L 19 AS 1166/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 17 AS 2379/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1166/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 06.07.2010 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage (S 17 AS 2387/10, SG Köln) des Antragstellers gegen den Bescheid der Beklagten vom 02.06.2010 wird hergestellt. Die Antragsgegnerin wird einstweilig verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 01.07.2010 bis zum 05.12.2010 Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II zu gewähren. Die darüber hinausgehende Beschwerde wird zurückgewiesen. Dem Antragsteller wird für das Antragsverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Anwaltssozietät M, X, bewilligt. Die Antragsgegnerin trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen.

Gründe:

Der Antragsteller begehrt die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II).

Der 1955 geborene Antragsteller ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem festgestellten Grad der Behinderung in Höhe von 60 v. H ... Er bezog bis zum 31.12.2007 in einem eigenen Haushalt lebend Leistungen nach dem SGB II, die von einem anderen Leistungsträger nach diesem Gesetz bewilligt wurden.

2008 zog der Kläger zu seiner Mutter und beantragte am 08.07.2008 bei der Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB II. Diesem Antrag entsprach die Antragsgegnerin zunächst wegen als defizitär angesehener Mitwirkung des Antragstellers bei der Beibringung von Unterlagen nicht. Widerspruch und Klage blieben erfolglos, hinsichtlich des Leistungsanspruchs für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis zum 29.06.2009 ist das Berufungsverfahren L 19 AS 1321/10 anhängig.

Mit Bescheiden vom 10.07.2009 und 01.09.2009 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 30.06.2009 bis 31.12.2009 in Höhe von monatlich 581,13 EUR unter Berücksichtigung der Regelleistung für erwerbsfähige Hilfebedürftige sowie anerkannter monatlicher Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 222,13 EUR, der Hälfte der von der Mutter des Antragstellers mietvertraglich geschuldeten Monatsmiete.

In der Folgezeit erhielt die Beklagte ab November 2009 Kenntnis von verschiedenen arbeitsgerichtlichen Verfahren des Klägers und aus diesen Verfahren resultierenden Zahlungen an ihn. Die Streitigkeiten hatten jeweils zum Hintergrund, dass die Bewerbungen des als C ausgebildeten und in der Vergangenheit als C tätigen Antragstellers bei öffentlich-rechtlichen Körperschaften ohne Berücksichtigung der aus seinem Status als Schwerbehinderter resultierenden Spezifika abgelehnt worden waren. Der Kläger erhob darauf jeweils Klage zum Arbeitsgericht mit der entgangener Verdienst sowie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) eingeklagt wurden. In den meisten Fällen nahm der Kläger - mehrfach auf Anraten des Arbeitsgerichts - seine auf den Ausgleich von Verdienstausfall gerichteten Klagen zurück und erhielt im Vergleichswege Zahlungen, die jeweils als "Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG" deklariert und mit geringem Zeitverzug zum Vergleichsabschluss dem Konto des Antragstellers gutgeschrieben wurden.

Im Einzelnen:

In dem Rechtsstreit 2 Ca 2521/09, Arbeitsgericht Bonn, erzielte der Antragsteller per Vergleich vom 30.10.2009 eine Entschädigungszahlung von 3.708,00 EUR, die am 02.12.2009 auf seinem Konto gutgeschrieben wurde.

In dem Verfahren 6 Ca 540/09, Arbeitsgericht Karlsruhe, erzielte der Antragsteller per Vergleich vom 25.11.2009 eine Entschädigung von 1.300,00 EUR, die seinem Konto am 21.12.2009 gutgeschrieben wurden.

In dem Rechtsstreit 10 Ca 217/09, Arbeitsgericht Freiburg, erhielt der Antragsteller aus einem Vergleich vom 12.01.2010 1.800,00 EUR, die auf seinem Konto am 03.03.2010 verbucht wurden.

Das Verfahren 15 Ca 7409/09, Arbeitsgericht Köln, endete mit einem am 08.03.2010 abgeschlossenen Vergleich. Die hierin vereinbarte Entschädigungszahlung von 2.900,- EUR wurde dem Konto des Antragstellers am 01.04.2010 gutgeschrieben.

Vor dem Hintergrund einer weiteren Ablehnung seiner Bewerbung als C wurde dem Antragsteller per außergerichtlichem Einigungsangebot vom 22.11.2010 eine Entschädigung in Höhe von 2.300,- EUR angeboten. Der Kläger nahm das Angebot an. Der Betrag von 2.300,- EUR wurde am 06.12.2010 auf dem Konto des Antragstellers gutgeschrieben.

In einem weiteren Verfahren des Arbeitsgerichts Köln - 15 Ca 2227/10 - schloss der Antragsteller nach seiner Mitteilung vom 08.12.2010 einen weiteren Vergleich mit einer Entschädigungszahlung in Höhe von 4.000,00 EUR, deren Zahlung noch ausstand.

Die Antragsgegnerin sah die - jeweils zeitnah zum Abschluss der jeweiligen Vergleiche mitgeteilten - Entschädigungszahlungen als anrechenbares Einkommen des Antragstellers an und setzte dies mit Änderungsbescheiden vom 18.02.2010 und 27.05.2010 für den Leistungszeitraum bis zum 31.12.2009 dergestalt um, dass sie die punktuell zugeflossenen Vergleichszahlungen als Einkommen auf mehrere Monate verteilte und dem Antragsteller Leistungen in verminderter Höhe bewilligte.

Die Bescheide vom 18.02.2010 und 27.05.2010 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2010 (W943/10) hat der Antragsteller mit der Klage in dem Verfahren S 17 AS 2800/10, SG Köln angegriffen.

Für den Leistungszeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II unter Anrechnung auf mehrere Monate verteilter Einkünfte aus den erwähnten Vergleichszahlungen mit Bescheid vom 17.03.2010 in Höhe von monatlich 302,13 EUR. Der Widerspruch des Antragstellers gegen diese Bescheide wurde mit weiterem Widerspruchsbescheid vom 28.05.2010 (W1141/10) zurückgewiesen. Diesen hat der Antragsteller nach Erteilung eines Änderungsbescheides vom 02.06.2010, mit dem die Leistungen für März 2010 auf 152,13 EUR und für die Zeit von April bis einschließlich Juni 2010 auf 0,- EUR herabgesetzt wurden, mit Klage (S 17 AS 2387/10) vom 14.06.2010 angefochten.

Der am 10.03.2010 vom Antragsteller in dem Verfahren S 17 AS 1049/10 ER gestellte Antrag auf einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung ungekürzter Leistungen nach dem SGB II blieb erfolglos. Mit nicht angefochtenem Beschluss vom 01.04.2010 hat das Sozialgericht den Antrag abgewiesen, weil das tatsächliche Vorhandensein von Barmitteln ungeachtet ihrer rechtlichen Qualifizierung in einem nachfolgenden Hauptsacheverfahren der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes im einstweiligen Rechtsschutz im Wege stehe.

Für den Leistungszeitraum ab dem 01.07.2010 bis zum 31.12.2010 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit weiterem Bescheid vom 02.06.2010 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 0,00 EUR. Die anrechenbaren Einkünfte des Antragstellers aus den erhaltenen Vergleichszahlungen überstiegen seinen Leistungsanspruch. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller mit Schreiben vom 08.06.2010 Widerspruch eingelegt. Mit Antrag an das Sozialgericht im vorliegenden Rechtsstreit vom 14.06.2010 hat er die einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung von Leistungen nach dem SGB II ab Juni 2010 sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchsetzung dieses Anspruchs beantragt. Bei den erhaltenen Entschädigungszahlungen handele es sich um nicht anrechenbare Einkünfte.

Mit Beschluss vom 06.07.2010 hat das Sozialgericht sowohl den als Antrag nach § 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) angesehenen Antrag in der Sache als auch den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt. Die erhaltenen Entschädigungszahlungen seien ungeachtet ihres Charakters als Zahlungen nach § 15 Abs. 2 AGG anrechenbar. Die jeweils erhaltenen Entschädigungszahlungen seien nicht lediglich zum Ausgleich immaterieller Schäden bestimmt gewesen und daher, vergleichbar den Abfindungszahlungen im Zusammenhang mit dem Verlust eines Arbeitsplatzes, anrechenbares Einkommen. Auch eine Notlage sei in Anbetracht der erheblichen zugeflossenen Mittel nicht glaubhaft gemacht.

Gegen den am 08.07.2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 09.07.2010 Beschwerde eingelegt, die sich sowohl gegen die Ablehnung des Antrags in der Sache als auch des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe richtet. Die vom Sozialgericht gesehene Vergleichbarkeit mit Abfindungszahlungen bestehe nicht, bei den ihm zugeflossenen Beträgen handele es sich um Zahlungen mit dem ausschließlichen Ziel, ihm einen Ausgleich für den erlittenen immateriellen Schaden zu gewähren. Auch bestehe Dringlichkeit einer gerichtlichen Regelung, weil er aktuell über keine Barmittel mehr verfüge.

Auf Aufforderung des Senats hat der Antragsteller verschiedene Unterlagen, insbesondere Kontoauszüge für den Zeitraum von Dezember 2009 bis Juli 2010 sowie vom 07.12.2010 beigebracht.

Die Antragsgegnerin schließt sich der Begründung des angefochtenen Beschlusses an. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Die zulässigen Beschwerden sind nur teilweise begründet.

Entgegen der Begründung des angefochtenen Beschlusses richtet sich die Sachentscheidung über das Begehren des Antragstellers für den Zeitraum vom 01.06.2010 bis zum 30.06.2010 nicht nur nach § 86b Abs. 2 SGG, sondern im Umfang der ursprünglich durch Bescheid vom 17.03.2010 bewilligten Leistungen nach § 86 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG. Hiernach kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch- oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Die Klage des Antragstellers in dem Rechtsstreit S 17 AS 2387/10 hat nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung.

Im Umfang der in diesem Verfahren angefochtenen Bewilligung durch Bescheid vom 17.03.2010 (302,13 EUR für Juni 2010) kann der Antragsteller sein Rechtsschutzziel bereits durch Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Aufhebungsbescheid vom 02.06.2010 erreichen, mit dem die Leistungen für Juni 2010 auf 0,00 EUR herabgesetzt worden ist und der nach § 86 SGG (wegen Erlasses nach Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 28.05.2010 - W1141/10 -, jedoch vor Klageerhebung am 14.06.2010, vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86 Rn 2a m.w.N.) Gegenstand des Verfahrens geworden ist. Bei Herstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 02.06.2010 stehen dem Antragsteller die mit Bescheid vom 17.03.2010 für Juni 2010 bewilligten Leistungen in Höhe von 302,13 EUR zu.

Der Antrag nach § 86b Abs. 1 Nr. 1 SGG ist gegenüber dem Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG vorrangig, wie bereits § 86b Abs. 2 S. 1 SGG mit der Formulierung "soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt" zu erkennen gibt.

Dem Antrag auf Herstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 02.06.2010 in dem Rechtsstreit S 17 AS 2387/10 ist zu entsprechen, da an der Rechtmäßigkeit der mit Bescheiden vom 17.03.2010 und 02.06.2010 vorgenommenen Anrechnungen von Einkünften des Antragstellers ernstliche Zweifel bestehen.

Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren alleine möglichen Dichte der Überprüfung spricht vieles dafür, dass es sich bei den vom Antragsteller auf Grundlage der arbeitsgerichtlichen Vergleiche erzielten Einkünfte ganz oder zu einem mindestens erheblichen Teil um auf seine Leistungen nach dem SGB II nicht anzurechnendes Einkommen handelt.

Von der nach den Regelungen der §§ 11, 30 SGB II vorzunehmenden Anrechnungen von Einkommen sind nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II ausgenommen Entschädigungen, die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geleistet werden.

Nach § 253 Abs. 2 BGB (früher § 847 BGB) kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden, wenn wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist.

Die auf Grundlage der arbeitsgerichtlichen Vergleiche geleisteten Zahlungen beruhen zwar weder auf Körper-, Gesundheits-, Freiheitsschädigungen noch auf einer Verletzung des Klägers in seinem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, vielmehr nach Hintergrund und Verlauf der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen auf einer Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch Verkennung seiner spezifischen Rechte als Schwerbehinderter.

Dies steht jedoch der Annahme nicht entgegen, dass es sich bei den vom Antragsteller erhaltenen Zahlungen um Schmerzensgeld im Sinne von § 253 Abs. 2 BGB bzw. § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II handelt. Denn in ständiger Rechtsprechung (z. B. BGHZ 39, 124; BGH NJW 1971, 689) billigt die zivilrechtliche Rechtsprechung Schmerzensgeld in entsprechender Anwendung von § 253 Abs. 2 BGB bzw. der Vorgängervorschrift in § 847 BGB auch bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu.

Diese Rechtsprechung hatte der Gesetzgeber der Vorgängervorschrift von § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II in Gestalt von § 77 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ausdrücklich in seinen Willen aufgenommen. In den Materialien zum Entwurf von § 77 BSHG (BT-Drucks 7/308 vom 13.03.1973 S. 17 zu Nr. 24) heißt es auszugsweise: "Die Leistungen des so genannten Schmerzensgeldes nach § 847 BGB und die Frage ihrer Berücksichtigung als Einkommen spielen, vor allem infolge der Zunahme der Verkehrsunfälle, eine wachsende Rolle. Obwohl das BSHG keine besondere Bestimmung enthält, berücksichtigen die Träger der Sozialhilfe das Schmerzensgeld vielfach nicht als Einkommen, weil es wegen eines immateriellen Schadens gezahlt wird, dessen Entschädigung nicht Inhalt der Sozialhilfe ist und weil daher seine Berücksichtigung als Härte empfunden wird. Diese Erwägung liegt auch der vorgeschlagenen Regelung zugrunde. Dabei soll der neue Absatz 2 den Anwendungsbereich des § 847 BGB insgesamt erfassen, also auch die Fälle, in denen die Rechtsprechung in Anlehnung an § 847 BGB ein Schmerzensgeldanspruch zuerkennt ..." (vgl. auch Brühl in LPK-BSHG, 6. Auflage, § 77 BSHG Rn 96, 97 mwN). Der Gesetzgeber des SGB II strebte im Verhältnis zur Rechtslage nach dem BSHG keine Veränderung an, vielmehr eine Regelung der Einkommensberücksichtigung im Wesentlichen wie im Sozialhilferecht. Speziell zur Einführung der Ausnahmebestimmungen in § 11 Abs. 3 SGB II heißt es im Entwurf eines Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BT-Drucks 15/1516 vom 05.09.2003, S. 53 zu § 11): "Absatz 3 orientiert sich ebenfalls am Sozialhilferecht und nimmt bestimmte Einnahmen wegen ihres Charakters oder der Zweckbestimmung von der Einkommensberücksichtigung aus". Die Auslegung von § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II knüpft dementsprechend auch an die der Vorgängernorm in § 77 Abs. 2 BSHG an (z. B. Brühl in LPK SGB II, 3. Auflage, § 11 Rn 71 mwN).

Nominell handelt es sich bei den dem Kläger auf Grundlage der arbeitsgerichtlichen Vergleiche zugeflossenen Zahlungen jeweils um Ausgleichszahlungen nach § 15 Abs. 2 AGG. Nach § 15 Abs. 2 S. 1 AGG kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist.

Nach § 15 Abs. 2 S. 2 AGG darf die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Schon der Wortlaut der Vorschrift lässt eine Nähe zu § 253 Abs. 2 BGB erkennen, auch in der Kommentierung wird § 15 Abs. 2 AGG als Sondervorschrift im Sinne von § 253 Abs. 1 BGB angesehen, nach der wegen eines Nichtvermögensschadens einer "billige Entschädigung" verlangt werden kann. Der Eintritt eines immateriellen Schadens werde bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vermutet (Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 2. Auflage, § 15 Rn 34).

Nach dem Hintergrund der arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen und den in den Vergleichen gewählten Formulierungen handelt es sich bei den dem Antragsteller zugeflossenen Zahlungen um Schadensersatz für Nichtvermögensschaden wegen Missachtung seiner spezifischen Rechte als Schwerbehinderter im Bewerbungsverfahren.

Die hiermit korrespondierenden Arbeitgeberpflichten sind normiert in § 81 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). § 81 Abs. 2 S. 1 SGB IX enthält darüber hinaus mit der Formulierung "Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen" ein spezialgesetzliches Diskriminierungsverbot, zu dessen Ausfüllung in § 81 Abs. 2 S. 2 SGB IX auf die Regelung des AGG verwiesen wird.

Dementsprechend werden auch in der Kommentierung zum SGB IX auf Verletzungen der Pflichten aus § 81 SGB IX beruhende Entschädigungsleistungen als weder der Beitragspflicht zur Sozialversicherung noch der Anrechnungspflicht auf Leistungen nach dem SGB II unterliegend angesehen (Schröder in Hauck/Noftz, SGB-GK, § 81 SGB IX Rn 27). Für das Bestehen eines Entschädigungsanspruchs wird es als ausreichend angesehen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass in einem Motivbündel, das die Entscheidung des Arbeitgebers beeinflusst hat, die Schwerbehinderung als negatives Kriterium enthalten ist (Fabricius in juris-PK-SGB IX, § 81 SGB IX Rn 34).

Nach dem Gegenstand der arbeitsgerichtlichen Verfahren liegt es daher nahe, dass es sich bei den vom Antragsteller erhaltenen Zahlungen um anrechungsfreie Entschädigungsleistungen für Nichtvermögensschaden im Sinne von § 15 Abs. 2 AGG bzw. § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II handelt. Hierbei ist nicht zu übersehen, dass in den arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzungen die ursprünglich den Ersatz von Vermögensschaden betreffenden Teile der Klagen allesamt reduziert und nur zumindest potentiell anrechnungsfreie Ausgleichszahlungen für den Ersatz immateriellen Schadens vereinbart worden sind. Hinter diesem Vorgehen könnte - jedenfalls im gedanklichen Ansatz - natürlich auch das Bestreben stehen, eigentlich für die Befriedigung des Streits um Ausgleichszahlungen für materiellen Schaden bestimmte Anteile der Anrechnung auf die Leistungen des Antragstellers nach dem SGB II zu entziehen. Dies kann, wenn überhaupt, jedenfalls nur im Hauptsacheverfahren weiter überprüft werden. Im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens bliebt allein festzustellen, dass die Höhe der vereinbarten Abfindungen den gesetzlichen Rahmen wahren dürfte. Nach § 15 Abs. 2 S. 2 AGG besteht für die Entschädigung auf Grundlage von § 15 Abs. 2 S. 2 AGG eine Höchstgrenze von drei Monatsgehältern, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Diese Grenze dürfte selbst im Falle der höchsten, dem Antragsteller zugeflossenen Einzelentschädigungen bei Weitem nicht erreicht sein.

Im Rahmen der nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG vorzunehmenden Abwägung zwischen den Interessen der Antragsgegnerin an einem Vollzug der angefochtenen Bescheide und dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt im Ergebnis daher deutlich letzteres, weil die mit Bescheiden vom 17.03.2010 und 02.06.2010 vorgenommene Anrechnung der zugeflossenen Zahlungen aus den arbeitsgerichtlichen Vergleichen auf die Leistungsansprüche des Antragstellers nach dem SGB II wahrscheinlich rechtswidrig ist.

Weitere als die mit Bescheiden vom und 17.03.2010 bewilligten Leistungen stehen dem Antragsteller für Juni 2010 auch nicht nach dem Maßstab von 86b Abs. 2 S. 2 SGG zu. Denn im Juni 2010 standen ihm nach den vorgelegten Kontoauszügen aus den zugeflossenen Vergleichszahlungen noch Mittel zur Deckung seines Lebensbedarfs zur Verfügung. Insoweit schließt sich der Senat der Argumentation des Sozialgerichts an, wonach das Vorhandensein von Mitteln, gleich welchen Charakters, die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes ausschließt. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach im einstweiligen Rechtsschutz Antragsteller darauf verwiesen werden können, dass der vorrangige Einsatz von geschütztem Vermögen oder nichtanrechnbarem Einkommen nach einer zusprechenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren ausgeglichen werden kann (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30.03.2007 - 1 BvR 535/07 - zur Abwendung von Wohnungslosigkeit).

Für die Zeit vom 01.07.2010 bis zum 05.12.2010 war dem Antrag des Antragstellers auf einstweilige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erbringung von Grundsicherungsleistungen nach § 20 SGB II zu entsprechen, die Beschwerde im Übrigen zurückzuweisen.

Der nach § 86b Abs. 2 SGB II glaubhaft zu machende Anordnungsanspruch im Sinne eines voraussichtlich im Hauptsacheverfahren durchsetzbaren Rechtes ergibt sich aus der nach Vorstehendem überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass dem Antragsteller in den nachfolgenden Hauptsachverfahren Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung der zugeflossenen Zahlungen aus den arbeitsgerichtlichen Vergleichen zustehen.

Den weiter nach § 86b Abs. 2 SGG verlangten Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit einer gerichtlichen Regelung sieht der Senat durch die Vorlage der Kontoauszüge für den Zeitraum ab 01.07.2010 glaubhaft gemacht. Nach den Kontoauszügen für die Zeit ab Juli 2010 standen dem Antragsteller keine nachweisbaren eigenen Mittel zur Deckung seines Lebensbedarfs zur Verfügung. Die im Rahmen der Unterhaltsvermutung nach § 9 Abs. 5 SGB II möglicherweise entscheidungserheblichen Vermögens- und Einkommensverhältnisse seiner Mutter sind weder seitens der Antragsgegnerin aufgeklärt worden noch im Rahmen des ohnehin schon überlangen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens weiter aufzuklären, wollte man nicht dessen Eilcharakter weiter in den Hintergrund stellen.

Danach sind dem Antragsteller für den aus dem Tenor ersichtlichen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 20 SGB II einstweilen zuzuerkennen.

Hinsichtlich des weiter geltend gemachten Anspruchs auf Übernahme von Unterkunftskosten nach § 22 SGB II besteht jedoch kein Anspruch, weil ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht ist. Es gibt keinerlei Hinweis dafür, dass die Unterbringung des Antragstellers in der Wohnung seiner Mutter im Antragszeitraum gefährdet gewesen sein könnte.

Einstweilige Leistungen für den Zeitraum ab dem 06.12.2010 sind nicht zuzuerkennen, weil der Antragsteller infolge der Gutschrift eines Betrages von 2.300,- EUR am 06.12.2010 wieder nachweisbar über bereite Mittel zur Deckung seines Lebensunterhalts verfügt, deren Aufbrauch ihm im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung der zufließenden Mittel im Rahmen eines nachfolgenden Hauptsacheverfahrens zuzumuten ist (vgl. bereits vorstehend).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Die im Rahmen des zustehenden Ermessens für beide Instanzen vorgenommene Kostenquotelung trägt dem jeweils nur teilweisen Obsiegen des Antragstellers Rechnung.

Prozesskostenhilfe war für das Antragsverfahren zu bewilligen, da die nicht mutwillige Rechtsverfolgung des nach seinen Verhältnissen auch bedürftigen Klägers unter Berücksichtigung der beschriebenen Rechtslage auch hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne von §§ 73a SGG, 114 ff. ZPO aufwies.

Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Ablehnung von Prozesskostenhilfe sind entsprechend § 127 Abs. 4 ZPO nicht zu erstatten.

Dieser Beschluss ist endgültig, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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