L 2 AS 194/09 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 24 AS 1095/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 194/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Ort des gewöhnlichen Aufenthalts i. S. von § 36 Abs. 1 SGB II
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 2. Juni 2009 wird abgeändert und die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für die Zeit vom 1. November 2008 bis zum 31. Dezember 2009, längstens bis zu einer Entscheidung im Klageverfahren, Leistungen für die Bestreitung der Kosten der Unterkunft in Höhe von 260,00 EUR monatlich zu leisten. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin 50 % der außergerichtlichen Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten. Weitere Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

Die am 1975 geborene Antragstellerin lebte bis zur Trennung im Monat Oktober 2007 mit ihrem Mann und der am 1997 geborenen gemeinsamen Tochter in einer gemeinsamen Wohnung in L. E ... Beide waren als selbständige Schausteller im Saisonbetrieb erwerbstätig. Ab dem 23. Oktober 2007 mietete die Antragstellerin für sich die Wohnung in der K. –M. -Str. in L. E. an. Es handelt sich um eine Zweizimmerwohnung mit Küche und Bad mit WC. Die Wohnfläche beträgt 51,00 qm. Der monatliche Mietpreis beträgt 260,00 EUR (Kaltmiete) zuzüglich jeweils 50,00 EUR als Vorauszahlungen für Betriebs- und Heizkosten. In Bezug auf die Tochter vereinbarten die nun getrennt lebenden Eheleute, dass diese an den Wochenenden jeweils abwechselnd und in den Schulferien jeweils zur Hälfte bei einem Elternteil lebt; in der übrigen Zeit lebt die Tochter vorläufig bei der Schwiegermutter der Antragstellerin, an die die Antragstellerin auch das Kindergeld weiterleitet. Eine endgültige Regelung über den Aufenthalt der Tochter soll erst noch getroffen werden.

Am 24. Oktober 2007 stellte die Antragstellerin für sich und ihre Tochter einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bei der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin ging von einem ständigen Zusammenleben der Antragstellerin und ihrer Tochter aus und bewilligte zunächst ab November 2008 monatliche Leistungen in Höhe von 794,00 EUR für beide Personen zusammen (davon 351,00 EUR für Unterkunft und Heizung). Im Hinblick auf die noch nicht feststehenden Einnahmen der Antragstellerin aus der von ihr weiter ausgeübten selbstständigen Tätigkeit als Schaustellerin erfolgte die Leistungsbewilligung vorläufig. Für den Leistungszeitraum vom 1. Mai 2008 bis zum 31. Oktober 2008 bewilligte die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung geschätzter Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit von monatlich 810,37 EUR und des Kindergelds für die Tochter nur noch Leistungen in einer monatlichen Gesamthöhe von 226,47 EUR für beide Personen zusammen.

Am 17. Oktober 2008 ging bei der Antragsgegnerin ein auf die Antragstellerin bezogener anonymer Hinweis ein, in dem mitgeteilt wurde, diese verdiene gut als Schaustellerin und lebe zusammen mit dem Schausteller H. M. aus H ... Die Antragstellerin teilte der Antragsgegnerin am 28. November 2008 mit, ihre selbständige Tätigkeit ruhe ab Ende Oktober 2008 und sie habe für die Zeit vom 24. November bis zum 23. Dezember 2008 bei dem Schaustellerbetrieb H. M. in H. eine geringfügige Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von ca. zehn Stunden und einem Verdient von 100,00 EUR aufgenommen. In einem persönlichen Gespräch bei der Antragsgegnerin am 23. Dezember 2008 teilte die Antragstellerin mit, ihr Gewerbe ruhe derzeit, weil die Saison immer von März bis Oktober andauere. Weil sie dazu in E. keine Möglichkeit mehr habe (der bisherige Stellplatz bei Verwandten des Ehemanns sei weggefallen), seien ihr Wohnwagen und ihr Schaustellerwagen sowie das defekte Zugfahrzeug in H. (auf dem Grundstück des Herrn M. ) abgestellt. Sie habe vom 24. November bis zum 23. Dezember 2008 in H. als Aushilfe auf dem Weihnachtsmarkt im Stand von Herrn M. gearbeitet. In der Zeit habe sie in dem Wohnwagen gewohnt. Weil ihr Fahrzeug defekt sei, habe sie nicht täglich von E. nach H. pendeln können. Herr M. und sie würden nicht zusammen wohnen und hätten auch kein gemeinsames Gewerbe. Eine Freundin leere in E. täglich den Briefkasten und informiere sie umgehend, wenn Post vorhanden sei.

Am 29. Dezember 2008 führten Mitarbeiter der Antragsgegnerin einen Hausbesuch in der Wohnung der Antragstellerin in E. durch und stellten fest, dass die Wohnung ausgekühlt war und dass dort keine persönlichen Gegenstände oder Kleidungstücke der Antragstellerin in den Schränken und keine Hygieneartikel in Bad vorhanden waren.

Mit einem Bescheid vom 5. Februar 2009 lehnte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin eine Leistungsgewährung für die Zeit ab dem 1. November 2008 mit der Begründung ab, der gewöhnliche Aufenthaltsort der Antragstellerin sei nicht (mehr) in L. E ... Hiergegen erhob die Antragstellerin am 12. Februar 2009 Widerspruch und führte aus: Während ihrer Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt in H. habe sie in ihrem Wohnwagen in H. gelebt. Zum Zeitpunkt des Hausbesuches habe sie ihre persönlichen Gegenstände noch nicht wieder in die Wohnung in L. E. geräumt gehabt. Auch während der Schaustellersaison sei sie regelmäßig in ihrer Wohnung, um dort Wäsche zu waschen, die Hausordnung zu erledigen und nach der Post zu sehen. Ab Ende Oktober 2008 ruhe der Schaustellerbetrieb. Die neue Saison beginne eventuell im April 2009. Die Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt in H. habe sie sich gesucht, um überhaupt etwas Geld für den Lebensunterhalt zu haben. Ihre Mietschulden stiegen und die Vermieterin drohe mit Kündigung des Mietverhältnisses.

Bei einem erneuten Hausbesuch in der Wohnung der Antragstellerin in E. am 23. Februar 2009 befanden sich in allen Schränken Kleidungstücke und persönliche Gegenstände und im Bad die üblichen Hygieneartikel. Im Kühlschrank befanden sich Joghurtbecher und alkoholische Getränke, aber keine sonstigen Lebensmittel. Die Wohnung war beheizt.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Antragstellerin mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2009 als unbegründet zurück; das Klageverfahren ist noch anhängig.

Die Vermieterin der Wohnung in L. E. kündigte hat das Mietverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 3. März 2009 wegen bestehender Mietrückstände fristlos gekündigt, wies in dem Schreiben aber auch darauf hin, dass die Kündigung durch Ausgleich des Rückstands gegenstandslos werde.

Die Antragstellerin hat am 10. März 2009 beim Sozialgericht Halle (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2009 hat sie Klage erhoben.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 5. Mai 2009 abgelehnt und in den Gründen ausgeführt: Die Antragstellerin habe keinen gewöhnlichen Aufenthalt in L. E. nachweisen können. Die Fahrten zu den verschiedenen Märkten, um dort als Schaustellerin zu arbeiten, begännen in H. und endeten auch dort. Dem Standort des Wohnwagens komme ein wesentlich größeres Gewicht zu, als dem gemeldeten Wohnsitz. Der von der Antragstellerin geäußerte Wille, den Wohnsitz in E. behalten zu wollen, führe zu keiner anderen Bewertung.

Die Beigeladene hat der Antragstellerin mit Bescheid vom 2. Juni 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (inklusive Mehrbedarfe aber ohne Leistungen für Unterkunft und Heizung) für den Zeitraum vom 13. Mai bis zum 30. November 2009 in Höhe von monatlich 351,00 EUR bewilligt. Gegen den ihr am 8. Mai 2009 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 4. Juni 2009 Beschwerde erhoben.

Der Berichterstatter hat am 2. Juli 2009 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt. Die Antragstellerin hat im Wesentlichen angegeben: In diesem Jahr habe die Saison für sie als Schaustellerin Mitte des Monats März begonnen. Der ihr gehörende VW-Bus, den sie für private Fahrten und als Zugfahrzeug für ihren Schaustellerwagen genutzt habe, sei defekt. Den für die Reparatur erforderlichen Betrag von ca. 700,00 EUR könne sie nicht aufbringen. Deshalb sei sie in dieser Saison nicht als selbständige Schaustellerin tätig. In der laufenden Saison seien auch die Plätze schon vergeben, so dass sie – auch wenn das Fahrzeug repariert würde – sich nicht mehr erfolgreich für eigene Stellplätze anmelden könne. Insbesondere um den Kontakt mit den Betreibern der Märkte für die kommende Saison aufrecht zu erhalten, fahre sie mit ihrem Wohnwagen, den dann Herrn M. mit seinem Fahrzeug transportiere, auf die Märkte und sei geringfügig gegen ein Entgelt von 100,00 EUR im Monat bei Herrn M. beschäftigt, der mit seinem Fahrgeschäft auf den Märkten präsent sei. Sie lebe während der Saison in ihrem Wohnwagen. Herr M. habe seinen eigenen Wohnwagen. Sie führe dem Herrn M. , der in der Saison stark mit seinem Schaustellerbetrieb beschäftigt sei, auf den Märkten den Haushalt, wofür sie Lebensmittel erhalte. Ihr derzeit nicht genutzter Schaustellerwagen und das defekte Zugfahrzeug seien noch auf dem Gelände des Herrn M. in H. abgestellt. Dort stehe auch ihr Wohnwagen in den Zeiten zwischen zwei Märkten. Sie übernachte dann aber nicht dort, sondern fahre nach L. E ... Dort in ihrer Wohnung sei sie während der laufenden Saison etwa alle 14 Tage. Sie fahre dort meist mit einem von Herrn M. geliehenen Fahrzeug hin; manchmal fahre auch Herr M. sie. Im Januar 2009 sei sie alleine für drei Wochen in Urlaub gefahren. Die Reise hätten Freunde ihr geschenkt. Eine Lebensgemeinschaft mit Herrn M. besteht nicht. Die Wohnung in L. E. wolle sie behalten. Sie sehe dort ihren Lebensmittelpunkt. Sie strebe das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter an, um mit dieser zusammen in L. E. zu leben. Leistungen habe sie bei der Beigeladenen nur notgedrungen auf entsprechende rechtliche Hinweise hin beantragt.

Nach der Auskunft des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin hat ihm gegenüber die Vermieterin sinngemäß erklärt, vor der evtl. Einreichung einer Räumungsklage des Ausgangs dieses einstweiligen Rechtsschutzverfahrens abwarten zu wollen. Die auszugleichenden Mietrückstände beliefen sich (Stand Ende Juni 2009) auf knapp 2000,00 EUR.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 2. Juni 2006 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verurteilen, ihr vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu erbringen und zwar, Leistungen für Unterkunft und Heizung rückwirkend ab dem 1. November 2008 und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab Eingang des Rechtsschutzantrags beim Sozialgericht Halle.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie meint, sie sei nicht für die Erbringung von Leistungen für die Antragstellerin zuständig. Diese habe ihren Lebensmittelpunkt nicht in L. E ...

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist nach § 172 Sozialgerichtsgesetzt (SGG) statthaft. Ein gesetzlicher Ausschluss der Beschwerde greift nicht ein.

Die zulässige Beschwerde ist zum Teil begründet. Die Antragstellerin hat Anspruch auf vorläufige Leistungsgewährung im sich aus dem Entscheidungstenor ergebenden Umfang.

Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ist als Regelungsverfügung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG auszulegen. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Hier kommt allein eine Regelungsanordnung in Betracht. Die Anordnung kann erlassen werden, wenn ein Antragsteller glaubhaft macht, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und dass er ohne den Erlass der begehrten Anordnung bei Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens (hier des anhängigen Klageverfahrens) wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund).

Soweit die Antragstellerin Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts im Sinne von § 20 SGB II (also ohne die Leistungen für Unterkunft und Heizung) für die Zeit ab Eingang des Rechtsschutzantrags beim SG am 10. März 2009 geltend macht, hat sie keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.

Der Antragstellerin sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Beigeladene für den Zeitraum vom 13. Mai bis zum 30. November 2009 in Höhe von monatlich 351,00 EUR bewilligt worden. Durch diesen Bescheid ist ein konkretisierter Anspruch der Antragstellerin gegenüber der Beigeladenen begründet worden. Aufgrund dieses Anspruchs, an dessen Realisierbarkeit derzeit keine ernsthaften Zweifel bestehen, scheidet eine Verpflichtung der Antragsgegnerin im einstweiligen Rechtschutzverfahren aus. Ob die Antragsgegnerin statt der Beigeladenen die materiell richtige Leistungsverpflichtete ist, bedarf hier keiner Klärung. Eine solche (endgültige) Klärung kann im Hauptsacheverfahren erfolgen; so dass im Anschluss daran die Beteiligten Leistungsträger auch ggf. untereinander bestehende Erstattungsansprüche regeln können. Im hier anhängigen Eilverfahren kommt es insofern nur auf die aktuelle, einen Bedarf befriedigende Leistungserbringung an.

Auch für den Zeitraum ab Eingang des Rechtsschutzantrags beim SG am 10. März 2009 bis zum 12. Mai 2009 ist insoweit kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden. Zwar entspricht es der überwiegenden Spruchpraxis der Sozialgerichte, die rückwirkende Verpflichtung eines Leistungsträgers zur vorläufigen Leistungsgewährung für die Zeit ab Eingang des Eilantrags beim SG bis zum Entscheidungszeitpunkt (auch im Beschwerdeverfahren) nicht von der gesonderte Glaubhaftmachung eines zum Entscheidungszeitpunkt noch aktuell vorliegenden Nachholbedarfs abhängig zu machen (siehe die Rechtsprechungshinweise bei Keller: in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. zum SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr. 29 a am Ende und 35a). Allerdings kann aus dieser Spruchpraxis kein ausnahmslos geltender Grundsatz abgeleitet werden. So dürfte es ohne weiteres einleuchten, dass Geldleistungen von dem zu verpflichtenden Leistungsträger z. B. nicht auch für einen zwischen dem Eingang des Rechtsschutzantrags und dem Entscheidungszeitpunkt liegenden Teilzeitraum zu erbringen sind, währenddessen auf Grund des Zuflusses von Einkommen keine Hilfebedürftigkeit im Sinne des SGB II vorlag. Ein Verpflichtung zur Erbringung von Leistungen für die Zeit ab Eingang des Rechtsschutzantrags beim SG ist ohne besondere Glaubhaftmachung eines Nachholebedarfs ist nach Auffassung des Senats für die Fälle geboten, in denen keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in der Zeit ab Eingang des Rechtsschutzantrages bis zum Entscheidungszeitraum Veränderungen in den Verhältnissen bezogen auf die Hilfebedürftigkeit eingetreten sind. Dann rechtfertig alleine die Feststellung, dass zur Sicherung des Lebensunterhalts bestimmte Leistungen nicht oder nicht im gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen erbracht worden sind, in der Regel die Bejahung des Anordnungsgrundes. Dies gilt dann auch für den zurückliegenden Zeitraum ab Eingang des Rechtsschutzantrags, ohne dass der Hilfebedürftige z. b. nachweisen muss, einen Nachholbedarf wegen des unterbliebenen Ersatzes verschlissener Kleidung oder des unterbliebenen Ankaufs von Wasch- und Reinigungsmitteln zu haben. Sofern aber Veränderungen eingetreten sind und deshalb die Hilfebedürftigkeit ab einem bestimmten Zeitraum ganz oder zeitweise entfallen ist, etwa weil der Hilfebedürftige eine Arbeit aufgenommen hat oder ihm Vermögen zugeflossen ist oder - wie im konkreten Fall - Leistungen bewilligt worden sind, ist der oder die Hilfebedürftige auch für davor liegenden Zeiträume auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, sofern kein konkreter Nachholbedarf glaubhaft gemacht worden ist.

Im Falle der Antragstellerin ist eine noch gegenwärtig nachwirkende Notlage in diesem Sinne aufgrund der Nichterbringung von Leistungen für die Zeit ab dem 10. März 2009 nicht glaubhaft gemacht worden und auch nicht erkennbar. Sie hat angegebnen, ab dem Beginn der Saison Mitte März 2009 im Schaustellerbetrieb des Herrn M. beschäftigt zu sein. Zwar beträgt das Entgelt hierfür nach dem Vortrag der Antragstellerin nur 100,00 EUR im Monat. Sie erhält aber nach ihrem Vortrag zusätzlich als "Gegenleistung" dafür, dass sie Herrn M. während der Saison den Haushalt zu führt, Lebensmittel. Dies ist so zu verstehen, dass die Antragsteller während der Saison für Herrn M. auch einkauft und kocht und in diesem Zusammenhang auch für sich selbst mit von Herrn M. zur Verfügung gestellten Mitteln einkaufen und kochen konnte und noch kann. Dass ihr besondere, von Herrn M. nicht übernommene Kosten für das Abstellen des Wohnwagens oder die sonstige Lebenshaltung auf den angefahrenen Plätzen entstanden sind, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Antragstellerin ohne besondere Kosten "mitreisen" konnte und kann. Nach alledem legt der Senat seiner Entscheidung zugrunde, dass die Antragstellerin in der Zeit vom 10. März 2009 bis zur Antragstellung beim SG den Lebensunterhalt bestreiten konnte, ohne rückzahlbare Verpflichtungen einzugehen zu müssen oder einen fortwirkenden Nachholbedarf entstehen zu lassen.

Hinsichtlich der für die Wohnung in L. E. anfallenden Unterkunftskosten hat die Antragstellerin einen Anordnungsgrund für den gesamten Zeitraum ab Einstellung der Leistungen durch die Antragsgegnerin mit Beginn des Monats November 2008 glaubhaft gemacht. Zwar ist bei einem Begehren, das sich auf Geldleistungen für einen in der Vergangenheit liegenden Leistungszeitraum richtet, ein Anordnungsgrund in der Regel zu verneinen. Eine Verpflichtung zur Leistungserbringung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für zurückliegende Zeiträume vor Eingang des Rechtschutzantrags kommt nur in Betracht, wenn eine vorgetragene Nichtleistung für die Vergangenheit noch andauernde Auswirkungen für Gegenwart und Zukunft begründet. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn für den Antragsteller Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen rückständiger Schulden zu erwarten sind und diese Schulden kausal auf die Nichtgewährung der Leistungen zurückzuführen sind (Keller: in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. zum SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr. 29a am Ende und 35a mit weiteren Nachweisen). Eine solche Konstellation ist hier glaubhaft gemacht worden. Aus dem Kündigungsschreiben der Vermieterin der Wohnung in L. E. und dem vom Prozessbevollmächtigen der Antragstellerin wiedergegebenen Gespräch der Vermieterin mit ihm ergibt sich, dass derzeit (inklusive der Miete für Juli 2009) über 2.000,00 EUR am Mietschulden aufgelaufen sind und dass die Vermieterin, sofern sich ein Ausgleich in der nächsten Zeit nicht realisieren lässt, eine Räumungsklage erheben wird.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Insoweit ist die Antragsgegnerin als zuständiger Leistungsträger zu verpflichten.

Der Senat geht davon aus, dass die Antragstellerin im gesamten Zeitraum ab dem 1. November 2008 und auch ab Beginn der Saison im März 2009 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in L. E. hatte und hat. Insofern bestehen auch an der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach § 36 Abs. 1 SGB II keine durchgreifenden Zweifel. Für die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts ist von der Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) auszugehen. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat danach jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Bei in der Saison berufsbedingt herumreisenden Schaustellern ist der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort anzunehmen, zu dem sie eine feste Beziehung unterhalten und an den sie auch regelmäßig aus Gründen wiederkehren, die nicht unmittelbar mit ihrer Tätigkeit als Schausteller zu zusammenhängen. Derartige Gründe können z. B. das Vorhandensein einer festen Wohnung und die Notwendigkeit, von dem Ort aus Bankgeschäfte oder behördliche Angelegenheiten zu erledigen (so nach Auffassung des Senats zutreffend das VG Oldenburg, Urteil vom 3. Juni 2005 – 13 A 3042/04 – zitiert nach juris). Nach diesen Kriterien hat die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in L. E ... Dort hält sie sich nach ihrem glaubhaften Vortrag zumindest überwiegend auf, wenn sie nicht ihrem Gewerbe nachgeht. Dort lebt auch ihre Tochter und sie hat ihre überwiegenden festen sozialen Bezugspunkte dort. Sie erledigt auch regelmäßig alltägliche Dinge wie das Waschen der angefallenen schmutzigen Wäsche dort.

Der Senat hält der Vortrag der Antragstellerin für glaubhaft, dass sie während der Saison von März bis Oktober des Jahres in den "markfreien" Zeiten zwar zunächst zusammen mit Herrn M. nach H. fährt, um dort den Wohnwagen abzustellen, danach aber dann zu ihrer Wohnung in L. E. fährt bzw. sich bringen lässt und dann etwa alle vierzehn Tage dort zumindest für ein bis zwei Tage mit der Tochter lebt. Die Annahme der Antragsgegnerin, dass sich der eigentlichen Lebenspunkt bei der Antragstellerin inzwischen nach H. verlagert hat, hat sich im Verfahren nicht als tragfähig erwiesen. Die Antragsteller hat glaubhaft vorgetragen, dass sie ihren Wohnwagen sowie dass defekte Zugfahrzeug und den Schaustellerwagen nur notgedrungen auf dem Gelände des Herrn M. unterstellt, weil sie derzeit keine andere Abstellmöglichkeit hat. Dies wird nicht durch die von der Antragsgegnerin getroffenen Feststellungen anlässlich des von der Antragsgegnerin gebilligten Hausbesuches am 29. Dezember 2008 in Frage gestellt. Die Antragstellerin hat insoweit plausibel unter Verweis auf ihren beruflichen Einsatz auf dem Weihnachtsmarkt in H. in der Zeit vom 24. November bis zum 23. Dezember 2008 vorgetragen, dass sie in dieser Zeit in H. gewohnt und ihre persönlichen Gegenstände mitgenommen hat. Zwar ist damit nicht erklärt, warum die Wohnung am 29. Dezember 2008 (nach den Weihnachtstagen) immer noch unbewohnt war. Allerdings ist nach den beim zweiten Hausbesuch am 23. Februar 2009 durch die Antragsgegnerin gewonnenen Erkenntnisse davon auszugehen, dass der Nichtaufenthalt der Antragstellerin in der Wohnung wirklich nur ein zeitlich begrenzter war. Die an diesem Tag getroffenen Erkenntnisse (Vorhandensein von Kleidung in den Schränken, Vorhandensein von persönlichen Gegenständen, beheizte Wohnung) deuten auf die tatsächliche dauerhafte Nutzung der Wohnung in der Zeit bis zum Beginn der Saison im März des Jahres hin. Dass sich im Kühlschrank nur Yoghurt und alkoholische Getränke befanden, deutet nicht zwingend auf das Gegenteil hin.

Die Antragstellerin ist erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Sie ist auch hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II. Die ihr von der Beigeladenen bewilligten laufenden Leistungen umfassen nicht die Mittel für die Kosten der Unterkunft. Der von der Antragstellerin angegebene Verdienst aus der Beschäftigung im Schaustellerbetrieb des Herrn M. von 100,00 EUR im Monat reicht nicht aus, um die laufenden Kosten der Unterkunft zu bezahlen. Erkenntnisse darüber, dass die Antragstellerin tatsächliche höhere Einkünfte hat, liegen nicht vor. Das Vorhandensein verwertbaren Vermögens hat die Antragstellerin glaubhaft verneint.

Einem Leistungsanspruch der Antragstellerin steht auch nicht entgegen, dass sie in der Saison für die Antragsgegnerin nicht durchgehend in der Wohnung in L. E. erreichbar ist. SGB II-Leistungen erhält nach § 7 Abs. 4a SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb der in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 definierten zeit- und ortnahen Bereichs aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend. Hier war dem für die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin zuständigen Ansprechpartner seit der erstmaligen Antragstellung im Oktober 2007 bekannt, dass die Antragstellerin im Saisonbetrieb als Schaustellerin mit wechselnden Arbeitsorten tätig ist. Dies wurde zur Grundlage der Leistungsgewährung gemacht. Nach der Gesamtschau ist zumindest von einer konkludenten Zustimmung auszugehen. Diese erstreckt sich auch auf die aktuelle Mitarbeit im Fahrgeschäft des Herrn M ... Die Antragstellerin hat plausibel dargelegt, dass diese Tätigkeit die Zielrichtung hat, die entsprechenden Kontakte aufrecht zu halten, um nach Schaffung der Voraussetzungen hierfür (Reparatur des Zugfahrzeuges) in der nächsten Saison wieder selbständig als Schaustellerin tätig zu sein.

Die Antragstellerin hat auch einen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 SGB II.

Auch bei Personen, die ein Reisegewerbe ausüben, ist ein grundsätzliches Bedürfnis nach einer festen Wohnung als eigentlichem Lebensmittelpunkt anzuerkennen. Die Angemessenheit der Kosten für die von der Antragstellerin angemietete Unterkunft in L. E. wird von der Antragsgegnerin nicht angezweifelt. Zwar ist das Mietverhältnis zwischenzeitlich durch die Vermieterin gekündigt worden. Weil diese aber angekündigt hat, bei Ausgleich des Mietrückstandes und Zahlung der laufenden Miete das Mietverhältnis fortsetzen zu wollen, sind tatsächliche Aufwendungen in Höhe der vereinbarten Miete als Unterkunftskosten anzusehen.

Grundsätzlich ist hier von einem Anspruch auf Übernahme der vollen tatsächlichen Aufwendungen als Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II auszugehen. Gründe für eine Unangemessenheit hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Allerdings hält es der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, in dem es um die Abwendung wesentlicher Nachteile geht, für geboten, die Verpflichtung der Antragsgegnerin auf die Kosten in Höhe der monatlichen Kaltmiete von 260,00 EUR zu beschränken. Die Antragstellerin, die derzeit zur pauschalen Abdeckung des Lebensbedarfs ausreichende Leistungen von der Beigeladenen erhält, kann bis zum Ausgang des Klageverfahrens darauf verwiesen werden, die daneben anfallenden Pauschalen für Heizung und Nebenkosten von 100,00 EUR monatlich aus ihrem Einkommen aus der geringfügigen Beschäftigung abzudecken, das sie nach ihrem Vortrag zumindest noch bis Ende der bis einschließlich Oktober des Jahres dauernden Saison erzielen kann.

Der Senat hält es für geboten, die Leistungsverpflichtung der Antragstellerin in zweifacher Hinsicht zeitlich zu begrenzen. Die vorläufige Verpflichtung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes kann sich zum einen nur auf die Zeit bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren erstrecken. Zum anderen ist es geboten, die Verpflichtung zukunftsgerichtet auf einen Zeitraum von sechs Monaten ab dem Entscheidungszeit raum zu beschränken, weil dies dem Zeitraum entspricht, für den nach § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II die Leistungen im Verwaltungsverfahren bewilligt werden sollen. Der Leistungsträger wird bei fortbestehender Hilfebedürftigkeit dann rechtzeitig vor Ablauf dieses Zeitraums zu prüfen haben, ob eine Folgebewilligung vorläufiger Leistungen - auch zur Vermeidung eines neuen gerichtlichen Eilverfahrens – geboten ist.

Die Kostenentscheidung erfolgt entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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