L 7 AS 921/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 938/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 921/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Absenkung wegen wortlosem Erscheinen zu einem Meldetermin
Es ist nicht erforderlich, dass vorhergehende Absenkungsbescheide bei Erlass des strittigen Bescheids wegen einer wiederholten Absenkung bestandskräftig sind.
Wurde über die vorhergehende Absenkung im einstweiligen Rechtsschutz abschlägig entschieden, entfaltet diese Entscheidung Bindungswirkung. Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz enthalten - vorbehaltlich einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage - eine endgültige Entscheidung über eine vorläufige Regelung.
Ein kurzes wortloses Erscheinen zum Meldetermin ist keine Erfüllung der Meldepflicht nach § 59 SGB II iVm § 309 Abs. 1 S. 2 SGB III.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 19. November 2010 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.



Gründe:


I.

Zwischen den Beteiligten ist eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 120 vom Hundert der Regelleistung wegen eines wiederholten Meldeversäumnisses strittig.

Der im Jahr 1960 geborene Antragsteller und Beschwerdeführer bezieht seit Mitte 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit dieser Zeit kam es zu einer Vielzahl gerichtlicher Verfahren.

Bereits Mitte 2005 brachte der Antragsteller zum Ausdruck, dass er sich für erwerbsunfähig halte. Mehrere Gutachten des ärztlichen Dienstes bestätigten eine vollschichtige Erwerbsfähigkeit für mittelschwere, später für leichte und gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten. Insbesondere bestünden keine Folgen der Hautkrebserkrankung aus dem Jahr 1992 mehr (S. 43, 180 Verwaltungsakte). Die Teilnahme an einer psychologischen Begutachtung lehnte er im Sommer 2007 ab (S. 361 VerwA). Die gesetzliche Rentenversicherung lehnt die beantragte Rente wegen Erwerbsminderung ab (S. 177 VerwA). In der erfolglosen erstinstanzlichen Rentenklage lehnte er die Teilnahme an einer nervenärztlichen Begutachtung ab (S. 616 VerwA).

In den Verwaltungsverfahren verweigerte der Antragsteller mehrfach die Unterzeichung von Eingliederungsvereinbarungen. Soweit Verpflichtungen begründet wurden, insbesondere zum Nachweis von Eigenbemühungen, erfüllte er diese regelmäßig nicht. Dies führte zu mehreren Absenkungen. Die Verwaltungsakten enthalten eine Vielzahl von Beschwerdeschreiben, teils mit beleidigendem Inhalt und Straftatenvorwürfen gegenüber Bediensteten der Antragsgegnerin.

Meldeaufforderungen befolgte der Antragsteller entweder überhaupt nicht, verspätet oder durch Meldung lediglich im Eingangsbereich der Behörde. Die Absenkungen zu diesen Meldeverstößen wurden in verschiedenen Eilverfahren auch im Beschwerdeverfahren aufrecht erhalten. Zuletzt erfolgten eine Absenkung um 90 % der Regelleistung wegen eines Meldeverstoßes (L 8 AS 756/10 B ER, S. 2193 VerwA), eine Absenkung um 100 % wegen eines Meldeverstoßes (L 8 AS 757/10 B ER, S. 2198 VerwA) und eine Absenkung um 110 % (Bescheid vom 08.10.1020, S. 2158 VerwA, Eilverfahren S 10 AS 847/10 ER, S. 2174 VerwA).

Mit Schreiben vom 12.10.2010 lud die Antragsgegnerin den Antragsteller zum 19.10.2010, 8:00 Uhr zu einem Gespräch über die berufliche Situation mit dem zuständigen Fallmanager in die Außenstelle der Antragsgegnerin in ein genau bezeichnetes Zimmer ein. Das Schreiben enthält eine Belehrung zu einer Absenkung von 120 % (S. 2209 VerwA).

Nach einem Aktenvermerk erschien der Antragsteller am 19.10.2010 im Büro des bezeichneten Mitarbeiters, legte das Einladungsschreiben und Anträge zur Übernahme von Stromkosten, Mietschulden und Erstattung von Fahrtkosten wortlos auf den Tisch und verlies das Büro wieder. Auf das Anhörungsschreiben vom 19.10.2010 äußerte sich der Antragsteller nicht.

Mit Bescheid vom 09.11.2010 wurde das Arbeitslosengeld II des Antragstellers für den Zeitraum vom 01.12.2010 bis 28.02.2011 um 120 % der Regelleistung gemindert. Daraus ergebe sich eine Absenkung von monatlich 430,80 Euro. Insoweit würden die bisherigen Bewilligungsbescheide aufgehoben. Der Antragsteller sei der Meldeaufforderung zum 19.10.2010 nicht gefolgt. Hiergegen legte der Antragsteller mit Schreiben vom 12.11.2010 Widerspruch ein.

Zuletzt bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Bescheid vom 16.11.2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum 01.12.2010 bis 28.02.2011 unter Berücksichtigung der strittigen Absenkung in Höhe von monatlich 63,20 Euro und von März bis Mai 2011 in Höhe von monatlich 494,- Euro (S. 2229 VerwA). Mit Bescheid gleichen Datums wurden Sachleistungen in Form von Lebensmittelgutscheinen in Höhe von 151,- Euro pro Monat gewährt. Heizkosten für Einzelöfen wurden gesondert gewährt.

Am 15.11.2010 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht Landshut einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Seine Grundrechte seien gefährdet. Er sei seiner Meldepflicht zur vorgegebenen Zeit und Ort nachgekommen, weil er dort erschienen sei. Der Bescheid sei außerdem rechtswidrig, weil nicht gleichzeitig über Sachleistungen entschieden worden sei. Die Sachleistungen würden keine Teilhabeleistungen beinhalten. Er sei nicht erwerbsfähig.

Das Sozialgericht lehnte den Eilantrag mit Beschluss vom 25.11.2010 ab. Der Absenkungsbescheid sei rechtmäßig, der Widerspruch habe daher keine Aussicht auf Erfolg. Das wortlose Erscheinen sei keine ausreichende Meldung im Sinne von § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III. Eine nur kurzzeitige physische Präsenz ohne jede weitere Mitwirkung sei keine Erfüllung der Meldepflicht. Der Meldezweck, ein Gespräch über die berufliche Situation, sei vom Antragsteller vorsätzlich vereitelt worden. Die Rechtsfolgenbelehrung sei konkret, richtig und vollständig zur 120 %-Absenkung erfolgt. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 31 Abs. 2 SGB II sei nicht nachgewiesen. Umfang, Beginn und Dauer der Sanktion seien nicht zu beanstanden. Über ergänzende Sachleistungen könne getrennt von der Absenkung entschieden werden.

Am 16.12.2010 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts zum LSG erhoben und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt. In der Rechtsfolgenbelehrung sei nicht darauf verwiesen worden, dass er mit dem Sachbearbeiter sprechen müsse.

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts 08.03.2010 aufzuheben und die Beschwerdegegnerin vorläufig zu verpflichten, ihm Leistungen ohne die durch Bescheid vom 09.11.2010 verfügte Absenkung zu gewähren.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akten der Antragsgegnerin und die Akte des Landessozialgerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Der nach § 172 Abs. 3 Nr. 1, § 144 Abs. 1 SGG erforderliche Beschwerdewert von über 750,- Euro wird mit 1.292,40 Euro (120 % von 359,- Euro = 430,80 Euro mal 3) erreicht. Ohne diese Absenkung käme es auch zu einer entsprechend höheren Leistung, weil ein ungedeckter Bedarf gleicher Höhe besteht.

Statthaft ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG, weil bereits der Bewilligungsbescheid vom 16.11.2010 die strittige Absenkung enthielt. Es wurden also zu keinem Zeitpunkt ungekürzte Leistungen bewilligt, so dass es sich nicht um einen Eingriff handelt, der mit Hilfe der aufschiebenden Wirkung vorläufig behoben werden könnte. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung muss glaubhaft sein, dass das materielle Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).

Die Beschwerde ist unbegründet, weil das Sozialgericht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu Recht abgelehnt hat. Ein Anordnungsanspruch ist nicht erkennbar.

Die vorangegangenen Absenkungen wegen Meldepflichtverletzungen sind hier nicht zu überprüfen. Bestandskräftige Bescheide entfalten Tatbestandswirkung (vgl. BayLSG, Beschluss vom 27.11.2008, L 7 AS 954/08 AS ER). Es ist für eine wiederholte Pflichtverletzung allerdings nicht erforderlich, dass die vorangegangenen Absenkungsbescheide zuvor bestandskräftig wurden - sonst könnten wiederholte Absenkungen vom Hilfebedürftigen bereits durch Einlegung von Rechtsbehelfen gegen die vorhergehenden Absenkungen längere Zeit verhindert werden (Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 31 Rn. 50d). Die vorherigen Absenkungen sind im Eilverfahren schon deswegen nicht zu prüfen, weil über sie in vorhergehenden Eilverfahren entschieden wurde. Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz enthalten eine endgültige Entscheidung über eine vorläufige Regelung und haben insoweit eine sachliche Bindungswirkung, sprich Rechtskraft. Dies gilt zumindest bei unveränderter Sach- und Rechtslage (vgl. Krodel, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 2. Auflage 2008, Rn. 40 und Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 45).

Ein Anordnungsanspruch liegt hier nicht vor. Dem liegt eine abschließende Beurteilung der Sach- und Rechtslage zugrunde, so dass es auf eine Folgenabwägung nicht ankommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.065.2005, 1 BvR 569/05). Die mit Bescheid vom 09.11.2010 erfolgte Absenkung ist rechtmäßig. Es besteht keine Anspruch auf eine Leistungsgewährung ohne Absenkung. Das Beschwerdegericht schließt sich insoweit gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG der Begründung des Sozialgerichts an und weist die Beschwerde aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass das wortlose kurze Erscheinen des Antragstellers keine Erfüllung der Meldepflicht nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III ist.

Für die Arbeitsförderung nach SGB III wird teilweise vertreten, dass der Meldepflichtige nur ein persönliches Erscheinen schuldet (Niesel, SGB III, § 309 Rn. 18). Dem wird für die Grundsicherung für Arbeitsuchende teilweise widersprochen (Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 59 Rn. 13a). Der Zweck eines Meldetermins würde mit einem derartigen passiven Verständnis der Meldepflicht vereitelt werden und es wäre bei einem bloßen passiven Erscheinen eine völlige Entziehung oder Versagung der Leistung nach § 66 SGB I denkbar, während der Nichterscheinende nur mit einer in der Regel kleinen Absenkung rechnen müsste. Außerdem verträgt sich das passive Verständnis nicht mit dem ausgeprägten Grundsatz des Forderns in § 2 SGB II. Inwieweit das aktive Verständnis der Meldepflicht zu Abgrenzungsproblemen führt (mit welchen Aktivitäten ist der Meldepflicht genüge getan?), muss hier nicht entschieden werden. Das bloße wortlose Erscheinen zum Meldetermin entspricht einer völligen Verweigerung und ist wie ein Nichterscheinen zu werten.

Der Antragsteller legt scheinbar alle Energie in die Vermeidung einer Erwerbstätigkeit. Eigene Bemühungen unternimmt er nicht, Hilfestellungen der Antragsgegnerin untergräbt er. Er beharrt auf einer vermeintlichen Erwerbsminderung, obwohl das Gegenteil von unterschiedlichen Gutachtern bestätigt wurde. Er unterbindet damit auch denkbare Teilerfolge, wie eine Teilzeitbeschäftigung oder Eingliederungsmaßnahmen. Nach der vieljährigen Erwerbslosigkeit müsste der Antragsteller eventuell erst wieder an einen geregelten Arbeitsablauf gewöhnt werden.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die Beschwerde keinerlei Erfolgsaussicht hatte.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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