L 1 KR 326/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 166 KR 527/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 326/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Beigeladenen zu 2) für das Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit zwischen den Beteiligten ist die Versicherungspflicht des Klägers wegen Bezuges von Arbeitslosengeld II Alg II.

Der 1956 geborene Kläger begehrt die Pflichtversicherung bei der Beklagten. Diese vertritt die Auffassung, dieser Versicherung stünde § 5 Abs. 1 Nr. 2 a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch SGB V entgegen, da der Kläger vor dem Bezug von Alg II unmittelbar privat krankenversi-chert gewesen sei.

Er machte sich nach einer Ausbildung zum Kfz Lackierer im Jahre 1996 selbständig. Bis 2004 war er dann bei der Beklagten krankenversichert. Danach wechselte er zur privaten W K AG. Dieses Versicherungsverhältnis endete aufgrund einer Kündigung des Versicherers wegen Bei-tragsrückständen zum 20. Januar 2008. Zum 30. Juni 2009 meldete der Kläger sein selbständi-ges Gewerbe ab, das seit dem 01. Juli 2009 seine Tochter weiterführt.

Seit dem 29. September 2009 bezieht der Kläger Leistungen der Grundsicherung für Arbeits-suchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch SGB II.

Mit Bescheid ohne Rechtsmittelbelehrung vom 26. November 2009 lehnte die Beklagte die Aufnahme des Klägers in die Pflichtversicherung bei ihr ab, da der Kläger unmittelbar vor dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II privat versichert gewesen sei. Den Widerspruch des Klägers hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09. März 2010 zurück. Der Kläger gehöre zu dem Personenkreis, der eine Krankheitskostenversicherung in der priva-ten Krankenversicherung abzuschließen habe. Dafür hätten diese Versicherungen einen Basis-tarif zur Verfügung zu stellen, so dass Bezieher von Alg II nicht mehr in die Versicherungs-pflicht der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen werden müssten, wenn sie wie der Kläger unmittelbar vor dem Leistungsbezug privat krankenversichert gewesen seien.

Hiergegen hat sich die am 30. März 2010 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage gerichtet, zu deren Begründung der Kläger vorgetragen hat, aufgrund des Bezuges von Alg II bestehe eine Pflichtmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung. Er sei unmittelbar vor dem Bezug dieser Leistung nicht privat krankenversichert gewesen und habe sein Gewerbe bereits drei Monate vor Beginn des Leistungsbezugs abgemeldet.

Die Beklagte ist dem unter Bezugnahme auf die angefochtenen Bescheide entgegengetreten.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 13. September 2010 die angefochtenen Bescheide aufge-hoben und festgestellt, dass der Kläger seit dem 29. September 2009 pflichtversichertes Mit-glied der Beklagten sei.

Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass Personen in der Zeit, für die sie Alg II nach dem SGB II beziehen, soweit sie nicht der Familienversicherung unterlägen, grundsätz-lich gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V versichert seien. Ein Ausschluss von der Versicherungs-pflicht nach § 5 Abs. 5 a SGB II liege im Fall des Klägers nicht vor. Danach sei nicht versiche-rungspflichtig, wer unmittelbar vor dem Bezug von Alg II privat krankenversichert war oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und zu den in Abs. 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 genannten Personen gehöre. Der Kläger sei 19 Monate vor dem Alg II Bezug aus der privaten Krankenversicherung ausgeschieden, somit liege keine unmittelbare private Kranken-versicherung vor dem Bezug von Alg II vor. Er sei auch nicht beruflich selbständig tätig.

Gegen dieses der Beklagten am 27. September 2010 zugestellte Urteil richtet sich deren Beru-fung vom 27. Oktober 2010. Der Kläger sei gemäß § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz VVG verpflichtet gewesen, mit dem Ende der privaten Krankenversicherung für sich bei einem privaten Versicherungsunternehmen eine Krankheitskostenversicherung abzuschließen. Dieser Pflicht sei er nicht nachgekommen. Dass er nun nach einer relativ kurzen Zwischenzeit Alg II Bezieher sei, könne nicht dazu führen, dass die Versichertengemeinschaft der gesetzli-chen Krankenversicherung für ihn aufkommen müsse, obwohl er eindeutig dem System der privaten Krankenversicherung zuzuordnen sei (Hinweis auf die Entscheidung des Landessozi-algerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. August 2010 L 16 KR 329/10 B ER ). Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und die Beigeladene zu 2) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen des Sachverhalts im Übrigen, insbesondere wegen des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Leistungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegens-tand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Kläger der Pflichtversicherung bei der Beklagten unterliegt, und die entgegenstehenden Be-scheide dementsprechend aufgehoben.

Der Antragssteller ist nicht familienversichert und erhält normale SGB II-Leistungen. Er war auch nicht unmittelbar vor dem SGB II-Bezug ab dem 29. September 2009 privat kran-kenversichert. Unmittelbarkeit setzt nach dem Wortlaut einen direkten zeitlichen Zusammen-hang zwischen dem Zeitpunkt des (noch) Bestehens eines privatrechtlichen Krankenversiche-rungsvertrages und dem SGB II-Bezug voraus (ebenso: LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 6.05.2010 –L 9 KR 102/10 BER- und vom 21.05.2010 –L 9 KR 33/10 BER). Daran fehlt es hier: Die frühere Versicherung in der PKV endete hier am 20. Januar 2008, mehr als einein-halb Jahre vor dem Bezug von Alg II. Zwischenzeitlich lag keinerlei Krankenversicherung mehr vor. Der Kläger war mithin unmittelbar vor dem Bezug von Alg II nicht privat sondern überhaupt nicht krankenversichert.

Die Tatbestandsvoraussetzung der Unmittelbarkeit bezieht sich jedoch auch auf die zweite Ausschlussfallgruppe des § 5 Abs. 5 a SGB V: Die Pflichtversicherung für bislang weder gesetzlich und privat Versicherte ist nur ausge-schlossen, wenn die näheren Voraussetzungen unmittelbar vor dem SGB II-Bezug vorgelegen haben (ebenso ausführlich und zutreffend SG Berlin, Urteil vom 13.09.2010 -S 166 KR 527/10 juris mit Bezug auf LSG Berlin-Brandenburg, B. v. 21.05.2010 – L 9 Kr 33/10 B ER). Neben der Systematik innerhalb des Absatzes und dem Normzweck kann dies aus § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V hergeleitet werden. Dort ist ausdrücklich der Fall einer Zäsur normiert zwischen der früheren Versicherung und dem aktuellen Zeitpunkt: Das Gesetz verwendet für die An-knüpfung an einen früheren Zustand die Formulierung "zuletzt".

Der Antragsteller war vor dem 29. September 2009 weder gesetzlich noch privat krankenversi-chert. Er war weiter weder zuletzt hauptberuflich erwerbstätig (§ 5 Abs. 5a S. 1, Alt. 2, Abs. 5 SGB V) noch versicherungsfrei (§§ 5 Abs. 5a S. 1, Alt. 2, 6 Abs. 1 und 2 SGB V).

Das gefundene Ergebnis entspricht auch der amtlichen Begründung zu § 5 Abs. 5 a SGB V (BT Drucksache 16/3100, Seite 94). Danach sind in die Versicherungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen Personen, die nicht zuletzt gesetzlich oder privat krankenver-sichert gewesen sind, wenn sie zu dem Personenkreis gehören, der seinem Status nach der ge-setzlichen Krankenversicherung zuzuordnen ist. Dies soll insbesondere nicht für Beamte, beamtenähnlich abgesicherte Personen sowie für beruflich selbständige Berufstätige gelten; diese würden der privaten Krankenversicherung zugeordnet. Der Kläger war zuletzt ohne Krankenversicherungsschutz, er war weder privat noch gesetzlich krankenversichert, und er ist kein Beamter, keine beamtenähnliche Person und auch kein hauptberuflich Selbständiger mehr. Er hat sich vielmehr durch die Aufgabe seines selbständigen Gewerbes 3 Monate vor dem Be-zug von Alg II von diesem Personenkreis abgewandt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war zuzulassen um eine Klärung des Begriffs der Unmittelbarkeit in § 5 Abs. 5 a SGB V durch das Bundessozialgericht herbeizuführen.
Rechtskraft
Aus
Saved