S 127 SF 332/09 E

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
127
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 127 SF 332/09 E
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Erinnerung vom 1. August 2007 wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 26. Juli 2007 (S 30 RJ /04) geändert. Die aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung für das Verfahren erster Instanz wird auf 737,80 EUR festgesetzt. Die Erinnerung wird im Übrigen, die Anschlusserinnerung vollständig zurückgewiesen. Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

Gründe:

Gegenstand des Erinnerungsverfahrens ist allein die Festsetzung der Vergütung für die Tätigkeit in erster Instanz. Über den Festsetzungsantrag vom 2. November 2009 wegen der Vergütung für die Vertretung in zweiter Instanz ist – soweit erkennbar – noch nicht entschieden worden.

Die Erinnerung vom 1. August 2007 sowie die (selbstständige) Anschlusserinnerung vom 13. Februar 2008 sind nach § 56 RVG zulässig, weil sie nicht fristgebunden sind (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, § 56 Rn. 7 m.w.N.). Die Erinnerung ist zum Teil, die Anschlusserinnerung im Ergebnis nicht erfolgreich. Die Vergütung ist nach folgender Berechnung festzusetzen:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG 400,00 Euro Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG 200,00 Euro Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 117,80 Euro Gesamt: 737,80 Euro

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1.) Verfahrensgebühr Entgegen der Auffassung des Erinnerungsgegners ist die Gebühr auf Grundlage der Nr. 3102 VV RVG zu bestimmen. Denn die Verfahrensbevollmächtigte des Erinnerungsführers war im Widerspruchsverfahren nicht in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwältin, sondern lediglich in Wahrnehmung ihrer Aufgabe als Betreuerin tätig. Dies ergibt sich zum einen aus dem Widerspruchsschreiben vom 5. Juli 2004, nach der Widerspruch ausdrücklich "in vorbezeichneter Betreuungsangelegenheit" erhoben wurde, zum anderen aus dem Umstand, dass die Verfahrensbevollmächtigte für das Widerspruchsverfahren keinerlei Gebühren nach dem RVG abgerechnet oder gar erhalten hat. Wird ein Rechtsanwalt im Widerspruchsverfahren als Betreuer des Mandanten tätig, führt dann aber das anschließende Klageverfahren in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt, so ist die Abrechnung der Verfahrensgebühr auf Grundlage der Nr. 3102 VV RVG vorzunehmen (SG Berlin, Beschluss vom 17. August 2009, -S 164 SF 678/09 E-, unveröffentlicht; vgl. auch SG Berlin, Beschluss vom 26. Juli 2010, -S 180 SF 1443/09 E-, zum Verhältnis der Nrn. 2500 und 2501 VV RVG, jetzt Nrn. 2400 und 2401 VV RVG, dokumentiert bei juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Zunächst heißt es in der Gesetzesbegründung zu Nr. 3103 VV RVG (BT-Drucks. 15/1971, S. 212), dass der niedrigere Rahmen für den Fall vorgeschlagen werde, dass der Rechtsanwalt bereits im Verwaltungsverfahren oder in einem dem gerichtlichen Verfahren vorausgehenden weiteren Verwaltungsverfahren tätig geworden ist. Es wird also auf die Eigenschaft als Rechtsanwalt abgestellt. Weiter kann der den Ansatz des niedrigeren Gebührrahmens rechtfertigende Synergieeffekt nur dann angenommen werden, wenn die Tätigkeiten im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren und gerichtlichen Verfahren vergleichbar sind. Dies ist hier aber nicht der Fall. Denn bei näherer Betrachtung sind die in der Eigenschaft als Betreuer vorgenommenen Tätigkeiten nicht solche, die ein Rechtsanwalt bei der Durchführung eines Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahrens übernimmt. Bei einer reinen Mitwirkung als Betreuer in einem Verwaltungs- / Widerspruchsverfahren fehlt regelmäßig jegliche Auseinandersetzung mit der Rechtslage, wie sie ein im Verwaltungs- / Widerspruchsverfahren beauftragter Rechtsanwalt zu leisten hat. Der Betreuer nimmt hier vielmehr Handlungen vor, die jeder andere unvertretene Beteiligte vornehmen kann. Es handelt sich also um keine spezifisch anwaltlichen Tätigkeiten. Zudem kann nicht ohne weiteres angenommen werden, der entscheidungserhebliche Sachverhalt sei dem Betreuer bereits durch die Tätigkeit im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren bekannt. Denn grundsätzlich kann der maßgebliche Sachverhalt erst dann endgültig bestimmt und erfasst werden, wenn auch eine vorhergehende Beschäftigung mit der Rechtslage stattgefunden hat. Eine solche Vorbefassung in rechtlicher Hinsicht kann auch ein Betreuer, der Rechtsanwalt ist, häufig selbst dann nicht leisten, wenn er mit der einschlägigen Rechtsmaterie vertraut ist. Eine bloße Mitwirkung als Betreuer in einem vorausgegangenen Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren vermittelt also nicht annähernd so viele Kenntnisse der Sach- und Rechtslage wie das bei einem zuvor beauftragten Rechtsanwalt regelmäßig der Fall ist. Diese je nach Fall geringen oder gänzlich fehlenden Synergieeffekte können daher nicht zur Anwendung des herabgesetzten Gebührenrahmens führen. Schließlich rechtfertigt sich der niedrigere Gebührenrahmen auch dadurch, dass der Rechtsanwalt bezüglich seiner vorangegangen Tätigkeit bereits eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG und möglicherweise auch nach Nr. 2401 VV RVG verdient und diese gegenüber seinem Mandanten in Rechnung stellen kann (vgl. zu diesem Gedanken auch: BSG, Urteil v. 25.02.2010, -B 11 AL 24/08 R-, juris, Rn. 29) In dem Fall, in dem der Rechtsanwalt ausschließlich als Betreuer im Verwaltungsverfahren auftritt und Tätigkeiten vornimmt, die jeder geeignete Betreuer erledigen könnte, ist jedoch eine solche Vergütung der im Rahmen der Vorbefassung bereits erbrachten Tätigkeiten nach § 1 Abs. 2 RVG nicht möglich. Nach alledem ist es daher sachgerecht, im vorliegenden Fall die Tätigkeit der Rechtsanwältin nach Nr. 3102 VV RVG zu vergüten.

Davon ausgehend, dass bei Vorliegen eines nach den gem. § 14 Abs. 1 RVG vor allem zu beachtenden Kriterien (Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sowie Haftungsrisiko des Anwalts) durchschnittlichen Falles die Mittelgebühr von 250,- EUR angemessen wäre, ist die von der Rechtsanwältin des Erinnerungsführers bestimmte Verfahrensgebühr in Höhe von 400,- EUR noch als billig zu erachten. Dies sieht der Erinnerungsgegner indirekt auch so, wenn er im Rahmen seiner Erinnerung eine Gebühr in Höhe von 290,- EUR nach Nr. 3103 und damit um rund 70 % erhöhte Mittelgebühr für billig hält, während eine Gebühr von 400,- EUR lediglich eine um 60 % erhöhte Mittelgebühr nach Nr. 3102 darstellt. Die Kammer sieht daher von weiteren Ausführungen zur Gebührenbestimmung nach § 14 Abs. 1 RVG ab.

2.) Terminsgebühr Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass sich die Einigungsgebühr nicht automatisch nach denselben Bemessungskriterien wie die Verfahrensgebühr richtet. Vielmehr ist grundsätzlich für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Verfahrens- und Terminsgebühr (Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 12.09.2006, -L 1 B 320/05 SF SK-, juris; SG Reutlingen, Beschluss vom 19.06.2007, -S 3 KR 1396/07 A-) als auch die Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr (LSG Thüringen, Beschl. v. 19.06.2007, -L 6 B 80/07 SF-, juris). Hat wie hier ein Termin zur mündlichen Verhandlung stattgefunden, so lassen sich zur Bestimmung der Terminsgebühr die in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien ohne weiteres anwenden, ohne auf die Bewertung der Verfahrensgebühr angewiesen zu sein.

Danach kommt vorliegend nur der Ansatz einer Mittelgebühr in Höhe von 200,- EUR in Betracht, worauf der Erinnerungsgegner zu Recht hinweist. Die von der Rechtsanwältin des Erinnerungsführers bestimmte Gebühr in Höhe von 250,- EUR ist unbillig und damit nicht verbindlich, § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Die Dauer des Termins zur mündlichen Verhandlung – 45 Minuten – und damit der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit waren durchschnittlich. Der Termin begann auch pünktlich zur anberaumten Terminszeit. Von einer unterdurchschnittlichen Terminsdauer kann hingegen nicht die Rede sein. Die Kostenkammern des SG Berlin gehen inzwischen einheitlich davon aus, dass eine Terminsdauer von 30 bis 45 Minuten durchschnittlich ist (vgl. z.B. SG Berlin, Beschluss vom 25. Januar 2010, -S 165 SF 1315/09 E- und Beschluss vom 27. Januar 2010 -S 165 SF 2027/09 E-, jeweils dokumentiert bei juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit war durchschnittlich. Die Befassung mit den bereits bekannten und in schriftlichen Stellungnahmen bewerteten medizinischen Unterlagen stellt in der sozialgerichtlichen Verhandlung keine überdurchschnittliche Schwierigkeit dar, sondern gehört vielmehr zum Alltag. Neue medizinische Unterlagen, auf die die Beteiligten nicht vorbereiten konnten, lagen nicht vor. Zu Recht weist der Erinnerungsführer zwar darauf hin, dass die fehlende Vernehmung von Zeugen oder Anhörung von Sachverständigen nicht zur Verringerung der Mittelgebühr führen kann. Denn dies gehört im Regelfall nicht zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht. Andererseits aber kann in der fehlenden Zeugen- oder Sachverständigenvernehmung erst recht kein Grund gesehen werden, die Terminsgebühr über die Mittelgebühr hinaus zu erhöhen. Die Bedeutung der Angelegenheit war für den Erinnerungsführer überdurchschnittlich, denn aus der Erwerbsunfähigkeitsrente sollte der Lebensunterhalt bestritten werden. Diese überdurchschnittliche Bedeutung wird aber durch die unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Erinnerungsführers, auf die aus der Bewilligung von Prozesskostenhilfe geschlossen werden kann, kompensiert. Nach alledem ist nur der Ansatz der Mittelgebühr billig.

3.) Post- und Telekommunikationspauschale sowie die anteile Umsatzsteuer ergeben sich aus Nrn. 7002 und 7008 VV RVG.

4.) Die Beschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht statthaft, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.06.2008, -L 1 B 60/08 SF AL- (dokumentiert bei juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Rechtskraft
Aus
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