L 1 SF 30/08 KO

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 1 SF 30/08 KO
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Vergütung von Sachverständigen in der Sozialgerichtsbarkeit orientiert sich an folgenden Erfahrungswerten:
1. Für das Aktenstudium ist davon auszugehen, dass ein Sachverständiger 100 - 150 Blatt je Stunde auswertet. Die benötigte Zeit ist abhängig von der Aufgabenstellung und der Zusammensetzung der Akten.
2. Die benötigte Zeit für die Ausarbeitung der gutachterlichen Beurteilung (einschl. Diagnose, Diskussion und zusammenfassende Beantwortung der Beweisfrage) ist mit Hilfe einer sog. Standardseite zu ermitteln. Die Standardseite umfasst 2000 Anschläge inclusive Leerzeichen. Bei Gutachten der Honorargruppe M 3 (§ 9 Abs. 1 JVEG) ist für jede Standardseite 1 Stunde anzusetzen.
3. Für das Diktat des ausgearbeiteten Textes und dessen Korrektur ist 1 Stunde für 6 Standardseiten anzusetzen.
SCHLESWIG-HOLSTEINISCHES LANDESSOZIALGERICHT

BESCHLUSS
In dem Rechtsstreit

- Antragsteller -

gegen

Land Schleswig-Holstein, vertreten durch den Kostenprüfungsbeamten bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht, Gottorfstraße 2, 24837 Schleswig,
- Antragsgegner-

hat der 1. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts am 17. Juli 2009 in Schleswig durch

den Präsidenten des Landessozialgerichts ,
die Richterin am Landessozialgericht und
die Richterin am Verwaltungsgericht

beschlossen:

Der Sachverständige ist mit 2.382,25 EUR zu vergüten.
Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

In dem Berufungsverfahren L 8 U 13/06 geht es um die Frage, ob eine Polyneuropathie und eine Parkinson-Erkrankung als Berufs-krankheiten anzuerkennen sind, weil der Kläger als Maler schä-digenden Stoffen ausgesetzt war.

Der Senat beauftragte den Antragsteller am 11. Dezember 2008, unter Auswertung der vorhandenen medizinischen Unterlagen und nach Untersuchung des Klägers ein internistisch arbeitsmedi¬zinisches Gutachten gemäß § 109 SGG zu den geltend gemachten Erkrankungen, zur Kausalität zwischen diesen und den schädi-genden Einwirkungen und schließlich zur Höhe der MdE zu er¬stellen. Der Antragsteller erhielt hierzu von der Serviceein-heit 183 Seiten Verwaltungsakten und 286 Seiten Gerichtsakten übersandt. Darin waren drei medizinische Gutachten und eine Krankenakte (zusammen gut 100 Seiten) und außerdem sehr viele ärztliche Berichte, Arztbriefe und Stellungnahmen enthalten. Der Antragsteller untersuchte den Kläger und recherchierte in der einschlägigen medizinischen Literatur. Er erstattete ein Gutachten von 22 Seiten. Das Gutachten verzichtet auf die Wie-dergabe des Akteninhalts. Die Ergebnisse der persönlichen Be-fragung und der Untersuchung umfassen sechs Seiten, die Beur-teilung und Zusammenfassung mit Diskussion der zum Teil fremd-sprachigen medizinischen Literatur erstreckt sich über 12 Sei-ten. Das Gutachten beruht nach den Angaben des Antragstellers auf insgesamt 33.427 Schreibmaschinenanschlägen.

Mit der Kostenrechnung vom 23. April 2009 machte der Antrag¬steller insgesamt eine Forderung von 2.409,54 EUR geltend. Der Kostenbeamte kürzte diese Rechnung im Wesentlichen wegen über-höhter Stundenansätze auf 2.028,22 EUR (Feststellung vom 29. April 2009).

Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit dem Antrag auf richterliche Festsetzung. Er machte geltend: Für das Aktenstu-dium würden üblicherweise 100 Seiten in einer Stunde abgegol-ten. Bei 469 Seiten Akten insgesamt seien 4,5 Stunden ein an-gemessener Ansatz. Die gutachtlichen Ausführungen würden sich über 12 Seiten erstrecken. Einleitend seien schon wertende Ausführungen zu Fakten betreffend die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität gemacht. Sie hingen mit den nachfolgenden Darlegungen innerlich zusammen. Die Beurteilung habe einen Umfang von 21.738 Anschlägen, was bei einer Norm von 1.800 Anschlägen eine Stundenzahl von 12 ergebe.

Der Kostenprüfungsbeamte hat an seiner Festsetzung festgehal-ten.

Auf den Inhalt der Streitakte und die gewechselten Schriftsät-ze wird im Übrigen verwiesen.

II.

Der Antragsteller ist mit 2.382,24 EUR zu vergüten.

Nach § 8 Abs. 2 JVEG richtet sich die Entschädigung des Sach-verständigen nach der erforderlichen Zeit. Nach diesem Geset-zeswortlaut kommt es nicht auf die individuell tatsächlich aufgewandte Zeit an. Entscheidend ist, wie viel Zeit durch-schnittlich und objektiv für die Gutachtenerstattung erforder-lich ist (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., § 8 JVEG Rz. 35, 36). Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die vom Sachver-ständigen angegebene Zeit auch erforderlich war. Dementspre-chend beschränkt sich der Kostenbeamte regelmäßig auf eine Plausibilitätsprüfung, indem er die angegebene Zeit mit den allgemeinen Erfahrungswerten vergleicht. Fallen die Angaben aus dem Rahmen, prüft er, ob Besonderheiten des Falles den An-satz rechtfertigen.

Nach diesen Grundsätzen ist Folgendes festzustellen:

1. Für das Aktenstudium sind 4,5 Stunden anzusetzen. Insgesamt hatte der Antragsteller ca. 470 Blatt Akten auszuwerten. Bei der Frage, wie viele Stunden normalerweise erforderlich sind, um 470 Blatt Akten auszuwerten, ist entscheidend, wie viele Blatt aus medizinischer Sicht für ihn interessant sind. Denn erfahrungsgemäß enthalten die Verwaltungs- und Gerichtsakten auch eine große Zahl von Seiten, die für die medizinische Fra-gestellung uninteressant sind und nach kurzem Anlesen über-blättert werden können. Jede Akte ist anders zusammengesetzt und eine allgemeingültige Zahl über die erforderlichen Stunden des Aktenstudiums kann nicht festgelegt werden. Dennoch hat sich im Lauf der Jahre herausgestellt, dass ein Sachverständi-ger zwischen 100 und 150 Blatt je Stunde auswerten kann. Je mehr handschriftliche Notizen, schwer lesbare Kopien, eng oder klein beschriebene Seiten, fremdsprachliche Texte, medizini-sche Befunde, Arztbriefe oder ärztliche Gutachten und Stel-lungnahme die Akte enthält und je mehr Seiten beidseitig be-schrieben sind, desto mehr verringert sich die Blattzahl, die der Sachverständige in einer Stunde auswerten kann. Anderer-seits wird aber auch ein Facharzt, der auf einem eng begrenz-ten medizinischen Gebiet ein Gutachten mit enger Fragestellung oder nur einen kleinen Zeitraum betreffend erstatten soll, me-dizinische Unterlagen aus anderen, nicht berührten Fachgebie-ten schnell überschlagen und daher eine größere Blattzahl aus-werten können. Gleiches gilt von berufskundigen Sachverständi-gen, die bei einiger Erfahrung wissen, wo die für sie interes-santen Fakten in den Akten zu finden sind. Bei einem punktuell ausgerichteten Aktenstudium wird eher eine Blattzahl von 150 je Stunde zu bewältigen sein. Starre Grenzen kann es daher nicht geben, wohl aber Anhaltspunkte, von denen Kostenbeamte und Gerichte nur in gutbegründbaren Fällen abweichen sollten. Vorliegend machen es drei medizinische Gutachten und die Kopie einer Krankenakte (zusammen ca. 100 Blatt) und ungewöhnlich viele weitere ärztliche Berichte, Arztbriefe und Laborwerte plausibel, dass das Aktenstudium 4,5 Stunden dauerte.

2. Bei der Frage, wie viele Stunden für die Ausarbeitung des Gutachtens und die Beantwortung der Beweisfragen üblicherweise nötig sind, ergibt sich die Schwierigkeit, die gelieferten Seiten in eine Standardseite umzurechnen. Erfahrungsgemäß wer-den nämlich die Seiten eines Gutachtens sehr individuell und oftmals mit sehr großzügigen Schriftbildern und Rändern ge¬staltet. Es ist daher erforderlich, eine Standardseite festzu-setzen. Hierfür geht der Senat von der heute leicht zu ermit-telnden Anschlagszahl einschließlich der Leerzeichen aus. Die Standardseite ist linksbündig geschrieben. Sie hat in Anleh-nung an die DIN 5008 rechts und links sowie oben und unten ei-nen Abstand von 2,5 cm zum Blattrand. Der Zeilenabstand be-trägt 1,5 (vgl. hierzu das Doktoranden-Merkblatt der Medizini-schen Fakultät Kiel vom April 2008). Die Schriftgröße soll we-gen der besseren Lesbarkeit 12 betragen. Hiernach gehen 34 Zeilen auf eine Seite. Die Zeile umfasst nach den Auszählungen des Senats ca. 60 Anschläge. Demgemäß enthält eine Standard-seite gerundet 2.000 Anschläge. Wenn der Antragsteller für seine gutachtlichen Ausführungen 21.738 Anschläge angegeben hat, so errechnen sich daraus 10,86 – auf¬gerundet elf Stan-dardseiten.

Im zweiten Schritt ist zu ermitteln, wie viel Zeit es in An-spruch nimmt, elf Standardseiten gutachterliche Ausführungen zu verfassen. Das kann von der Schwierigkeit der Beweisfrage, von der Komplexität des medizinischen Sachverhalts, vom Erfor-dernis und Umfang der Literaturauswertung und von anderen Fak-toren abhängen. Bei schwierigen Gutachten im Sinne der Hono-rargruppe M3 (§ 9 JVEG) ist der Vergleich mit dem Anfertigen eines schwierigen Urteils in der zweiten Instanz angebracht. Der Senat geht nach seinen Erfahrungen davon aus, dass das Verfassen einer Standardseite einschließlich einer Literatur- oder Rechtsprechungsrecherche und deren Auswertung etwa eine Stunde dauert (so auch schon die Beschlüsse des Senats vom 31. März 2006 – L 1 B 381/05 SF SK – und vom 2. Juni 2006 L 1 SF 13/06 SG ). Der Senat lässt es offen, ob für die Ausarbeitung eines Gutachtens nach der Honorargruppe M2 1,5 Seiten pro Stunde als durchschnittlich anzusetzen sind. Dazu bedarf es vorliegend keiner Entscheidung.

Da der Antragsteller elf Standardseiten geliefert hat, er-scheint unter Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrades M3 der Ansatz von elf Stunden plausibel. Zu seinen Gunsten fällt vor-liegend aber ins Gewicht, dass er sich auf 3,5 Gutachtenseiten mit fremdsprachiger medizinisch wissenschaftlicher Literatur ausführlich auseinandergesetzt hat. Unter Berücksichtigung dessen hält der Senat die geltend gemachten 12 Stunden für die Ausarbeitung der gutachtlichen Ausführungen für nachvollzieh-bar.

3. Auch bei den Posten Diktat und Korrektur des Gutachtens ist nicht die Zahl der gelieferten Gutachtenseiten, sondern die Zahl der Standardseiten zugrunde zu legen. Bei insgesamt 33.427 Anschlägen beträgt vorliegend die Zahl der Standardsei-ten 16,7.
Bei Diktat und Korrektur ist es ebenfalls schwierig, den er-forderlichen Zeitaufwand zu objektivieren. Denn dieser Aufwand hängt von der individuellen Diktierweise des Gutachters und den Fähigkeiten der eingesetzten Schreibkraft ab. Wenn man be-denkt, dass das Ausformulieren des Textes zur Ausarbeitung des Gutachtens gehört, liegt beim Diktieren in aller Regel ein fertiger Text vor. Das Diktieren einer Standardseite nimmt dann nach den Erfahrungen des Senats etwa fünf Minuten bei langsamer Sprechweise und Mitdiktieren der Satzzeichen in An-spruch.

Beim Zeitaufwand für das Korrigieren ist zu berücksichtigen, dass ein häufig eingesetzter medizinischer Sachverständiger üblicherweise eine eingearbeitete Schreibkraft beschäftigt, die sich mit medizinischen Fachbegriffen auskennt. Außerdem gibt es heute in jedem PC Korrekturprogramme, die schreibtech-nische Fehler anzeigen. Demgemäß erhält der Sachverständige in aller Regel schon einen Text, der von schreibtechnischen und Zeichensetzungsfehlern weitgehend frei ist. Selbst wenn beim Korrigieren noch kleinere Umformulierungen und Ergänzungen oder sprachliche Verbesserungen anfallen, werden in der Regel nicht mehr als weitere fünf Minuten pro Seite benötigt. Daher ist die Annahme des Kostenbeamten, dass ein Gutachter übli-cherweise sechs Seiten in einer Stunde diktiert und korri-giert, begründet. Hat der Antragsteller demnach 16,7 Standard-seiten diktiert und korrigiert, erscheint ein Ansatz von 3,5 Stunden hierfür überhöht und der vom Kostenbeamte angesetzte Wert von 3 Stunden als angemessen.

Nach alldem sind dem Antragsteller insgesamt 21,5 Stunden nach der Honorargruppe M3 zu vergüten. Zusammen mit den nicht bean-standeten Kürzungen und unter Berücksichtigung der Mehrwert¬steuer von 19 % ergibt sich daher insgesamt der Anspruch auf eine Vergütung von 2.382,24 EUR.

Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).



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