L 19 AS 1522/10 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 8 AS 159/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1522/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 28.07.2010 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der von der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung streitig.

Durch Bescheid vom 06.05.2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin vorläufig Leistungen nach dem SGB II in Höhe von Höhe von 96,94 EUR mtl. für die Zeit vom 01.04.2009 bis 30.09.2009 unter Anrechnung der Umweltprämie als einmaliges Einkommen. Gegen die Berücksichtigung der Umweltprämie als Einkommen legte die Klägerin, vertreten durch den Beschwerdeführer, Widerspruch ein, den die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 22.05.2009 zurückwies.

Hiergegen erhob die Klägerin, vertreten durch den Beschwerdeführer, Klage. Durch Beschluss vom 29.07.2009 gewährte das Sozialgericht der Klägerin ab dem 22.06.2009 Prozesskostenhilfe und ordnete den Beschwerdeführer bei. Nach Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung bot die Beklagte unter Hinweis auf die anhängigen Revisionsverfahren beim Bundessozialgericht - B 4 AS 8/10 R und B 4 AS 9/10 R - an, einen Vergleich dahingehend abzuschließen, dass das Klageverfahren beidseitig für erledigt erklärt wird und sie sich verpflichtet, nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts erneut über die Anrechnung der Abwrackpämie zu entscheiden. Daraufhin unterbreitete das Sozialgericht den Beteiligten einen inhaltlich identischen Vergleichsvorschlag, den diese annahmen.

Mit Schreiben vom 26.04.2010 hat der Beschwerdeführer beantragt, seine Vergütung aus der Staatskasse auf 690,20 EUR festzusetzen und zwar in Höhe von

Verfahrensgebühr gem. Nr. 3103 VV RVG 170,00 EUR
Terminsgebühr gem. Nr. 3106 VV RVG 200,00 EUR
Einigungsgebühr gem. Nr. 1006 VV RVG 190,00 EUR
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
19% Mehrwertsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 110,20 EUR.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die Vergütung am 03.05.2010 auf 452,29 EUR festgesetzt und zwar in Höhe von

Verfahrensgebühr gem. Nr. 3103 VV RVG 170,00 EUR
Erledigungsgebühr gem. Nr. 1006 VV RVG 190,00 EUR
Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
19% Mehrwertsteuer gem. Nr. 7008 VV RVG 72,20 EUR.

Gegen die Nichtberücksichtigung der Terminsgebühr legte der Beschwerdeführer Erinnerung ein. Es liege eine planwidrige Regelungslücke vor, da die Bestimmung der Nr. 3104 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG im Gegensatz zu der Bestimmung der Nr. 3106 VV RVG den Anfall einer Terminsgebühr bei Erledigung eines gerichtlichen Verfahren durch den Abschluss eines Vergleichs im schriftlichen Verfahren vorsehe. Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

Durch Beschluss vom 28.07.2010 hat das Sozialgericht Detmold die Erinnerung zurückgewiesen. Auf die Gründe wird Bezug genommen.

Gegen den am 25.08.2010 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Der Beschwerdeführer verfolgt sein Begehren weiter.

II.
Über die Beschwerde entscheidet der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichtern und nicht durch den Einzelrichter gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 HS. 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG), auch wenn der Sache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt. § 33 Abs. 8 Satz 1 HS. 2 RVG, wonach auch über die Beschwerde der Einzelrichter entscheidet, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen worden ist, findet im sozialgerichtlichen Verfahren keine Anwendung, selbst wenn die angefochtene Entscheidung durch den Kammervorsitzenden allein ergangen ist. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG weist die Entscheidung dem Einzelrichter als Mitglied des Gerichts zu. Der Kammervorsitzende des Sozialgerichts entscheidet nicht als einzelnes Mitglied der Kammer, sondern als Kammer in der Besetzung ohne ehrenamtliche Richter, denn diese wirken gemäß § 12 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht mit. Die Entscheidung im schriftlichen Verfahren ist daher keine Einzelrichterentscheidung im Sinne des § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG (vgl. LSG NRW Beschluss vom 16.12.2009 - L 19 B 179/09 AS - mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; a. A. LSG NRW Beschlüsse vom 21.12.2009 - L 9 B 17/09 AS - und vom 14.07.2010 - L 1 AS 57/10 B).

A.
Die Beschwerde ist zulässig.
Das Rechtsmittel der Beschwerde gegen eine Erinnerungsentscheidung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG ist gegeben (vgl. Beschluss des Senats vom 16.12.2009 - L 19 B 179/09 AS - mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen, LSG Bayern Beschluss vom 18. Januar 2010 - L 13 SF 288/09 E -; LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 17.07.2008 - L 6 B 93/07, LSG Thüringen Beschluss vom 18.02. 2008 - L 6 B 3/08 SF -; LSG Sachsen Beschluss vom 21. Juni 2005 - L 6 B 73/04 RJ/KO -; LSG Saarland Beschluss vom 29.01.2009 - L 1 B 16/08 R- ; a. A. LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 24.02.2009 - L 15 SF 9/09 B -; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 26.01.2011 - L 1 B 266/09 SF E -; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 28.10.2008 - L 9 B 19/08 AS SF -; LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 30.10.2010 - L 4 P 8/09 B -, LSG Baden-Württemberg Beschluss vom 19.06.2009 - L 12 AS 2241/09 KE).

Die Beschwerde ist statthaft.
Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG gilt für die Beschwerde gegen eine Entscheidung über eine Erinnerung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG die Vorschrift des § 33 Abs. 3 bis 8 RVG entsprechend. Danach findet die Beschwerde gegen eine Entscheidung über eine Erinnerung statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, die Beschwerde zugelassen hat (§ 33 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 RVG). Der Beschwerdewert bestimmt sich nach der Differenz zwischen der festgesetzten und der mit der Beschwerde geltend gemachten Gebühr zuzüglich Mehrwertsteuer (LSG NRW Beschluss vom 04.06.2008 - L 19 B 5/08 AL). Vorliegend übersteigt die Beschwer den Betrag von 200,00 EUR. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Festsetzung einer Vergütung des Beschwerdegegners auf 452,20 EUR und begehrt die Festsetzung einer Vergütung von 690,20 EUR. Die Differenz zwischen festgesetzter und begehrter Vergütung beträgt 237,91 EUR. Die Beschwerdefrist von zwei Wochen (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG) ist gewahrt. Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (§ 33 Abs. 4 Satz 1 RVG).

B.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Dem Beschwerdeführer steht gegenüber der Staatskasse keine höhere Vergütung als die festgesetzte Vergütung aus § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG zu.

Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung von der Staatskasse, soweit in Abschnitt 8 des RVG nichts anderes bestimmt ist. Dieser Vergütungsanspruch ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG nach seinem Grund und seiner Höhe von dem Umfang der Beiordnung abhängig (Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl. § 48 Rdz. 5 m.w.N.). Der beigeordnete Rechtsanwalt kann sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab Wirksamwerden seiner Beiordnung und unter der Voraussetzung einer wirksamen Vollmacht des begünstigten Beteiligten ergeben. Vorliegend besteht ein Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers. Zwischen der Klägerin und ihm hat ein Mandatsverhältnis bestanden, welches die Vorlage einer Prozessvollmacht dokumentiert ist. Im Beschluss vom 29.07.2009 über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an die Klägerin ist der Beschwerdeführer beigeordnet worden.

Der beigeordnete Rechtsanwalt kann nach § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG sämtliche Gebühren und Auslagen beanspruchen, die sich aus seiner Tätigkeit ab Wirksamwerden seiner Beiordnung ergeben.

1. Das Sozialgericht hat zutreffend den Anfall einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG, die vorliegend Anwendung findet, verneint. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 Satz 1 VV RVG i.V.m. Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG in der ab dem 31.12.2006 geltenden Fassung (Zweites Justizmodernisierungsgesetz - 2. JuMOG - vom 22.12.2006, BGBl. I, 3416) ist nicht angefallen, da weder ein gerichtlicher Termin stattgefunden noch eine auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichtete Besprechung zwischen den Beteiligten i. S. d. Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV RVG (vgl. hierzu BGH Beschluss vom 21.10.2009 - IV ZB 27/09) stattgefunden hat.

Ebenfalls ist eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 1 Nr. 3 VV RVG nicht angefallen. Danach entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Vorliegend ist das Verfahren nicht durch ein angenommnes Anerkenntnis i.S.v. § 101 Abs. 2 SGG (vgl. zum Begriff "angenommenes Anerkenntnis": BSG Urteil vom 06.05.2010 - B 13 R 16/09 R), sondern durch Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs mit beidseitiger übereinstimmender (prozessbeendender) Erledigungserklärung der Beteiligten (zur Zulässigkeit einer beidseitigen Erledigungserklärung in Verfahren nach § 183 SGG: vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 125 Rn 7f) beendet worden. Die Zustimmungserklärung der beiden Beteiligten zum gerichtlichen Vergleichsvorschlag beinhaltet konkludent eine beidseitige verfahrensbeendende Erledigungserklärung.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ergibt sich der Anfall einer fiktiven Terminsgebühr auch nicht aus einer analogen Anwendung der Vorschrift der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG. Danach entsteht in Verfahren, in denen keine Betragsrahmengebühren (§ 3 Abs. 1 Satz 1 RVG) , also auch in Verfahren nach § 197a SGG im sozialgerichtlichen Verfahren, anfallen und für die eine mündliche Verhandlung vorgesehen ist, bei Abschluss eines schriftlichen Vergleichs eine Terminsgebühr. Eine der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG entsprechende Regelung enthält die Bestimmung des Nr. 3106 VV RVG, die gegenüber der Bestimmung der Nr. 3104 VV RVG für Verfahren nach § 183 SGG - wie im vorliegenden Fall - vorrangig ist, nicht. Der Senat schließt sich der übereinstimmenden Rechtsprechung der Landessozialgerichte an, dass die Bestimmung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG auch nicht analog auf Verfahren nach § 183 SGG Anwendung findet (Landessozialgericht Thüringen Beschluss vom 26.11.2008 - L 6 B 130/08 SF -; LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 14.11.2007 - L 1 B 513/07 R SK; LSG Sachsen Beschluss vom 09.12.2010 - L 6 AS 438/10 B KO -; LSG Bayern Beschluss vom 22.06.2007 - 15 B 200/07 P KO, LSG NRW Beschluss vom 30.03.2009 - L 2 B 20/08 KN P - mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Es besteht keine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat in Nr. 3104 VV RVG ausdrücklich auf die Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV RVG verwiesen, wenn es sich um ein sozialgerichtliches Verfahren handelt, in dem Betragsrahmengebühren entstehen, ohne die Vergleichsregelung aufzunehmen. Für ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers ergeben sich aus den Gesetzesmaterialien keine konkreten Anhaltspunkte. Soweit in der unterinstanzlichen Rechtsprechung zur Begründung eines Redaktionsversehens des Gesetzgebers darauf abgestellt wird, dass aus den Gesetzesmaterialien eine Begründung der unterschiedlichen Behandlung der Verfahren nach § 197a SGG und nach § 183 SGG im Gebührenrecht nicht zu entnehmen ist und dies für ein unbewusstes Redaktionsversehen des Gesetzgebers spricht (vgl. SG Chemnitz Beschluss vom 17.05.2010 - S 35 SF 189/10 E - ; SG Stuttgart Beschluss vom 05.07.2010 - S 15 SF 7062/08 E -, wobei das SG Stuttgart seine Rechtsprechung später aufgeben hat: Beschluss vom 14.01.2011 - S 20 SF 7180/10), ist schon fraglich, ob die Voraussetzungen für den Anfall einer fiktiven Terminsgebühr nach Nr. 3104 Nr. 1 3. Alt. VV RVG in Verfahren nach § 197a SGG überhaupt gegeben sein können. Eine Beendigung des sozialgerichtlichen Verfahrens durch einen schriftlichen Prozessvergleich sieht das SGG - abweichend von den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§ 278 Abs. 6 ZPO) und der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 106 Satz 2 VwGO) - nicht vor. Vielmehr fordert § 101 Abs. 1 SGG den Abschluss eines Prozessvergleichs zur Niederschrift des Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragen oder ersuchten Richters. Ob die Vorschrift des § 278 Abs. 6 ZPO, die den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs durch die schriftliche Annahme eines schriftlichen gerichtlichen Vergleichsvorschlags durch die Beteiligten und die Beendigung des Verfahrens durch einen feststellenden Beschluss des Gerichts vorsieht, nach § 202 SGG entsprechend im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, ist umstritten (verneinend mit beachtlichen Gründe LSG Sachsen Beschluss vom 09.12.2010 - L 6 AS 438/10 B KO -; Zeihe, SGG, § 101 Rn 6; bejahend: Eschner in Jansen, SGG 3. Aufl., § 101 Rn 19; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 101 Rn 9). Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass für den Anfall der Gebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG der Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs mit nachfolgender Erledigungserklärung genügt (vgl. Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl., Nr. 3104 VV RVG Rn 61; so anscheinend auch SG Mannheim Beschluss vom 18.02.2010 -S 7 SB 554/10 KE), wird in der Rechtsprechung für den Anfall der Gebühr eine Beendigung des Verfahrens unmittelbar durch einen Vergleich, also durch einen Prozessvergleich, gefordert (vgl. VG Berlin Beschluss vom 23.06.2008 - 14 KE 227.06, 14 V 29.05 -; BGH Beschluss vom 22.02.2007 - VII ZB 101/06 -; BAG Beschluss vom 20.06.2006 - 3 AZB 78/05). Schon die Ungewissheit, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 3 Alt. VV RVG in einem Verfahren nach § 197a SGG anfallen kann, spricht gegen ein unbewusstes Redaktionsversehen des Gesetzgebers.

2. Eine Erledigungsgebühr nach Nrn. 1006,1002 VV RVG ist nicht entstanden. Nach Nr. 1006,1002 VV RVG entsteht eine Erledigungsgebühr in Verfahren nach § 183 SGG, wenn sich eine Rechtsache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes oder durch den Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsaktes durch anwaltliche Mitwirkung erledigt. Das Verfahren hat sich hier aber nicht durch eine Aufhebung oder eine Änderung des im Verfahren angefochtenen Bescheides vom 06.05.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2009 erledigt. Vielmehr haben die Beteiligten das Verfahren auf Vorschlag des Gerichts in einem außergerichtlichen Vergleich ohne inhaltliche Änderung des angefochtenen Bescheides mit der Verpflichtung der Beklagten, nach Abschluss der beiden Revisionsverfahren B 4 AS 8/10 R und B 4 AS 9/10 R eine Entscheidung nach § 44 SGB X zu treffen, übereinstimmend für erledigt erklärt.

Auch der Gebührentatbestand der Einigungsgebühr nach Nrn. 1006, 1000 VV RVG ist nicht gegeben. Nach Nrn. 1006, 1000 Abs. 1 VV RVG entsteht in einem gerichtlichen Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren anfallen, die Einigungsgebühr als zusätzliche Gebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrages, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Beteiligten über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Die Vorschrift der Nr. 1000 Abs. 4 VV RVG, wonach eine Einigungsgebühr nur dann bei Rechtsverhältnissen des öffentlichen Rechts anfallen kann, wenn über die Ansprüche vertraglich verfügt werden kann, steht im vorliegenden Fall der Anwendung des Gebührentatbestandes nach Nrn. 1006, 1000 Abs. 1 VV RVG entgegen. Denn der Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags über Sozialleistungen ist nach § 54 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) nur zulässig, soweit die Erbringung der Leistungen im Ermessen des Leistungsträgers steht. Streitgegenstand des Verfahrens ist aber der Anspruch der Klägerin auf höhere Leistungen nach § 20 SGB II ohne Anrechnung eines Einkommens gewesen. Dabei handelt es sich nicht um eine Ermessensleistung, sondern um eine gebundene Leistung.

3. Nach Wirksamwerden der Beiordnung hat der Beschwerdeführer einen Schriftsatz im gerichtlichen Verfahren gefertigt, so dass der Tatbestand der Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG gegeben ist. Der Beschwerdeführer hat für die Klägerin ein nach § 183 SGG gerichtskostenfreies Verfahren betrieben und ist für sie in einem dem Gerichtsverfahren vorausgegangenen Widerspruchsverfahren tätig gewesen.

Der sich aus Nr. 3103 VV RVG ergebende Gebührenrahmen beträgt 20,00 EUR bis 320,00 EUR. Innerhalb dieses Rahmens bestimmt der Beschwerdeführer als beigeordneter Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 RVG die Höhe der Verfahrensgebühr unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers und seines besonderen Haftungsrisikos (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Die von einem beigeordneten Rechtsanwalt im Verfahren nach § 55 RVG getroffene Bestimmung ist nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Deshalb ist der Urkundsbeamte bzw. das Gericht verpflichtet, die Billigkeit der Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt zu prüfen. Bei Angemessenheit der angesetzten Gebühr hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bzw. das Gericht den Kostenansatz zu übernehmen, bei Unbilligkeit die Höhe der Betragsrahmengebühr festzusetzen.

Im Hinblick auf das im Beschwerdeverfahren geltende Verbot der reformatio in peius (vgl. hierzu LSG NRW Beschluss vom 25.10.2010 - L 19 AS 1513/10 B - mit weiteren Rechtsprechungshinweisen) kann dahinstehen, ob die vom Beschwerdeführer angesetzte Mittelgebühr von 170,00 EUR billig oder unbillig ist. Jedenfalls ist der Ansatz einer höheren Gebühr als 170,00 EUR unbillig. Nach wertender Gesamtbetrachtung handelt es sich zur Überzeugung des Senats bei der vorliegenden Streitsache allenfalls um einen Normal-/Durchschnittsfall (vgl. zum Begriff des Normalfalls: BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 24), der den Ansatz der Mittelgebühr von 170,00 EUR rechtfertigt.

Zwar ist die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin als überdurchschnittlich zu bewerten. Bei der Beurteilung der Bedeutung einer Angelegenheit ist auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber, nicht aber für die Allgemeinheit abzustellen. Dabei wird Streitigkeiten über Leistungen, die das sozio-kulturelle Existenzminimum eines Auftraggebers sichern, wie die Streitigkeiten nach dem SGB II, in der Regel überdurchschnittliche Bedeutung beigemessen, unabhängig davon, ob die Leistung dem Grunde nach oder lediglich die Höhe der Leistung umstritten ist (BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 37). Vorliegend ist die Höhe der Leistung nach § 20 SGB II für die Dauer von sechs Monaten ohne Anrechnung eines Einkommens von mehr als 300,00 EUR mtl. streitig gewesen. Der überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin stehen ihre unterdurchschnittlichen Einkommensverhältnisse gegenüber (vgl. zu dem Verhältnis BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 38). Da die Klägerin auf den Bezug von Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung ihres sozio-kulturellen Existenzminimums angewiesen gewesen und ihr deshalb auch Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, sind ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse als erheblich unterdurchschnittlich zu bewerten. Die Schwierigkeit und der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist allenfalls als durchschnittlich zu werten. Erhebliche, sich üblicherweise nicht stellende (tatsächliche oder juristische) Probleme während des Mandats, die eine überdurchschnittliche Schwierigkeit begründen können (vgl. hierzu BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 33-35), sind in der Akte nicht belegt und werden auch vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht. Besondere juristische Schwierigkeiten sind nicht ersichtlich. Der Streitgegenstand hat sich auf die Frage beschränkt, ob es sich bei der sog. "Abwrackprämie" um eine einmalige Einnahme i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II oder um ein privilegiertes Einkommen i.S.v. § 11 Abs. 3 SGB II handelt. Damit hat es sich um eine überschaubare Rechtsfrage gehandelt. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer im Verfahren eine kurze Klagebegründung und zwei weitere kurze Schriftsätze, in denen er den Vorschlag der Beklagten bzw. des Gerichts zur Verfahrensbeendigung angenommen hat, gefertigt hat, ist, sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die für die Annahme eines überdurchschnittlichen Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit sprechen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Beschwerdeführers ist nicht erkennbar.

Bei Abwägung aller Kriterien des § 14 RVG, insbesondere auch der Tatsache, dass allein unterdurchschnittliche Einkommens- und Vermögensverhältnisse die Herabbemessung der Mittelgebühr rechtfertigen können (vgl. BSG Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 21/09 R = juris Rn 38), kommt dem konkreten Verfahren allenfalls eine durchschnittliche Bedeutung zu.

4. Dem Beschwerdeführer steht eine Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG von 20,00 EUR zu. Unter Berücksichtigung der Umsatzsteuer von 36,10 EUR (19% von 190,00 EUR) ergibt sich somit ein Vergütungsanspruch des Beschwerdeführers gegenüber der Staatskasse aus § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG in Höhe von 226,10 EUR.

Jedoch ist der Senat an die Festsetzung der Vergütung in Höhe von 459,20 EUR durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gebunden. Eine Herabsetzung der Gebühren im Beschwerdeverfahren scheidet wegen der Unzulässigkeit der reformatio in peius im Beschwerdeverfahren (vgl. LSG NRW Beschluss vom 25.10.2010 - L 19 AS 1513/10 B - mit weiteren Rechtsprechungshinweisen) aus.

Das Verfahren ist gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG).

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).
Rechtskraft
Aus
Saved