L 11 AS 948/10 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 AS 1747/10 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 948/10 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zu den Leistungen für Unterkunft und Heizung zählen die tatsächlich anfallenden Nebenkosten, soweit sie mietvertraglich geschuldet sind. Nur ein iSd
§ 560 BGB wirksames einseitiges Mieterhöhungsverlangen, kann einen Anspruch auf Übernahme der erhöhten Unterkunftskosten auslösen
Der Verzicht, einem unwirksamen Mieterhöhungsverlangen zivilrechtlich entgegenzutreten, schließt reglmäßig einen Anordnungsgrund aus. Es ist nicht Aufgabe
des Grundsicherungsträgers, nach der Rechtsordnung nicht bestehende Bedarfslagen zu decken, um Leistungsempfängern die Möglichkeit zu eröffnen, einer konfliktträchtigen Durchsetzung berechtigter Ansprüche gegenüber Dritten auszuweichen.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichtes Nürnberg vom 15.11.2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.




Gründe:


I.

Der Antragsteller (ASt) begehrt die rückwirkende und laufende Übernahme eines vom Antragsgegner (Ag) bislang nicht übernommenen Betriebskostenanteils in Höhe von 40.- EUR monatlich als Kosten der Unterkunft.

Der ASt bezieht seit 20.03.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Seine Wohnung in der A-Straße in A-Stadt bewohnt er seit 1994. Neben der Grundmiete hat er monatliche Nebenkosten - im Mietvertrag als Wohngeld bezeichnet - zu entrichten. Diese Kosten beinhalten neben den kalten Betriebskosten auch die monatlichen Heizkosten. In § 3 des Mietvertrages wurde vereinbart, dass aufgrund von Betriebskostenerhöhungen der Mietzins oder die eventuell vereinbarten Abgaben für Nebenkosten unter Angabe der Gründe und der Berechnung im Verhältnis der Wohnflächen und der Höhe der Mietzinsen jederzeit erhöht werden können. Die Erklärung habe gemäß § 3 Ziffer 6 Satz 2 des Mietvertrages schriftlich zu erfolgen.

In einem Schreiben vom 26.06.2009 teilte die Vermieterin des ASt diesem mit, dass sie das Wohngeld ab dem 01.08.2009 um 40.- EUR erhöhen müsse. Sie bitte um sein Verständnis. Eine weitergehende Begründung für die Notwendigkeit, die Betriebskostenpauschale zu erhöhen, gab sie nicht an.

Mit seinen Fortzahlungsanträgen vom 24.08.2009, 22.02.2010 und 25.08.2010 machte der ASt zusätzlich zu den vom Ag bislang übernommenen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 294,49 EUR auch die erhöhte Betriebskostenpauschale von monatlich 40.- EUR geltend.

Der Ag berücksichtigte mit den Bewilligungsbescheiden vom 24.08.2009, 24.02.2010 und 25.08.2010 für die Leistungszeiträume vom 01.09.2009 bis 28.02.2011 jedoch weiterhin nur die bisher erstatteten Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 294,49 EUR. Die Erhöhung der Betriebskostenpauschale sei mangels hinreichender Begründung im Schreiben der Vermieterin vom 26.06.2009 gemäß § 560 Abs 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unwirksam und somit vom Leistungsträger nicht zu übernehmen. Die gegen diese Bescheide erhobenen Widersprüche wies der Ag mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2010 zurück.

Am 08.11.2010 hat der ASt gegen diesen Widerspruchsbescheid Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (S 10 AS 1752/10) sowie beantragt, die Ag im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die offenen Betriebskostenanteile von monatlich
40.- EUR für die Zeit ab August 2009 nachzuzahlen. Es sei ein Betrag von 640.- EUR offen. Dies bedrohe seine Existenz, und es sei für ihn nicht mehr weiter zumutbar, die Differenz aus der Regelleistung zu begleichen.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 15.11.2010 abgelehnt. Für die Zeit bis zur gerichtlichen Entscheidung handle es sich um Leistungen für die Vergangenheit, für die der ASt einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht habe, denn aus der Nichtzahlung der Leistungen sei keine Notlage entstanden, die in der Gegenwart noch fortwirke. Darüber hinaus sei auch kein Anordnungsgrund zu erkennen, der die Zuerkennung laufender Leistungen rechtfertigen würde. Der Betrag von 40.- EUR monatlich bewege sich in einem Rahmen, den ein Leistungsempfänger als Abschlag auf den vollen Leistungsanspruch hinzunehmen habe, soweit durch einen solchen Abschlag einer Vorwegnahme der Hauptsache in einem Eilverfahren entgegengewirkt werde.

Gegen diesen Beschluss hat der ASt Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Durch die Summierung der offenen Beträge seien über einen längeren Zeitraum eine Vielzahl von Bedarfen zugunsten der vollständigen Mietzahlungen ungedeckt geblieben. Eine existenzbedrohende Notlage ergebe sich somit aus der permanenten Unterdeckung seiner Bedarfe. Zudem habe das BVerfG - entgegen der Auffassung des SG - keine Grenze genannt, die ein Leistungsempfänger als Abschlag zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache hinzunehmen habe. Zuletzt sei auch ein Vergleich mit den Abschlägen im Rahmen von Sanktionen verfehlt. Dieser Gefahr setze sich ein Leistungsempfänger in zurechenbarer Weise aus. Es selbst könne die Mieterhöhung jedoch nicht vermeiden.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes wird auf die beigezogene Akte des Ag sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerechte Beschwerde ist Bezug zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG), in Sache der aber unbegründet.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens sind die mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2010 geregelten und im Klageverfahren vor dem SG streitigen Unterkunftskosten für den Zeitraum vom 01.09.2009 bis 28.02.2011. Im Hinblick auf die hierzu anhängige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (S 10 AS 1752/10) stellt § 86b Abs 2 Satz 2 SGG die maßgebliche Rechtsgrundlage für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes dar.

Eine einstweilige Regelung ist zulässig, wenn sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Das ist etwa dann der Fall, wenn der ASt ohne eine solche Anordnung schwere und unzumutbare, nicht anders abwendbare Nachteile entstehen, zu deren Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (so BVerfG vom 25.10.1998 BVerfGE 79, 69 (74); vom 19.10.1997 BVerfGE 46, 166 (179), vom 22.11.2002 NJW 2003, 1236 und vom 25.02.2009 NZS 2009, 674; Niesel/ Herold-Tews, Der Sozialgerichtsprozess, 5. Aufl. Rn. 652)

Die Regelungsanordnung setzt das Vorliegen eines Anordnungsgrundes - das ist in der Regel die Eilbedürftigkeit - und das Vorliegen eines Anordnungsanspruches - das ist der materiell-rechtliche Anspruch, auf den die ASt ihr Begehren stützt - voraus. Die Angaben hierzu hat die Ast glaubhaft zu machen (§ 86b Abs 2 Satz 2 und 4 SGG i.V.m. § 920 Abs 2, § 294 Zivilprozessordnung - ZPO -; Keller in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rn. 41).

Zwischen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch besteht dabei eine Wechselbeziehung. An das Vorliegen des Anordnungsgrundes sind dann weniger strenge Anforderungen zu stellen, wenn bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage im vom BVerfG vorgegebenen Umfang (BVerfG vom 12.05.2005 Breithaupt 2005, 803 = NVwZ 2005, 927, NDV-RD 2005, 59) das Obsiegen in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist. Ist bzw. wäre eine in der Hauptsache erhobene Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist wegen des fehlenden Anordnungsanspruches der Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen. Sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache offen, kommt dem Anordnungsgrund entscheidende Bedeutung zu.

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist dem Anliegen des ASt auf einstweiligen Rechtsschutz nicht zu entsprechen, denn vorliegend ist weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Ein Anordnungsanspruch, d.h. ein materiell- rechtlicher Anspruch auf Übernahme der erhöhten Betriebskostenpauschale durch den Ag, ist nicht zu erkennen. Es gibt keinen Hinweis, dass der ASt seiner Vermieterin - trotz laufender Zahlung - die streitige Erhöhung der Betriebskostenpauschale tatsächlich schuldet und diese insoweit als angemessene Kosten der Unterkunft durch den Ag zu übernehmen wären.

Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II). Hierbei zählen zu den Unterkunftskosten auch die tatsächlich anfallenden Nebenkosten, soweit sie mietvertraglich geschuldet sind (vgl. Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn.22).

Gemäß § 560 Abs 1 Satz 1 BGB ist bei einer Betriebskostenpauschale der Vermieter berechtigt, Erhöhungen der Betriebskosten durch Erklärung in Textform anteilig auf den Mieter umzulegen, soweit dies im Mietvertrag vereinbart ist. Diese Erklärung ist jedoch nur wirksam, wenn in ihr der Grund für die Umlage bezeichnet und erläutert wird (§ 560 Abs 1 Satz 2 BGB).

Diesen Anforderungen genügt das Schreiben der Vermieterin vom 26.06.2009 in keiner Weise, denn hierfür wäre erforderlich gewesen, dass der Unterschiedsbetrag zwischen den früheren und den neuen Kosten angegeben wird, wobei die Gesamthöhe zu bezeichnen gewesen wäre, und es hätte der Umlegungsmaßstab ersichtlich werden müssen. Darüber hinaus wäre zumindest stichwortartig anzugeben gewesen, worauf die Kostensteigerung beruht (vgl. hierzu im Einzelnen Schmid in MüKo zum BGB, 5. Aufl., § 560 Rn. 5 mwN). Ohne diese Angaben ist das einseitige Erhöhungsverlangen vom 26.06.2009 jedoch unwirksam, so dass der ASt auf der Grundlage dieser Vermietererklärung zur Zahlung der erhöhten Betriebskostenpauschale nicht verpflichtet ist. Ob darüber hinaus auf einer anderen vertraglichen Grundlage die erhöhten Betriebskosten seitens des ASt geschuldet werden, ist nach Lage der Akten weder ersichtlich noch hat der ASt hierzu etwas vorgetragen, so dass beim derzeitigen Stand des Verfahrens keine Anhaltspunkte zu erkennen sind, dass der Ag die Erhöhung der Betriebskostenpauschale im streitgegenständlichen Zeitraum (01.08.2009 bis 28.02.2011) als Kosten der Unterkunft zu übernehmen hätte.

Darüber hinaus ist auch ein Anordnungsgrund nicht zu erkennen, denn vorliegend handelt es sich weitgehend um Aufwendungen für bereits abgelaufene Leistungszeiträume, wobei der ASt nach eigenen Angaben die erhöhten Aufwendungen für die Unterkunft bereits aus seiner Regelleistung getragen hat.

Im Rahmen einer Regelungsanordnung ist Anordnungsgrund die Notwendigkeit, wesentliche Nachteile abzuwenden, um zu vermeiden, dass der ASt vor vollendete Tatsachen gestellt wird, ehe er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann (vgl. Keller aaO § 86b Rn.27a). Charakteristisch ist daher für den Anordnungsgrund die Dringlichkeit der Angelegenheit, die in aller Regel nur in die Zukunft wirkt. Es ist rechtlich zwar nicht auszuschließen, dass auch für vergangene Zeiträume diese Dringlichkeit angenommen werden kann; diese überholt sich jedoch regelmäßig durch Zeitablauf. Ein Anordnungsgrund für Zeiträume vor einer gerichtlichen Entscheidung ist daher nur ausnahmsweise anzunehmen, wenn ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht wird, und sich ein besonderer Nachholbedarf durch die Verweigerung der Leistungen in der Vergangenheit auch in der Zukunft noch fortwirkt oder ein Anspruch eindeutig besteht.

Beides ist vorliegend jedoch nicht gegeben, insbesondere hat der ASt nicht dargelegt, worin derzeit eine existenzbedrohende Notlage zu sehen ist, die es mit einer umgehenden Nachzahlung - und damit Vorwegnahme der Hauptsache - zu beseitigen gilt. Der Verlust seiner Unterkunft droht dem ASt offenkundig nicht, nachdem er - nach eigenen Angaben - die Kosten seiner Unterkunft vollständig beglichen hat. Allein der Vortrag des ASt, er habe in dem streitgegenständlichen Zeitraum den erhöhten Unterkunftsbedarf aus seiner Regelleistung gedeckt und größere Anschaffungen, die kurzfristig zu verschieben gewesen seien, zurückgestellt, beschreibt nicht hinreichend eine existenzbedrohende Notlage, der durch eine Nachzahlung entgegen getreten werden müsste. Ohne weitergehende Darlegungen sind daher keine Anhaltspunkte zu erkennen, die es dem ASt unzumutbar machen würden, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten. Unabhängig davon bestehen jedoch auch aus anderen Gründen Zweifel an der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit, nachdem es der ASt trotz Kenntnis der Problematik seit über einem Jahr unterlassen hat, sich an seine Vermieterin zu wenden, um die Unwirksamkeit des Erhöhungsverlangens geltend zu machen, und statt dessen versucht, die unwirksame Betriebskostenerhöhung gegenüber dem Ag durchzusetzen. Insoweit ist es jedoch nicht Aufgabe des Ag als Leistungsträger, nach der Rechtsordnung nicht bestehende Bedarfslagen zu decken, um Leistungsempfängern die Möglichkeit zu eröffnen, einer konfliktträchtigen Durchsetzung berechtigter Ansprüche gegenüber Dritten auszuweichen.(Beschluss des Senates vom 22.07.2010 - L 11 AS 247/10 B PKH), so dass der ASt zur Beseitigung seiner Bedarfslage in erster Linie seine zivilrechtlichen Optionen auszuschöpfen haben wird. Solange Bemühungen in dieser Richtung nicht erkennbar sind, gibt es keine Anhaltspunkte die für die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit sprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und ergibt sich aus dem Unterliegen des ASt.

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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