L 8 U 1427/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 1121/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 1427/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein wesentlicher unfallbedingter Zusammenhang eines psychischen Leidens (hier: Anpassungsstörung) liegt nicht schon dann vor, wenn in der Persönlichkeitsstruktur des Versicherten angelegte Eigenschaften (hier: niedrige Frustrationstoleranz, Aggressionsbereitschaf) durch das Unfallereignis, die physischen Unfallfolgen oder durch die Unfallabwicklung des Unfallversicherungsträgers stimuliert wurden. Maßstab der wertenden Beurteilung ist, dass nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand aus objektiver Sicht ein Zusammenhang herzustellen ist; allein die subjektive Sicht des Versicherten reicht nicht aus.
Die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 09. Februar 2010 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Arbeitsunfall des Klägers vom 17.04.2002 und als Unfallfolgen ein Teilabriss der Bizepssehne rechts und eine Anpassungsstörung festzustellen sind.

Mit Durchgangsarztbericht von Dr. B. vom 16.05.2002 wurde der Beklagten eine Teilruptur der distalen Bizepssehne rechts als Arbeitsunfall des Klägers angezeigt. Danach habe sich der Kläger am 17.04.2002 während seiner Tätigkeit als Lagerarbeiter den Arm verletzt, als er ruckartig einen schweren Gegenstand habe anheben wollen. Im Unfallfragebogen gab der Kläger unter dem 06.06.2002 an, der Unfall habe sich am 13.03.2002 ereignet beim Versuch, schwere Blechteile, die sich in der Palette verkeilt hätten, herauszuheben. In der Unfallmeldung des Arbeitgebers vom 02.07.2002 ist als Unfallzeitpunkt der 17.04.2002 genannt und wurden Ausfallzeiten verneint. Die Beklagte gewährte zunächst Heilbehandlung. Wegen persistierender Beschwerden wurde der Klägers konservativ behandelt. Bei der Vorstellung am 18.11.2002 im Katharinenhospital wurde ein Bizepssehnenriss rechts mit geringer funktioneller Einschränkung diagnostiziert. Eine Delle im Bereich des distalen Bizeps bei der Ellenbogenbeuge sei noch sichtbar. In Anbetracht der guten Funktion und der nur geringen Kraftminderung sei dem Kläger weiterhin ein konservatives Kräftigungstraining angeraten worden, der Kläger habe jedoch auf eine Operation gedrängt. Im Übrigen sei nicht von einem Arbeitsunfall auszugehen (Nachschaubericht von Prof. Dr. H. vom 19.12.2002). Im Nachschaubericht von Dr. P. vom 26.11.2002 wurde bei der Untersuchung am 26.11.2002 eine gute Funktion des rechten Arms mit noch belastungsabhängigen Beschwerden beschrieben. Der Kläger habe eine nochmalige eingehende Beratung gewünscht, ob nicht doch eine Operation eine funktionelle und kosmetische Befundverbesserung erwarten lasse. Nach mehrfacher Erinnerung durch die Beklagte teilte das Katharinenhospital zunächst telefonisch am 27.01.2003 (Anruf Dr. Sch.) und sodann mit Zwischenbericht vom 29.01.2003 mit, da der Unfallmechanismus kein Unfall im Sinne des Gesetzes gewesen sei, hätte eine kassenärztliche Behandlung ab 15.08.2002 durchgeführt werden müssen, die Weiterbehandlung erfolge entsprechend. Dem Kläger sei erneut von einer Operation abgeraten worden. Im Januar 2003 forderte die Beklagte die behandelnden Ärzte auf, keine weiteren Leistungen zu ihren Lasten zu erbringen.

Am 10.05.2005 stellte sich der Kläger wegen Schmerzen bei Kraftaufwand im rechten Arm in der Orthopädischen Klinik M. vor. Bei der Untersuchung sei die Kraft für Beugung und Supination im Ellbogengelenk voll entwickelt und im Seitenvergleich kaum eingeschränkt gewesen. Aufgrund des Zeitablaufs sei keine Möglichkeit einer operativen Anheftung des proximierten Muskelbauchanteiles gegeben (H-Arzt-Zwischenbericht von PD Dr. P. vom 18.05.2005). Mit Zwischenbericht vom 22.09.2005 teilte die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik T. (BG-Klinik) mit, nach Vorstellung des Klägers am 20.09.2005 in der Ambulanz wegen Restbeschwerden nach älterer Partialruptur der Bizepssehne rechts bei klinisch unauffälligem Befund werde keine operative Verbesserungsmöglichkeit gesehen. Die Behandlung sei konservativ symptomatisch vorzunehmen. Der Kläger wünsche eine innerbetriebliche Umsetzung an einen leichteren Arbeitsplatz, was zu klären wäre.

Die Beklagte bat die BG-Klinik mit Schreiben vom 13.10.2005, keine Behandlung mehr zu ihren Lasten durchzuführen, weil die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nicht erfüllt seien. Gegen dieses dem Kläger zur Kenntnis übersandte Schreiben legte er am 28.10.2005 Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2006 als unbegründet zurückwies. Das alleinige Anheben von Gewichten ohne zusätzliche Einwirkungen oder die willentliche (gewollte) Armbelastung seien keine unfallbedingten Abläufe.

Am 04.01.2007 wurde in der Sportklinik in St. operativ die Revision der Bizepssehnenruptur rechts vorgenommen (Operationsbericht vom 04.01.2007 des Operateurs Oberarzt Dr. B.).

Der Kläger erhob am 20.02.2006 beim Sozialgericht Stuttgart Klage. Das Sozialgericht hörte Arbeitskollegen des Klägers schriftlich als Zeugen (schriftliche Aussage des Zeugen Y. vom 19.09.2006 und des Zeugen Sch. vom 13.10.2006) und holte von Amts wegen das orthopädische Gutachten von Dr. H. vom 01.03.2007 mit Ergänzungen vom 06.09.2007 ein. Der Sachverständige ging davon aus, dass der vom Kläger geschilderte Ablauf, er habe das in einem Metallkäfig verhakte, etwa 16 kg schwere Metallteil mit einem Ruck herausgehoben, ein geeignetes schädigendes Ereignis gewesen sei. Als Unfallfolgen bestünden noch wechselnd ausgeprägte belastungsabhängige Schmerzen nach offensichtlich wenig erfolgreicher Refixierung der Sehne. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 10 v.H. ab 17.04.2002. Der objektive Funktionsverlust sei relativ gering. Im Zusammenspiel mit offenkundigen seelischen Auffälligkeiten seien die erlebten Unfallschäden viel gravierender als die objektiven.

Außerdem holte das Sozialgericht auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das orthopädische Gutachten vom 15.04.2008 ein. Darin kam Prof. Dr. W. ebenfalls der zu Beurteilung, dass die vom Kläger bei der Untersuchung angegebene unkontrollierte Schleuderbewegungen beim Herausheben des Metallteils ein geeignetes Unfallereignis sei. Unfallbedingt könne der Kläger körperliche Arbeiten wie Heben schwerer Lasten, Umwendbewegungen wie Schrauben oder Überkopfarbeiten nicht mehr verrichten. Die körperliche Belastung habe beim Kläger zu Depressionen, Angst und Aggression geführt. Eine komplette Lähmung des nervus musculo-cutaneus rechtfertige eine MdE von 25 v.H., was beim Kläger sicherlich nicht vorliege, aber funktionell seien die genannten Muskeln in ihrem Kraftanteil etwa zur Hälfte gemindert. Zusammen mit der depressiven Persönlichkeitsstörung betrage die unfallbedingte MdE 20 v.H., zumindest ab 03.01.2007.

Die Beklagte ist dem Beweisergebnis mit der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. K. vom 09.06.2008 entgegengetreten. Dr. K. teilte die Auffassung von Dr. H., dass das ruckartige Herausreißen ein geeignetes äußeres Ereignis sein könne, um die distale Bizepssehnenteilruptur herbeizuführen. Die MdE mit 10 v.H. sei nachvollziehbar. Prof. Dr. W. gehe von einer geschätzten Kraftminderung auf drei Fünftel aus, wobei im Gutachten keine Messungen dokumentiert seien. Objektive Hinweise hierfür fänden sich im Gutachten nicht, da auch bei Prof. Dr. W. wie bei Dr. H. keine Umfangsdifferenzen der Oberarmmuskulatur im Seitenvergleich erhoben werden konnten, im Unterarmbereich sei sogar eine Umfangsvermehrung zu Gunsten der rechten Seite dokumentiert. Objektiv liege ein Normalbefund für einen Rechtshänder vor. Die von Prof. Dr. W. angenommene unfallbedingte Persönlichkeitsstörung sei rein spekulativ.

Auf Antrag nach § 109 SGG holte das Sozialgericht außerdem das nervenärztliche Gutachten vom 26.08.2009 ein. Der Sachverständige Prof. Dr. T. ging in der Gesamtschau von einer Persönlichkeitsstörung vom dissozialen Typ aus, auf deren Boden sich aufgrund des Arbeitsunfalls mit seinen negativen Folgen eine unfallbedingte Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion gebildet habe. Im Mittelpunkt der depressiven Symptomatik stehe das somatische Syndrom mit Fixierung auf die Beschwerden am verletzten Arm. Die MdE betrage höchstens 20 v.H.

Mit Urteil vom 09.02.2010 hob das Sozialgericht den angefochtenen Bescheid vom 13.10.2005 (Widerspruchsbescheid 01.02.2006) auf und stellte das Ereignis vom 17.04.2002 als Arbeitsunfall und wechselnd ausgeprägte belastungsabhängige Schmerzen im rechten Oberarm beugeseitig nach Teilabriss der körperfernen Bizepssehne als Unfallfolgen fest. Im übrigen wies es die Klage ab. In den Entscheidungsgründen stützte es sich für die Feststellung des Arbeitsunfalls und der Unfallfolgen auf die Gutachten von Dr. H. und Prof. Dr. W ... Die Bewertung des Zusammenhangs zwischen Persönlichkeitsstörung sowie dem somatischen Syndrom und dem Unfallereignis sei dagegen nicht nachvollziehbar. Aus dem Gutachten von Prof. Dr. T. gehe eine unmittelbare Verknüpfung der psychiatrischen Probleme des Klägers mit dem Unfallereignis nicht hervor, sie seien vor allem wegen des Jobverlustes sowie des sozialen Abstieges entstanden. Das Unfallereignis sei vom Schweregrad auch nicht geeignet, eine Traumatisierung hervorzurufen.

Das Urteil ist mit Empfangsbekenntnis dem früheren Klägerbevollmächtigten am 11.03.2010 und der Beklagten am 09.03.2010 zugestellt worden.

Der Kläger hat am 24.03.2010 Berufung und die Beklagte am 20.04.2010 Anschlussberufung eingelegt.

Der Kläger führt zur Begründung aus, im Parallelverfahren des Rechtsstreits um Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vor dem Sozialgericht (S 19 R 2479/09) ergebe sich aus dem eingeholten nervenärztlichen Gutachten von Dr. P. vom 22.02.2010, dass eine schwere Anpassungsstörung mit dissozialen Zügen nach Trauma - damit sei der streitgegenständliche Arbeitsunfall gemeint - vorliege. Nach Dr. P. sei ein Gutteil der Hilflosigkeit und Wehrlosigkeit und der daraus resultierenden dissozialen Verhaltensauffälligkeiten auf die auf dem Verhalten der Beklagten beruhende Konfliktsituation zurückzuführen. Die Anschlussberufung der Beklagten sei unbegründet, denn der Vortrag zum Unfallhergang sei entgegen dem Einwand der Beklagten nicht angepasst. Diesbezüglich werde auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 09. Februar 2010 abzuändern und festzustellen, dass auch eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion Folge des Arbeitsunfalls vom 17. April 2002 ist, sowie die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 09. Februar 2010 insoweit aufzuheben als festgestellt wird, dass das Ereignis vom 17. April 2002 ein Arbeitsunfall gemäß § 8 SGB VII ist und wechselnd ausgeprägte belastungsabhängige Schmerzen im rechten Oberarm beugeseitig nach Teilabriss der körperfernen Bizepssehne Unfallfolgen sind, und die Klage in vollem Umfang abzuweisen, sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liege nach den Erstangaben des Klägers, denen eine höherer Beweiswert zukomme, kein geeigneter Unfallhergang vor. Danach habe er Blechteile, die sich verkeilt gehabt hätten, aus einer Palette herausgehoben und dabei plötzlich einen starken Schmerz im rechten Arm verspürt. Erstmals mit der Klageschrift habe er einen komplett anderen Unfallhergang verfahrensangepasst vorgetragen. Die Ausführungen des Gutachters Dr. H., im Vergleich zu den häufigeren Rissen der langen Bizepssehne seien Risse der distalen Bizepssehne fast ausschließlich im Zusammenhang mit Unfällen und Verletzungen zu sehen, seien mit den in der unfallmedizinischen Literatur beschriebenen medizinischen Erkenntnissen nicht zu vereinbaren, wonach eine willentliche Kraftanstrengung ohne zusätzliche Einwirkung ungeeignet sei, eine körperferne Bizepssehnenruptur rechtlich wesentlich zu verursachen.

Am 05.07.2010 hat ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage stattgefunden. Auf die Niederschrift vom 05.07.2010 wird verwiesen.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 19.07.2010, Schriftsatz der Beklagten vom 05.08.2010).

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts einschließlich die des Klageverfahrens im Rentenrechtsstreit S 19 R 2479/09 beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Auf diese Unterlagen und die vor dem Senat angefallene Berufungsakte wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, sind statthaft. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist auch im übrigen zulässig.

Die am 20.04.2010 eingelegte und daher nach dem 09.04.2010, dem Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist, eingegangene, nicht fristgerechte Berufung der Beklagten ist als unselbstständige Anschlussberufung zulässig (§ 202 SGG i. V. m. § 524 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)), wobei die an die Berufungserwiderungsfrist geknüpfte Anschlussberufungsfrist (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO) nicht gilt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 143 Rdnr. 5), denn eine vergleichbare Regelung zur Berufungserwiderung gemäß § 521 Abs. 2 i.V.m. §§ 277, 296 ZPO fehlt im sozialgerichtlichen Verfahren.

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten sind aber nicht begründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts ist nicht zu beanstanden, weshalb die Berufungen zurückzuweisen waren.

Der mit der Berufung des Klägers geltend gemachte Anspruch auf Feststellung psychischer Unfallfolgen ist nicht gegeben. Ebenso wie das Sozialgericht geht der Senat davon aus, dass die übereinstimmend von den Ärzten beim Kläger diagnostizierte Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion nicht wesentlich auf das geltend gemachte Ereignis vom 17.04.2002 zurückzuführen ist.

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. stellvertretend BSG Urteil vom 12.04.2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr 15, jeweils RdNr 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adä-quanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff m. w. N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Aus-gangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen. Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden (Vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17).

Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung ist auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abzustellen, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte ist so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen: Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat "anhand" des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Ursachenzusammenhänge zwischen Ereignissen und psychischen Gesundheitsstörungen (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O.).

Eine wissenschaftlich begründete Ursachenbeurteilung sowohl nach der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als auch nach der Theorie der wesentlichen Bedingung erfordert, dass neben der Feststellung der vorliegenden Gesundheitsstörungen klar festgestellt wird, worin das oder die schädigenden Ereignisse lagen: In dem Unfallereignis selbst - vorliegend das Anheben der Metallteile -, dem Gesundheitserstschaden - vorliegend die Teilruptur der Bizepssehne mit zunächst geringen Schmerzen - oder der nachfolgenden Behandlung oder in dem Fortbestehen physischer Einschränkungen, die durch das Unfallereignis verursacht wurden (vgl. insoweit BSG a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben sind weder das Unfallereignis noch seine im oben beschriebenen Sinne unmittelbaren Auswirkungen wesentlich ursächlich für die Anpassungsstörung des Klägers, was das Sozialgericht zutreffend begründet hat.

Nach dem Gutachten von Prof. Dr. T. geht die von ihm diagnostizierte Persönlichkeitsstörung mit einer niedrigen Frustrationstoleranz, forderndem Auftreten und Rachegedanken einher. Eine Aggressivität und Aggravationsneigung sowie ein intellektuelles Unvermögen, die Zusammenhänge des Arbeitsunfalls mit entsprechenden Rentenansprüchen und den gesamten sozialen Folgen zu erfassen, werden im Gutachten dargelegt. Dies stimmt mit dem von Dr. P. erhobenen psychischen Befund überein, wonach der Kläger eine aggressive dysphorische Stimmungslage und emotional instabile Persönlichkeitsanteile mit querulatorischer Entwicklung aufweist. Sowohl bei der Untersuchung durch Prof. Dr. T. als auch bei Dr. P. war die aggressive Haltung des Klägers deutlich geworden; bei Prof. Dr. T. drohte der Abbruch der Untersuchung aus Sicherheitsgründen, bei Dr. P. verließ der Kläger die Praxis, nachdem er das Personal angeschrien und sich aggressiv gezeigt hatte. Die mangelnde Anpassungsfähigkeit mit aggressivem, forderndem Verhalten ist auch von anderen Ärzten dokumentiert (telefonischer Bericht von Dr. Sch. vom 27.01.2003: der Kläger sei während der Behandlung "wieder" handgreiflich geworden; Entlassungsbericht des Zentrums für ambulante Rehabilitation, Stuttgart, vom 03.08.2007: Abbruch der Behandlung nach 3 Tagen wegen verbaler Entgleisungen und Angriffen auf Mitpatienten und Therapeuten). Nach Prof. Dr. T. ist die Impulskontrollstörung mit Sicherheit in abgeschwächter Form bereits vor dem Unfall vorhanden gewesen. Nach dem Unfall ist es nach psychiatrischer Beurteilung von Prof. Dr. T. und im Ergebnis auch nach Dr. P. zu einer Überlagerung durch das depressive und somatoforme Bild und zu einer Verstärkung der Symptome der dissozialen Persönlichkeitsstörung gekommen. Beide Ärzte machen hierfür nicht das Unfallereignis oder die aus orthopädischer Sicht nur geringfügige funktionelle Beeinträchtigung der Sehnenruptur verantwortlich, sondern die fortgesetzte Frustration des Klägers darüber, seine gut bezahlte Arbeit und seine Eigentumswohnung verloren zu haben, den aus seiner Sicht steten Kampf mit Behörden und Gutachtern und die als Verstümmelung verstandene körperliche Einschränkung am Oberarm.

Damit ist entgegen der Auffassung von Prof. Dr. T. und Dr. P. ein wesentlicher Zusammenhang mit dem Unfall und seinen Folgen jedoch nicht zu begründen. Der Kläger behielt nach dem Unfall auch noch für eine geraume Zeit seinen Arbeitsplatz. Erst im Jahre 2007 wurde er fristlos gekündigt, weil er bei einem Personalgespräch mit der Zündung einer Bombe gedroht hatte, was Dr. P. in seinem Gutachten anamnestisch wiedergibt. Erst danach hat mit dem Verlust der Eigentumswohnung der soziale Abstieg des Klägers eingesetzt. Unfallbedingte Ursachen für den Arbeitsplatzverlust sind nicht zu erkennen. Etwaige in der Persönlichkeitsstruktur des Klägers angelegte Eigenschaften, die möglicherweise auch anteilig Anlass für die verhaltensbedingte Kündigung gegeben haben, begründen deshalb noch nicht eine wesentliche Ursache, weil sie eventuell durch den Unfall und seine Abwicklung durch die Beklagte im gutachtlichen Verständnis von Prof. Dr. T. stimuliert worden sein könnten. Aus objektiver Sicht hatte die Beklagte bei der Unfallabwicklung keine Versäumnisse zu vertreten, die für besondere Frustration und Aggression verantwortlich gemacht werden könnten. Dem Kläger wurde zunächst Heilbehandlung gewährt, nach ärztlicher Mitteilung, dass nicht von einem Arbeitsunfall auszugehen sei, war die Behandlung zwar nicht mehr zulasten der Beklagten aber in angemessener Form durch die Krankenkasse fortgeführt worden. Dass der Kläger mehrfach eine operative Therapie forderte, die ihm die im Auftrag der Beklagten tätig gewordenen Ärzte - für den Senat nachvollziehbar zu Recht - mangels Operationsindikation verweigerten, begründet ebenso wenig eine unfallbedingte mittelbare Teilursache der zunehmend stärker werdenden Ausprägung der dissozialen Persönlichkeitsstörung. Das von Dr. P. ausdrücklich als "Teilverschulden" gewertete Verhalten der Beklagten, das zu der genannten Konfliktkonstellation geführt haben soll, berücksichtigt daher allein die subjektive Sicht des Klägers, die nach dem Bild, wie es sich aus der Aktenlage ergibt, gerade aufgrund der dissozialen Persönlichkeitsstörung eine verzerrte Wahrnehmung des Klägers offenbart. Weder der Unfall noch die geringe funktionale Einschränkung am Oberarm mit der kosmetisch nicht sehr auffälligen Muskelverschmächtigung, die aber der Kläger subjektiv als Verstümmelung begreift, sind bei wertender Betrachtung ausschlaggebend für die zu Tage getretene Persönlichkeitsstörung. Zudem ist das unbefriedigende Ergebnis der vom Kläger eigenverantwortlich veranlassten Operation nicht von der Beklagten zu vertreten, vielmehr bestätigt dies die vorherige ärztliche Beurteilung, dass mit einer Operation keine Befundverbesserung erreicht werden konnte. Nach den Darlegungen von Prof. Dr. T. und Dr. P. ist davon auszugehen, dass der Arbeitsunfall lediglich Anknüpfungspunkt für die im Rahmen der Primärpersönlichkeit und seiner mangelnden sozialen Kompetenz aufgetretene, von Dr. P. beschriebene Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit ist, was aber ihre rechtlich unzutreffende Bewertung einer wesentlichen Mitursache des Arbeitsunfalls nicht zu rechtfertigen vermag.

Die Anschlussberufung der Beklagten ist ebenso wenig begründet. Das Sozialgericht hat die Feststellung des Arbeitsunfalls und der Unfallfolgen zutreffend begründet.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R- a.a.O.)

Wie bereits das Sozialgericht im angefochtenen Urteil ausführt, hat der Kläger bei seinen Erstangaben vom ruckartigen Anheben eines schweren Gegenstandes gesprochen, wie sich dies aus dem Durchgangsarztbericht von Dr. B. vom 16.05.2002 ergibt. Dr. H. führt in seinem Gutachten vom 01.03.2007, bekräftigt in seiner ergänzenden Äußerung vom 06.09.2007, auch für den Senat überzeugend aus, dass es sich bei der von ihm erhobenen Unfallschilderung um einen geeigneten Unfallmechanismus handelt. Der Senat verweist insoweit auf die überzeugenden Ausführungen im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts, wonach dies im Einklang mit den 5 Jahre zuvor gemachten Angaben des Klägers bei der Untersuchung durch Dr. B. steht. Diese Bewertung des Sachverständigen Dr. H. wird aus ärztlicher Sicht auch von Dr. K. in ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 09.06.2008 geteilt. Das ruckartige Anheben eines Gewichts mit plötzlicher Unterbrechung des Hebevorgangs, weil sich das Gewicht verkeilt hat, ist auch keiner der in der unfallmedizinischen Literatur bezeichneten ungeeigneten Unfallabläufe, auf die die Beklagte in ihrem Berufungsschriftsatz ausdrücklich hinweist (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl., Seite 408). Die Einschätzung von Dr. H. und Dr. K. ist für den Senat daher nachvollziehbar. Darauf, dass der Kläger später bei der Untersuchung durch Prof. Dr. W. eine unkontrollierte Schleuderbewegung angegeben hat, was tatsächlich von seinem früheren Vorbringen abweicht, kommt es nicht an. Ebenso wenig ist maßgebend, dass ca. 50 % der Verletzungen der körperfernen Bizepssehnen auf degenerative Vorschäden zurückzuführen seien, wie die Beklagte weiter vorträgt. Nach Dr. H. und Dr. K. stimmt die Beschwerdesymptomatik und der Magnetresonanztomographie-Befund mit einer traumatisch bedingten Genese überein. Weder sind einschlägige Vorerkrankungen an der Bizepssehne des Klägers ermittelt worden noch ist aus dem Unfallablauf erkennbar, dass die Teilruptur der Bizepssehne allein wesentlich auf degenerativen Veränderungen beruht. Auch erreicht das Unfallereignis in seiner Intensität der Einwirkung auf die Bizepssehne nicht nur das Ausmaß einer Alltagsbelastung, was den Rückschluss auf eine erhebliche unfallvorbestehende Sehnendegeneration zuließe (vgl. zu dieser Voraussetzung Urteil des Senats vom 16.04.2010 - L 8 U 5043/09 -, veröff. in www.sozialgerichtsbarkeit.de und juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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