L 6 AS 413/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 16/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 413/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 98/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revigsion d.Kl. mit Urteil vom 14.03.12 zurückgewiesen
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.02.2010 geändert und die Klage abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des der Klägerin zu gewährenden Arbeitslosengeldes II nach dem Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) im Zeitraum vom 01.09. bis 31.12.2007. Konkret ist umstritten, ob die Versicherungspauschale bei der unterhaltsberechtigten Klägerin leistungserhöhend wirkt.

Die Klägerin bezieht gemeinsam mit ihren beiden Kindern Leistungen nach dem SGB II. Sie hat einen titulierten Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann über 550 Euro monatlich, der im Voraus bis zum 03. eines jeden Monats zu zahlen ist (Urteil des Amtsgerichts O vom 29.05.2002). Dieser Verpflichtung kam der geschiedene Ehemann zwar laufend und vollständig nach, allerdings erfolgten die Zahlungen in einem Zeitfenster von Monatsanfang bis Monatsmitte. Der Unterhalt wurde vom Beklagten zunächst als eigenes Einkommen der Klägerin abzüglich der Versicherungspauschale von 30 Euro berücksichtigt. Wegen der Unregelmäßigkeit der Unterhaltszahlungen gewährte er der Klägerin verschiedentlich Leistungen ohne Unterhaltsanrechnung, musste dann nach Eingang der Zahlungen die zwischenzeitlichen (Änderungs-)Bescheide wieder korrigieren. Im September 2007 teilte der Beklagte dem geschiedenen Ehemann der Klägerin mit, dass die Unterhaltszahlungen nunmehr an ihn zu erfolgen hätten, weil der Unterhaltsanspruch übergegangen sei. Dem kam der geschiedene Ehemann der Klägerin im Folgezeitraum nach.

Mit Bescheid vom 02.08.2007 änderte der Beklagte frühere Leistungsbescheide vom 26.06.2007 und 17.07.2007 ab. Er gewährte der Klägerin und ihren Kindern für den Zeitraum von September bis Dezember 2007 nunmehr Leistungen ohne Anrechnung von Unterhalt. Bei der Ermittlung des Hilfebedarfs ließ er die Versicherungspauschale außer Betracht. Den Widerspruch, der sich gegen die Nichtberücksichtigung der Pauschale richtete, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2007 zurück.

Die Klägerin hat am 17.01.2010 Klage beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben und beantragt, ihr ab September 2007 eigenes Einkommen in Form von Unterhalt zuzurechnen und dabei eine Einkommensbereinigung in Höhe von 30,00 Euro Versicherungspauschale vorzunehmen.

Angesichts regelmäßiger Zahlungen des geschiedenen Ehemannes der Klägerin hat der Beklagte zugestimmt, dass der Unterhalt ab dem 01.08.2008 wieder direkt an die Klägerin gezahlt wird. Entsprechend hat er Grundsicherungsleistungen wieder unter Berücksichtigung des Unterhalts als Einkommen unter Abzug der Versicherungspauschale berechnet.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 09.02.2010 stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, der Klägerin für die Zeit von September bis Dezember 2007 weitere 30,00 Euro monatlich zu gewähren. Zwar sei der Anspruch gegen den geschiedenen Ehemann im streitigen Zeitraum zu Recht gem. § 33 SGB II auf den Beklagten übergegangen, so dass die Klägerin kein Einkommen erzielt habe. Es sei aber geboten, die § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II iVm § 3 Nr. 1 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) in der Fassung vom 20.10.1994, BGBl I S. 2622, Geltungsdauer: 01.01.2005 bis 31.12.2007) analog anzuwenden. Es liege eine Regelungslücke vor, da das SGB II nicht auch die Anwendung der Einkommensanrechnungsvorschriften für nach § 33 SGB II auf den Leistungsträger übergegangene Ansprüche vorsehe. Es handele sich auch um eine planwidrige Lücke, da der Gesetzgeber es schlicht übersehen habe, diesen Fall zu regeln. Die Gesetzesmaterialien ließen nicht erkennen, dass er den Leistungsempfänger bei Anspruchsübergang bewusst habe schlechter stellen wollen. Aus Sicht des betroffenen Leistungsempfängers hänge es nur vom Zufall ab, ob der Schuldner an ihn zu leisten habe, was zu einer Bereinigung des Einkommens führe, oder ob der Anspruch auf den Leistungsträger übergegangen sei. Die Interessenlage in beiden Sachverhalten sei gleich und kein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung ersichtlich.

Gegen das ihm am 23.02.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 16.03.2010 Berufung eingelegt. Die Vorschrift des § 11 SGB II i.V.m. § 3 Nr. 1 der Alg II-VO a.F. sei nicht anwendbar, da die Klägerin mit dem Forderungsübergang kein Einkommen mehr erzielt habe. Die Versicherungspauschale könne nicht über eine analoge Anwendung der Alg II-VO angerechnet werden, sie könne allenfalls bei der Berechnung des Forderungsübergangs berücksichtigt werden. Es ergebe sich dann ggf. ein weiterer Unterhaltsanspruch der Klägerin oder ein Anspruch des Unterhaltsverpflichteten gegen den Beklagten in Höhe von 30,00 Euro monatlich. Im Übrigen hänge es nicht vom Zufall ab, ob der Anspruch übergehe. Vielmehr habe es der Klägerin freigestanden, die rechtzeitige Erfüllung der Verpflichtungen bei ihrem geschiedenen Ehemann anzumahnen und ggf. auf zivilrechtlichem Weg durchzusetzen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.02.2010 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.

Der Beklagte ist mit der Bezeichnung Jobcenter gemäß § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisher beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten. Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen.

Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid vom 02.08.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.09. bis 31.12.2007.

Die von der Klägerin begehrte Anrechnung der Versicherungspauschale gem. § 3 Nr. 1 Alg II-V a. F. findet nach dem ausdrücklichen und nicht weiter auslegungsfähigen Wortlaut der Vorschrift sowie der dieser zugrunde liegenden Ermächtigungsgrundlage des § 13 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nur dann Anwendung, wenn Einkommen erzielt wird. Als Einkommen zu berücksichtigen sind gem. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Nach der vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung vertretenen modifizierten Zuflusstheorie ist Einkommen all das, was jemand in der sog. Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält (z.B. BSG, Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 29/07 R Rn 18 in BSGE 101, 291 ff.; Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 57/07 R Rn 18 in SozR 4-4200 § 11 Nr. 16; Urteil vom 30.07.2008, B 14/7b AS 12/07 R Rn 20; Urteil vom 30.07.2008, B 14 AS 26/07 R Rn 23 in SozR 4-4200 § 11 Nr. 17). Dabei fließen geldwerte Leistungen grundsätzlich dann zu, wenn ein tatsächlicher Zufluss erfolgt, soweit nicht rechtlich ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt wurde (Brühl in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 11 Rn 7). In der Zeit vom 01.09. bis 31.12.2007 ist der Klägerin kein Unterhalt als Einkommen zugeflossen. Die Unterhaltszahlungen ihres geschiedenen Ehemannes sind unmittelbar an den Beklagten und in keinem Monat des streitigen Leistungszeitraums an die Klägerin selbst gegangen.

Dahinstehen bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob der Beklagte im Zeitpunkt der Zahlung des geschiedenen Ehemannes der Klägerin bereits Gläubiger des Unterhaltsanspruchs war oder ob dem vom Sozialgericht angenommenen Anspruchsübergang des § 33 Abs. 1 S. 1 SGB II die Vorschrift des § 33 Abs. 2 S. 1 SGB II entgegenstand. Die Frage bedarf hier keiner Entscheidung, da der Klägerin in beiden Fällen keine Leistungen zugeflossen sind. Denn entweder war die Klägerin dann nicht einmal mehr Inhaberin des Unterhaltsanspruchs oder ihr geschiedener Ehemann hat - wenn oder soweit ein Anspruchsübergang nicht stattgefunden hat - an einen vermeintlichen, aber falschen Gläubiger gezahlt, dies mit der Folge, dass der Anspruch der Klägerin insoweit noch offen wäre.

Ohne den Zufluss von Einkommen ist § 3 Nr. 1 Alg II-V a. F. nicht anwendbar mit der Folge, dass die Pauschale zugunsten der Klägerin nicht berücksichtigt werden kann. Dieses Ergebnis kann weder durch richterliche Rechtsfortbildung im Rahmen einer analogen Anwendung der Alg II-V noch durch eine über den Wortlaut hinausgehende verfassungskonforme Auslegung des § 11 SGB II i.V.m. der Alg II-V korrigiert werden.

Soll eine Vorschrift analog angewendet werden, ist Voraussetzung hierfür eine gesetzesimmanente Lücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelungen, die Sinn und Zweck sowie den Absichten des Gesetzgebers widerspricht (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 28.07.2010, 1 BvR 2133/08 Rn 8; Beschluss vom 03.04.1990, 1 BvR 1186/89 Rn 23 in BVerfGE 82, 6 ff; BSG, Urteil vom 25.02.2010, B 10 LW 1/09 R in Breithaupt 2010, 952 ff.). Ob eine planwidrige Lücke innerhalb des Regelungszusammenhangs eines Gesetzes - im Sinne eines Fehlens rechtlicher Regelungsinhalte dort, wo sie für bestimmte Sachverhalte erwartet werden - anzunehmen ist, bestimmt sich ausgehend von der gesetzlichen Regelung selbst, den ihr zugrunde liegenden Regelungsabsichten, den verfolgten Zwecken und Wertungen, auch gemessen am Maßstab der gesamten Rechtsordnung (BSG, Urteil vom 18.01.2001, B 4 AS 108/10 R Rn 24). Das Begehren der Klägerin, von der Versicherungspauschale auch dann zu profitieren, wenn sie tatsächlich kein Einkommen in Form einer Unterhaltszahlung erzielt, findet in der gesetzgeberischen Gesamtregelung keine Stütze. Ein Wille des Gesetzgebers, Hilfebedürftigen eine Pauschale für Versicherungsleistungen generell leistungserhöhend zuzurechnen, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist diese Pauschale ausdrücklich (lediglich) als Absetzfaktor bei der Berücksichtigung von Einkommen zur Verfügung gestellt worden (vgl. auch BSG, Urteil vom 21.12.2009, B 14 AS 42/08 R Rn 28 in BSGE 105, 201 ff.). Wollte der Gesetzgeber aber nur Regelungen zu Absetzbeträgen bei Einkommenserzielung treffen, so liegt keine planwidrige Lücke vor, wenn solche Absetzbeträge bei fehlender Einkommenserzielung nicht zum Tragen kommen.

Die Klägerin kann die gewünschte Anrechnung der Versicherungspauschale auch nicht durch eine über den Wortlaut der Vorschrift des § 11 SGB II i.V.m. § 3 Alg II-V a.F. hinausgehende sog. verfassungskonforme Auslegung erreichen.

Eine verfassungskonforme Auslegung einer einfachgesetzlichen Vorschrift ist dann zulässig und geboten, wenn damit ein Verstoß der Norm gegen Verfassungsrecht vermieden werden kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.04.2004, 1 BvR 1372/98 Rn 26 in SozR 4-5868 § 85 Nr. 3). Es ist dann legitime richterliche Aufgabe, den Sinn einer Gesetzesbestimmung aus ihrer Einordnung in die gesamte Rechtsordnung zu erforschen, ohne am Wortlaut des Gesetzes zu haften (BVerfG, Beschluss vom 23.10.1958, 1 BvL 45/56 Rn 28 in BVerfGE 8, 210 ff.). Der Respekt vor der gesetzgebenden Gewalt (Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz - GG) fordert dabei eine Auslegung, die die prinzipielle Zielsetzung des Gesetzgebers wahrt. Die Deutung darf nicht dazu führen, dass das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.12.2010, 1 BvR 2760/08 Rn 16; Beschluss vom 21.12.2010, 1 BvR 2742/08 Rn 16; Beschluss vom 16.11.2010, 2 BvL 12/09 Rn 104; Beschluss vom 12.03.2008, 2 BvF 4/03 Rn 140 in BVerfGE 121, 30 ff.; Beschluss vom 14.12.1999, 1 BvR 1327/98 Rn 52 in BVerfGE 101, 312 ff.; Beschluss vom 22.10.1985, 1 BvL 44/83 Rn 56 in BVerfGE 71, 81 ff; Beschluss vom 30.06.1964, 1 BvL 16/62 Rn 50 in BVerfGE 18, 97 ff.; Beschluss vom 11.06.1958, 1 BvL 149/52 Rn 29 in BVerfGE 8, 28 ff.). Unzulässig ist dementsprechend eine Interpretation contra legem, durch die einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz ein entgegengesetzter Sinn gegeben würde, weil das Gericht dann in verfassungsrechtlich unhaltbarer Weise in die Kompetenzen des Gesetzgebers eingriffe (BVerfG, Beschluss vom 23.10.1958, 1 BvL 45/56 Rn 28 in BVerfGE 8, 210 ff).

Es begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Versicherungspauschale bei Unterhaltsberechtigten, denen der Unterhalt nicht selbst ausgezahlt wird, nicht berücksichtigt wird. Dies verstößt weder gegen den Gleichheitsgrundsatz noch gegen das Sozialstaatsgebot.

Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt für ungleiche Belastungen und ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010, 1 BvL 14/09 Rn 44 in MDR 2010, 1452 ff; Beschluss vom 21.07.2010, 1 BvR 611/07 Rn 78 in NJW 2010, 2783 ff.; Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 m.w.N. in BVerfGE 78, 104 ff.). Die aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grenzen sind überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (Beschluss vom 21.07.2010, 1 BvR 611/07 Rn 83 in NJW 2010, 2783 ff.; Beschluss vom 22.05.2003, 1 BvR 452/99 Rn 17 in FamRZ 2003, 1084 ff.; Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92 Rn 63 in BVerfGE 99, 165 ff.; Beschluss vom 12.03.1996, 1 BvR 609/90 Rn 54 in BVerfGE 94, 241 ff.).

Die von der Klägerin gerügte Ungleichbehandlung von Unterhaltsberechtigten, die die Unterhaltsleistungen direkt vom Unterhaltsschuldner ausgezahlt bekommen gegenüber denjenigen Unterhaltsberechtigten, bei denen der Unterhaltsschuldner an den Leistungsträger zahlt, ist nicht im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG ungerechtfertigt.

Tatsächlich erfolgt nach der gesetzgeberischen Regelung eine Ungleichbehandlung dieser Personengruppen. Vergleichbar sind die Personengruppen insofern, als bei beiden zunächst ein Anspruch auf Unterhaltszahlungen besteht. Die Differenzierung erfolgt dann mittelbar wegen des Umstandes, dass in einem Fall Unterhaltsleistungen unmittelbar an den Unterhaltsberechtigten gezahlt werden und im anderen Fall nicht.

Auch bei vergleichbaren Tatbeständen verbietet der allgemeine Gleichheitssatz nicht jegliche Differenzierung. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitsgrundsätze reichen (BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010, 1 BvL 14/09 Rn 45 in MDR 2010, 1452 ff; Beschluss vom 21.07.2010, 1 BvR 611/07 Rn 79 in NJW 2010, 2783 ff.; Beschluss vom 16.09.2009, 1 BvR 2275/07 Rn 38 in NVwZ-RR 2009, 985 ff.). Insbesondere bei der - wie hier - gewährenden bzw. darreichenden Staatstätigkeit ist dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zuzuerkennen (BVerfG, Beschluss vom 22.05.2003, 1 BvR 452/99 Rn 17 in FamRZ 2003, 1084 ff.; Beschluss vom 14.03.2001, 1 BvR 1931/96 Rn 29; Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92 Rn 63 in BVerfGE 99, 165 ff.; Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.; Beschluss vom 13.01.1982, 1 BvR 848/70 Rn 67 in BVerfGE 59, 231 ff.), weil sozialpolitische Entscheidungen grundsätzlicher Art zu treffen sind (BVerfG, Beschluss vom 22.05.2003, 1 BvR 452/99 Rn 17 in FamRZ 2003, 1084 ff.). Hier obliegt den Gerichten größte Zurückhaltung, dem Gesetzgeber über den Gleichheitssatz zusätzliche Leistungsverpflichtungen aufzuerlegen (BVerfG, Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.).

Dem Umfang des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums entspricht die Kontrolldichte richterlicher Überprüfung: ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nur dann festzustellen, wenn die Unsachlichkeit einer Differenzierung evident ist (BVerfG, Beschluss vom 16.09.2009, 1 BvR 2275/07 Rn 38 in NVwZ-RR 2009, 985 ff.), d.h. wenn für die gesetzliche Unterscheidung kein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund vorliegt und die Regelung damit als willkürlich angesehen werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.11.2008, 1 BvL 3/05 Rn 73 in BVerfGE 122,151 ff.; Beschluss vom 15.03.2000, 1 BvL 16/96 Rn 72 in BVerfGE 102, 68 ff; Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92 Rn 63 in BVerfGE 99, 165 ff.; Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.; Beschluss vom 06.10.1983, 2 BvL 22/80 Rn 30 in BVerfGE 65, 141 ff.; Beschluss vom 19.06.1973, 1 BvL 39/69 Rn 30 in BVerfGE 35, 263 ff.).

Es ist nicht als willkürlich anzusehen, dass der Gesetzgeber die Anrechnung von Versicherungspauschalen an die Erzielung von Einkommen geknüpft hat.

Welches Differenzierungskriterium der Gesetzgeber heranzieht, um Leistungsansprüche zu gewähren, ist entsprechend dem o.g. Gestaltungsspielraum zunächst seine Entscheidung. Ihm obliegt die Feststellung, welche Sachverhaltselemente so wesentlich sind, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist (BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998, 1 BvL 50/92 Rn 63 in BVerfGE 99, 165 ff.; Beschluss vom 12.03.1996, 1 BvR 609/90 Rn 54 in BVerfGE 94, 241 ff.; Beschluss vom 26.04.1988, 1 BvL 84/86 Rn 47 in BVerfGE 78, 104 ff.; Beschluss vom 06.10.1983, 2 BvL 22/80 Rn 30 in BVerfGE 65, 141 ff.; Beschluss vom 13.01.1982, 1 BvR 848/70 Rn 67 in BVerfGE 59, 231 ff.; Beschluss vom 09.08.1978, 2 BvR 831/76 in BVerfGE 49, 148 ff.; Beschluss vom 19.06.1973, 1 BvL 39/69 Rn 30 in BVerfGE 35, 263 ff.). Gerade im Sozialleistungsrecht dürfen zur Ordnung von Massenerscheinungen typisierende und pauschalierende Regelungen getroffen werden (BVerfG, Beschluss vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 Rn 205 in BVerfGE 125, 175 ff.; Beschluss vom 20.07.2004, 1 BvR 2515/95 Rn 40; Beschluss vom 08.06.2004, 2 BvL 5/00 Rn 72 in BVerfGE 110, 412 ff.; Beschluss vom 08.02.1983, 1 BvL 28/79 Rn 38 in BVerfGE 63, 119 ff.; Beschluss vom 24.07.1963, 1 BvL 11/61 Rn 59 in BVerfGE 17, 1 ff.). Das gilt auch für Leistungen zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfG, Beschluss vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 Rn 205 in BVerfGE 125, 175 ff.). Von den Gerichten nicht zu prüfen ist, ob der Gesetzgeber mit der von ihm getroffenen Regelung die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden hat (BVerfG, Beschluss vom 16.09.2009, 1 BvR 2275/07 Rn 38 in NVwZ-RR 2009, 985 ff.; Beschluss vom 08.06.2004, 2 BvL 5/00 Rn 71 in BVerfGE 110, 412 ff.). Ebenso wenig kommt es darauf an, was aus Sicht desjenigen, der Unterstützungsbedarf hat, wünschenswert oder unerlässlich erscheint (BVerfG, Beschluss vom 22.05.2003, 1 BvR 452/99 Rn 18 in FamRZ 2003, 1084 ff.).

Hieran gemessen ist ein Verstoß gegen Art. 3 GG durch die Anknüpfung der Gewährung einer Versicherungspauschale an das Merkmal des tatsächlichen Zuflusses von Einkommen nicht feststellbar. Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum im Hinblick darauf, welche Bedarfe er durch die Regelleistung als gedeckt ansehen will. Entsprechend obliegt ihm die Entscheidung darüber, wann er Beiträge zu Versicherungen finanziert. Im Regelungssystem des SGB II hat sich der Gesetzgeber sozialpolitisch dafür entschieden, Versicherungspauschalen lediglich als Absetzbeträge bei Einkommen zu berücksichtigen. Die Absetzmöglichkeit von Versicherungsbeiträgen soll nicht leistungserhöhend wirken, sondern nur dann, wenn Einkommen erzielt wird - im Regelfall aus Erwerbstätigkeit - letztendlich einen speziellen "Freibetrag" gewähren (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14 AS 55/07 R Rn 34 in SGb 2009, 548; BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 18/06 R Rn 28 in BSGE 97, 254 ff.). Fehlen Einkünfte, führt dies dazu, dass ein Pauschalabzug für Versicherungen nicht in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14 AS 55/07 R Rn 33; BSG, Urteil vom 07.11.2006, B 7b AS 18/06 R Rn 28 in BSGE 97, 254 ff.). Diese eindeutige gesetzgeberische Entscheidung begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und kann entsprechend nicht durch rechtspolitische Vorstellungen der Gerichte verändert werden (vgl. zur Einschränkung der Befugnis der Gerichte BVerfG, Beschluss vom 03.04.1990, 1 BvR 1186/89 Rn 20 in BVerfGE 82, 6 ff.). Einen verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf bestimmte Absetzbeträge für bestimmte Bedarfe gibt es nicht (BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14 AS 55/07 R Rn 44 in SGb 2009, 548).

Zu berücksichtigen ist auch, dass die Klägerin zwar gegenüber denjenigen Unterhaltsberechtigten schlechter gestellt ist, denen die Unterhaltsleistung des Unterhaltsgläubigers als Einkommen angerechnet wird. Gleichzeitig wird sie aber genauso behandelt wie die große Gruppe all derjenigen Hilfebedürftigen, die - wie sie - kein Einkommen erzielen und denen daher ebenso keine Absetzbeträge zugute kommen. Die Gleichstellung mit letzterer Personengruppe ist dabei auch sachlich nachvollziehbar. Denn die Versicherungspauschale wird vom Gesetzgeber deshalb als Absetzbetrag gewährt, weil mit der Erzielung von Einkommen in der Regel entsprechende Ausgaben verbunden sind. Ob dies überhaupt für Unterhaltszahlungen gilt oder die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 3 Nr. 1 Alg II-V a.F. dann, wenn Unterhalt das einzige Einkommen eines Hilfebedürftigen darstellt, nicht vielmehr in restriktiver Auslegung ausgeschlossen werden sollte, kann dahinstehen. Denn jedenfalls haben Personen, denen wie bei der Klägerin der Unterhalt nicht auf das Arbeitslosengeld II angerechnet wird, keine der Erzielung von Einkommen korrespondierenden Aufwendungen. Vielmehr erlangt die Klägerin durch die vollständigen Leistungen des Beklagten ohne Anrechnung von Unterhalt durchaus auch Vorteile. So ist sie von der Unsicherheit befreit, ob und wann genau sie in jedem Monat mit einer Unterhaltszahlung ihres geschiedenen Ehemannes rechnen kann und erhält statt dessen sicher am Anfang jeden Monats von dem Beklagten den gleichen Zahlbetrag existenzsichernder Leistungen. Ebenfalls wird ihr die Verpflichtung abgenommen, sich bei ausbleibenden Zahlungen entweder bei dem Beklagten um eine Vorauszahlung und/oder selbstständig oder ggf. mit anwaltlicher oder sogar gerichtlicher Hilfe gegen etwaige Versäumnisse des Unterhaltspflichtigen zu wehren.

Die Berücksichtigung der Versicherungspauschale gebietet in der hier vorliegenden Fallgestaltung auch das Sozialstaatsprinzip nicht. Dieses Prinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Angesichts der Weite und Unbestimmtheit dieses Prinzips lässt sich daraus jedoch kein Gebot entnehmen, soziale Leistungen in einem bestimmten Umfang zu gewähren (BSG, Urteil vom 23.11.2006, B 11b AS 1/06 R Rn 45 in SozR 4-4200 § 20 Nr. 3). Wie der Gesetzgeber den Gestaltungsauftrag des verfassungsrechtlich nicht näher konkretisierten Sozialstaatsprinzips erfüllt, ist seine Sache. Zwingend ist lediglich, dass der Staat die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein seiner Bürger schafft (BVerfG, Beschluss vom 08.06.2004, 2 BvL 5/00 Rn 94 in BVerfGE 110, 412 ff.; Beschluss vom 27.04.1999, 1 BvR 2203/93 Rn 56 in BVerfGE 100, 271 ff.; Beschluss vom 12.03.1996, 1 BvR 609/90 Rn 62 in BVerfGE 94, 241 ff.; Beschluss vom 29.05.1990, 1 BvL 20/84 Rn 83 in BVerfGE 82, 60 ff.). Diese Mindestvoraussetzungen sind hier nicht berührt. Allein die fehlende Anrechnung der Versicherungspauschale stellt die Sicherung der Existenzgrundlage für die Klägerin nicht in Frage. Ihr nach dem SGB II errechneter Bedarf wird bereits durch die Leistungen des Beklagten gedeckt.

Die Klägerin kann einen Anspruch auf Leistung von weiteren 30,00 Euro monatlich im streitigen Zeitraum auch nicht aus einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch herleiten.

Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder konkreten Sozialrechtsverhältnisses der Versicherten gegenüber erwachsenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Voraussetzung ist, dass die verletzte Pflicht dem Sozialleistungsträger gerade gegenüber dem Versicherten oblag, diesem also ein entsprechendes subjektives Recht einräumt. Die objektiv rechtswidrige Pflichtverletzung muss zumindest gleichwertig (neben anderen Bedingungen) einen Nachteil der Versicherten bewirkt haben. Schließlich muss ein Schutzzweckzusammenhang bestehen, d. h. die verletzte Pflicht darauf gerichtet gewesen sein, die Betroffene gerade vor den eingetretenen Nachteilen zu bewahren (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 22.10.1996, - 13 RJ 23/95 - Rn 34 m.w.N. in BSGE 79, 168 ff.).

Eine Verletzung von Beratungs- und Auskunftspflichten des Beklagten gegenüber der Klägerin nach §§ 14, 15 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) oder eine andersartige Fehl- oder Nichtinformation (vgl. hierzu BSG, a.a.O., Rn 39), die ursächlich einen Nachteil der Klägerin bewirkt hat, vor dem sie gerade zu bewahren war, liegt nicht vor. Zwar traf die Mitteilung des Beklagten an den geschiedenen Ehemann der Klägerin, dass eine schuldbefreiende Zahlung ab September 2007 nicht mehr an die Klägerin, sondern nur noch an ihn selbst möglich sei, nicht vollumfänglich zu. Tatsächlich hätte der geschiedene Ehemann der Klägerin dann schuldbefreiend an die Klägerin leisten können, wenn seine Zahlungen bis zum dritten Werktag des Monats erfolgt wären. Grund hierfür ist, dass ein Übergang des Anspruchs gemäß § 33 Abs. 2 S. 2 SGB II ausgeschlossen ist, soweit der Unterhaltsanspruch durch laufende Zahlung erfüllt wird. Als laufende Zahlung ist eine Zahlung anzusehen, bei der der Unterhaltsschuldner seinen rechtlichen Verpflichtungen nachkommt, indem er fristgerecht zahlt (vgl. §§ 1612, 1361, 1585 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB; auch Grote-Seifert in juris-Praxiskommentar, 2. Aufl. 2007, § 33 Rn 60; Link in Eicher/Spellbrink, 2. Aufl. 2008, § 33 Rn 36). Die Fehlinformation ist jedoch nicht, wie beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch erforderlich, an die Klägerin selbst, sondern lediglich an einen Dritten erfolgt. Darüber hinaus fehlt es am Schutzzweckzusammenhang. Den Beklagten trifft keine Pflicht, Unterhaltsberechtigten die Möglichkeit der Anrechnung einer Versicherungspauschale zu eröffnen. Wie bereits oben ausgeführt, hat der Gesetzgeber die Versicherungspauschale gerade nicht als Anspruch, sondern lediglich als Anrechnungsminderung ausgestaltet. Ergänzend ist auch hier zu berücksichtigen, dass dem Unterhaltsberechtigten bei einem eher unzuverlässigen Unterhaltsschuldner auch Vorteile erwachsen, wenn der Beklagte den Unterhalt nicht als Einkommen anrechnet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage als gegeben angesehen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved