L 4 R 3765/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 3683/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3765/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Versicherter, dessen Gebrauchshand nahezu funktionsunfähig ist, kann nicht auf Tätigkeiten als Pförtner (auch an der Nebenpforte), als Museumswärter oder Museumsaufsicht verwiesen werden.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Juli 2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Der Rechtsstreit wird geführt über einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Der Kläger mit Geburtsdatum 1965 stammt aus der türkischen Schwarzmeer-Region. 1980 kam er ins Inland. Seit Oktober 1982 war er bei verschiedenen Unternehmen als ungelernter oder kurzfristig angelernter Arbeiter beschäftigt, zuletzt seit 1989 als "Schreiner" bei der H. M. GmbH in G ... Er sei im Holzzuschnitt an verschiedenen Arbeitsplätzen eingearbeitet worden, Rohholzzuschnitt, Oberflächenbearbeitung und Maßzuschnitt. Längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bestanden nicht.

Am 10. März 2002 wurde der Kläger im österreichischen Salzkammergut bei einem - nicht berufsbedingten - Autounfall schwer verletzt. Die Erstversorgung erfolgte im Landeskrankenhaus G ... Diagnostiziert wurden eine Gehirnerschütterung, eine offene Fraktur des rechten Oberarmknochens mit Verletzung des Nervus radialis, eine Fraktur der 12. Rippe links, eine Kopfplatzwunde sowie eine Distorsion der Halswirbelsäule (Verletzungsanzeige Dr. N. vom 13. März 2002). Am 14. März 2002 wurde der Kläger ins Klinikum O. (Unfall- und Handchirurgie) verlegt, wo er bis 05. April 2002 verblieb (Arztbrief Oberarzt Dr. L. vom 08. Mai 2002). Ab 10. April 2002 nahm er Krankengymnastik in Anspruch. Bei einem nochmaligen stationären Aufenthalt vom 27. bis 31. Mai 2002 erfolgte aufgrund des Zustands nach Durchtrennung des Nervus radialis rechts eine Nerventransplantation von drei Faszikeln (Arztbrief Oberarzt Dr. G. vom 28. Juni 2002). Internist Dr. K. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg in O. erstattete die Stellungnahmen vom 11. Juli und 16. Oktober 2002; körperlich leichte Tätigkeiten in wechselnder Haltung bei Einarmigkeit seien möglich und Reha-Maßnahmen zu empfehlen. Der Kläger bezog nach Ende der Entgeltfortzahlung vom 22. April 2002 bis 06. September 2003 Krankengeld, anschließend bis 31. August 2004 Arbeitslosengeld und bis 31. Dezember 2004 Arbeitslosenhilfe, die sodann von den Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) abgelöst wurde. Die Beklagte teilte dem Kläger unter dem 22. Oktober 2003 mit, die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien erfüllt und über die Art der Leistungen erhalte er weitere Nachricht.

Für die damalige A. Versicherungs-AG erstattete zunächst Oberarzt Dr. G. vom Klinikum O. den Ärztlichen Bericht vom 16. November 2003, sodann Prof. Dr. W. von der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T. das unfallchirurgische Fachgutachten vom 29. August 2005 (mit Ergänzung vom 26./27. Oktober 2005) sowie Neurologe Prof. Dr. St. das Gutachten vom 12. Oktober 2005. Nach diesen Gutachten bestanden eine vollständige Schädigung des rechten Nervus radialis im Oberarmbereich, eine Kraftminderung der Muskulatur (Minderung der Ellbogen-, Handgelenks- und Fingerstreckung rechts) sowie subjektive Beschwerden mit Missempfindungen und Gefühlsstörungen an der Unterarmstreckseite und am Handrücken; es bestehe eine erhebliche Beeinträchtigung der Greiffunktion und der Geschicklichkeit der rechten Hand für einen Rechtshänder. Nach Angaben des Klägers setze er die rechte Hand zum Ankleiden und zum Zähneputzen ein.

Am 10. Januar 2006 beantragte der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Z. (Anästhesiologie/Chirotherapie/Sozialmedizin) erstattete das Gutachten vom 03. Februar 2006. Er nannte eine hochgradige Kraftminderung und Bewegungseinschränkung des rechten Armes nach distaler Oberarmfraktur und Zerreißung des Nervus radialis, ferner eine Sensibilitätsstörung am rechten Unterschenkel nach Nerventransplantation. Es verbleibe bei der Empfehlung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. In den letzten ein bis zwei Jahren habe sich noch eine leichte Besserung ergeben. Es bestehe ein über sechsstündiges Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an die Motorik und Sensibilität des rechten Armes. Das Leistungsvermögen entspreche funktionellen Einhändern oder Linkshändern. Durch Bescheid vom 13. Februar 2006 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da der Kläger noch mindestens sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein könne.

Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger vor, die Gutachten für die private Versicherung hätten eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v.H. ergeben. Er könne nicht mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein. Die kurze Untersuchung durch Dr. Z. im Antragsverfahren reiche nicht aus. Es sei kein Einsatz des rechten Körperbereichs mit Hand und Arm - auch als Beihand - mehr möglich. Damit seien alle industriellen Hilfsarbeiten verwehrt. Andere Arbeitsplätze scheiterten an der mangelnden Schul- und Ausbildung. Rehabilitationsversuche seien erfolglos geblieben. Seit dem Unfall leide er auch unter Angstzuständen und Depressionen. Der Kläger legte den Bericht vom 22. Dezember 2003 und den Zwischenbericht vom 23. August 2004 der "rehacare" vor sowie die Stellungnahme des Allgemeinarztes Dr. Tr. vom 21. Dezember 2005. Dr. Z. verblieb bei seiner Beurteilung (Vermerk vom 26. April 2006). Unter nochmaligem Hinweis auf das Gutachten des letztgenannten Arztes vom 03. Februar 2006 erließ der Widerspruchsausschuss der Beklagten den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2006. Allein dass der Kläger wegen der beschränkten Einsatzfähigkeit der rechten Hand nicht mehr alle Hilfsarbeitertätigkeiten verrichten könne, begründe noch keine verminderte Erwerbsfähigkeit. Es gebe genügend Arbeitsplätze für Einhänder, wie etwa der Pförtner an einer Nebenpforte.

Mit der am 27. Juli 2006 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er verwies auf die Gutachten für die A.- Versicherungs-AG, wiederholte die Begründung seines Widerspruchs und machte ergänzend geltend, nicht nur die beschränkte Einsatzfähigkeit der rechten Hand, sondern auch die sprachlichen Schwierigkeiten und psychischen Belastungen führten dazu, dass ihm der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vollständig verschlossen sei. Eine Verweisung auf eine Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte sei schon wegen der geringen Zahl solcher Arbeitsplätze in der Umgebung seines Wohnorts verwehrt. Er sei Rechtshänder und könne mit der linken Hand kaum noch einen Löffel halten. Computerkenntnisse habe er nicht. Ebenso wenig könne er Rechenvorgänge nachvollziehen. Eine Besserung werde es nicht mehr geben (Verweis auf das vorgelegte Attest des Arztes für Unfallchirurgie und des Chirurgen Dr. Me. vom 10. Mai 2007). Dem günstigen Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Mi. vom 03. September 2007 (vgl. hierzu im Folgenden) sei zuzustimmen. Mit dem Angebot eines Heilverfahrens wolle er sich nicht begnügen. Schmerztherapie oder Antidepressiva reichten nicht aus.

Die Beklagte trat der Klage entgegen. Sie legte die Stellungnahmen der beratenden Ärztin für Psychiatrie Dr. Ho. vom 19. Dezember 2007 und 11. Juni 2008 vor. Es bestehe noch eine erhebliche therapeutische Reserve. Eine schwerwiegende depressive Störung könne nicht nachvollzogen werden. Allein dass es sich um die psychische Situation eines Migranten handle, bedinge kein reduziertes oder aufgehobenes Leistungsvermögen.

Das SG befragte die behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen. Oberarzt Dr. G. vom Klinikum O. stellte unter dem 06. November 2006 klar, die dortige Behandlung habe am 23. September 2002 geendet. Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Tr. nannte in der Aussage vom 14. November 2006 neben den bekannten Unfallfolgen, aufgrund deren der Kläger funktioneller Einhänder sei, einen - freilich nicht behandlungsbedürftigen - Bluthochdruck.

Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie Dr. Mi. erstattete das Gutachten vom 03. September 2007 (ergänzende Stellungnahme vom 01. April 2008). Im Rahmen der Anamnese gab der Kläger u.a. an, über die Arbeitsvermittlung sechs Monate einen so genannten Ein-Euro-Job in einer Wäscherei mit einer täglichen Arbeitszeit von vier Stunden ausgeübt zu haben, meistens jedoch arbeitsunfähig gewesen zu sein. Der Kläger leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung im Sinne einer rezidivierend depressiven Störung, die einhergehe mit Antriebsstörung, Freudlosigkeit, Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühlen, Ein- und Durchschlafstörungen, Alpträumen und Flashbacks. Es bestehe neben der Radialisparese und einer zunehmenden Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks ein chronisches Schmerzsyndrom. Leichte Tätigkeiten könnten allenfalls stundenweise geleistet werden. Bei leichten Anlerntätigkeiten bestünden Sprachschwierigkeiten. Der Kläger sei derzeit nicht in der Lage, regelmäßig mehr als drei Stunden zu arbeiten. Die Einschränkungen bestünden seit dem Unfall vom März 2002. Auch die Regelmäßigkeit der Wegefähigkeit sei anzuzweifeln. Allenfalls unregelmäßige Teilzeitarbeit sei vorstellbar. Der Kläger werde als schwerkranker und leidender Mensch erlebt.

Durch Urteil vom 15. Juli 2008 verurteilte das SG unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Juni 2006 die Beklagte, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Januar 2006 zu gewähren. Zur Begründung legte es im Wesentlichen dar, zwar sei das Gutachten Dr. Mi. nicht hinreichend nachvollziehbar, so dass es (das SG) sich nicht davon überzeugen könne, dass das Leistungsvermögen des Klägers für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts auf weniger als sechs Stunden täglich abgesunken sei. Hierauf komme es jedoch letztlich nicht an, nachdem die Funktionseinschränkung der rechten Hand eine schwere spezifische Leistungsbehinderung darstelle und die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich sei. Für eine Tätigkeit als Pförtner an der Nebenpforte komme der Kläger nicht in Betracht. Dort werde Lesen und Schreiben zwingend vorausgesetzt. Ein Pförtner müsse in der Lage sein, Papiere zu lesen und abzuzeichnen, Besucherscheine auszufüllen, Gesprächsvermerke und Telefonnummern zu notieren, und auch sonst seien Kommunikationsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Lernverhalten, psychische und physische Belastbarkeit sowie sprachliches Ausdrucksvermögen vorausgesetzt. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger nicht. Allein auf die fehlenden Sprachkenntnisse komme es nicht an. Der Zustand sei bereits mit dem Unfall im März 2002 eingetreten. Da ein Endzustand anzunehmen sei, bestehe Anspruch auf unbefristete Rente.

Gegen das ihr am 28. Juli 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06. August 2008 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, die Verletzung des rechten Armes habe in der Folgezeit nicht dazu geführt, dass der Kläger nur noch den linken Arm einsetzen könne. Er könne die rechte Hand durchaus benutzen, die Zähne zu putzen, verschiedene Handreichen beim Ankleiden auszuführen, den Pinzettengriff zu ermöglichen oder leichte Gegenstände anzunehmen, wodurch noch eine zufriedenstellende Beweglichkeit von Handgelenk und Fingern erkennbar sei. Er habe auch zeitweise eine Tätigkeit in einer Wäscherei übernehmen können. Verständigung in deutscher Sprache sei ausreichend möglich und ein muttersprachlicher Analphabetismus bestehe nicht. Fehlende Beherrschung der deutschen Sprache dürften ausländische Versicherte nicht geltend machen. Für die Tätigkeit eines Pförtners an der Nebenpforte seien auch keine besonderen sprachlichen Anforderungen an das Kommunikationsvermögen gestellt. Praktisch Einarmige könnten durchaus in Besucherempfang, Schlüsselverwaltung oder Personenaufsichtskontrolle eingesetzt werden. Pförtner an einer Nebenpforte habe es mit Stand 2005 noch über 165.000 gegeben. Schließlich komme auch die Beschäftigung als Museumswärter oder Museumsaufsicht in Betracht.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 15. Juli 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er entgegnet, es bestehe eine schwere spezifische Leistungsbehinderung. Der Beruf des Pförtners stelle auch an der Nebenpforte so hohe Anforderungen, dass er (der Kläger) diese nicht erfüllen könne. Die von der Beklagten genannten Alltagstätigkeiten seien nur noch mühsam und für wenige Sekunden eröffnet. Er könne auch keineswegs Papiere in deutscher Sprache ordnungsgemäß lesen oder ausfüllen. Im Übrigen verbleibe es dabei, dass der Sachverständige Dr. Mi. seine regelmäßige Einsatzfähigkeit verneint habe. Eine Tätigkeit als Museumswärter komme keinesfalls in Betracht. Im Übrigen sei er keinesfalls mehr überörtlich mobil. Das Ergebnis des vorliegenden Verfahrens sei jedenfalls für die Differenzberechnung seines Verdienstausfalls in einem Schadensersatzprozess gegen den Unfallverursacher und dessen Haftpflichtversicherung von Bedeutung.

Zur weiteren Darstellung wird auf den Inhalt der Berufungsakten, der Klageakten und der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist in der Sache nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil vom 15. Juli 2008 zutreffend entschieden, dass die Ablehnung einer Rentenzahlung in den streitgegenständlichen Bescheiden der Beklagten nicht rechtmäßig ist. Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01. Januar 2006.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Kläger ist nach diesen Bestimmungen voll erwerbsgemindert.

Der Senat vermag freilich ebenso wenig wie das SG ein aufgehobenes Leistungsvermögen des Klägers bereits auf die im Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Mi. vom 03. September 2007 dargelegte psychische Situation zu stützen. Nach diesem Gutachten bestehe eine posttraumatische Belastungsstörung, ausgeprägt im Sinne einer depressiven Entwicklung einhergehend mit Antriebsstörung, Freudlosigkeit, Hilflosigkeit, Ohnmachtsgefühlen, Schlafstörungen, Alpträumen und Flashbacks. Der Sachverständige hat, was bereits wenig schlüssig erscheint, einen solchen Zustand im Wesentlichen schon seit dem Unfallereignis vom 10. März 2002 annehmen wollen, obwohl es in der Natur einer solchen Entwicklung liegen dürfte, sich erst nachträglich anlässlich der sozialen und finanziellen Auswirkungen der Folgen des Unfalls auszuprägen. Demgemäß erscheint auch der Vorwurf des Sachverständigen an die früheren Gutachter seines Fachgebiets, sie hätten offenkundige Symptome auf Seiten des Klägers nicht beachtet, wenig überzeugend. Der neurologische Gutachter Prof. Dr. St. hat im Gutachten für die A.- Versicherung vom 12. Oktober 2005 den psychiatrischen Befund jedenfalls orientierend als "unauffällig" eingestuft. Auch Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Tr., den der Kläger seit Januar 2003 regelmäßig aufsucht, hat Entsprechendes nicht mitgeteilt. Eine fachärztliche psychiatrische Behandlung ist auch nicht angegangen worden. Ob die von Dr. Mi. geschilderte psychische Lage bereits für sich leichte Berufstätigkeiten ausschließen würde, kann aus den im Folgenden darzulegenden Gründen dahinstehen.

Laut dem für den organpathologischen Befund maßgeblichen Gutachten des Allgemeinarztes Dr. Z. vom 03.Februar 2006 leidet der Kläger, der Rechtshänder ist, unter einer hochgradigen Kraftminderung und Bewegungseinschränkung des rechten Armes nach distaler Oberarmfraktur und Zerreißung der Nervus radialis, unter einer Verletzung von Nerven in Höhe der Schulter und des Oberarms, ferner unter einer Sensibilitätsstörung am rechten Unterschenkel nach Nerventransplantation Nervus suralis. Die Funktion des rechten Armes ist jedoch nahezu aufgehoben. Der rechte Arm kann allenfalls noch als Beihand eingesetzt werden. Das Heben und Tragen auch nur geringer Lasten ist mit diesem Arm nicht möglich. Das Leistungsvermögen entspricht funktionellen Einhändern. Dauerndes oder überwiegendes Stehen und Gehen, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten oder an laufenden Maschinen sind zu vermeiden.

Unter Beachtung dieser Einschränkungen kann der Kläger zwar - die psychische Situation nochmals vernachlässigend - eine Erwerbstätigkeit von sechs Stunden verrichten. Gleichwohl ist eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Beschluss des Großen Senats vom 19. Dezember 1996, BSGE 80, 24 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8; SozR 4-2600 § 44 Nr. 1) besteht die Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Hierzu zählen Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit. Der Kläger kann die rechte Hand und den rechten Arm funktional nicht mehr einsetzen. Es besteht faktische Einarmigkeit. Damit steht fest, dass mit der rechten Hand auch das regelmäßige Halten von Geräten wie Telefonhörern, normales Schreiben oder Betätigung von Schlüsseln nicht mehr möglich ist.

Der Kläger kann weder auf die von der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 2006 als geeigneten Arbeitsplatz benannte Tätigkeit als Pförtner an einer Nebenpforte noch auf die im Berufungsverfahren benannte Tätigkeit als Museumswärter oder Museumsaufsicht verwiesen werden.

Einer Tätigkeit als Pförtner (auch an der Nebenpforte) steht Einarmigkeit grundsätzlich nicht entgegen. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass nicht die Haupthand, sondern die Hilfshand betroffen ist. Anderes gilt jedoch in dem Fall, dass - wie beim Kläger - die (bisherige) Haupthand nur noch stark eingeschränkt funktionsfähig ist und damit allenfalls noch als Beihand eingesetzt werden kann. Ein Pförtner hat, was von der Beklagten auch nicht bestritten wird, Schreibarbeiten zu verrichten (vgl. die vom SG eingeführte Stellungnahme des Landesarbeitsamts Bayern vom 02. Juli 2002 im Verfahren vor dem Bayerischen LSG L 6 RJ 654/00, veröffentlicht in www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29. März 2005 - L 2 RJ 349/03 -, in Juris, gestützt auf eine Auskunft des Landesarbeitsamts Rheinland-Pfalz-Saarland vom 18. Februar 2003). Dies mit der verbliebenen linken Hand, die lediglich die Beihand und nicht die Haupthand darstellt, zu bewältigen, ist dem Kläger nachvollziehbar nicht möglich. Jedenfalls sind Schreibarbeiten in einem in der Arbeitswirklichkeit gewöhnlich geforderten Tempo ausgeschlossen. Die rechte Hand des Klägers kann auch nicht zur Unterstützung für die Erledigung solcher Tätigkeiten eingesetzt werden. Mithin scheiden auch weitere Tätigkeiten, bei welchen Schreibarbeiten in einem in der Arbeitswirklichkeit gewöhnlich geforderten Tempo anfallen, als Verweisungsberufe aus (Senatsurteil vom 31. Oktober 2008 - L 4 KNR 3903/07 - rechtskräftig, nicht veröffentlicht). Zur Verrichtung von Schreibarbeiten äußert sich das von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung genannte Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17. Oktober 1997 (L 8 J 262/97), auf das überwiegend die weiteren von der Beklagten genannten Urteile des LSG Baden-Württemberg Bezug nehmen, nicht. Dass die Tätigkeit des Pförtners nicht im bloßen Kontrollieren von ein- und ausgehenden Personen oder ein- und ausfahrenden Fahrzeugen besteht, ergibt sich auch aus der Tätigkeitsbeschreibung in der Berufsinformation der Bundesagentur für Arbeit (www.BERUFENET.de).

Eine von der Beklagten hilfsweise noch benannte Tätigkeit als Museumswärter oder allgemein in der Museumsaufsicht lässt sich für den Kläger nicht vorstellen. Tätigkeiten als Museumswärter erfordern regelmäßig die Fähigkeit, Leitern zu besteigen und kurzfristig auf Leitern arbeiten zu können; hinzu kommen regelmäßig Verkaufstätigkeiten und Mithilfen beim Transport und bei der Verwahrung von Objekten (vgl. die Nachweise im Senatsurteil vom 31. Oktober 2008 - L 4 KNR 3903/07 - rechtskräftig).

Der Kläger hat die allgemeine Wartezeit von 60 Monaten erfüllt. Auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI liegen vor. Der Versicherungsverlauf (vgl. etwa vom 13. Februar 2006) ist durchgängig mit Pflichtbeitragszeiten belegt.

Das SG hat Rente wegen voller Erwerbsminderung zu Recht unbefristet zugesprochen. Da mangels Benennbarkeit einer Verweisungstätigkeit ein Rentenanspruch unabhängig von der Arbeitsmarktlage besteht, ist die Rente unbefristet zu leisten, weil unwahrscheinlich ist, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). Aus medizinischen Gründen ist eine wesentliche Besserung der Gebrauchsunfähigkeit des rechten Armes und der Hand nicht zu erwarten. Begründete Aussicht für den Wegfall der Rentenberechtigung besteht auch nicht deshalb, weil berufsfördernde Maßnahmen in Betracht kommen. Dies wäre erst dann der Fall, wenn berufsfördernde Maßnahmen von der Beklagten auch schon konkret angeboten sind (BSG, Urteil vom 21. April 1993 - 5 RJ 48/92 - in Juris), was derzeit nicht aktuell ist. Die Beklagte hat dem Kläger lediglich allgemein unter dem 22. Oktober 2003 mitgeteilt, dass die Voraussetzungen zur Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erfüllt seien und er über die Art der Leistungen weitere Nachricht erhalte.

Die Rente beginnt mit dem 01. Januar 2006, da sie in diesem Monat beantragt worden ist und die Anspruchsvoraussetzungen bereits länger als drei Monate vorgelegen hatten (vgl. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass.
Rechtskraft
Aus
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