S 17 AS 334/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Neuruppin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
17
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 17 AS 334/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Die einschneidenden Folgen des Sanktionenrechts im Bereich der existenzsichernden Leistungen haben zur Folge, an die Vereinbarung von Pflichten eben solch strenge Maßstäbe anzulegen wie an die Belehrung über die Folgen möglicher Pflichtverletzungen. Insoweit genügt die Bezeichnung einer Maßnahme nur im Rahmen der Zustimmung des Leistungsträgers zur Durchführung ohne Vereinbarung einer korrespondierenden Verpflichtung des Leistungsempfängers nicht.

2. Eine wirksame Vereinbarung der Verpflichtung zur Teilnahme an einer Maßnahme ist nicht schon dann anzunehmen, wenn der Leistungsempfänger offensichtlich selber davon ausgegangen ist, zum Antritt der Maßnahme verpflichtet gewesen zu sein. Eine konkludente Verpflichtung zur Teilnahme durch Antritt der Maßnahme scheidet aus, wenn sich aus dem Verhalten des Leistungsberechtigten ein hinreichender Erklärungswert nicht ableiten lässt.
1. Der Bescheid des Beklagten vom 30. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Februar 2010 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen einen Sanktionsbescheid und die damit im Zusammenhang stehende Absenkung der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II).

1. Die Klägerin bezieht bereits länger Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs, letztmalig bewilligt durch Bescheid vom 20. August 2009. Sie schloss unter dem 12. November 2009 eine Eingliederungsvereinbarung ab. Unter "II. Leistungen und Pflichten der Vertragsparteien" wurde zu "1. Leistungen des Trägers der Grundsicherung" unter c. die "Zustimmung zur Durchführung einer Maßnahme gemäß § 16 d Satz 2 SGB II" niedergelegt. Die Maßnahme wird dabei nach Träger, Zeitraum, Inhalt, Ort und Aufwandsentschädigung näher bezeichnet. Zu "2. Pflichten der/des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen" wurde zu a. die Verpflichtung festgehalten, "Wahrnehmen von Vorstellungsterminen bei Arbeitgebern ..." und zu b. "Wahrnehmen von Terminen (16.11.2009 um 8:00 Uhr ...) ...".

Die Klägerin trat am 16. November 2009 die Maßnahme an und brach sie am 18. November 2009 ab. Über den Hintergrund des Abbruchs und die Berechtigung der Klägerin dafür besteht zwischen den Beteiligten Streit. Der Beklagte verfügte mit Bescheid vom 30. November 2009:

"Für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.03.2010 wird das Ihnen bewilligte Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 % der für Sie maßgebenden Regelleistung abgesenkt. Insofern ändere ich den zugrunde liegenden Bewilligungsbescheid vom 20.08.2009 über Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II dergestalt, dass Sie für den o. g. Zeitraum monatlich Leistungen in Höhe von 762,90 EUR erhalten."

Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 2. Dezember 2009 wurde durch Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 2010 zurückgewiesen.

2. Mit der am 9. März 2010 bei dem Sozialgericht Neuruppin erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen den Sanktionsbescheid und beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Februar 2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

und verweist auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide, an denen er festhält.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakte des Beklagten, die zum Gegenstand des Verfahrens gemacht worden ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch sonst zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.

a) Die Absenkung der Leistungen im Wege einer Sanktion gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 c) SGB II kann bereits aus formalen Gründen keinen Bestand haben. Sanktionsfähig ist eine Pflichtverletzung nur, wenn über die Rechtsfolgen einer Pflichtverletzung konkret, verständlich, richtig und vollständig belehrt worden ist (st. Rspr., siehe etwa Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Dezember 2010 - B 14 AS 92/09 R - [juris], m. w. N.). Denklogisch vorrangig ist jedoch die wirksame Vereinbarung der in Frage stehenden Pflichten, an der es nach Überzeugung des Gerichts vorliegend fehlt. Zwar ist die Maßnahme und ihre Ausgestaltung (Bezeichnung, Dauer, Einsatzzeitraum, Art der Tätigkeit, Träger der Maßnahme, Wochenarbeitszeit und Höhe der Aufwandsentschädigung) formal in die Eingliederungsvereinbarung vom 12. November 2009 aufgenommen worden. Auch hat der Beklagte seine Zustimmung zur "Durchführung" erklärt. Es fehlt aber an der Vereinbarung einer korrespondierenden Verpflichtung der Klägerin. Diese ergibt sich jedenfalls nicht aus dem Unterabschnitt "2. Pflichten der/des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen". Die dort enthaltenen Verpflichtungen beziehen sich nur auf die Wahrnehmung von "Vorstellungsterminen bei Arbeitgebern" bzw. auf das "pünktliche Erscheinen bei Terminen beim Träger der Grundsicherung". Soweit eigenständig die Wahrnehmung eines Termins am 16. November 2009 - mithin wohl dem Beginn der Maßnahme - vereinbart wurde, folgt daraus keine Verpflichtung der Klägerin für die Teilnahme an der Maßnahme auch an anderen Tagen. Es steht zwischen den Beteiligten außer Streit, dass die Klägerin am 16. November 2009 zunächst die Tätigkeit aufgenommen hat.

Die einschneidenden Folgen des Sanktionenrechts im Bereich der existenzsichernden Leistungen haben zur Folge, an die Vereinbarung von Pflichten eben solch strenge Maßstäbe anzulegen wie an die Belehrung über die Folgen möglicher Pflichtverletzungen. Insoweit hält das Gericht es nicht für ausreichend, dass die Klägerin offensichtlich selber davon ausgegangen ist, zum Antritt der Maßnahme verpflichtet gewesen zu sein. Maßgeblich kann nur eine wirksam vereinbarte Verpflichtung sein. Auch eine - jedenfalls denkbare - konkludente Verpflichtung zur Teilnahme durch Antritt der Maßnahme scheidet aus. Insoweit lässt sich aus dem Verhalten der Klägerin ein hinreichender Erklärungswert nicht ableiten.

b) Da es wegen der Rechtswidrigkeit der Sanktion an einem tatbestandlichen Anknüpfungspunkt für eine Teilaufhebung der bereits bewilligten Leistungen (§ 48 Zehntes Buch des Sozialgesetzbuchs) mangelt, erweist sich auch die Teilaufhebung der Leistungen als rechtswidrig. Das Gericht lässt daher offen, ob der Aufhebungstenor mit Bezug auf den Bewilligungsbescheid vom 20. August 2009 aus anderen Gründen überhaupt Bestand haben kann; der Beklagte hatte die Grundsätze der Individualisierung für die Aufhebungsentscheidung zu beachten.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

3. Die Berufung ist unzulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 EUR nicht übersteigt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung war auch nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne des § 144 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtsmittelbelehrung:
( ...)

L
Richter am Sozialgericht
Rechtskraft
Aus
Saved