S 17 AS 1907/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
17
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 17 AS 1907/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern unter Abänderung des Bescheides vom 02.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2010 für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.05.2010 weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von 23,20 EUR monatlich zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger. 3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Kosten der Unterkunft für den Zeitraum von Januar bis Mai 2010. Im Streit ist insbesondere die Frage, welche Wohnfläche bei der Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft seit dem 01.01.2010 zu berücksichtigen ist.

Der Kläger zu 1.) und die Klägerin zu 2.) sind verheiratet und bilden mit ihrer minderjährigen Tochter, der Klägerin zu 3.) eine Bedarfsgemeinschaft. Sie stehen seit dem 01.06.20xx im Leistungsbezug nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch (SGB II). Seit dem 01.04.2007 bewohnen die Kläger eine Wohnung mit drei Zimmern, Küche, Diele, Bad und Speisekammer von insgesamt 83,31 m² im Stadtteil E.-M. Die Grundmiete der Wohnung betrug im streitgegenständlichen Zeitraum 388,20 EUR im Monat. Zusätzlich fielen eine Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 110 EUR monatlich sowie ein Betriebskostenabschlag von 128 EUR monatlich an.

Mit Schreiben vom 25.05.2007 wies die Beklagte darauf hin, dass die Miete für die Wohnung der Kläger unangemessen hoch, und zwar um 40,20 EUR zu hoch sei, und forderte die Kläger auf, die Kosten zu senken. Ab dem 01.06.2008 zahlte die Beklagte nur noch die angemessene Miete und legte ihrer Berechnung eine angemessene Grundmiete in Höhe von 348 EUR monatlich.

Am 12.11.2009 stellten die Kläger einen Fortzahlungsantrag, auf den die Beklagte mit Bescheid vom 02.02.2010 Leistungen in Höhe von insgesamt 1.349 EUR für Dezember 2009 und 1.329 EUR für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis zum 31.05.2010 bewilligte. Darin enthalten waren Kosten der Unterkunft in Höhe von 586 EUR, die zu gleichen Teilen auf die drei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgeteilt waren. Bei der Berechnung dieser Kosten setzte die Beklagte eine angemessene Grundmiete von 348 EUR monatlich sowie die vollen tatsächlichen Heiz- und Betriebskostenabschläge an.

Gegen diesen Bescheid legten die Kläger am 11.03.2010 Widerspruch ein mit der Begründung, die bewilligten Kosten der Unterkunft wären zu niedrig angesetzt. Seit dem 01.01.2010 wäre in Nordrhein-Westfalen für einen Drei-Personen-Haushalt eine angemessene Wohnfläche von 80 m² anzusetzen, da hierfür nunmehr die mit dem Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12.12.2009 erlassenen Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB) gelten würden. Die angemessene Grundmiete wäre also höher.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2010 zurück. Sie führte aus, dass für einen Drei-Personen-Haushalt eine Wohnfläche von 75 m² und ein Quadratmeterpreis von 4,64 EUR angemessen sei. Dabei legte sie zur Berechnung der Angemessenheit die Verwaltungsvorschriften des Landes Nordrhein-Westfalen zum Wohnungsbindungsgesetz (VV-WoBindG) vom 08.03.2002 in der geänderten Fassung vom 21.09.2009 zugrunde, nach denen für einen Drei-Personen-Haushalt eine Fläche von nur 75 m² als angemessen anzusehen ist. Auf diese Vorschriften wäre auch nach dem Erlass der WNB noch abzustellen.

Mit der fristgerecht erhobenen Klage vom 12.05.2010 wenden sich die Kläger gegen die Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft. Sie sind weiterhin der Ansicht, dass vorliegend eine Wohnfläche von 80 m² angemessen sei. Zur Begründung wiederholen sie die Argumentation aus dem Widerspruchsverfahren. Um die zutreffende angemessene Grundmiete für die Wohnung der Kläger zu ermitteln, müsse folglich der von der Beklagten als angemessen angesetzte Betrag von 348 EUR auf eine Wohnfläche von 80 m² umgerechnet werden, so dass die zutreffende angemessene Grundmiete 348 EUR: 75 m² x 80 m² = 371,20 EUR betrage.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verpflichten, unter Abänderung des Bescheides vom 02.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2010 den Klägern für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.05.2010 Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 609 EUR monatlich zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren. Es sei kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber für den Begriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 SGB II eine Dynamisierung vorgesehen habe. Daher sei nach wie vor auf die bisher geltenden Wohnflächengrößen aus den VV-WoBindG abzustellen, die der Gesetzgeber vor Augen gehabt habe. Mit diesem Argument stützt sie sich auf Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 29.04.2010 – L 9 AS 58/08.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid vom 02.02.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2010 war unter gleichzeitiger Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von höheren Kosten der Unterkunft aufzuheben im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 4 SGG. Danach ist ein Verwaltungsakt aufzuheben und zugleich eine Verurteilung zu einer Leistung vorzunehmen, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und auf die Leistungsgewährung ein Rechtsanspruch besteht. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Der Bescheid war rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben einen Anspruch auf Gewährung von um 23,20 EUR höherer Kosten der Unterkunft im Monat für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.05.2010.

Nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Kläger sind hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II und haben gemäß §§ 7 Abs. 1, 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II.

Nach § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, die erwerbsfähig sind, die hilfebedürftig sind und die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige) oder die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben. Die Kläger zu 1), zu 2) und zu 3) erfüllen die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 SGB II. Sie sind hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II, da sie ihren Lebensunterhalt nicht ausreichend aus eigenen Mitteln decken können. Hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 iVm § 9 Abs. 1 SGB II ist, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Kläger haben weder bedarfsdeckendes Einkommen noch Vermögen. Auch bestehen an der Erwerbsfähigkeit der Kläger zu 1.) und 2.) keine Zweifel.

Damit stehen ihnen gemäß § 22 Abs. 1 SGB II auch die tatsächlich aufgewandten Kosten der Unterkunft bis zur Höhe ihrer Angemessenheit zu. Vorliegend ist nur über die Kosten der Unterkunft zu entscheiden, da die Kläger den Streitgegenstand zulässigerweise darauf beschränkt haben (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, Rdnr. 18 – 23 bei Juris, BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R, Rdnr. 10 bei Juris).

Die Kläger haben einen Anspruch auf weitere Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 23,20 EUR für den Bewilligungszeitraum vom 01.01.2010 bis 31.05.2010 unter Berücksichtigung einer angemessenen Nettokaltmiete von 371,20 EUR statt der von der Beklagten für angemessen gehaltenen Nettokaltmiete in Höhe von 348 EUR.

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff ohne Beurteilungsspielraum in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 RN 22 a, BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R, Rdnr. 24, zitiert nach Juris). Nach ständiger Rechtsprechung ist die Angemessenheit zunächst abstrakt aus dem Produkt der angemessenen Wohnfläche und dem angemessenen Quadratmeterpreis zu bestimmen (sog. "Produkttheorie" vgl. dazu u.a. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R Rdnr. 19, 20, BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R, Rdnr. 15, zitiert nach Juris), Urteil vom 18.06.2008 - B 14/7b AS 44/06 R, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08). Sodann ist im Rahmen einer konkreten Angemessenheitskontrolle zu prüfen, ob eine bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war (c) (vgl. BSG vom 17.12.2009 – B 4 AS 50/09 R, Rdnr. 32, BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R Rdnr. 19, zitiert nach Juris).

Für einen Drei-Personen Haushalt ist ab dem 01.01.2010 eine Wohnfläche von 80 m² angemessen.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist nach Ansicht der Kammer die Angemessenheit der Wohnfläche im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II ab dem 01.01.2010 nicht mehr an Ziff. 5.71 der inzwischen außer Kraft getretenen Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz (VV WoBindG) zu messen, sondern an Ziff. 8.2 der mit dem Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12.12.2009 erlassenen Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB). Denn diese sind nach den Auslegungsgrundsätzen, die das BSG in ständiger Rechtsprechung für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der angemessenen Wohnfläche im Sinne des § 22 SGB II aufgestellt hat, die maßgeblichen landesrechtlichen Bestimmungen.

Das BSG stellt bei der Auslegung auf die Wohnungsgrößen, die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau gelten, ab und setzt damit die Auslegung der Angemessenheit durch die bisherige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung fort (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 19 m.w.N., BVerwG, Urteil vom 01.10.2992 – 5 C 28/89 Rdnr. 14, zitiert nach Juris). Dabei sollen diejenigen Vorschriften aus dem sozialen Mietwohnungsbau zur Anwendung kommen, die einen Zusammenhang herstellen zwischen der Wohnfläche und der Anzahl der in dieser Wohnung lebenden Personen (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R, Rdnr. 16 zur Ablehnung der Auslegung anhand der WFB, Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 26.01.2006). Diese waren bis zum 31.12.2009 in § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13.09.2001 (WoFG, BGBl I 2376) in Verbindung mit den landesrechtlichen Durchführungsbestimmungen zu finden (so schon BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 19, zitiert nach Juris). Bis zum 31.12.2009 war dies in Nordrhein-Westfalen Ziff. 5.71 VV WoBindG, auf die die Beklagte ihre Berechnung gestützt hat. Darin war für einen Drei-Personen-Haushalt eine Fläche von 75 m² vorgesehen.

Das BSG bestärkte diese Auslegungspraxis nochmals – allerdings nur aus Gründen der Praktikabilität – in seinem Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R. Darin kritisiert der entscheidende Senat, dass die vorangegangenen Entscheidungen des BSG nicht näher begründet hätten, warum sie zur Bestimmung der in § 22 Abs. 1 SGB II geforderten Angemessenheit bezüglich der Wohnungsgröße gerade auf § 10 WoFG zurückgegriffen hätten. Es sei nämlich nicht klar, nach welchen Aspekten die Länder Wohnungsgrößen gemäß § 10 WoFG festlegen und welche Zwecke sie damit verfolgten. Damit stünde auch nicht fest, ob der mit der Angemessenheitsprüfung verbundene Zweck im Rahmen des § 22 SGB II mit den Zwecken des WoFG nebst Ausführungsbestimmungen der Länder weitgehend übereinstimmt. Überdies sei es problematisch, dass eine bundesrechtlich einheitlich zu handhabende Regelung des SGB II unterschiedliche landesrechtliche Angemessenheitsgrenzen vorlägen. Trotz dieser Kritik und dieser Bedenken hält das BSG auch weiterhin aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit an der bisherigen Auslegung fest (BSG, aaO, Rdnr. 15 – 18, zitiert nach Juris).

Zum 01.01.2010 ist im Zuge der Föderalismusreform mit dem Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG-NRW, Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Föderalismusreform im Wohnungswesen vom 08.12.2009) das WoFG in Nordrhein-Westfalen abgelöst worden. Zum Vollzug dieses Gesetzes sind zum gleichen Tag mit dem Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12.12.2009 Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB) in Kraft getreten, die die bisherigen VV WoBindG ersetzen (Nr. 19 Satz 2 WNB). Die WNB legen als Grenze für die Angemessenheit in Ziff. 8.2 WNB für eine alleinstehende Person 50 m², für einen Zwei-Personen Haushalt 65 m² und für jede weitere haushaltsangehörige Person weitere 15 m² fest. Für einen Drei-Personen Haushalt ergibt sich danach eine Wohnfläche von 80 m².

Nach Ansicht der Kammer ist mit dem Inkrafttreten der WNB die zuvor geltende Angemessenheitsgrenze aus den VV WoBindG durch die nunmehr geltenden höheren Flächenzahlen der WNB abgelöst worden (ebenso SG Aachen, Urteil vom 17.11.2010 - S 5 AS 910/10 und Urteil vom 11.08.2010 - S 4 AS 577/10, SG Duisburg, Urteil vom 05.11.2010 - S 31 AS 2269/10, veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Daher ist der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit im Sinne des § 22 SGB II nunmehr anhand der Wohnflächen der WNB auszulegen. Denn Nr. 8.2 WNB konkretisiert ebenso wie vorher die Nr. 5.71 VV WoBindG die gesetzliche Vorschrift, die die im Wohnberechtigungsschein anzugebende Wohnungsgröße für den Wohnungssuchenden regelt (§ 18 Abs. 2 WFNG NRW bzw. vormals § 27 Abs. 4 WoFG). Da die WNB in Ziff. 8.2 die Wohnungsgrößen in Zusammenhang mit den darin lebenden Personen stellen, sind sie nunmehr der oben dargestellten Rechtsprechung des BSG folgend für die Auslegung des § 22 SGB II heranzuziehen (auf die jeweils aktuell gültige landesrechtliche Bestimmung abstellend auch BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 70/08 R Rdnr. 15 für das Land Sachsen, ebenso auch bereits BVerwG, Urteil vom 01.10.1992 – 5 C 28/89 Rdnr. 14, zitiert nach Juris).

Sofern das LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 29.04.2010 - L 9 AS 58/08 die Auffassung vertreten hat, die bis zum 31.12.2009 geltenden Wohnflächengrößen der VV WoBindG seien auch weiterhin gültiger Auslegungsmaßstab, folgt die Kammer dem nicht. Das LSG hatte über einen vor dem 01.01.2010 liegenden Zeitraum zu entscheiden, so dass seine Feststellungen zu den ab dem 01.01.2010 anzuwendenden Wohnflächen in Form eines obiter dictum ausgesprochen wurden. Das LSG argumentiert in der o.g. Entscheidung, dass der Gesetzgeber beim Erlass des SGB II im Hinblick auf die Angemessenheit der Wohnflächen die damalige Situation vor Augen gehabt und eine Dynamisierung nicht bezweckt habe. Auch aus den Regelungszielen des SGB II (u.a. Grundversorgung der Leistungsberechtigten mit Wohnraum) würden sich keine Anhaltspunkte für eine Dynamisierung ergeben (LSG, aaO, Rdnr. 27 - zitiert nach Juris). Zwar ist auch die Kammer der Auffassung, dass es sich bei der Angemessenheit der Wohnfläche nicht unbedingt um eine Größe handelt, die häufigen Schwankungen unterliegt und daher dynamisch gehalten werden müsste. Doch da auch für die Erteilung des Wohnberechtigungsscheines die als angemessen anzusetzende Fläche nicht statisch blieb, sieht die Kammer keinen Grund dafür, dass diese Entwicklung dann nicht auch im Rahmen des § 22 SGB II gelten soll. Der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wohnt es inne, dass Veränderungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit im Wege der Auslegung Einzug in die jeweilige Norm halten. Es ist nicht ersichtlich, wieso im Rahmen des SGB II die Wohnfläche statisch sein soll, während sie dies im Rahmen des Wohnberechtigungsscheines nach dem Willen des Gesetz- und Verordnungsgebers nicht ist. Überdies ist angesichts der ausgesprochen knappen Regelung zur Höhe der Unterkunftskosten in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II und der ausdrücklichen Aufnahme einer Satzungsermächtigung zur näheren Ausgestaltung dieser Frage in § 27 SGB II nach Ansicht der Kammer davon auszugehen, dass der Gesetzgeber beim Erlass des SGB II gerade keinen statischen Wert festlegen wollte bzw. sich zumindest nicht näher mit dieser Frage auseinandergesetzt hat (so auch SG Aachen, Urteil vom 17.11.2010 – S 5 AS 910/10, SG Aachen, Urteil vom 11.08.2010 - S 4 AS 577/10, SG Duisburg, Urteil vom 05.11.2010 - S 31 AS 2269/10, veröffentlicht unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Als zweiter Faktor im Rahmen der Produkttheorie ist der angemessene Wohnungsstandard zu bestimmen, der sich im Quadratmeterpreis niederschlägt. Die Beklagte hat zu Recht den angemessenen Quadratmeterpreis für eine Netto-Kaltmiete für einen Drei-Personen Haushalt im Gebiet der Stadt Essen mit 4,64 EUR angesetzt. Sofern sich – wie vorliegend – nicht näher nachvollziehen lässt, wie die Beklagte den angesetzten Quadratmeterpreis ermittelt hat, ist es ausreichend, wenn sich das Ergebnis der Beklagten mithilfe eines qualifizierten Mietspiegels verifizieren lässt (entschieden für die Stadt Essen, SG Duisburg, Urteil vom 23.04.2008 – S 27 AS 154/07, bestätigt durch LSG NRW, Urteil vom 16.02.2009 – L 19 AS 62/08, und durch BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R Rdnr. 18).

Der Wohnungsstandard fließt regelmäßig in den Quadratmeterpreis ein und setzt sich zusammen aus verschiedenen Faktoren wie Ausstattung, Lage und Bausubstanz. Der Wohnungsstandard ist dann angemessen, wenn er einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und nicht gehoben ist. Demzufolge ist ein Quadratmeterpreis dann angemessen, wenn er im unteren Segment der nach der Größe in Betracht kommenden Wohnungen liegt, in dem räumlichen Bezirk, der den Vergleichsmaßstab bildet (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 20, zitiert nach Juris). Mit diesen Vorgaben hat die Beklagte auf der Grundlage eines überprüfbaren, schlüssigen Konzepts zur Datenerhebung und –auswertung unter Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze den angemessenen Quadratmeterpreis zu berechnen (BSG, Urteil vom 22.09.2009 – B 4 AS 18/09 R, 1. Leitsatz).

Die Kammer hält den von der Beklagten angelegten Quadratmeterpreis von 4,64 EUR für noch angemessen. Denn dieser Wert liegt im unteren, nicht aber untersten Segment des Essener Mietspiegels und lässt sich aus dem Essener Mietspiegel 2009 (beschlossen am 01.12.2009) anhand der von LSG und BSG (aaO) bestätigten Berechnungsmethode errechnen.

Als räumlicher Vergleichsmaßstab ist in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen maßgeblich (BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 20, 21). Bei dem Vergleichsraum muss es sich um einen ausreichend großen Raum der Wohnbebauung handeln, der auf Grund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur und insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit einen homogenen Lebens- und Wohnbereich darstellt (BSG, Urteil vom 19.02.2009 – B 4 AS 30/08 R, Rdnr. 20, 21). Dies trifft auf die Stadt Essen in ihren kommunalverfassungsrechtlichen Grenzen zu.

Nach dem Essener Mietspiegel 2009 bildet sich der Mietwert als Produkt aus drei Faktoren: dem Mietrichtwert (Preis abhängig vom Baujahr des Gebäudes), dem Einfluss der Wohnlage sowie sonstiger Ausstattungsmerkmale und Gegebenheiten (wobei für die letzten beiden Faktoren jeweils Punktwerte vergeben werden). Für den Mietrichtwert ist davon auszugehen, dass grundsätzlich Neubauwohnungen bis zu einem Alter von ca. 20 Jahren nicht angemessen sind (BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 27/09 R Rdnr. 29, zitiert nach Juris). Die Kammer hat daher die Werte der Jahre 1912 bis einschließlich 1994 zugrundegelegt und einen durchschnittlichen Mietrichtwert von 5,76 EUR errechnet (5,25 EUR + 5,40 EUR + 5,60 EUR + 5,70 EUR + 5,75 EUR + 6,15 EUR + 650 EUR: 7 Vergleichsgruppen). Hinsichtlich des Einflusses der Wohnlage folgt die Kammer der oben genannten Rechtsprechung für die Stadt Essen und hält den oberen Punktwert für einfache Wohnlagen (0,94), sowie den vom Sozialgericht Duisburg im Urteil vom 23.04.2008 angelegten Wert in Bezug auf sonstige Ausstattungsmerkmale in Höhe von 0,84 für ausreichend. Den von der Kammer ermittelten Quadratmeterpreis bildet das Produkt aus diesen Faktoren: 5,76 EUR x 0,84 x 0,94 = 4,54 EUR. Dieser Wert bildet die Untergrenze der angemessenen Referenzmiete, da in diesen Wert überwiegend auf einer einfachen Ausstattung beruhende Ausstattungsfaktoren eingeflossen sind. Bei einigen Ausstattungsmerkmalen könnten jedoch – so das BSG – bei einigen Merkmalen auch der überwiegend mittlere Standard zugrundegelegt werden, was sich vor allem bei "ökologischen" Faktoren zeige. (vgl.BSG aaO Rdnr. 29) Soweit der von der Beklagten angesetzte Wert also über dem von der Kammer errechneten Wert liegt, ist er also nicht zu beanstanden. Der von der Beklagten angesetzte Wert von 4,64 EUR liegt damit im unteren aber nicht untersten Bereich des Mietspiegels. Der höchstmögliche Quadratmeterpreis für die gewählte Baualtersklasse liegt mit Einbeziehung sehr guter Wohnlagen und gehobener Ausstattungsmerkmale bei 5,76 EUR x 1,17 (Wohnlage) x 1,25 (Ausstattung) = 8,42 EUR. Der niedrigste Quadratmeterpreis liegt bei 5,76 EUR x 0,91 (Wohnlage) x 0,77 (einfachste Ausstattung) = 4,03.

Nach der Ermittlung der abstrakten Angemessenheit ist im Rahmen einer konkreten Angemessenheitsprüfung festzustellen, ob im fraglichen Zeitraum entsprechende Wohnungen, die den festgestellten abstrakten Angemessenheitskriterien genügen, am Wohnort bzw. im zumutbaren Umzugsbereich grundsätzlich zur Verfügung standen.

Nach den Erkenntnissen aus den bereits in Bezug genommenen und für die Stadt Essen ergangenen Entscheidungen ist ohne weiteres davon auszugehen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum in der Stadt Essen angemessener Wohnraum in ausreichender Zahl zur Verfügung stand, so dass auch eine "konkrete" Angemessenheit im oben genannten Sinne angenommen werden kann. Auch hier ist der räumliche Maßstab das gesamte Stadtgebiet von Essen und nicht nur der Stadtteil, in dem die derzeitige Wohnung der Kläger liegt (BSG, Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R, Rdnr. 32).

Überdies erfolgte auch seitens der Kläger – im Sinne der im Rahmen der konkreten Angemessenheitsprüfung bestehenden wechselseitigen Darlegungslast (SG Duisburg, Urteil vom 23.04.2008 – S 27 AS 154/07 Rdnr. 66, zitiert nach Juris) kein substantiierter Vortrag dahingehend, dass eine andere bedarfsgerechte, kostengünstigere Unterkunft auf dem örtlichen Wohnungsmarkt trotz ernsthafter und intensiver Bemühungen nicht vorhanden war. Das Gericht hat vor diesem Hintergrund auch keinen weiteren Ermittlungsbedarf gesehen.

Ausgehend von einer als angemessen anzusetzenden Wohnfläche von 80 m² und einem Quadratmeterpreis von 4,64 EUR ergibt sich eine angemessene monatliche Grundmiete von 371,20 EUR.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG, denn die Frage, ob die Auslegung der Angemessenheit im Sinne des § 22 SGB II anhand der WNB zu erfolgen hat, hat nach Ansicht der Kammer grundsätzliche Bedeutung. Überdies ist die Kammer von einer in Form eines obiter dictum ausgesprochenen Rechtsmeinung des LSG NRW abgewichen.
Rechtskraft
Aus
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