S 2 KR 1377/07

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 2 KR 1377/07
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2007 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 13.1.2003 höheres Krankengeld als kalendertäglich 19,85 EUR ab 22.1.2003 zu bewilligen 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) über die Höhe des Krankengeldes.

Am 15.10.2002 schloss die 1957 geborene, als Pflegekraft beschäftigte Klägerin mit ihrer Arbeitgeberin, der B.-Krankenhaus gGmbH, eine Zusatzvereinbarung zu ihrem Dienstvertrag vom 25.3.1997, wonach ihre Arbeitszeit ab 1.12.2002 befristet bis 31.12.2003 von 50% (19,25 Stunden pro Woche) auf 30% (11,55 Stunden) der tariflichen Arbeitszeit reduziert werde.

Wegen einer ab 11. 12. 2002 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit gewährte die Beklagte der Klägerin nach Beendigung der Entgeltfortzahlung durch deren Arbeitgeberin vom 22.1.2003 bis 8.6.2004 Krankengeld in Höhe von kalendertäglich 19,85 EUR. Bei der Berechnung berücksichtigte die Beklagte nicht das im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum, dem Monat November 2002 mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 19,25 Stunden, erzielte Arbeitsentgelt, sondern das von der B.-Krankenhaus gGmbH auf Bitten der Beklagten in einer fiktiven Entgeltbescheinigung für den Monat November unter Berücksichtigung der ab 1. Dezember auf wöchentlich 11,55 Stunden reduzierten Arbeitszeit mit entsprechend um etwa 40% niedrigerem Einkommen angegebene.

Der entsprechende Bewilligungsbescheid vom 13.1.2003 wurde mangels Widerspruch der Klägerin bestandskräftig (§ 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Mit Schreiben vom 29.6.2007 beantragte die Klägerin die Überprüfung und Korrektur dieses Bescheides nach § 44 SGB X. Der Berechnung des Krankengeldes sei das tatsächlich im November 2002 erzielte Arbeitsentgelt - ohne die einmalige Zuwendung - einschließlich der festen Zulagen und verschiedener Zuschläge zu Grunde zu legen.

Die Beklagte lehnte den Antrag unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30.5.2006 - B 1 KR 19/05 R - (NZS 2007, 204) mit der Begründung ab, dass es für die Bemessung des Krankengeldes allein auf das zum Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit aktuell bestehende Beschäftigungsverhältnis ankomme und es dabei gleichgültig sei, ob ein gänzlich neues Beschäftigungsverhältnis begonnen oder ein bisheriges Arbeitsverhältnis umgewandelt und mit geänderten Bedingungen - wie hier der Reduzierung der Arbeitsstunden - fortgeführt werde; es widerspreche den Grundprinzipien des SGB V, wenn das im Krankheitsfall gezahlte, eine Entgeltersatzleistung darstellende Krankengeld zu einer finanziellen Besserstellung gegenüber dem aktuell zu beanspruchenden Arbeitsentgelt führe (Bescheid vom 24.7.2007, Widerspruchsbescheid vom 26.10.2007). Bei den angesprochenen Zuschlägen handele es sich um steuerfreie, die kein beitragspflichtiges Entgelt darstellten und daher bei der Bemessung des Krankengelds nicht zu berücksichtigen seien.

Mit der am 27.11.2007 hiergegen erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie beruft sich auf den eindeutigen Wortlaut des § 47 Abs. 2 S. 3 SGB V sowie die Entscheidung des BSG vom 25.6.1991 - 1/3 RK 6/90 - (SozR 3-2200 § 182 Nr. 8). Anders als in dem der BSG-Entscheidung vom 30.5.2006 - B 1 KR 19/05 R - zu Grunde liegenden Sachverhalt habe sie gerade kein neues Arbeitsverhältnis begründet. Soweit das BSG in jenem Urteil ausführe, dass die im Ansatz vom Grundsatz der Maßgeblichkeit des aktuellen Versicherungsverhältnisses auch bei wesentlicher Änderung des bestehenden abweichende Rechtsprechung in der Entscheidung vom 25.6.1991 - 1/3 RK 6/90 - zum Recht der Reichsversicherungsordnung (RVO) für das Recht des SGB V ohne Bedeutung sei, fehle es an jedweder Begründung.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Abänderung des Bescheides vom 13.1.2003 höheres Krankengeld als kalendertäglich 19,85 EUR ab 22.1.2003 zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie räumt ein, dass von ihr bei einem umgekehrten Sachverhalt, also dem Eintritt von Arbeitsunfähigkeit kurz nach vertraglich vereinbarter Arbeitszeiterhöhung, das Entgelt des Vormonats mit der geringeren Arbeitszeit der Bemessung des Krankengeldes zugrunde gelegt werde, hält aber an ihrer Auffassung fest und bezieht sich im Wesentlichen auf die Begründung der angefochtenen Bescheide.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift vom 24.6.2009, die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 54 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 87, 90 SGG) erhobene Verpflichtungsklage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.10.2007 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin daher in deren Rechten. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, den Bescheid über die Bewilligung des Krankengelds vom 13.1.2003 zurückzunehmen und der Klägerin ab 22.1.2003 höheres Krankengeld zu bewilligen.

Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor Beginn des Jahres, in dem der Antrag auf Rücknahme gestellt wurde, erbracht (§ 44 Abs. 4 S.1 i.V.m. S. 2 i.V.m. S. 3 SGB X).

Bei der bestandskräftig gewordenen Bewilligung von Krankengeld ab 22.1.2003 wurde das Recht von der Beklagten nicht richtig angewandt. Sie hat bei der Berechnung des Krankengeldes zu Unrecht nicht das tatsächlich im November 2002 erzielte Arbeitsentgelt zu Grunde gelegt, sondern lediglich das in der fiktiven Berechnung bescheinigte.

Nach § 47 Abs. 1 S. 1 SGB V beträgt das Krankengeld 70 vom Hundert des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und Arbeitseinkommens, soweit es der Beitragsberechnung unterliegt (Regelentgelt). Nach § 47 Abs. 2 S. 1 SGB V ist für die Berechnung des Entgelts das von dem Versicherten im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Entgeltabrechnungszeitraum, mindestens das während der letzten abgerechneten vier Wochen (Bemessungszeitraum) erzielte und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderte Arbeitsentgelt durch die Zahl der Stunden zu teilen, für die es gezahlt wurde. Das Ergebnis ist mit der Zahl der sich aus dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses ergebenden regelmäßigen wöchentlichen Arbeitsstunden zu vervielfachen und durch sieben zu teilen (§ 47 Abs. 2 S. 2 SGB V). Ist das Arbeitsentgelt nach Monaten bemessen oder ist eine Berechnung des Regelentgelt nach den Sätzen 1 und 2 nicht möglich, gilt der dreißigste Teil des im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Kalendermonat erzielten und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderten Arbeitsentgelts als Regelentgelt (§ 47 Abs. 2 S. 3 SGB V).

Diese Regelung beinhaltet im Falle eines nach Monaten bemessenen Arbeitsentgelts nach ihrem eindeutigen Wortlaut eine gesetzliche Fiktion, wonach der dreißigste Teil des im letzten vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit abgerechneten Kalendermonat erzielten und um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt verminderten Arbeitsentgelts als Regelentgelt gilt.

Bezogen auf die ab 11.12.2002 arbeitsunfähig gewesene Klägerin bedeutet dies, dass auf die tatsächlichen Bezüge im Monat November abzustellen ist. Hierbei sind lediglich die Zuwendung als einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (§ 47 Abs. 2 S. 3 SGB V) und gezahlte Zulagen und Zuschläge, soweit sie lohnsteuerfrei sind und keine auf einem Entgelt von mehr als 25 EUR für jede Stunde berechneten Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge darstellen (§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt - Sozialversicherungsentgeltverordnung), auszunehmen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten bleibt der letzte abgerechnete Kalendermonat auch dann maßgebend, wenn sich danach und noch vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit die Entgeltverhältnisse durch Lohnänderung oder durch eine Änderung des Inhalts des Arbeitsverhältnisses, zum Beispiel durch eine Arbeitszeitreduzierung - wie hier - geändert haben (Vay, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung - Pflegeversicherung, Loseblattkommentar, Stand: 64. Ergänzungslieferung November 2008, § 47 SGB V, Rdnr. 31; Höfler, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Loseblattkommentar, Stand: 60. Ergänzungslieferung 2009, § 47 SGB V, Rdnr. 18a; jeweils unter Hinweis auf: BSG, 25.6.1991- 1/3 RK 6/90, aaO, das den Übergang von Voll- zur Teilzeitarbeit betrifft).

Für derartige Fälle enthält das Gesetz keine spezielle Regelung. Einerseits ist der Gesetzeswortlaut eindeutig, andererseits besteht auch kein Bedürfnis für eine Verschiebung des Bemessungszeitraums - oder fiktive Bemessung - im Wege der Auslegung oder der Rechtsfortbildung. Der Gesetzgeber hat sich zu Gunsten der Verwaltungspraktikabilität und -ökonomie, insbesondere der Schnelligkeit der Berechnung des Krankengeldes als kurzfristiger, den Lebensunterhalt sicherstellenden Lohnersatzleistung für die so genannte Bezugs- beziehungsweise Referenzmethode entschieden, die - im Gegensatz zum Lohnausfallprinzip - unberücksichtigt lässt, wie sich die Lohnverhältnisse außerhalb des Bezugs- beziehungsweise des Bemessungszeitraums, insbesondere nach Eintritt des Leistungsfalles entwickeln. Dass dies im Einzelfall dazu führen kann, dass das zu zahlende Krankengeld höher oder auch geringer ist als der dem Versicherten tatsächlich entgehende Lohn, ist angesichts der mit der Regelung verbundenen Vorteile hinzunehmen (vergleiche: BSG 25.6.1991 - 1/3 RK 6/90, aaO).

Soweit das BSG in der Entscheidung vom 30.5.2006 - B 1 KR 19/05 R - (aaO zu einer nach Betriebsübergang geänderten Tätigkeit mit niedrigerem Monatslohn) zum Recht des SGB V die vorgenannte, noch zum Recht der RVO ergangene, ohne nähere Begründung insoweit relativiert, als wirtschaftlicher Bezugspunkt der Arbeitsunfähigkeit regelmäßig diejenige Tätigkeit sei, die der versicherte Arbeitsunfähige ohne Krankheit ausüben würde, und vor einer wesentlichen Änderung des bisher bestehenden Beschäftigungsverhältnisses erzielte Arbeitsentgelte bei der Krankengeldbemessung keine Berücksichtigung finden dürften, misst die erkennende Kammer dem für den vorliegenden Rechtsstreit im Ergebnis keine Bedeutung bei, zumal die Ausführungen in Randnummer 15 dieser BSG-Entscheidung nicht deren Schwerpunkt darstellen.

Eine derart wesentliche Änderung, dass das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin bei der B.-Krankenhaus gGmbH wie ein neues Versicherungsverhältnis zu bewerten ist, ist in der Reduzierung der Arbeitszeit von 50% auf 30% der tariflichen Arbeitszeit nicht zu erblicken. Dies wird auch daran deutlich, dass die Arbeitszeitänderung nicht dauerhaft, sondern von vornherein befristet vereinbart wurde. Dieser Umstand der nur befristeten Arbeitszeitverkürzung, die statt für 13 Monate, wie hier, auch für einen deutlich kürzeren Zeitraum, zum Beispiel einen Monat, vorgenommen werden könnte, ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts ein weiteres Argument dafür, bei der Krankengeldbemessung nicht von dem eindeutigen Wortlaut des § 47 Abs. 2 S. 3 SGB V abzuweichen und an der Referenzmethode festzuhalten. Diese dient nicht nur der schnellen Berechnung der kurzfristigen Sozialleistung Krankengeld, sondern auch der Verwaltungsökonomie während einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit. Das Krankengeld soll einmal zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit berechnet und dann - abgesehen von Dynamisierungen - unverändert fortgezahlt werden. Neue Berechnungen, insbesondere aufgrund hypothetischer Überlegungen bei strenger Anwendung des Lohnausfallprinzips, sollen gerade vermieden werden. Im Falle der nur befristeten Arbeitszeitreduzierung wäre es jedoch bei Anwendung des Lohnausfallprinzips sachgerecht, nach Beendigung der Befristung die Krankengeldbemessung an den Zustand vor Beginn der Befristung anzupassen.

Dass die Beklagte selbst das Lohnausfallprinzip nicht konsequent anwendet und im umgekehrten Fall, der Erhöhung der Arbeitszeit beziehungsweise des Entgelts kurz vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, anders als in der vorliegenden Konstellation auf den letzten abgerechneten Entgeltzeitraum abstellt, lässt im Übrigen die streitbefangenen Entscheidungen und die diesen zu Grunde liegende Verwaltungspraxis auch unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz) rechtswidrig erscheinen.

Die Beklagte wird nunmehr das der Klägerin ab 22.1.2003 zustehende Krankengeld unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen neu zu berechnen und nach entsprechender Bewilligung eine Nachzahlung für den gesamten Zeitraum des Krankengeldbezugs zu erbringen haben. Der Antrag nach § 44 SGB X wurde von der Klägerin 2007 gestellt, so dass einer bis Anfang 2003 zurückwirkenden Leistung nach § 44 Abs. 4 SGB X nichts im Wege steht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Rechtskraft
Aus
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