L 10 U 14/07

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 3 U 23/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 10 U 14/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 10. Januar 2007 – S 3 U 23/06 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Bandscheibenvorfall zwischen den Halswirbelkörpern 4 und 5 (HWK 4/5) Folge des Arbeitsunfalls vom Juli 2005 ist.

Der 1947 geborene Kläger stürzte am ... Juli 2005 während seiner beruflichen Tätigkeit als Maurer bei der C. GmbH beim Rangieren mit einem Hubwagen auf der Erdgeschossdecke eines Neubaues rückwärts ca drei Meter tief in die angrenzende Baugrube ua auf beide Hände. Die Notfallbehandlung ca eine Stunde später im Klinikum der M.-Universität H.-W. (im Folgenden: Klinikum K.) durch den Chirurgen DM P. führte zu den Befunden "Handgelenke beidseits frei beweglich, keine Schmerzen, Kribbelparästhesien in beiden Händen, keine Schwellung, kein Hämatom, Karpaltunnel klinisch unauffällig". Sonstige Befunde an Schädel, Halswirbelsäule, Thorax, Abdomen, Becken und unteren Extremitäten waren unauffällig. Insbesondere ergab die Röntgenuntersuchung von HWS, LWS, Thorax, Becken und beiden Handgelenken keine Frakturen. Die Diagnose von DM P. lautete auf "Handgelenkskontusion bds". Eine weitere allgemeine Heilbehandlung war nach seiner Einschätzung nicht erforderlich.

Eine – wohl auf Drängen des Klägers erfolgte – anschließende stationäre Behandlung im E. Krankenhaus H. für die Zeit vom 19. bis zum 23. Juli 2005 zur Schmerztherapie und zur Beobachtung der Kribbelparäthesien führte zu folgenden Diagnosen: Nicht verschobener Speichenköpfchenbruch links, Ellenbogengelenkserguss links, Handgelenkskontusion beidseits. In dem Bericht des Dr. W. vom 28. Juli 2005 über die dortige Behandlung (Bl 15 der Verwaltungsakten = VA) heißt es, dass die zum Aufnahmezeitpunkt noch vorhandenen Kribbelparästhesien im Bereich aller Finger deutlich zurückgegangen seien.

Die weitere Nachschau erfolgte durch den niedergelassenen Chirurgen Dr. S ... In seinem Nachschaubericht vom 1. August 2005 heißt es: "Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen beider Hände und Ellenbogengelenke" sowie "Finger und Handgelenke nur Wackelbewegungen". In dem Zwischenbericht vom 5. September 2005 teilte Dr. S. mit, von Seiten des Speichenköpfchenbruchs sei der Kläger beschwerdefrei. Wegen "jetzt auftretender" Dysästhesien und Kraftlosigkeit aller Extremitäten habe er den Kläger in die Neurologie der Berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken B. H. (im Folgenden: Unfallklinik) überwiesen (Bl 20 VA). Nach telefonischer Auskunft von Dr. S. an die Beklagte vom 12. September 2005 (Bl 22 VA) gab der Kläger ua HWS-/LWS-Beschwerden und Missempfindungen an Armen und Beinen an. Die Abklärung, ob die Beschwerden und die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit unfallbedingt seien, erfordere eine fachärztliche Untersuchung.

Am 9., 22. und 26. September 2005 berichtete der Kläger in der Unfallklinik über eine generelle Schwäche, Kraftlosigkeit in beiden Händen mit einer Feinmotorikstörung sowie Schwäche der Beine und Unsicherheitsgefühl bei schnellem Laufen. Gefühlsstörungen und Kribbelparästhesien waren zu diesem Zeitpunkt nicht vorhanden. Die Motorik war unauffällig bei freier Beweglichkeit und Schmerzfreiheit (Bl 29 ff VA). Der Chefarzt der Neurochirurgie der Unfallklinik Dr. M. empfahl eine Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) "zur Sicherheit und zum Ausschluss einer Rückenmarksläsion im Halsbereich, welche am ehesten zu der beschriebenen Symptomatik passen könnte" (Bl 29 VA). Die Untersuchung am 7. Oktober 2005 ergab einen zervikalen Bandscheibenvorfall HWK 4/5 links betont mit Myelopathie sowie eine Spinalkanalstenose HWK 3 bis 6 (Bl 33, 45 VA). Am 14. Oktober 2005 wurde beim Kläger eine operative Dekompression des Spinalkanals mit Implementierung eines Abstandhalters in der Unfallklinik durchgeführt (vgl OP-Bericht Bl 211 Gerichtsakte = GA). Im Entlassungsbrief vom 14. November 2005 über den Aufenthalt vom 13. bis 22. Oktober 2005 heißt es, dass zum Zeitpunkt der Aufnahme Cephalgien (Kopfschmerzen), nicht aber Brachialgien (Armschmerzen) im Vordergrund gestanden hätten. Ferner habe der Kläger bei bestimmten Bewegungen eine Ausstrahlung von Kribbelmissempfindungen von der Kniekehle bis zur mittleren Brustwirbelsäule angegeben. Die Halswirbelsäule sei allseits gut beweglich gewesen. In der Einzelkraftprüfung der oberen Extremitäten hätten sich keine Paresen gefunden, dagegen an allen Fingerkuppen Dysästhesien bei positivem Trömnerreflex und gesteigerten Muskeleigenreflexen (einschließlich des Patellasehnenreflexes). Der Seiltänzergang sei unsicher und mit schwacher Abweichung nach rechts erfolgt. Im Anschluss an den stationären Aufenthalt in der Unfallklinik befand sich der Kläger in der Reha-Klinik Bad S ...

In der Folge war der Kläger wiederholt arbeitsunfähig aufgrund von Gangstörungen mit Unsicherheit, Stolperneigung sowie gestörter Feinmotorik der linken Hand nach Bandscheibenvorfall im Bereich der HWS und anschließender OP in der Funktion des Rückenmarks im Halsbereich. Zum 31. Dezember 2009 wurde er von seinem Arbeitgeber krankheitsbedingt entlassen. Am 26. Januar 2010 endete nach 78 Wochen der Krankengeldbezug. Ausweislich der sozialmedizinischen Stellungnahme des DM K. vom 25. Februar 2010 für die Bundesagentur für Arbeit (Bl 220 GA) kann der Kläger die lebenslang ausgeübte Tätigkeit als Maurer bis zur Altersrente nicht mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 18. Oktober 2005 (Bl 37 ff der VA) teilte die Beklagte dem Kläger mit, der linksseitige Bandscheibenvorfall im Segment HWK 4/5 sowie die Myelopathie seien nicht ursächlich auf das Unfallereignis am 19. Juli 2005 zurückzuführen. Es handele sich um eine unfallunabhängige Erkrankung, die nur zufällig in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall zutage getreten sei. Nach medizinischen Erkenntnissen entstünden Bandscheibenverletzungen unfallbedingt überwiegend in Zusammenhang mit Wirbelkörperfrakturen. Unfallbedingte isolierte Bandscheibenverletzungen (ohne Begleitverletzungen) seien eine seltene Ausnahmeerscheinung. Sie träten nur bei einem Unfallablauf ein, der mit einer so sicheren Einwirkung auf die Wirbelsäule verbunden sei, dass sich durch die Mechanik des Ablaufs die Entstehung derartiger Schäden erklären lasse. Das Unfallereignis müsse schwer genug sein, um eine Rissbildung der Bandscheibe zu verursachen. Zudem müsse sich im unmittelbaren Anschluss an den Unfall eine schmerzhafte Funktionsstörung der Wirbelsäule einstellen. Des Weiteren sei zu fordern, dass klinische Symptome für einen hinteren Bandscheibenvorfall sprächen. Der Unfallhergang vom 19. Juli 2005 sei nicht geeignet gewesen, einen isolierten links betonten Bandscheibenvorfall im Segment HWK 4/5 zu verursachen. Der Bandscheibenvorfall sei daher nicht Unfallfolge und die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe am 5. September 2005 geendet. Darüber hinaus sei Verletztengeld nicht zu leisten.

In seinem Widerspruch vom 26. Oktober 2005 machte der Kläger geltend, vor dem Unfall am 19. Juli 2005 nie an der Wirbelsäule erkrankt gewesen zu sein. Im Klinikum K. seien die von ihm geklagten Beschwerden, dass er seine Hände (Finger) nicht richtig bewegen könne und mit seinen Beinen etwas nicht stimme, abgetan worden mit der Bemerkung: "Die Prellungen an den Fingern sind in vier Tagen weg. An den Beinen sind Reflexe da". Eine MRT-Untersuchung habe man abgelehnt. Nur auf sein Insistieren hin sei er überhaupt in das E. Krankenhaus eingewiesen worden. Dort habe man aber ähnlich reagiert und im Wesentlichen seine Ellenbogen- und Speichenverletzungen behandelt. Nach der Entlassung am 23. Juli 2005 hätten die Beschwerden fortbestanden. Bei sofortiger MRT-Untersuchung wäre der Bandscheibenvorfall früher erkannt worden.

Die Beklagte zog den Bericht des Chirurgen Dr. S. vom 1. November 2005 (Bl 59 VA) bei, wonach der Kläger vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen war. In dem ebenfalls beigezogenen histologischen Befund der Bandscheibe HWK 4/5 vom 19. Oktober 2005 heißt es ua (Bl 80 VA), das Material zeige das Bild degenerativ veränderten Bandscheibengewebes.

Mit Bescheid vom 28. Februar 2006 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Knöcherne Verletzungen der HWS aufgrund des Unfalls seien röntgenologisch ausgeschlossen worden. Die MRT-Untersuchung habe später einen linksbetonten Bandscheibenvorfall sowie eine Knochenmarkserkrankung ergeben. Der Unfallhergang sei nicht geeignet gewesen, einen isolierten Bandscheibenvorfall ohne Begleitverletzungen herbeizuführen. Der histologische Befund habe degenerative Veränderungen an der Bandscheibe erbracht. Daher habe die Beklagte für die Wirbelsäulenerkrankung nicht aufzukommen.

Auf die am 2. März 2006 hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht das Gutachten des Chefarztes der Klinik für Unfall- und Handchirurgie des Städtischen Klinikums D. Dr. Z. eingeholt. In dem Gutachten vom 4. Dezember 2006 ist der Sachverständige aufgrund einer Untersuchung des Klägers am 9. Mai 2006 zu der Einschätzung gelangt, dass der Unfall am 19. Juli 2005 eine wesentliche Teilursache für den Bandscheibenvorfall und die neurologische Symptomatik darstelle. Ohne das Ereignis wäre es hierzu nicht in etwa zur selben Zeit bzw in naher Zukunft aufgrund physiologischer Belastungen der Wirbelsäule gekommen. Ein bloßes Anlassgeschehen sei nicht wahrscheinlich. Zwar hätten erhebliche degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule im Segment C 3 bis C 6 vor dem Unfall bestanden. Diese hätten aber keinen Krankheitswert gehabt. Für eine wesentliche traumatische Mitverursachung des Bandscheibenvorfalls sprächen insbesondere das Unfallereignis (Sturz aus drei Meter Höhe), die daraus anzunehmende besondere, nicht alltägliche Krafteinwirkung auf den Körper sowie die unmittelbar auftretenden neurologischen Störungen an den Händen, die im Sinne einer "Brückensymptomatik" vom Unfalltag bis zur Feststellung des Bandscheibenvorfalls am 7. Oktober 2006 fortbestanden hätten. Das Fehlen von traumatischen Begleitverletzungen bzw Hinweisen stünde dem Ursachenzusammenhang nicht entgegen. Es seien auch posttraumatische isolierte Bandscheibenvorfälle ohne solche Indizien bekannt.

Auf Nachfrage des Sozialgerichts hat der Kläger erklärt, dass es ihm allein um die Zahlung der Differenz zwischen Krankengeld und Verletztengeld gehe.

Mit Urteil vom 10. Januar 2007 hat das Sozialgericht antragsgemäß

den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2006 aufgehoben

und die Beklagte verurteilt, den Bandscheibenvorfall HWK 4/5 als Folgeerkrankung des Arbeitsunfalls vom 19. Juli 2005 anzuerkennen und dem Kläger Leistungen nach Maßgabe der Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Zur Begründung hat es sich auf das Gutachten von Dr. Z. gestützt und ausgeführt, dass das Unfallgeschehen am 19. Juli 2005 den Bandscheibenvorfall 4/5 wesentlich mit verursacht habe. Ein Sturz aus drei Metern Höhe sei ein für die fragliche Verletzung adäquates und nicht beliebig austauschbares Ereignis. Vom Unfallereignis bis zur Feststellung des Bandscheibenvorfalles habe eine auf die HWS-Schädigung hinweisende Brückensymptomatik in Form neurologischer Störungen bestanden. Zuvor sei der Kläger beschwerdefrei gewesen. Das Fehlen von Begleitverletzungen stünde nicht entgegen, da auch posttraumatische isolierte Bandscheibenvorfälle vorkämen und das Unfallereignis für ein solches Geschehen durchaus geeignet erscheine. Die nachweisbar bestehenden Vorschäden an der HWS des Klägers seien beschwerdefrei geblieben. Das Unfallgeschehen habe daher zu einer richtunggebenden Verschlimmerung des Leidens geführt. Stellten sowohl die traumatische Einwirkung eines Unfalls als auch eine vorbestehende Schadensanlage Ursachen für die eingetretene Wirbelsäulenschädigung dar, so führe die Abwägung im vorliegenden Fall nicht dazu, der Vorschädigung eine so überragende Bedeutung zuzumessen, dass sich die traumatische Einwirkung nur noch als Nebenursache darstelle. Die Vorschädigung sei nicht so weit fortgeschritten oder so leicht ansprechbar gewesen, dass unter Fortführung der üblichen Verrichtungen des privaten täglichen Lebens oder ohne äußeren Anlass der Bandscheibenvorfall zur selben Zeit bzw in naher Zukunft aufgetreten wäre.

Gegen das der Beklagten am 24. Januar 2007 zugestellte Urteil hat diese am 7. Februar 2007 Berufung eingelegt. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass der Bandscheibenvorfall HWK 4/5 nicht ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sei. Hierzu hat sie das orthopädische traumatologische Zusammenhangsgutachten von Dr. S. und Dr. T. vom 26. April 2007 übersandt. Der Senat hat dieses Gutachten am 26. Februar 2009 aus der Akte entfernt und als – für nachfolgende Gutachter unzugängliche – Beiakte abgelegt, nachdem die Beklagte auf Befragen mitgeteilt hat, dass sie das Gutachterauswahlrecht des Versicherten und eine Belehrung über sein Widerspruchsrecht vor Einholung des Gutachtens gem. § 200 Abs 2 SGB VII nicht beachtet habe. Im Übrigen meint die Beklagte, dass ein isolierter Bandscheibenvorfall ohne Primärsymptomatik keine traumatische Ursache haben könne. Bei den bildgebenden Untersuchungen seien keinerlei Verletzungszeichen festgestellt worden, sondern ausschließlich degenerative Veränderungen im fortgeschrittenen Ausmaß. Das Gleiche gelte für den histologischen Befund. Im Hinblick auf die modernen bildgebenden Verfahren sei die vom Gutachter Dr. Z. zugrunde gelegte Beurteilung nach den Kriterien von Lob nicht mehr auf dem neuesten Stand. Schließlich könne auch ein Sturz mit Aufprall auf den Händen keine Abknickung der Halswirbelsäule verursachen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 10. Januar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das sozialgerichtliche Urteil und verweist darauf, dass er vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen sei. Seine Klage beziehe sich auf die Differenz zwischen Kranken- und Verletztengeld für die Zeit ab dem 6. September 2005, die er zuletzt mit 3,20 EUR x 253 Tage = 809,60 EUR beziffert.

Der Senat hat Ermittlungen angestellt, ob der Kläger vor dem Unfallereignis ab 15. Juli 2005 in Bezug auf die Halswirbelsäule beschwerdefrei gewesen ist. Hierzu hat der Senat Auskünfte der Krankenkassen und behandelnden Ärzte eingeholt. Der behandelnde Hausarzt Dr. P. hat die über den Kläger geführten Krankenunterlagen vorgelegt (Beiakte zu Bl 123). Ferner hat der Kläger seinen Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung aus der Zeit seiner Beschäftigung in der ehemaligen DDR vorgelegt. Danach war der Kläger in den Zeiträumen vom 24. bis 30. November 1980, 10. April bis 23. November 1986 und 17. bis 30. April 1990 jeweils wegen nicht näher bezeichneter Krankheit des Rückens (ICD-9-Ziff. 724) arbeitsunfähig gewesen. In der Zeit vom 10. bis 14. Februar 2003 war er wegen der Erkrankung ICD-10-Ziff. M 54.2 (Zervikalneuralgie – halswirbelsäulenassoziierte Schmerzen) arbeitsunfähig geschrieben worden. Nach Angabe der behandelnden Ärztin handelte es sich um eine "muskuläre Fehlbelastung". Ferner hat der Senat die Befundungen der Radiologie der Unfallklinik zu den bildgebenden Verfahren eingeholt (insbesondere zur MRT vom 7. Oktober 2005, Bl 237 bis 241 GA).

Sodann hat der Senat das Gutachten des Dr. S., Arzt für Chirurgie, Unfallchirurgie, Sportmedizin und Sozialmedizin vom 31. August 2009 eingeholt (Bl 181 bis 214 GA sowie Korrektur vom 17. Mai 2010 Bl 230 GA). Darin gelangt der Gutachter zu der Einschätzung, dass eine durch den Sturz veranlasste Verlagerung von bereits zuvor geschädigtem Bandmaterial mit Kontakt zu den Nervenstrukturen zwar grundsätzlich denkbar sei. Mit eindeutig erhobenen ärztlichen Befunden wahrscheinlich machen ließe sich dies aber nicht. In jedem Falle wäre dann die wesentliche Teilursache für die Manifestation des Schadensbildes die vorbestehende Erkrankung. Es hätten sich an der Halswirbelsäule keine verletzungstypischen oder -spezifischen Befunde, welche eine unfallbedingte Ursache des Bandscheibenvorfalls wahrscheinlich machen würden, gefunden. Unzweifelhaft nachgewiesen seien dagegen fortgeschrittene degenerative Veränderungen sowohl im Bereich des Bandscheibenvorfalls als auch in den benachbarten Segmenten sowie der Rumpfwirbelsäule des Klägers. Auch für eine Beeinflussung der vorbestehenden Schäden an der Wirbelsäule des Klägers durch den Unfall hätten sich keine Anhaltspunkte gefunden. Das Gutachten des Dr. Z. habe im Wesentlichen von dem Unfallereignis auf die Möglichkeit geschlossen, dass es für den Bandscheibenvorfall kausal geworden sein könne. Dies bleibe letztlich spekulativ. Auch könne entgegen Dr. Z. nicht darauf abgestellt werden, dass beim Kläger vor dem Unfall Beschwerdefreiheit vorgelegen habe. Dem stünden die aus dem Sozialversicherungsausweis des Klägers und den Auskünften seiner behandelnden Ärzte ersichtlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegen.

Weiterhin hat der Senat Auszüge aus der Patientendatei des Dr. S. beigezogen (Bl 265 - 268 GA). Daraus ergeben sich die Behandlungsdaten und Notizen insbesondere für den Zeitraum vom 25. Juni bis zum 4. September 2005 (Bl 267 GA). Schließlich wurde den Beteiligten ein Auszug aus Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl 2010 (im Folgenden: Schönberger) (Bl 2515 – 260 GA) sowie eine fachmedizinische Stellungnahme von Prof. Dr. K. zu "Ursachen und Diagnosen von Rückenschmerzen" (www.clinicum.at/dynasite.cfm?dsmid =99015&dspaid=798669, Bl 261 – 264 GA) ausgehändigt.

Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid vom 18. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2006 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGG).

I.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungklage iSv §§ 54 Abs 1, 55 Abs 1 Nr 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne weiteres zulässig, soweit der Kläger die Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsaktes und die Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalls begehrt. Gegenstand des Rechtsstreits ist darüber hinaus bei verständiger Auslegung der Antrag auf Zahlung von Verletztengeld, soweit es das gezahlte Krankengeld übersteigt. Im Berufungsrechtszug hat der Kläger sein Begehren auf "Leistungsgewährung nach Maßgabe der Vorschriften der gesetzlichen Unfallversicherung" ausdrücklich auf 809,60 EUR beziffert und zeitlich spezifiziert; es handelt sich damit nicht um einen bloßen Annex, dem neben dem Feststellungsbegehren keine eigenständige Bedeutung zukommt (so im Fall BSG 7. September 2004 – B 2 U 46/03 R, NJW 2005, 1148). Auch insoweit ist die Klage zulässig. Es handelt sich um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage iSv § 54 Abs 4 SGG im Wege der Klagehäufung (§ 56 SGG). Das notwendige Vorverfahren hat stattgefunden. Der angegriffene Bescheid hat bereits ausdrücklich die Zahlung von Verletztengeld über den 5. September hinaus abgelehnt. Hiergegen richteten sich Widerspruch und Klage.

II.

Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Bandscheibenvorfall HWK 4/5 als Folge des (unstreitigen) Arbeitsunfalls vom 19. Juli 2005 anzuerkennen und dem Kläger über den 5. September 2005 hinaus Verletztengeld iHv 809,60 EUR für 253 Tage a 3,20 EUR nach Maßgabe der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Der (allein fragliche) ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Bandscheibenvorfall iSv § 8 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) ist nicht hinreichend wahrscheinlich.

1.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Durch das Wort "infolge" drückt § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII aus, dass ein kausaler Zusammenhang ua zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden erforderlich ist. Dieser wird als haftungsausfüllende Kausalität bezeichnet. Für haftungsbegründende wie haftungsausfüllende Kausalität gilt der Beweismaßstab der - überwiegenden - Wahrscheinlichkeit sowie die Theorie der wesentlichen Bedingung (st Rspr, vgl BSG 9. Dezember 2003 – B 2 U 8/03 R, SozR 4-2200 § 589 Nr 1; BSG 15. Februar 2005 – B 2 U 1/04 R, SozR 4-2700 § 8 Nr 12).

Danach ist zunächst – mit dem Beweismaßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit – die (naturwissenschaftliche) Ursächlichkeit des Unfalls für den Gesundheitsschaden festzustellen. Ursächlich in diesem Sinne sind alle Umstände, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele ("conditio sine qua non"). Hat ein Unfall in diesem Sinne den Gesundheitsschaden verursacht, ist in einem zweiten Schritt festzustellen, ob dieser Verursachungsbeitrag für den Schaden auch wesentlich war (wesentliche Bedingung). Das ist der Fall, wenn der Unfall wegen seiner besonderen Beziehung zum Erfolg wesentlich zu dessen Eintritt beigetragen hat. Insbesondere wenn neben dem Unfall weitere Ursachen im Sinne der naturwissenschaftlichen Kausalität zum Eintritt des Gesundheitsschadens beigetragen haben (zB bestehende Vorschäden), ist durch eine wertende Betrachtung aller in Frage kommenden Umstände und Berücksichtigung des Schutzzwecks der gesetzlichen Unfallversicherung (GUV) zu ermitteln, ob der Unfall noch als wesentliche Ursache iSd Unfallrechts angesehen werden kann. Dabei kommt es auf die Qualität der Umstände, nicht auf ihre Quantität oder ihre zeitliche Reihenfolge an (BSG 9. Dezember 2003, aaO). Wesentlich können durchaus mehrere Ursachen nebeneinander sein; ein Unfall kann daher im Einzelfall auch dann noch wesentlich für einen Gesundheitsschaden sein, wenn eine andere Ursache zum Schadenseintritt noch "stärker" beigetragen hat, solange der Beitrag des Unfalls nicht nur als unwesentlich erscheint.

2.

Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich der Unfall am 19. Juli 2005 nicht als ursächlich für den Bandscheibenvorfall des Klägers. Es besteht bereits keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Unfall für diesen Gesundheitsschaden überhaupt (im naturwissenschaftlichen Sinne) ursächlich war. Ob ein etwaiger Verursachungsbeitrag des Unfalls in Anbetracht der erheblichen Vorschäden an der HWS des Klägers außerdem als wesentlich anzusehen wäre, bedarf somit keiner Entscheidung.

a.

Bei Bandscheibenvorfällen orientiert sich die Zusammenhangsbeurteilung nach herrschender unfallmedizinischer Lehrmeinung, von der auch die Gutachter im Ansatz ausgegangen sind, an den fünf Prüfkriterien nach Lob (Handbuch der Unfallbegutachtung, Bd 3, 1973, 582 ff), wobei moderne bildgebende Verfahren zu deren Modifizierung führen. Die Kriterien nach Lob für die Beurteilung der Ursächlichkeit lauten:

War das Unfallereignis schwer genug, um Rissbildungen in der Bandscheibe zu verursachen?

Erklärt der Ablauf in seiner Mechanik derartige Rissbildungen?

Bestand eine schmerzhafte Funktionsstörungen an der LWS im Anschluss an den Unfall?

Bestand Beschwerdefreiheit, zumindest Beschwerdearmut, vor dem Unfall?

Liegen klinische Symptome müssen vor, die für einen hinteren Bandscheibenvorfall sprechen?

Diese Kriterien betreffen zunächst den Bandscheibenvorfall der Lendenwirbelsäule. Sie können aber mit Vorsicht auf einen Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule übertragen werden (so zutreffend Gutachten Dr. Z., S 10 = Bl 33 GA). Sie sind zudem mit Blick auf neuere computer- und kernspintomographische Untersuchungsmethoden zu relativieren (Schönberger, aaO, Kap 8.3.2.6.3, S 436; Ludolph, Schadenspraxis 2007, 63, 65). Über die unfallmedizinischen Erfahrungssätze hinaus sind die gesamten Umstände des Einzelfalls in Betracht zu ziehen.

b.

Danach besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Kausalität des Unfalls in Bezug auf den Bandscheibenvorfall. Dies ergibt sich aus der Würdigung aller Umstände des Falles. Nicht zu berücksichtigen war allerdings das von der Beklagten zur Stützung ihrer Position eingeholte Gutachten von Dr. T./Dr. S. vom 26. April 2007. Es ist zum Schutze des Klägers von Amts wegen aus der Akte entfernt und insbesondere für nachfolgende Gutachter unzugänglich gemacht worden, weil die Beklagte das Gutachterauswahlrecht des Versicherten und eine Belehrung über sein Widerspruchsrecht vor Einholung des Gutachtens gem. § 200 Abs 2 SGB VII nicht beachtet hat (vgl hierzu BSG 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R, BSGE 100,25). Bei den Ausführungen von Dr. T./Dr. S. handelte es sich um ein Gutachten iSd vorgenannten Vorschrift, das sich eigenständig mit der Frage der Ursächlichkeit auseinander gesetzt und nicht lediglich zu einer anderweitigen Begutachtung beratend Stellung genommen hat. Hiervon hat sich der Senat überzeugt.

Zwar liegt – wie durch die MRT vom 7. Oktober 2005 belegt ist – ein hinterer Bandscheibenvorfall vor. Auch hat sich am 19. Juli 2005 ein Arbeitsunfall ereignet (Sturz rückwärts aus drei Meter Höhe), der grundsätzlich schwer genug erscheint, einen – auch isolierten – Bandscheibenvorfall zu verursachen. Damit ist jedoch nur die bloße Möglichkeit der Verursachung umschrieben (die auch der Sachverständige Dr. S. zugesteht, vgl Seite 26 oben seines Gutachtens = Bl 206 GA). Bandscheibenvorfälle treten in der großen Mehrzahl der Fälle nicht traumatisch auf und bleiben überwiegend klinisch stumm, dh ohne äußerlich erkennbare Anzeichen (vgl Schönberger, aaO S 437). Auch beim Kläger kann sich der Bandscheibenvorfall sowohl vor als auch nach dem Unfall ereignet haben.

Ob der Unfall in seinem konkreten Ablauf und seiner Mechanik den beim Kläger eingetretenen Bandscheibenvorfall erklärt, lässt sich nicht feststellen. Ablauf und Krafteinwirkung des Sturzes sind im Einzelnen nicht bekannt. In dieser Lage sind weitere Indizien, die für die Ursächlichkeit sprechen, unverzichtbar. Dabei ist von Bedeutung, dass im Bereich der Halswirbelsäule keinerlei Begleitverletzungen festgestellt werden konnten, weder im Röntgenbild noch in der MRT-Untersuchung. Der Senat muss seiner Entscheidung daher zugrunde legen, dass solche Begleitverletzungen nicht existierten. Dies spricht – insoweit folgt der Senat dem Gutachten Dr. S. (S 24 ff = Bl 204 ff GA) – indiziell dagegen, dass im Bereich der Halswirbelsäule die erforderliche Krafteinwirkung stattgefunden hat. Ob das Fehlen von Begleitverletzungen darüber hinaus, wie in der Literatur weitgehend angenommen wird, die Ursächlichkeit des Unfalls von vorn herein ausschließt (so Schönberger, aaO S 434, 436 jeweils mwN), lässt der Senat offen.

Eine völlige Beschwerdefreiheit vor dem Unfall ist in Bezug auf die Halswirbelsäule – zumal im Hinblick auf die vorbestehende ausgeprägte Spinalkanalstenose und die weiteren festgestellten degenerativen Veränderungen – nicht festzustellen. Zwischen 1980 und 1990 war der Kläger dreimal wegen "Rückenleidens" (ICD 9-724) arbeitsunfähig erkrankt, davon einmal über sieben Monate. Im Jahre 2004 gab es eine einwöchige Arbeitsunfähigkeit wegen ICD 10 M 54.2, auch wenn es sich dabei nach Auskunft der behandelnden Ärztin um eine Muskelverspannung im Hals- oder Schulterbereich gehandelt haben sollte. Dennoch war der Kläger vor dem Unfall in Bezug auf die Halswirbelsäule weitgehend beschwerdefrei. Dies hat aber unter den gegebenen Umständen nur schwache indizielle Bedeutung für die Begründung eines Ursachenzusammenhanges. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass mehr als die Hälfte der hinteren Bandscheibenvorfälle klinisch stumm bleibt (vgl Schönberger, aaO S 437), die Betroffenen also oft jahrelang mit einem unerkannten Bandscheibenvorfall leben. Demgemäß hielt es auch Dr. S. ausweislich eines Telefonvermerks vom 27. Oktober 2005 (Bl 49 VA) für möglich, dass der Bandscheibenvorfall und die Myelose beim Kläger schon vor dem Unfall bestanden haben. Hinzu kommt, dass der Bandscheibenvorfall erst am 7. Oktober 2005 festgestellt wurde und damit ca elf Wochen nach dem Unfall. Es besteht daher auch die Möglichkeit, dass der Bandscheibenvorfall sich erst nach dem Unfall ereignet hat. Fest steht damit zunächst allein, dass ca elf Wochen nach dem Unfall ein Bandscheibenvorfall vorlag. Ausweislich des histologischen Befundes (Bl 80 VA) und der MRT vom 7. Oktober 2005 (Bl 237 GA) fehlt überdies auch dort ein Hinweis, dass der Bandscheibenvorfall frisch aufgetreten ist; der Befund verweist nur auf die erheblichen degenerativen Veränderungen der Bandscheibe. Somit scheidet etwa ein älterer Bandscheibenvorfall, der sich erst jetzt – etwa aufgrund einer Muskelrückbildung beim Kläger in Folge der Arbeitsabstinenz – bemerkbar machte, keineswegs aus.

Die erhebliche degenerative Vorschädigung der Halswirbelsäule des Klägers bietet zudem auch ohne den Unfall eine naheliegende Erklärung für den Eintritt des Bandscheibenvorfalls. Nach allen medizinischen Feststellungen (Röntgenaufnahmen, MRT, Operationsbericht, Histologie) bestand an der Wirbelsäule des Klägers eine solche Vorschädigung, insbesondere eine Spinalkanalstenose im Bereich der Halswirbelsäule C 3 bis C 6 und dort kulminierend im Segment C 4/5, in dem sich der Bandscheibenvorfall ereignete. Bei einer Spinalkanalstenose handelt es sich um eine der Maximalvarianten degenerativer Veränderungen der Wirbelsäule, die schon für sich neurologische Ausfallerscheinungen zur Folge haben kann (vgl Kapeller, aaO, Bl 286 f GA). Der Bandscheibenvorfall kann daher auch ohne weiteres unfallunabhängig aufgetreten sein. Ob darüber hinaus auch der Umstand, dass aus den medizinischen Feststellungen keine unfallakute Schmerzsymptomatik des Klägers im Bereich der Halswirbelsäule hervorgeht, stets gegen eine verletzungsbedingte Ursache spricht (so Schönberger, aaO S. 438), lässt der Senat dahinstehen.

Bei diesem Bild ist zur Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit dem Gutachten Dr. S. auch die vom Gutachter Dr. Z. und – ihm folgend – dem Sozialgericht in den Vordergrund gerückte Brückensymptomatik neurologischer Art nicht geeignet, die Ursächlichkeit des Unfallereignisses überwiegend wahrscheinlich erscheinen zu lassen. Der Gutachter Dr. Z. stellt auf die vom Kläger unmittelbar nach dem Unfall geschilderten Kribbelparästhesien an den Händen bzw Handgelenken ab. Dieses Symptom spricht jedoch aus mehreren Gründen nur schwach für einen ursächlichen Zusammenhang. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die einschlägige Fachliteratur, wie soeben dargelegt, eine – hier fehlende – starke lokale Schmerzsymptomatik für den traumatischen Bandscheibenvorfall verlangt, während es sich bei den Kribbelparästhesien – wenn überhaupt – um eine schwach ausgeprägte Symptomatik handelt. Sowohl das Klinikum K. als auch das E. Krankenhaus haben trotz eingehender Untersuchungen auch der Halswirbelsäule keine einem Bandscheibenvorfall entsprechenden klinischen Befunde erhoben. Sodann weist dieses – vergleichsweise schwache – Symptom bei Beachtung der vorliegenden Umstände weder eindeutig auf einen Bandscheibenvorfall noch hat es im Sinne einer Brückensymptomatik durchgehend bis zu dessen Feststellung am 7. Oktober 2005 bestanden.

Die Kribbelparästhesien an Händen und Handgelenken lassen sich zum Einen ohne weiteres auch durch die erheblichen Handgelenkskontusionen erklären, die sich der Kläger aufgrund des Sturzes unzweifelhaft zugezogen hat. Hiervon sind nach den Angaben des Klägers auch die Erstbehandler ausgegangen. Sie haben zum Anderen entgegen der Annahme von Dr. Z. und des Sozialgerichts auch nicht durchgehend bestanden. Am Unfalltag wurden sie von DM P. im Klinikum K. sowie am selben Tag bei der Aufnahme im E. Krankenhaus erwähnt. Dort sind sie aber bereits bei der Entlassung am 23. Juli 2005 "deutlich zurückgegangen" (vgl Bericht des E. Krankenhauses (Dr. W.) vom 28. Juli 2005, S. 2 = Bl 16 VA). In der Patientendatei des Dr. S. heißt es unter dem 27. Juli 2005 "Symptomatik der Hände rückläufig", im Nachschaubericht vom 1. August 2005 werden Kribbelparästhesien an den Händen nicht mehr erwähnt. Dies gilt fortlaufend für alle weiteren Untersuchungen. Soweit im Entlassungsbrief der Unfallklinik vom 14. November 2005 von "Kribbelmissempfindungen" die Rede ist, handelt es sich offenbar um ein anderes Beschwerdebild, da diese Missempfindungen nur bei bestimmten Bewegungen aufgetreten sind und von der Kniekehle bis zur mittleren Brustwirbelsäule ausstrahlten.

Die erstmals im Zwischenbericht von Dr. S. am 5. September 2005 und damit ca. sechs Wochen nach dem Unfall erwähnten Dysästhesien bildeten fortan neben der Kraftlosigkeit der Extremitäten die Hauptsymptomatik, aufgrund derer auch schließlich der Chefarzt der Neurochirugie der Unfallklinik Dr. M. zu einer MRT der HWS riet. Entgegen der Angabe im Gutachten Dr. Z., die im Urteil des SG wie auch im Gutachten des Dr. S. Widerhall gefunden hat, berichtete Dr. S. am 5. September 2005 aber nicht über das "Fortbestehen" von Dysästhesien, sondern im Gegenteil darüber, dass diese "jetzt auftretend" seien. Diese Beschwerden sind daher gegenüber Dr. S. nicht durchgehend geklagt worden, obwohl sich der Kläger regelmäßig in seiner Behandlung befunden hat. Dysästhesien sind Fehlempfindungen bei Berührungen. Sie unterscheiden sich daher von Kribbelmissempfindungen, die berührungsunabhängig bestehen. Auch die Schwäche an Armen und Beinen trat erst nach und nach auf. Bei alledem lässt sich eine Brückensymptomatik, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf einen Bandscheibenvorfall hinweist und durchgängig bestanden hat, nicht feststellen. Insgesamt fehlen somit nach Auffassung des Senats und in Übereinstimmung mit dem Gutachten Dr. S. hinreichende Indizien für die Annahme, dass der Unfall mit überwiegender Wahrscheinlichkeit den Bandscheibenvorfall des Klägers verursacht hat.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, gemäß § 160 Abs 2 Nr. 1, 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, da es sich um eine Einzelfallentscheidung auf geklärter Rechtsgrundlage handelt.
Rechtskraft
Aus
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