L 20 AS 1661/10 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 28 AS 1243/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 20 AS 1661/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 17.8.2010 wird geändert. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Dortmund mit dem Aktenzeichen S 28 AS 1243/10 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt L, J beigeordnet. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die am 00.00.1987 geborene Klägerin stand in der Vergangenheit in Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern seit längerer Zeit im Leistungsbezug bei der Beklagten. Zum 1.9.2009 nahm sie eine Ausbildung zur XXX im XXX des Landes Nordrhein-Westfalen auf.

Im Vorfeld hierzu beantragte sie am 25.6.2009 bei der Beklagten die Gewährung einer Förderung aus dem Vermittlungsbudget gemäß § 16 Abs. 1 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB II) i.V.m. § 45 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III).

Am 13. und 14.7.2009 absolvierte sie einen Erstehilfekurs (30,00 EUR) und legte am 16.7.2009 eine Rettungsschwimmerprüfung ab (25,00 EUR). Für eine ebenfalls im Juli 2009 (vom 16. bis 27.) durchgeführte prothetische Zahnbehandlung verblieb für sie eine Eigenbeteiligung in Höhe eines Betrages von 655,68 EUR. Darüber hinaus fielen vor Aufnahme und im Zusammenhang mit der Ausbildung noch Kosten für eine Beglaubigung (2,00 EUR) und Porto (10,30 EUR) an.

Die Kosten für die Zahnbehandlung und die Ablegung des Rettungsschwimmerzeichens machte sie per E-mail am 12.10.2009 geltend. Die übrigen Kosten konkretisierte sie auf einem bei der Beklagten am 14.9.2009 eingegangenen Formularantrag. Die Beklagte erteilte daraufhin unter dem 7.12.2009 einen Ablehnungsbescheid, mit dem sie die aus ihrer Sicht am 25.6. bzw. 28.10. 2009 gestellten Anträge auf Förderung aus dem Vermittlungsbudget anlässlich der Aufnahme der Ausbildung ablehnte. Zur Begründung führte sie aus, Leistungen aus dem Vermittlungsbudget dürften nur für Bewerbungen auf oder bei Aufnahme von versicherungspflichtigen Beschäftigungen gewährt werden. Maßgeblich sei insoweit die Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversicherung (§§ 24 ff. SGB III). Die Anbahnung oder Aufnahme einer nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung wie im Falle der Klägerin könne mit der Förderung aus dem Vermittlungsbudget nicht unterstützt werden. Außerdem sei die Erstattung der Kosten für die Zahnbehandlung und das Rettungsschwimmabzeichen erst nach der Aufnahme der Ausbildung beantragt worden.

Mit ihrem dagegen eingelegten Widerspruch machte die Klägerin geltend, es müsse Berücksichtigung finden, dass anders als die Leistungen nach dem SGB III die Leistungen nach dem SGB II steuerfinanziert seien. Ziel des SGB II sei ferner die Aufnahme jeder zumutbaren Beschäftigung, um Hilfebedürftigkeit zumindest zu mindern, was auch durch die Übernahme in ein Beamtenverhältnis erreicht werden könne. Diese Intention des Gesetzgebers müsse bei der Ermessensentscheidung der Beklagten berücksichtigt werden. Wenn einerseits die Verpflichtung bestünde, sich auf Beamtenstellen zu bewerben und sich vorzustellen, aber nicht die zusätzlichen Mittel hierfür zur Verfügung gestellt würden, liege ein Widerspruch vor. Die angefallenen Kosten seien alle durch Darlehen vorfinanziert worden und allein zur Erfüllung der Einstellungsvoraussetzungen entstanden. Mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2010 wies die Beklagte den Widerspruch mit nochmaligem Hinweis darauf, dass es sich bei der Ausbildung zu XXX nicht um eine versicherungspflichtige Beschäftigung handele, zurück.

Für das am 19.3.2010 beim Sozialgericht (SG) Dortmund angestrengte Klageverfahren hat die Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwaltes beantragt. Zur Begründung in der Sache hat sie nochmals vorgetragen, die angefallenen Kosten seien notwendig gewesen, um die Ausbildung zur XXX beginnen zu können. Ferner sei eine Differenzierung zwischen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und beamtenrechtlichem Dienstverhältnis auf dem Gebiet des SGB II unzulässig.

Mit Beschluss vom 17.8.2010 hat das SG den Antrag abgelehnt. Nach § 16 Abs. 1 SGB II in Verbindung mit § 45 SGB III könnten allenfalls Bewerbungs- oder Reisekosten von der Beklagten übernommen werden. Deswegen könne die Klage lediglich im Hinblick auf die geltend gemachten Portokosten (10,30 EUR) bzw. die Kosten für die Beglaubigung (2,00 EUR) erfolgversprechend sein. Ob dies tatsächlich der Fall sei, könne jedoch dahingestellt bleiben, weil diesbezüglich die Klage jedenfalls als mutwillig anzusehen sei. Ein Bemittelter, der seine Erfolgsaussichten vernünftig abwäge und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtige, würde bei einem Prozesskostenrisiko von etwa 600,00 EUR einen Rechtsstreit um 12,30 EUR nicht führen.

Hiergegen richtet sich die am 16.9.2010 eingelegte Beschwerde der Klägerin. Die Beklagte sei verpflichtet, zumindest eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zu fällen. Durch die Ablehnung der Kostenbeteiligung liege jedoch zumindest wegen Ermessensnichtgebrauch eine rechtswidrige Entscheidung vor, die aufgehoben werden müsse. Eine konkrete Anspruchsgrundlage sei dabei nicht zwangsläufig zu nennen. Wenn § 45 SGB III nicht einschlägig sei, müsse geprüft werden, ob das Begehren nicht durch eine andere Anspruchsgrundlage erfüllt werden könne. Die Beklagte könne im Wege der sogenannten freien Förderung gemäß § 16f SGB II Leistungen erbringen, die durch das SGB III nicht ersetzt werden könnten. Dies sei nicht ermessensfehlerfrei geprüft worden. § 16f SGB II entspreche einer langjährigen Forderung, den Grundsicherungsstellen vor Ort einen möglichst weitgehenden Gestaltungsspielraum zu eröffnen, um die vorhandenen und sich ergebenden Möglichkeiten zur Eingliederung erwerbsfähiger Hilfebedürftiger zu nutzen. Im Verwaltungsvollzug erweise sich das Vermittlungsbudget nach § 16 SGB II i.V.m. § 45 SGB III für individuelle Problemstellungen im Einzelfall nicht immer passgenau. Die früheren sonstigen weiteren Leistungen nach § 16 Abs. 2 SGB II (a.F.) hätten es nicht geschafft, den Grundsicherungsstellen den notwendigen Handlungsspielraum zu öffnen. § 16f SGB II gebe ihnen die Möglichkeit, einen beträchtlichen Teil der ihnen für die Eingliederung zugeteilten Haushaltsmittel zur Integration von Arbeitslosen einzusetzen. Der Sachverhalt weise einen Schwierigkeitsgrad auf, der die Beiordnung eines Rechtsanwaltes rechtfertige. Schließlich sei die Rechtsverfolgung auch nicht mutwillig. Mutwilligkeit liege im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens nur vor, wenn der Betroffene keinen konkreten Nutzen von der Entscheidung in der Hauptsache haben könne. Dies könne hier selbst dann nicht angenommen werden, wenn man die Kosten der Zahnbehandlung ausklammern würde.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Prozesskostenhilfe wird nach § 73a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) gewährt, wenn die Betroffenen nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen können, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Hinreichende Erfolgsaussichten können der Rechtsverfolgung nicht von vorneherein abgesprochen werden, weil der Fall klärungsbedürftige Rechtsfragen aufwirft bzw. weitere Ermittlungen erforderlich sind.

Der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der unter I. dargestellten Aufwendungen dürfte jedenfalls nicht an einer mangelnden Antragstellung scheitern. Nach den bisher aktenkundigen Informationen hat die Antragstellerin sich erstmals am 25.6.2009 mit dem Begehren der Förderung der Aufnahme der Beschäftigung bzw. Ausbildung an die Beklagte gewandt. Die in Rede stehenden Aufwendungen sind sämtlich nach diesem Zeitpunkt entstanden. Dem Antragserfordernis des § 37 SGB II dürfte damit genügt sein. Trotz der allein auf § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 45 SGB III Bezug nehmenden Überschrift des Antragsformulares kann man nach dem bisherigen Sachstand unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 19.8.2010 - B 14 AS 10/09 R Rn. 24) auch davon ausgehen, dass die Klägerin mit ihrem Begehren eine Förderung der Beklagten unter allen in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen und nicht nur nach den genannten Vorschriften begehrte.

Obwohl das SG in dem angefochtenen Beschluss fälschlicherweise auf die zum 31.12.2008 außer Kraft getretene Fassung des § 45 SGB III - damals konnten nach dieser Vorschrift nur Bewerbungs- und Reiskostenen erstattet werden - abgestellt hat, dürfte es im Ergebnis zutreffen, dass trotz der Ausweitung der Fördermöglichkeiten auf der Grundlage dieser Vorschrift in der ab dem 1.1.2009 gültigen Fassung (dazu Thie in: LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, Anh. zu § 16 Rn. 11) ein Anspruch der Klägerin nicht in Betracht kommt, weil diese nur auf die Anbahnung oder Aufnahme versicherungspflichtiger Tätigkeiten gerichtet sein können (§ 45 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der ab dem 1.1.2009 gültigen Fassung; Bieback in: Gagel, SGB II/III, § 45 SGB III Rn. 27-31; vgl. zu § 45 SGB III a.F. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21.4.2010 - L 1 AL 44/08 - allerdings zugelassene Revision beim Bundessozialgericht anhängig unter B 11 AL 25/10 R), was hier unstreitig nicht der Fall ist. Dass der Anwendungsbefehl über § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB II erfolgt, führt dabei wohl zu keiner Änderung der Beurteilung (Eicher in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 16 Rn. 25).

Näher in Betracht zu ziehen ist - wie der Klägerbevollmächtigte zu Recht ausführt - jedoch die Regelung des § 16f SGB II. Diese zum 1.1.2009 in Kraft getretenen Regelung, die der "freien Förderung" nach § 10 SGB III in der bis zum 31.12.2009 gültigen Fassung nachgebildet ist, ist durch die außerordentliche Weite der in Betracht kommenden Fördermöglichkeiten gekennzeichnet, die nur geringen Einschränkungen unterliegen (vgl. Voelzke in: Hauck/Noftz, SGG II, K § 16f Rn. 12 ff.; Thie in: LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 16f Rn. 2f.). Neben den Bewerbungskosten (Porto und Beglaubigung) sowie den Kosten für das Rettungsschwimmabzeichen und den Erstehilfekurs erscheint danach selbst die Beteiligung der Beklagten an den Kosten für die prothetische Zahnbehandlung nicht von vorneherein ausgeschlossen.

Es stellen sich in diesem Zusammenhang jedoch verschiedene tatsächliche und rechtliche Fragen, die der Klärung im Hauptsacheverfahren bedürfen.

So ist bisher nur behauptet aber nicht belegt, dass die Durchführung des Erstehilfekurses und der prothetischen Zahnversorgung Einstellungsvoraussetzung gewesen sind - in dem aktenkundigen Merkblatt der Einstellungsbehörde (Blatt 14 der Verwaltungsvorgänge) wird diesbezüglich lediglich das Deutsche Rettungsschwimmabzeichen, die Fahrerlaubnis Klasse B sowie der Nachweis von Kenntnissen und Fähigkeiten im Bereich der Textverarbeitung erwähnt.

In rechtlicher Hinsicht ist nicht ohne weiteres zu beantworten, ob sich auf tatbestandlicher Ebene oder auf Rechtsfolgenseite zwingend Bedenken gegen die begehrte Förderung ergeben. Insofern erscheint klärungsbedürftig, ob nicht auch eine Förderung bzw. Kostenbeteiligung durch die Einstellungsbehörde möglich gewesen wäre. Ferner ist zu prüfen, ob das Umgehungs- und Aufstockungsverbot (§ 16f Abs. 2 Satz 3 SGB II) der Gewährung der begehrten Leistungen entgegen steht. Dies gilt nicht nur für die grundsätzlich bereits über die Vorschriften des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches bzw. die Regelleistung abgedeckten Kosten der Zahnbehandlung, sondern auch für die Frage, ob, der Zielrichtung und der Konzeption des SGB II folgend, nach § 16f SGB II abweichend zu § 16 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch die Aufnahme einer nicht versicherungspflichtigen Tätigkeit gefördert werden kann.

Da nach den vorstehenden Ausführungen nicht nur der geltend gemachte Anspruch auf Bewerbungskosten im engeren Sinne mit einem Wert von (einmalig) 12,30 EUR der näheren Prüfung in dem Klageverfahren bedarf, ist die Rechtsverfolgung auch nicht als mutwillig anzusehen. Wenn allein der vorgenannte Betrag im Streit stünde, könnte dies jedoch durchaus der Fall sein, zumal hier im Hinblick auf die Aufnahme der Ausbildung der Klägerin eine Besserung ihrer wirtschaftlichen Situation in Aussicht stand.

Im Hinblick auf die rechtlichen Überlegungen sind auch die Voraussetzungen des § 121 Abs. 2 ZPO erfüllt.

Nach dem Inhalt der Erklärung über ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ist die Klägerin nicht in der Lage, die Kosten für die Prozessführung aufzubringen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved