S 37 AS 9602/06 ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
37
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 37 AS 9602/06 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern eine Zusicherung zur Übernahme der Miete für eine neue Wohnung mit einer Bruttomiete von maximal 542,- EUR zu erteilen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.

Die Antragsteller (Ast.) bewohnen derzeit eine 54 qm große Wohnung. Die Wohnung besteht aus einem ca. 23 qm großen Raum, der mit einer Rigipswand so aufgeteilt ist, dass ein etwa 8 qm großes, fensterloses Zimmer mit separatem Eingang entstanden ist. Die Ast. nutzen dieses Zimmer zum schlafen.

Wegen der bevorstehenden Geburt eines Kindes Mitte Dezember 2006 beantragten die Ast. am 15.9.2006 die Erteilung einer Zusicherung für einen Wohnungswechsel in eine 2 1/2- Zimmer-Wohnung im B weg.

Der Antrag wurde mit Bescheid vom 26.9.2006 mit der Begründung abgelehnt, die Wohnung sei mit 2 Zimmern und einer Gesamtfläche inklusive Küche und Bad von 54 qm auch für drei Personen ausreichend.

Am 9.10.2006 stellte die Ast. zu 2) erneut einen Antrag auf Erteilung einer Zusicherung für die angemessene Miete einer wegen des Nachwuchses anders aufgeteilten Wohnung. Das Neugeborene solle nicht in dem fensterlosen Raum untergebracht werden, das andere Zimmer sei als gemeinsamer Wohnraum ungeeignet.

Der gegen den Ablehnungsbescheid vom 26.9.2006 erhobene Widerspruch ist noch nicht beschieden worden, zu dem Zweitantrag fehlt es noch an einem Bescheid.

Der Antragsgegner (Ag.) hat jedoch in seiner Stellungnahme zu der am 20.10.2006 eingegangenen einstweiligen Anordnung auf Erteilung einer Zusicherung seine ablehnende Haltung wiederholt und damit bekräftigt, dass ein Kleinkind jedenfalls in den ersten sechs Monaten nach der Geburt keinen Anspruch auf zusätzlichen Wohnbedarf begründe (Umkehrschluss aus der Suchfrist des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II).

II.

Der nach § 86 b Abs. 2 SGG zulässige Antrag ist auch begründet. Die Ast. sind derzeit hilfebedürftig, da ihrem SGB II-Gesamtbedarf von 622,- EUR Regelsatz + 53,- EUR Mehrbedarf für Schwangerschaft + 397,- EUR Miete (= 1072,- EUR) ein anrechenbares Einkommen von 118,20 EUR Alg I abzüglich Versicherungspauschale + 154,- EUR Kindergeld + 746,79 EUR bereinigtes Erwerbsein-kommen des Ast. zu 1) (= 1018,99 EUR) gegenübersteht. Wegen der generellen, rechtsfehler-haften Ablehnung einer Zusicherung ist ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung einer im Ergebnis abstrakten Zusicherungsverpflichtung nach § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II im Rahmen des für Berlin geltenden Angemessenheits-Richtwert von 542,- EUR für einen 3-Personen-Haushalt gegeben. Denn die Ast. haben die Notwendigkeit eines Umzugs hinreichend dargelegt.

Die Angemessenheit einer Wohnung ist nach mehreren Faktoren zu beurteilen; neben der reinen Wohnfläche ist auch der Zuschnitt der Wohnung, gemessen an den individuellen Wohnbedürfnissen der Leistungsberechtigten, von Bedeutung. Leben Kinder in der Wohnung oder steht dies unmittelbar bevor, ist deren Bedürfnissen besondere Beachtung zu schenken; der Wertungsgedanke des früheren § 12 Abs. 2 BSHG, der im SGB XII in die Vorschrift des § 16 SGB XII (Familiengerechte Leistungen) Eingang gefunden hat, ist im SGB II im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigen. Eine Wohnung, in der Kinder leben, ist daher nur dann angemessen, wenn sie dem durch die Entwicklung und das Heranwachsen gegebenen bzw. fortlaufend entstehenden Bedarf gerecht wird. In der Säuglingsphase gehört dazu eine zumutbare Rückzugsmöglichkeit für das Kind und den jeweils betreuenden Elternteil.

Der Mindest-Unterkunftsbedarf für ein Paar mit Kind ist daher bei den hier glaubhaft geschilderten Wohnverhältnissen von Anfang an nicht gewährleistet, der Umzug also notwendig i.S. von § 22 Abs. 2 SGB II, woraus eine Verpflichtung des Ag. zur Erteilung einer Zusicherung resultiert.

Die Auffassung des Ag., ein Neugeborenes habe zunächst einen Null-Wohnbedarf, verletzt den Grundsatz der familiengerechten Hilfe durch Verleugnung der Tatsache des sehr raschen, raumgreifenden Heranwachsens von Kindern, das nicht in Einklang steht mit den 6 Monats-Zeiträumen der regulären SGB II-Bewilligungsabschnitte oder einem Umkehrschluss aus der Suchfrist des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Auch Rechtsprechung zum BSHG stützt die Ansicht des Ag. nicht, sofern dort vereinzelt vertreten wurde, dass für ein Paar mit einem Kind im Säuglingsalter eine 2-Raum-Wohnung ausreicht. Denn die Ast. verfügen nur über einen angemessenen Wohnraum, dem ein recht kleines, fensterloses Behelfszimmer angegliedert ist.

Dem im Hinblick auf die kurz bevorstehende Geburt dringlichen Antrag war daher stattzugeben. Bei Auffindung einer angemessenen Wohnung und eines abschlussbereiten Vermieters sollten die Ast. vor Abschluss des Mietvertrages noch eine auf diese Wohnung bezogene Zusicherung des Ag. einzuholen, die sich dann auf die Prüfung wohnungsbezogener Kostenfaktoren beschränkt. Diese Zusicherung garantiert die Übernahme der vollen Unterkunftskosten und schützt den Ag. davor, infolge einer evt. fragwürdigen Betriebskosten-kalkulation für alsbaldige Mieterhöhungen aufkommen zu müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved