L 34 AS 1001/10 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 116 AS 10898/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 1001/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 3. Mai 2010 geändert.

Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig vom 1. Dezember 2010 bis zum 31. Mai 2011 (längstens jedoch bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (einschließlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zu zahlen, wobei bei der Ermittlung der von der Bundesagentur für Arbeit zu erbringenden Leistungen für die Antragsteller zu 1), 2), 3) und 4) nur eine Regelleistung in Höhe von jeweils 85% zu berücksichtigen ist. Die mit Beschlüssen vom 22. Juli 2010 und 14. Oktober 2010 vorläufig bewilligten Leistungen bleiben unberührt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern die Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Der 1969 geborene Antragsteller zu 1) und die am 1970 geborene Antragstellerin zu 2) sind die Eltern der zwischen 1990 und 2004 geborenen Antragsteller zu 3) bis 9), von denen die Antragstellerin zu 3) und der Antragsteller zu 4) volljährig sind. Weiter sind der Antragsteller zu 1) und die Antragstellerin zu 2) die Eltern der im Jahr 2009 in der Bundesrepublik Deutschland geborenen E, die jedoch nicht Antragstellerin in diesem Verfahren ist. Sämtliche Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige und halten sich in Deutschland seit dem 10. Juni 2009 auf.

Am 24. August 2009 stellten die Antragsteller bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Bewilligung von Leistungen zum Lebensunterhalt. Darin gaben sie an, dass der Antragsteller zu 1) eine selbständige Tätigkeit ausübe. Da er Kleinunternehmer und noch nicht sehr bekannt sei, seien die Aufträge jedoch noch gering. Das Monatseinkommen betrage 850,00 bis 900,00 EUR. Sie legten jeweils Bescheinigungen gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU, ausgestellt jeweils am 8. Juli 2009 von dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten – Ausländerbehörde – Berlin vor. Danach ist der Inhaber dieser Bescheinigung Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union und nach Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes/EU zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Der Inhaber benötigt zur Aufnahme einer unselbständigen, arbeitsgenehmigungspflichtigen Erwerbstätigkeit eine Arbeitserlaubnis- oder Arbeitsberechtigung – EU.

Die Antragsteller zu 1) bis 9) wohnen in einer Dreizimmerwohnung von 87 m² und einer Grundmiete in Höhe von 369,92 EUR zuzüglich Heizkosten in Höhe von 90,52 EUR und Betriebskosten in Höhe von 143,62 EUR. Der Antragsteller zu 1) legte weiter eine Gewerbeanmeldung vor, wonach er für die Tätigkeiten Gastronomie-Hilfe, Hausreinigung, Werbung (Gebäudereinigung) und bis 3,9 Tonnen-Kleintransporter angemeldet war.

Der Antragsgegner ließ durch seinen Prüfdienst am 20. Oktober 2009 eine Prüfung ohne vorherige Anmeldung vornehmen. Dabei kam der Prüfdienst zu dem Ergebnis, dass zehn Personen in der Wohnung lebten. Betten in diesem Sinne seien nicht vorhanden, nur Matratzen und alte durchgelegene Sofas; sonstige Möbel seien nicht vorhanden.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 2009 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung gemäß § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) mit der Begründung ab, die mit Schreiben vom 13. Oktober 2009 angeforderten Unterlagen (Benennung aller Auftraggeber mit Namen und Anschrift, Nachweise zu allen Einnahmen seit Juni 2009, Kontoauszüge von Juli 2009 bis zum jetzigen Zeitpunkt, Beantwortung der Frage, ob ein Geschäftskonto bestünde und der Frage wer R, sei, sei nicht beantwortet worden.

Mit Eingang beim Antragsgegner am 21. Januar 2010 teilte der Antragsteller zu 1) als Reaktion auf den Schriftsatz vom 13. Oktober 2009 mit, dass er die Einkommensnachweise vor zwei Monaten in den Briefkasten des Antragsgegners geworfen habe. Am 19. Januar 2010 habe er bei einer persönlichen Vorsprache beim Antragsgegner erstmals den Bescheid vom 30. Oktober 2009 erhalten. Er reichte Quittungen über Bauleistungen von der Firma "B, " ein, wonach für die Monate Juli bis November 2009 jeweils 550,00 EUR an den Antragsteller zu 1) gezahlt worden waren.

Gleichzeitig (am 21. Januar 2010) legte der Antragsteller zu 1) gegen den Bescheid vom 30. Oktober 2009 Widerspruch ein.

Am 30. März 2010 haben die Antragsteller bei dem Sozialgericht Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Dazu reichten sie u. a. einen Auftrag der Firma B vom 15. November 2009 ein, wonach dem Antragsteller zu 1) der Auftrag erteilt wurde, Abbrucharbeiten gemäß Vorarbeiteranweisungen durchzuführen.

Weiter ergibt sich aus der Gerichtsakte, dass für das Kind E 300,00 EUR monatlich Elterngeld bezogen wurde.

Mit Bescheid vom 24. März 2010 ist den Antragstellern zu 1) und 2) Kindergeld für die Antragsteller zu 3) bis 9) bewilligt worden, und zwar für die Zeit ab November 2009 in Höhe von 1.083,00 EUR monatlich. Weiter legten die Antragsteller den Bescheid über die Bewilligung des Elterngeldes für E für 12 Monate vor.

Der Antragsgegner ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegengetreten und hat vorgetragen, es liege keine selbständige Tätigkeit vor. Der Antragsteller zu 1) übe Abbrucharbeiten gemäß Vorarbeiteranweisungen aus. Die Weisungsgebundenheit spreche gegen eine selbständige Tätigkeit. Außerdem liege für diese Tätigkeit keine Gewerbeanmeldung vor. Im Übrigen sei der Antragsteller zu 1) nicht erwerbsfähig, da keine Arbeitserlaubnis vorliege.

Mit Beschluss vom 3. Mai 2010 hat das Sozialgericht Berlin den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Begründung abgelehnt, es liege kein Anordnungsanspruch vor. Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Allein die Gewerbeanmeldung reiche zur Annahme einer selbständigen Tätigkeit nicht aus. Auch die eingereichten Quittungen ergäben nichts anderes. Gegen das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit spreche die Weisungsgebundenheit sowie die Tatsache, dass keine Gewerbeanmeldung für Bautätigkeiten vorliege.

Gegen den am 6. Mai 2010 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller am 3. Juni 2010 Beschwerde eingelegt. Es liege Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 8 SGB II vor, was sich aus dem Wortlaut "erteilt werden könnte" ergebe. Dem Antragsteller zu 1) sowie den Antragstellern könne eine Erlaubnis jederzeit erteilt werden. Es lägen nicht ausreichend Mittel für die Unterhaltung einer neunköpfigen Familie vor. Es sei bereits die Zwangsvollstreckung wegen der Nichtzahlung der Krankenkassenbeiträge eingeleitet worden.

Die Antragsteller legten die (geänderte) Gewerbeanmeldung vom 7. Januar 2010 vor, wonach auf den Antragsteller zu 1) nunmehr ein Hausmeisterservice angemeldet ist.

Auf Anfrage an das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten teilte dieses mit Schreiben vom 11. Juni 2010 mit, dass bezüglich der Antragsteller dort keine Akten vorlägen. Die Freizügigkeitsbescheinigung/EU werde erteilt, wenn die Voraussetzungen hierfür glaubhaft gemacht würden. Diese Bescheinigung habe lediglich deklaratorischen Charakter. Die Antragsteller zu 1) bis 3) hätten die Freizügigkeitsbescheinigung erhalten, weil sie angegeben hätten, arbeitsuchend zu sein. Für die weiteren sechs Kinder sei die Freizügigkeitsbescheinigung ausgestellt worden, weil sie Familienangehörige von freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern seien.

Die Berichterstatterin hat die Antragsteller zu 1) bis 3) in einem Erörterungstermin am 24. August 2010 gehört. Dabei hat der Antragsteller zu 1) erklärt, am 4. Januar 2010 das letzte Mal für die Firma B Tätigkeiten erbracht zu haben. Er habe versucht, eine Festanstellung zu finden, da er schlecht deutsch spreche, habe ihn aber niemand genommen. Er sei nach Deutschland als Freiberufler, d. h. als Selbständiger gekommen. Er hätte einen Geldbetrag mitgehabt, weil er gedacht habe, er könne hier etwas eröffnen. Er habe aber nicht die Wege gekannt, wie das zu tun sei. Von Juli 2009 bis Dezember 2009 sei er ständig auf der Suche nach einer Festanstellung gewesen. Nebenbei habe er bei der Firma B gearbeitet. Er suche weiterhin eine Arbeit, gleichzeitig nach einer Möglichkeit, Deutsch zu lernen. Er müsse ja arbeiten und die Kinder unterhalten. Ihm sei klar, dass er eine Arbeitserlaubnis benötige. Er sei noch nicht beim Arbeitsamt gewesen. Bezüglich der Tätigkeit bei der Firma B hätte er das zu tun gehabt, was der Vorarbeiter gesagt habe. Dieser habe Deutsch und Serbisch gesprochen. Er habe fünf Tage in der Woche zu arbeiten gehabt und es sei ihm gesagt worden, wann er zu erscheinen habe. Er habe dann drei Stunden gearbeitet, es habe eine festgelegte Arbeitszeit gegeben. Er habe nicht weggehen oder kommen können, wann er wollte. Es sei kein Stundenlohn gezahlt worden, sondern ein monatlicher Betrag. Das Arbeitsgerät für die Aufräumarbeiten habe die Firma Bgestellt. Er und die Antragstellerin zu 2) hätten keine Berufsausbildung absolviert, in Rumänien jedoch die 10. Klasse abgeschlossen.

Mit Beschlüssen vom 22. Juli 2010 und 14. Oktober 2010 sind dem Antragsteller im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 22. Juli 2010 bis 31. August 2010 und vom 14. Oktober 2010 bis 30. November 2010 zugesprochen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Akteninhalt verwiesen.

Die die Antragsteller betreffende Verwaltungsakte des Antragsgegners hat in Kopie vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

II.

Die gemäß § 172 Abs. 1 und § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragsteller ist zulässig und in dem tenorierten Umfang begründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 3 SGG i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung [ZPO] ).

Der Senat sieht sich angesichts der Notwendigkeit der Sachverhaltsaufklärung sowie der Frage, ob die Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II europarechtskonform ist sowie der Vielfalt der hierzu vertretenen Meinungen in Literatur und Rechtsprechung nicht in der Lage, zum jetzigen Zeitpunkt eine abschließende Aussage darüber zu machen, ob ein Anordnungsanspruch besteht oder nicht. Es erscheint zumindest möglich, dass den Antragstellern ein Recht auf Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zusteht.

Den Antragstellern sind Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II auf Grund einer Folgenabwägung zu bewilligen. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2005 (Az. 1 BvR 569/05, dokumentiert in Juris, weitere Fundstelle NVwZ 2005, 927 bis 929) ausgeführt, dass Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stellt, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen könnten, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (BVerfG, a.a.O., Juris Rn. 24). Das BVerfG führt weiter aus: "Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern (vgl. BVerfG, a.a.O., Juris Rn. 26).

Die Folgenabwägung im vorliegenden Fall geht zu Gunsten der Antragsteller aus. Da sie nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt anderweitig zu sichern, sind die Nachteile, die ihnen entstünden, wenn dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nachgekommen würde, sehr viel gravierender als die Nachteile der öffentlichen Hand, die rein fiskalischer Natur sind und die entstehen, wenn den Antragstellern vorläufig Leistungen zu bewilligen sind.

Der Antrag ist nicht bereits deshalb unbegründet, weil der Ablehnungsbescheid vom 30. Oktober 2009 bestandskräftig geworden wäre. Die Antragsteller haben – unwidersprochen - vorgetragen, dass dieser Bescheid nicht vor dem 19. Januar 2010 zugegangen ist. Da der Antragsgegner einen früheren Zugang zu beweisen hätte, hierzu jedoch offensichtlich nicht in der Lage ist, ist ein Zugang am 19. Januar 2010 anzunehmen. Damit ist der am 21. Januar 2010 erhobene Widerspruch fristgerecht erhoben worden.

Es ist auch möglich, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II (für die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, die das 15. Lebensjahr vollendet haben) bzw. des § 28 SGB II für die Antragsteller erfüllt sind. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II lautet:

Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).

Die Antragsteller sind hilfebedürftig, da sie ihren Lebensunterhalt zumindest nicht vollständig aus Einkommen (u.a. Kindergeld) bestreiten können.

Problematisch ist, ob sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die Antragsteller haben zwar eine Wohnung in Berlin, also in Deutschland, die Kinder gehen hier zur Schule und sie haben ausweislich der Angaben im Erörterungstermin die Absicht, in der Bundesrepublik Deutschland zu bleiben. Bei Ausländern wird der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes jedoch grundsätzlich durch rechtliche Voraussetzungen zertifiziert (vgl. Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 30 SGB I, Rn. 19), d.h., in der Regel kann ein gewöhnlicher Aufenthalt nur dort begründet werden, wo sich jemand rechtmäßig aufhält. Hier stellt sich die Frage, ob die Antragsteller, insbesondere der Antragsteller zu 1), von dem sich die Berechtigung der anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland ableiten könnte, sich erlaubt hier aufhalten bzw. aufhält.

Dabei geht der Senat davon aus, dass sich ein Aufenthaltsrecht des Antragstellers zu 1) nicht aus § 2 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU), zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes zur Änderung des Bundespolizeigesetzes und anderer Gesetze vom 26. Februar 2008, BGBl. I S. 215, ergibt. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Nach Absatz 2 Nr. 2 dieser Vorschrift sind gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt Unionsbürger, wenn sie zur Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbstständige Erwerbstätige). In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wird der Begriff Niederlassung als die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit als Haupt- oder (selbstständige oder unselbstständige) Zweigniederlassung definiert (HK-Ausländerrecht/Hoffmann, § 2 FreizügG/EU, Rn. 14 mit zahlreichen Nachweisen). Diese Voraussetzungen dürften vorliegend nicht erfüllt sein. Nach den Angaben im Erörterungstermin hat der Antragsteller zu 1) (zumindest) seit Januar 2010 keine selbstständige Tätigkeit mehr tatsächlich ausgeübt. Eine Gewerbeanmeldung, wie sie für ihn vorliegt, reicht für ein Aufenthaltsrecht allein nicht aus. Auch liegt kein Tatbestand des § 2 Abs. 3 FreizügG/EU vor, nach dem ein Aufenthaltsrecht aufgrund einer vorher ausgeübten selbstständigen Tätigkeit (vorübergehend) bestehen bliebe. Der Senat geht nach den Angaben des Antragstellers zu 1) im Erörterungstermin davon aus, dass die von Juli 2009 bis Januar 2010 ausgeübte Tätigkeit (Abrissarbeiten) keine selbstständige Tätigkeit darstellte, sondern eine abhängige Beschäftigung (bezüglich derer, da keine Genehmigung gemäß § 284 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III] vorlag, - nur - eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 404 SGB III gegeben sein könnte).

Ob sich ein Aufenthaltsrecht aus § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügigkeitG/EU ergibt, wonach Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitsuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen, gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind, ist ebenfalls fraglich. Der Senat geht zwar davon aus, dass zumindest der Antragsteller zu 1) arbeitsuchend ist. Nach seinen Angaben im Erörterungstermin und nach dem Eindruck, den die Berichterstatterin von ihm gewonnen hat, ist er tatsächlich ernsthaft gewillt, in Deutschland eine Arbeit aufzunehmen, schon um seine Familie ernähren zu können. Auch die Tatsache, dass er nicht bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitsuchend gemeldet ist, dürfte der Annahme der Arbeitsuche nicht entgegenstehen. Mit dem Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld II hat der Antragsteller zu 1) spätestens seinen Willen dokumentiert, in der Bundesrepublik Deutschland eine Beschäftigung aufzunehmen. Der Antragsgegner wäre auch gehalten, den Antragsteller bei der Suche nach Arbeit zu unterstützen.

Problematisch ist hier zunächst, ob § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügigkeitG/EU für die Antragsteller, die rumänische Staatsangehörige sind, überhaupt anwendbar ist. Dem könnte § 13 FreizügG/EU entgegenstehen. Diese Vorschrift lautet:

Soweit nach Maßgabe des Vertrages vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union (BGBl. 2003 II S. 1408) oder des Vertrages vom 25. April 2005 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union (BGBl. 2006 II S. 1146) abweichende Regelungen anwendbar sind, findet dieses Gesetz Anwendung, wenn die Beschäftigung durch die Bundesagentur für Arbeit gemäß § 284 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch genehmigt wurde.

Für rumänische Staatsangehörige ist die Freizügigkeit gemäß des Vertrages zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Republik Bulgarien und Rumänien über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union vom 25. April 2005 (BGBl. II Seite 1146) sowie der Mitteilung der Bundesrepublik Deutschland an die Europäische Kommission über die weitere Anwendung der Freizügigkeit rumänischer Staatsangehöriger einschränkender nationaler Maßnahmen vom 17. Dezember 2008, BAnz. Nr. 198 vom 31. Dezember 2008, Seite 4807, eingeschränkt. Da weder der Antragsteller zu 1) noch die übrigen Antragsteller (im Moment) über eine Arbeitsgenehmigung gemäß § 284 SGB III verfügen, könnte der derzeitige Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht erlaubt sein (so wohl Husmann, Reaktionen in der Freizügigkeits-Richtlinie 2004/38 und im deutschen Sozialleistungsrecht auf die Rechtsprechung des EuGH, NZS 2009, 652). An der Regelung des § 13 FreizügG/EU ist jedoch scharfe Kritik geübt worden. "Nach dem Wortlaut soll das FreizügG/EU für Staatsangehörige der genannten neuen Mitgliedstaaten in den Fällen, in denen die Beitrittsverträge Ausnahmen des Freizügigkeitsrechts für Arbeitnehmer oder Dienstleistungserbringer bestimmter Dienstleistungssektoren vorsehen, nur dann Anwendung finden, wenn dem Betroffenen eine Arbeitsgenehmigung-EU nach § 284 SGB III erteilt worden ist. Welches Gesetz anwendbar ist, wenn keine Arbeitsgenehmigung-EU erteilt wurde, ist nicht eindeutig bestimmt; der Gesetzgeber dürfte aber wohl an das "normale" Aufenthaltsgesetz gedacht haben, vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 Halbsatz 2 AufenthG. Dies steht jedoch nicht nur in systematischem Widerspruch zu § 1 FreizügG/EU, sondern ist auch gemeinschaftsrechtlich unhaltbar. Dass die Beitrittsverträge nationale Übergangsmaßnahmen innerhalb eines längstens sieben Jahre dauernden Zeitraums zulassen, die den Zugang [beispielsweise] polnischer Staatsangehöriger zum jeweiligen Arbeitsmarkt regeln sollen, beraubt diese nicht ihres Status als Unionsbürger. Zumindest unmittelbar aus Art. 18 EGV haben sie wie alle übrigen Unionsbürger das Recht auf Einreise und Aufenthalt in jedem anderen Mitgliedstaat. Der einzige Unterschied zwischen "neuen" und "alten" Unionsbürgern besteht – übergangsweise - darin, dass für die Ausübung einer abhängigen Beschäftigung unter bestimmten Umständen eine Arbeitsgenehmigung erforderlich ist. Der Unionsbürger [beispielsweise] polnischer Staatsangehörigkeit kann gegenwärtig somit zwar nicht den genehmigungsfreien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt verlangen, sein durch Art. 18 EGV gewährleistetes Aufenthaltsrecht bleibt hiervon jedoch unberührt" (HK-Ausländerrecht/Geyer, § 13 FreizügG/EU, Rn. 2). Die gleiche Auffassung vertreten Westphal/Stoppa, Die EU-Osterweiterung und das Ausländerrecht, InfAuslR 2004, 133, wenn sie postulieren: "Die Übergangsregelungen für die Arbeitnehmer- und Dienstleistungsfreiheit schränken das Arbeits- nicht aber das Aufenthaltsrecht ein". Schreiber, Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II auf dem gemeinschaftsrechtlichen Prüfstand, infoalso 2009, Seite 195, führt aus, dass das Aufenthaltsrecht für Unionsbürger durch die Strukturentscheidung einer Vermutung des legalen Aufenthalts geprägt sei. Dem Unionsbürger werde eine deklaratorische Bescheinigung über das Aufenthaltsrecht ausgestellt. Unionsbürger seien gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erst dann ausreisepflichtig, wenn die Ausländerbehörde unanfechtbar festgestellt habe, dass das Recht auf Einreise und Aufenthalt nicht besteht. Diese Vermutung sei sachgerecht, da der Wegfall der Aufenthaltstitel den Unionsbürger gegenüber anderen Ausländern ja privilegieren solle, eine etwaige fehlende Tatbestandswirkung eines nicht notwendigen Titels würde das Institut der Unionsbürgerschaft wirkungslos werden lassen. Die Fortdauer des Unterschiedes von formeller und materieller Legalität entspreche dem Gemeinschaftsrecht. Die Feststellung des Verlustes des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU und der Ausreisepflicht nach § 7 FreizügG/EU obliege weder der Sozialverwaltung noch den Sozialgerichten, sondern den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten. Es wäre daher nicht nur ein Verstoß gegen ein wesentliches Strukturprinzip des Aufenthaltsrechts, sondern zugleich eine Kompetenzüberschreitung, wenn der Anwendungsvorrang der Sozialbehörden und Sozialgerichte mit der Begründung verneint werden würde, das Aufenthaltsrecht sei entfallen, ohne dass ein aufenthaltsrechtliches Verwaltungsverfahren nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU oder § 7 FreizügG/EU durchlaufen worden sei. Durch die Sozialverwaltung und die Sozialgerichtsbarkeit könne daher allein der Zweck des Aufenthaltsrechts geprüft werden.

Da damit nicht klar ist, inwieweit sich die Antragsteller erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, sie aber zumindest nicht vollziehbar ausreisepflichtig sind, kann auch zurzeit nicht endgültig festgestellt werden, ob sie hier einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I haben, dies ist jedoch nach dem oben gesagten möglich.

Problematisch ist weiter, ob die (über fünfzehnjährigen) Antragsteller, insbesondere der Antragsteller zu 1), erwerbsfähig sind bzw. ist. An der (gesundheitlichen) Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB II bestehen keine Zweifel. Es ist jedoch die Vorschrift des § 8 Abs. 2 SGB II zu beachten, wonach Ausländer nur erwerbstätig sein können, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Welche Anforderungen hinsichtlich des Merkmals "erlaubt werden könnte" zu stellen sind, ist umstritten. Zum Teil wird vertreten, dass die abstrakt generelle Möglichkeit zur Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis ausreiche, um dieses Merkmal zu bejahen. Nach dieser Auffassung kann die Erwerbsfähigkeit von Ausländern mit nachrangigem Arbeitsmarktzugang bejaht werden, unabhängig davon, ob aufgrund der konkreten Arbeitsmarktlage eine realistische Chance auf eine Arbeitserlaubnis besteht. Eine Prognose der Arbeitsmarktlage ist danach nicht mehr durchzuführen (vgl. die Nachweise für diese Auffassung bei Loose/Loose in Hohm [Hrsg.], Gemeinschaftskommentar zum SGB II, § 8 Rn. 106). Nach anderer Auffassung ist eine konkrete Aussicht auf die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis für das Merkmal "erlaubt werden könnte" erforderlich (vgl. z.B. Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2010, Aktenzeichen L 29 AS 1820/09 B ER, Loose/Loose, a.a.O., § 8 Rn. 107 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Der letztgenannten Auffassung ist der Vorzug zu geben. Es ist zu berücksichtigen, dass es Ziel der Leistungen nach dem SGB II ist, die Empfänger der Leistungen in den Arbeitsmarkt zurückzuführen beziehungsweise zu integrieren, so dass sie ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können. Besteht für einen Ausländer aufgrund der arbeitsgenehmigungsrechtlichen Vorschriften keine konkrete Aussicht auf die Erlaubnis einer Beschäftigungsaufnahme, so hat dieser keine konkrete Aussicht auf den Zugang zum Arbeitsmarkt. Das Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt kann daher nicht erreicht werden. Damit ist es auch nicht gerechtfertigt, ihn dem Sicherungssystem des SGB II zuzuordnen (vgl. Loose/ Loose, a.a.O.). Allerdings ist bei der Frage, ob eine konkrete Aussicht auf Erteilung einer Genehmigung besteht, eine Einschätzung der Arbeitsmarktlage vorzunehmen. Dies lässt sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht durchführen. Es erscheint dem Senat jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass (zumindest) dem Antragsteller zu 1) eine Arbeitsgenehmigung erteilt wird, da er als Unionsbürger Drittstaatlern gegenüber bevorrechtigt ist.

Da somit die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 SGB II erfüllt sein könnten, stellt sich die Frage, ob ein solcher Anspruch gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen wäre. Diese Vorschrift lautet:

Ausgenommen sind

1. Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2. Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,

3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Satz 2 Nr. 1 gilt nicht für Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

Da, wie oben bereits erläutert, der Senat davon ausgeht, dass der Antragsteller zu 1) zu keinem Zeitpunkt in der Bundesrepublik Deutschland eine selbstständige Tätigkeit tatsächlich ausgeübt hat, er jedoch auf Arbeitsuche ist, würde sich ein Aufenthaltsrecht, sofern es besteht (siehe oben), allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergeben. Ob die Ausschlussnorm des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II europarechtskonform ist, ist höchst umstritten (vgl. zum ganzen Schreiber, a.a.O.; Husmann, a.a.O.; Hailbronner, Ansprüche nicht erwerbstätiger Unionsbürger auf gleichen Zugang zu sozialen Leistungen, ZFSH/SGB 2009, Seite 195; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl., § 7 Rn. 13ff und Brühl/Schoch, LPK-SGB II, 3. Aufl., § 7 Rn. 33ff). Von einer zumindest teilweisen Unvereinbarkeit mit Europarecht gehen u.a. das Bayerische Landessozialgericht aus (Beschluss vom 12. März 2008, Az. L 7 B 1104/07 AS ER, dokumentiert in Juris) sowie das LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 25. August 2010, Az. L 7 AS 3769/10 ER-B, dokumentiert in Juris). Die Entscheidung des EuGH auf die Vorlagebeschlüsse des Sozialgerichts Nürnberg (Urteil vom 4. Juni 2009, Az. C-22/08 und C-23/08, Vatsouras und Koupatantze, dokumentiert in Juris sowie in SozR 4-6035 Art. 39 Nr. 5) hat diesbezüglich nicht sämtliche Fragen beantworten und Unklarheiten ausräumen können. Umstritten bleibt insbesondere, ob Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158/77; so genannte Unionsbürgerrichtlinie), die eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 24 Abs. 1 dieser Richtlinie vorsieht, mit höherrangigem Europarecht vereinbar ist, insbesondere, ob er gegen den aus Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV - (früher Art. 12 des Vertrages über die Europäische Union- EV-) folgenden Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt (vgl. hierzu auch Schreiber, a.a.O., Seite 197). Von Bedeutung ist diesbezüglich auch, ob das Arbeitslosengeld II als "Sozialhilfe" anzusehen ist. Ob der erkennende Senat an seiner dies bejahenden Rechtsprechung festhält (vgl. Beschluss vom 8. Juni 2009, Az. L 34 AS 790/09 B ER, dokumentiert in Juris) muss zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden; die hieran in Rechtsprechung und Literatur geäußerten Zweifel (vgl. z.B. Spellbrink, a.a.O., Rn. 18, der darauf hinweist, dass es lebensfremd und auch nicht zielführend wäre, den EU-Bürger über § 7 Abs. 1 Satz 2 nur von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auszuschließen, ihm aber europarechtlich einen Anspruch auf Leistungen zur Eingliederung in Arbeit gemäß den §§ 14 ff SGB II einzuräumen, und Valgolio in Hauck/Noftz, Gesamtkommentar zum Sozialgesetzbuch, SGB II, § 7 Rn. 116 ff, der das Urteil des EuGH vom 4. Juni 2009, Az. C-22/08 so versteht, dass der EuGH angenommen hat, dass, da die Grundsicherungsleistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern solle, es sich nicht um Sozialhilfe im Sinne des § 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie handele) sind geeignet, im Rahmen der Folgenabwägung einen vorläufigen Anspruch der Antragsteller zu begründen, da es zum jetzigen Zeitpunkt durchaus möglich erscheint, dass nach (späterer) Rechtsprechung des Bundessozialgerichts oder des EuGH ein Anspruch besteht.

Zweifel daran, dass man das Arbeitslosengeld II als Sozialhilfe ansehen kann, was einen Leistungsanspruch ausschließen würde, ergeben sich für den Senat auch aus der Regelung des Art. 70 der zum 1. Mai 2010 in Kraft getretenen Verordnung –VO - (EG) Nr. 883/2004 (ABl. L 116 vom 30. April 2004), zuletzt geändert durch VO (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. Nr. L 28443). Danach besteht Anspruch auf beitragsunabhängige Geldleistungen, zu denen nach dem Anhang X Deutschland b) auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende gehören; diese Leistungen sind nach Abs. 4 dieser Vorschrift lediglich nicht exportierbar. Es ist zwar fraglich, ob diese Vorschrift für die Antragsteller aufgrund der eingeschränkten Freizügigkeit und deren Konsequenzen für den Arbeitnehmerbegriff im Sinne der VO (EG) Nr. 883/2004 anwendbar ist, es stellt sich jedoch die Frage, ob es nicht widersprüchlich ist, dass eine Leistung, auf die nach einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift ausdrücklich Anspruch besteht, bei der Auslegung einer anderen Vorschrift so verstanden werden kann, dass sie, da sie Sozialhilfe wäre, eigentlich ausgeschlossen wäre.

Nach alledem ist es möglich, dass den Antragstellern ein Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosengeld II zusteht.

Die Gewährung von Leistungen war angesichts der Vorläufigkeit des Beschlusses auf das Notwendige zu beschränken, so dass eine Kürzung der Regelleistung auf 85% für die Antragsteller zu 1)-4), also die zum Zeitpunkt der Beschlussfassung volljährigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, vorzunehmen war. Für die minderjährigen Antragsteller ist von dem vollen Regelsatz auszugehen. Weiter war die Gewährung von Leistungen, um den Wegfall anspruchsbegründender Elemente überprüfen zu können, auf ein halbes Jahr seit Beschlussfassung zu begrenzen.

Für die Vergangenheit, also für die Zeit vor Beschlussfassung des Senats, waren keine Leistungen zu bewilligen. Die bereits mit Beschlüssen des Senats bewilligten vorläufigen Leistungen bleiben unberührt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG analog.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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