u.a. ausgeführt, der Anspruch ergebe sich wegen Erwerbstätigkeit nicht aus § 16 Abs. 2 S. 1 und 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 SGB II und auch nicht aus § 11 Abs. 5 S. 2 Halbsatz 1 i.V.m. Satz 2 SGB XII, da die Klägerin nicht im Leistungsbezug von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII stehe und ein solcher Bezug auch nicht zu erwarten sei, da sie erwerbsfähig sei und bei ggf. in der Folge des Verlustes ihres Arbeitsplatz eintretender Hilfebedürftigkeit ein Anspruch auf Hilfeleistungen nach dem SGB II bestünde. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung ergebe sich jedoch aus § 11 Abs. 5 S. 3 Halbsatz 2 i.V.m. S. 2. Danach könnten Kosten, die infolge der Beratung durch eine Schuldnerberatungsstelle entstanden seien, "in anderen Fällen" übernommen werden. Damit seien alle Fälle gemeint, die nicht von den vorhergehend geprüften Vorschriften (§ 16 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 i.V.m. S. 1 SGB II und 11 Abs. 5 S. 3 Halbsatz 1 i.V.m. S. 2 SGB XII) umfasst seien. Der weiten Auslegung, nach der § 11 Abs. 5 S. 3 Halbsatz 1 i.V.m. Satz 2 SGB XII faktisch eine Auffangnorm darstelle, stehe zunächst § 5 Abs. 2 SGB II nicht entgegen. Die Schuldnerberatung stelle keine Hilfe zum Lebensunterhalt im Sinne des Dritten Kapitels des SGB XII mehr dar. Der Ausschluss nach § 5 Abs. 2 SGB II erstrecke sich jedoch ausdrücklich nur auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Auch § 21 SGB XII stehe der weiten Auslegung nicht entgegen, da auch insoweit nur Leistungen für den Lebensunterhalt erfasst würden.

Für eine weite Auslegung spreche neben dem Wortlaut auch die systematische Stellung der Vorschrift. Sie erfasse ihrem Anwendungsbereich nach auch Personen, die noch nicht hilfebedürftig seien, bei denen der Eintritt der Hilfebedürftigkeit aber drohe. Hierfür spreche der im SGB XII verankerte Grundsatz des Vorranges der vorbeugenden Hilfe. Umstände, die eine Ermessensreduzierung auf Null dahingehend begründeten, dass nur die Entscheidung, der Klägerin die begehrte Übernahme der Kosten für die Schuldnerberatung zu gewähren, rechtmäßig wäre, seien nicht erkennbar.

Gegen das ihm am 29.06.2007 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten vom 16.07.2007. Der Auffassung des Sozialgerichts, durch die Formulierung "in anderen Fällen" würden auch andere Fälle des Bezuges von Leistungen nach dem SGB XII als die des Bezuges von Hilfe zum Lebensunterhalt erfasst, könne nicht zugestimmt werden. Die vom Sozialgericht angeführten systematischen Gründe, die Stellung des § 11 SGB XII außerhalb des Dritten Kapitels des SGB XII, überzeugten nicht. § 11 SGB XII behandle allgemein die Beratung und Unterstützung sowie Aktivierung als sozialhilferechtlichen Grundsatz. Der Anspruch auf Kostenübernahme sei lediglich aus Übersichtlichkeitsgründen in diese Vorschrift aufgenommen worden. Eine weitere gesetzliche Normierung im Dritten Kapitel wäre unübersichtlicher gewesen, während die Platzierung des gesamten § 11 SGB XII im Dritten Kapitel nicht zweckdienlich gewesen wäre, da dann der Grundsatz der Beratung nicht mehr in dem dafür vorgesehenen Kapitel angesiedelt gewesen wäre. Allein deshalb impliziere § 11 SGB XII den früheren § 17 Abs. 1 BSHG als Absatz 5. Es stelle sich die Frage, warum der Gesetzgeber diese angebliche Auffangnorm nicht deutlicher im Gesetz platziert habe. Es werde bezweifelt, dass der Gesetzgeber einen generellen Anspruch der Noch-Erwerbstätigen auf Übernahme der Kosten für die Schuldnerberatung habe bezwecken wollen. Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) teile diese Auffassung des Beklagten ausweislich einer Veröffentlichung vom 03.11.2003 (zur Notwendigkeit der gesetzlichen Absicherung der sozialen Schuldnerberatung). In vergleichbaren Fällen sei das Ermessen wie im Fall der Klägerin ausgeübt worden. Von einem Ermessensfehlgebrauch könne daher nicht die Rede sein. Er werde seine bisherige Verfahrenspraxis im Übrigen dahingehend ändern, als Schuldnerberatung zukünftig auch finanziert werde, wenn Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII bezogen würden oder deren Bezug drohe. Soweit der Gesetzgeber aber bestimmte Fallkonstellationen nicht geregelt habe, sei es nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers, all diese Fälle durch eine weite Auslegung des § 11 Abs. 5 SGB XII zu erfassen.

Mit Beschluss vom 05.09.2008 hat der Senat die ARGE T-Wittgenstein als Beigeladene zu 2) zum Verfahren gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen. Die Beigeladene zu 2) hat sich dahingehend eingelassen, die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt Leistungen nach dem SGB II bezogen. Anspruchsberechtigt gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II seien lediglich Berechtigte im Sinne des § 7 SGB II. Hilfebedürftigkeit habe bei der Klägerin, die einen Antrag zudem nicht gestellt habe, nicht vorgelegen.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 2) beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 14.06.2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat ausgeführt, aus eigenen Mitteln habe sie die Schuldnerberatung nicht finanzieren können. Bei einem Verzicht auf eine Schuldnerberatung ergebe sich ein verhängnisvoller Strudel mit fatalen Konsequenzen in sozialer, wirtschaftlicher, psychischer und physischer Hinsicht. Mittellose Menschen von dem Genuss einer effektiven Schuldnerberatung ausschließen zu wollen, stelle sich als massiver Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip dar. Das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 04.09.2006 - veröffentlicht in ZVI 10/2006, S. 438) habe festgestellt, dass die Schuldnerberatungsstellen ihres umfassenden Ansatzes wegen für die Durchführung des außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuchs nicht nur geeignet, sondern regelmäßig auch besonders qualifiziert seien. Der Gesetzgeber habe mit der nahezu wortidentischen Übernahme des § 17 BSHG offenbar an die bisher geübte Praxis der Finanzierung von Schuldnerberatung anknüpfen wollen. Die AG SBV habe geahnt, dass sich die Kostenträger die Situation einer neuen Gesetzeslage zu Nutze machen könnten, um sich ihrer Verpflichtung zu entziehen, und habe daher eine noch deutlichere Verankerung der Schuldnerberatung im SGB XII gefordert. Die Stellung des § 11 SGB XII im zweiten Kapitel des SGB XII unter der Überschrift "Grundsätze der Leistungen" hebe dessen umfängliche Bedeutung ausdrücklich hervor. Mit dem Satzbau des § 11 Abs. 5 S. 3 SGB XII wähle der Gesetzgeber ein erweiterndes Moment (zunächst die Soll-, dann die Kann-Vorschrift), wie es folgerichtig einer Auffangvorschrift entspreche. Es werde darauf hingewiesen, dass der Beklagte seit dem Wegfall des BSHG praktisch keine Finanzierung der Beratung mehr übernehme und Kostenübernahmeanträge unter Hinweis auf das laufende Verfahren nicht bearbeitet würden. Sie habe einen Antrag bei der ARGE nicht gestellt, weil aus anderen Fällen bekannt gewesen sei, dass die ARGE bei fehlendem Leistungsbezug nach dem SGB II Kosten der Schuldnerberatung nicht übernommen habe. Sie begehre die Kostenübernahme zumindest von der für Leistungen nach dem SGB II zuständigen Behörde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten, der Gegenstand der Verhandlung sein wird.

Entscheidungsgründe:

Die durch Zulassung statthafte (§ 143, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 SGG) Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch - im Sinne der Verurteilung der Beigeladenen zu 2) - begründet.

I. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten der Schuldnerberatung besteht entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hingegen nicht gegen den Beklagten. Insbesondere ergibt sich ein solcher nicht aus §§ 10 Abs. 2, 11. Abs. 5 SGB XII. § 11 Abs. 5 SGB XII ist systematisch im Zusammenhang mit § 10 SGB XII zu betrachten. Nach dessen Absatz 2 gehört zu den durch die Leistungsträger nach dem SGB XII zu erbringenden Dienstleistungen zwar auch die Beratung in Fragen der Sozialhilfe und die Unterstützung und Beratung in sonstigen sozialen Angelegenheiten. Diese Vorschrift steht aber im Kapitel "Leistungen der Sozialhilfe", die in einem Katalog der Leistungen des § 8 SGB XII umschrieben werden. Beratung und Unterstützung werden danach zusätzlich zu den Leistungen gemäß Nr. 1 bis Nr. 7 gewährt. Der Wortlaut der Vorschrift "sowie die jeweils gebotene Beratung und Unterstützung" und deren systematische Stellung im Leistungsgefüge des SGB XII rechtfertigen zur Überzeugung des Senats die Annahme, dass der Gesetzgeber die Beratung als eine Art "Annexleistung" zu den gemäß § 8 Nr. 1 bis Nr. 7 zu erbringenden Leistungen ansieht. Der Anspruch auf Schuldnerberatung ist daher nicht aus § 11 Abs. 5 SGB XII abzuleiten (so auch Roscher, in: LPK-SGB XII, 7. Auflage 2008, § 10 Rnr. 18, § 11 Rnr. 10, 13: "Anknüpfungspunkt ist auch hier die Anspruchsnorm für die jeweilige Hilfe"). Der Anspruch auf Schuldnerberatung ergibt sich vielmehr aus systematischen Gründen aus den Leistungen der Kapitel 3 bis 9 des SGB XII i.V.m. § 10 Abs. 2 und § 11 Abs. 5 SGB XII; die Schuldnerberatung ist gleichsam Bestandteil der einzelnen Hilfearten des SGB XII (vgl. W. Schellhorn, in: Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Auflage 2006, § 11 Rnr. 45; vgl. auch Harich, in: BeckOK-SGB II, § 16 Rnr. 20, der von einer Akzessorietät des Anspruchs auf Schuldnerberatung zu den in § 8 SGB XII aufgeführten Leistungen ausgeht). Da die erwerbsfähige Klägerin von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII ausgeschlossen wäre (§ 21 Satz 1 SGB XII, § 5 Abs. 2 Satz 1 SGB II) und auch Ansprüche nach anderen Kapiteln des SGB XII nicht in Betracht kommen (insbesondere rechtfertigt sich bei im Wesentlichen wirtschaftlichen Problemen die Annahme besonderer sozialer Schwierigkeiten im Sinne des § 67ff. SGB XII nicht; auch Leistungen gemäß § 73 SGB XII kommen nicht in Betracht, da die hierfür erforderliche atypische Bedarfslage gerade in der Notwendigkeit der in Ergänzung zu Hilfe in anderen Lebenslagen gemäß § 8 Nr. 7 i.V.m. §§ 70 - 74 SGB XII zu erbringenden Beratungsleistung bestünde), käme - bei ggf. eintretender Arbeitslosigkeit und Hilfebedürftigkeit - lediglich ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II in Betracht, so dass ein Anspruch nach dem SGB XII daher ausscheidet. Diese Erwägungen verbieten auch eine Qualifikation des § 11 Abs. 5 SGB XII als allgemeine Auffangnorm für Ansprüche auf Kostenübernahme der Schuldnerberatung für alle "Nichtleistungsbezieher" (a.A. aber beispielsweise Luthe, in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 11 Rnr. 58a; vgl. auch Krahmer, Schuldnerberatung nach dem SGB XII: Sozialhilfe in Auffangfunktion, in: ZfF 2006, 155ff.; derselbe, Schuldnerberatung und HARTZ IV: Zur fortbestehenden Auffangfunktion der Sozialhilfe nach § 11 Abs. 5 SGB XII - trotz § 16 Abs. 2 SGB II, in: BAG-SB Informationen Heft 2/2005, S. 1ff.; vgl. auch Spindler, Zum Verhältnis der Ansprüche auf Schuldnerberatung und andere soziale Dienstleistungen nach SGB II, SGB XII und SGB VIII, in: info also 2008, 12ff. ). Für den Fall der ggf. von Erwerbslosigkeit und Hilfebedürftigkeit bedrohten Erwerbstätigen besteht, wie nachfolgend zu zeigen sein wird, auch kein Bedürfnis für eine solche Auffangnorm.

II. Ein Anspruch gegen die Beigeladene zu 2), die nach ihrer Beiladung auch verurteilt werden konnte (§ 75 Abs. 2 und Abs. 5 SGG), auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hinsichtlich der Übernahme der der Klägerin im streitigen Zeitraum entstandenen Kosten der Schuldnerberatung ergibt sich aus § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der bis zum 31.07.2006 gültigen Fassung (vgl. nunmehr § 16a Nr. 2 SGB II). Dem steht zunächst nicht entgegen, dass die Leistungen nach § 16 SGB II gesondert beantragt werden müssen (vgl. Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 37 Rnr. 21b; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2008 - L 12 AS 2069/08 -juris).

Die Klägerin hat zwar sowohl nach eigenen Angaben als auch denen der Beigeladenen zu 2) einen Antrag bei der Beigeladenen zu 2) nicht gestellt. Jedoch genügt die Antragstellung bei dem Beklagten dem Antragserfordernis bei der Beigeladenen zu 2). Dies ergibt sich aus der Vorschrift des § 16 Abs 2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I). Danach gilt der Antrag auf eine Sozialleistung, die von einem Antrag abhängig ist, als zu dem Zeitpunkt gestellt, in dem er bei einer der in § 16 Abs 2 Satz 1 SGB I genannten - für die Bearbeitung des Antrags unzuständigen - Stelle eingegangen ist. § 16 Abs 2 Satz 1 SGB I bestimmt, dass Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger, bei einer für die Sozialleistung nicht zuständigen Gemeinde oder bei einer amtlichen Vertretung der Bundesrepublik im Ausland gestellt werden, unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten sind. Der Antrag der Klägerin kann unter Berücksichtigung des "Meistbegünstigungsgrundsatzes" (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 26.08.2008 - B 8/9b SO 18/07 R) aber als solcher auf Leistungen gemäß § 16 SGB II ausgelegt werden. Denn es ist davon auszugehen, dass die Klägerin die Kosten der Schuldnerberatung von irgendeiner Stelle erstattet bekommen wollte. Nur in diesem Sinne können etwa die Ausführungen zur Begründung ihres Widerspruchs verstanden werden. § 16 Abs 2 Satz 1 SGB I begründet dann eine Verpflichtung der Kommune zur Weiterleitung des Antrags an den Beigeladenen. Das BSG (a.a.O.) hat hierzu ausgeführt: "Dies gilt in besonderer Weise für das Verhältnis von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII. Im Zweifel ist insofern davon auszugehen, dass ein Antrag auf Leistungen nach dem einen Gesetz wegen der gleichen Ausgangslage (Bedürftigkeit und Bedarf) auch als Antrag nach dem anderen Gesetz zu werten ist (Link, aaO, § 37 RdNr 21a). Dem Hilfebedürftigen kommt es regelmäßig nur darauf an, die als notwendig empfundene Hilfe vom zuständigen Sozialleistungsträger zu erhalten, und zwar unabhängig von den für einen Laien kaum oder nur schwer durchschaubaren Abgrenzungsregelungen für Leistungen nach dem SGB II und SGB XII." Der Senat schließt sich diesen Ausführungen jedenfalls für die erste Zeit nach Eingliederung der Sozialhilfe in das Sozialgesetzbuch und Inkrafttreten der Neuregelungen des SGB II und XII an.

Die Verpflichtung zur Weiterleitung besteht zwar nur hinsichtlich solcher Anträge, für die der angegangene Leistungsträger unzuständig ist. Die Unzuständigkeit muss sich aus dem gestellten Antrag ergeben. Andernfalls wären aber ggf. besondere Hinweispflichten nach § 16 Abs. 3 SGB I oder § 14 SGB I anzunehmen, wenn zu erkennen ist, dass der Leistungsberechtigte mögliche Hilfe nicht ausschöpft (vgl. zu alledem etwa Mönch-Kalina, in: jurisPK-SGB I,1. Auflage 2005 Stand: 22.02.2007, § 16 SGB I Rnr. 37.1).

Die Unzuständigkeit des Beklagten (siehe hierzu die Ausführungen unter I) ergab sich vorliegend aber aus dem Antrag selbst, da erkennbar war, dass die Klägerin erwerbstätig ist und der Beklagte sodann einen Anspruch nach dem SGB XII gerade unter Hinweis auf die Erwerbsfähigkeit verneinte.

Die Voraussetzungen des § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der bis zum 31.07.2006 gültigen Fassung liegen zur Überzeugung des Senats vor. Der Senat teilt die Auffassung der Sozialgerichts nicht, dass diese Vorschrift eine sog. "präventive Schuldnerberatung" grundsätzlich nicht erfasst. Zwar legen Wortlaut und Gesetzessystematik der Vorschrift zunächst nahe, dass ein Anspruch eine Leistungsberechtigung im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB II voraussetzt (so etwa Niewald, in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2008, § 16 Rnr. 25). Dieses Ergebnis vermag jedoch bereits vor dem Hintergrund der Gesetzeshistorie, insbesondere aber aus systematischen Erwägungen und angesichts der Zielrichtung der Eingliederungsleistungen einerseits sowie der Schuldberatung andererseits nicht zu überzeugen. Ebenso ist es nicht plausibel einen Anspruch auf Fälle zu beschränken, in denen Erwerbstätige oder deren Bedarfsgemeinschaftsmitglieder ergänzend Leistungen nach dem SGB II beziehen (vgl. hierzu Luthe, a.a.O., § 11 Rnr. 58a).

Es leuchtet insoweit zunächst nicht ein, die durch die Eingliederung des BSHG in das Sozialgesetzbuch entstandenen Regelungslücken und Ungereimtheiten zu Lasten der Betroffenen in der Weise zu lösen, dass in Konstellationen wie der vorliegenden ein Anspruch überhaupt verneint wird. Unter der Geltung des BSHG hätte bei drohender Sozialhilfebedürftigkeit auch zur Vermeidung des Bezugs von Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt ein Anspruch nach § 17 Abs. 1 BSHG bestanden. Dass die vormals nach dem BSHG Leistungsberechtigten nunmehr - ihre Erwerbsfähigkeit voraussgesetzt - unter das Leistungsregime des SGB II fallen, ändert an deren Interessenlage nichts. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber beabsichtigte, die Regelungen insoweit grundsätzlich zu ändern. Vielmehr ergibt sich aus der Vorschrift des § 11 Abs. 5 Satz 3 SGB XII, dass der Gesetzgeber eine vorbeugende Schuldnerberatung weiterhin für geboten hält, wenn eine Lebenslage besteht, die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt erwarten lässt. Der der genannten Regelung innewohnende Gedanke ist wegen der vergleichbaren Interessenlage durchaus auf das SGB II zu übertragen (vgl. Niewald, a.a.O., Rnr. 25 zur analogen Anwendung des § 11 Abs. 5 Satz 3 SGB XII: "Nichts anderes kann für eine Lebenslage gelten, die Leistungen nach dem SGB II erwarten lässt"). Den Anspruch im SGB II zu verorten und nicht etwa ins SGB XII zu verlagern, erscheint schon deshalb sachgerecht, weil im Falle des Eintritts der Arbeitslosigkeit bei fortbestehender Erwerbsfähigkeit ein Anspruch nach dem SGB II in Betracht käme und insoweit ein Wechsel des Leistungsträgers zu vermeiden wäre (zutreffend Niewald, a.a.O.).

Dabei vermag die Auffassung, präventive Schuldnerberatung komme nach dem SGB II nicht in Betracht, angesichts der dem SGB II immanenten Leistungsgrundsätze und -ziele nicht zu überzeugen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 SGB II können Leistungen zur Eingliederung in Arbeit u.a. erbracht werden, soweit sie zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit für die Eingliederung erforderlich sind. So gehen auch die Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Schuldnerberatung nach dem SGB II vom 16.03.2005 davon aus, dass auf der Grundlage von § 1 Abs. 1 S. 2 SGB II in Verbindung mit § 3 Abs. 1 SGB II auch noch erwerbstätigen Personen präventiv Leistungen der Eingliederungshilfe zu gewähren sind, wenn diese die Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützen oder zur Vermeidung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sind (vgl. auch Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Handlungsempfehlungen für Arbeitsgemeinschaften und optierende kommunale Träger für die Gewährung von Schuldnerberatung auf der Grundlage des SGB II).

Der sich aus § 16 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II in der bis zum 31.07.2006 gültigen Fassung ergebende Anspruch ist jedoch auch in diesem Fall als Ermessensanspruch ausgestaltet. Ein Ermessensreduzierung auf Null ist nicht ersichtlich.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Der Senat misst den entschiedenen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG bei und hat deshalb die Revision zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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