S 8 AS 419/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 419/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Lebensversicherung ist bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit als Vermögen des Hilfebedürftigen nach § 12 Abs. 3 Satz. 1 Nr. 6 dann nicht zu berücksichtigen, wenn deren Verwertung für den Betroffenen offensichtlich unwirtschaftlich wäre. Das ist dann der Fall, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert steht. Der gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert gegenüberzustellen.

2. Bei der Ermittlung des Substanzwertes sind bereits geleistete Teilauszahlungen wertmindernd zu berücksichtigen.
Tenor: 1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Weitergewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) über den 01.12.2009 hinaus.

Der am XX.XX.XXXX geborene Kläger stand seit dem 03.08.2007 im laufenden Leistungsbezug (Arbeitslosengeld II) der Beklagten. Am 20.11.2010 stellte er einen Antrag zur Weiterbewilligung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (ohne die Kosten der Unterkunft) nach dem SGB II ab dem 01.12.2009, welchen die Beklagte mit Bescheid vom 01.12.2009 unter Berufung auf zu berücksichtigendes Vermögen in Höhe von 18.499,65 EUR abwies.

Hiergegen erhob der Kläger am 21.12.2009 Widerspruch, zu dessen Begründung er vortrug, dass das von der Beklagten angegebene Vermögen einerseits aus Kapitalvermögen in Höhe von 2860,89 EUR, andererseits aus drei Lebensversicherungen bestehe. Die Lebensversicherungen unterlägen - entgegen der Auffassung der Beklagten - nach § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II nicht der Verwertung. Zwar überstiegen die drei Lebensversicherungen zusammengenommen hinsichtlich der Rückkaufswerte den sich aus § 12 Abs. 2 Nr. 1 SGB II ergebenden Grundfreibetrag einschließlich des Freibetrages nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II in Höhe von insgesamt 9000 EUR, den Rückkaufswerten stünden jedoch die eingezahlten Beiträge gegenüber, die zur Unwirtschaftlichkeit der Verwertung führten. Der Vergleich zwischen den tatsächlichen Rückkaufswerten und den eingezahlten Beiträgen mache deutlich, dass bei einer Verwertung der Lebensversicherungen mehr als 10 % Verlust erwirtschaftet werde, was nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts der Verwertbarkeit entgegenstehe. Im Einzelnen ergäben sich folgende Konstellationen:

Versicherungsnummer Eingezahlte Beiträge Rückkaufswerte zum 01.12.2009 Bereits erhaltene Teilauszahlungen 2.6 964 XXX.XX EUR 22.278,75 EUR 12.051,38 EUR 9.205,20 2.6 520 XXX.XX EUR 7.126,12 EUR 2.400,00 EUR 5.607,40 2.6 499 XXX.XX EUR 3.561,72 EUR 1.187,38 EUR 2.776,50

Die Beklagte habe bei ihrer Bewertung der Verwertbarkeit der Lebensversicherungen auch die bereits erfolgten Teilauszahlungen berücksichtigt, ausschlaggebend sei jedoch allein die Bedarfslage im Zeitpunkt der Leistungsgewährung. Die bereits vor Leistungsbezug erfolgten Teilauszahlungen könnten nicht als "fiktives Vermögen" bewertet werden, die Lebensversicherungen unterlägen daher keiner Verwertung.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.12.2009 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheides vom 12.01.2010 zu verurteilen, Leistungen zur Sicherung des Lebens-unterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ab dem 01.12.2009 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie führt aus, dass die Auffassung des Klägers, bei der Beurteilung der Verwertbarkeit der fraglichen drei Lebensversicherungen im Sinne von § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II sei nur auf deren aktuellen - verbleibenden - Rückkaufswert abzustellen, fehl gehe. Der aktuelle Rückkaufswert sei vielmehr um die bereits geleisteten Teilauszahlungen zu erhöhen. Der sich daraus errechnete Gesamtbetrag sei sodann bei der Prüfung der Unwirtschaftlichkeit der Verwertung den eingezahlten Beträgen gegenüberzustellen. Soweit der Kläger seine Lebensversicherungen bereits teilweise verwertet habe, stünde dies einer Verwertung im Übrigen nicht entgegen. Unter Berücksichtigung der bereits geleisteten Auszahlungen sei eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung nicht gegeben.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten und die Prozessakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Die angefochtenen Bescheide sind im Ergebnis rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass verwertbares Vermögen vorliegt, welches der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II entgegen steht.

Gemäß § 7 Abs. 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7 a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige).

Gemäß § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu be-rücksichtigen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist Einkommen (§ 11 Abs. 1 SGB II) grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen, was er vor Antragstellung bereits hatte (Urteil des BSG vom 30.09.2008, B 4 AS 29/07 R). Auszugehen ist insoweit vom tatsächlichen Zufluss und dessen Zeitpunkt, es sei denn rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt.

In dem nach § 12 Abs. 4 Satz 2 SGB II maßgeblichen Zeitpunkt bei Antragstellung verfügte der Kläger über verwertbares Vermögen in Form von Kapitalvermögen in Höhe von 2860,89 EUR und drei Lebensversicherungen mit Rückkaufswerten in Höhe von 12.052,38 EUR, 2.400 EUR und 1.187,38 EUR.

Der Wert des Vermögens des Klägers überschritt somit im streitigen Zeitraum die Freibetragsgrenzen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 4 SGB II, die die Beklagte zutreffend mit insgesamt 9.000 EUR angegeben hat (7.250,- Euro gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 SGB II [55 x 150 EUR] zuzüglich des Freibetrages für notwendige Anschaffungen gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 4 SGB II in Höhe von 750 EUR).

Die Versicherungen waren damit oberhalb dieser Grenzen und unter Berücksichtigung des vorhandenen Kapitalvermögens grundsätzlich zumutbar verwertbares Vermögen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Die Verwertung der drei Lebensversicherungen ist nach der Rechtsauffassung der Kammer auch nicht offensichtlich unwirtschaftlich i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 1. Alt. SGB II.

Wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits in mehreren Entscheidungen ausgeführt hat, liegt eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit dann vor, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstandes steht (BSG, Urteile vom 15.04.2008 - B 14 AS 27/07 R, B 14/7b 53/06, B 14 AS 56/06 R; BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 66/06 R) Umgekehrt ist offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Vermögensverwertung nicht gegeben, wenn das Ergebnis der Verwertung vom wirklichen Wert nur geringfügig abweicht (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14 AS 27/07 R). Hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der Verwertung ist auf das ökonomische Kalkül eines rational handelnden Marktteilnehmers abzustellen.

Es ist mithin zu ermitteln, welchen Verkehrswert der Vermögensgegenstand gegenwärtig auf dem Markt hat. Dieser gegenwärtige Verkaufspreis ist dem Substanzwert gegenüber zu stellen. Dieser ergibt sich bei einem Lebensversicherungsvertrag aus den eingezahlten Beiträgen und der Verkehrswert aus dem Rückkaufswert der Versicherung (BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 66/06 R - m.w.N.).

Zur Frage, welche Verlustgrenze im Einzelnen zur offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit führt, hat der 11b. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 23.11.2006 (B 11b AS 17/06 R) angedeutet, dass er Verluste von mehr als 10 % als noch im Bereich des Wirtschaftlichen liegend betrachten würde. Der 14. Senat (vgl. Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 56/06 R -) hat die Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II bei einem Verlust von 12,9 % noch nicht als erreicht angesehen. Zugleich hat er darauf hingewiesen, dass der Substanzwert einer Lebensversicherung nicht nur darin besteht, dass Beiträge einbezahlt wurden, sondern dass zugleich mit einer Lebensversicherung eine Chance bzw. Anwartschaft auf eine wesentlich höhere Gesamtsumme im Fall der Auszahlung bzw. der Rentenzahlung verbunden ist. Angesichts dessen ist es als zweifelhaft angesehen worden, ob ein Verlust von 18,5 % (bei rein isolierter Betrachtung des Verhältnisses von eingezahlten Beträgen und Rückkaufswert) noch im Bereich der Wirtschaftlichkeit i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II liegt.

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben sieht die Kammer vorliegend die Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit i.S.d. § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II nicht als überschritten an.

Nach den Bescheinigungen der Versicherungsgesellschaft vom 09.11.2009 und 24.11.2009 waren zum 01.12.2009 auf die Lebensversicherungsverträge insgesamt 22.278,75 EUR (Versiche-rungsvertragsnummer 2.6 964 XXX.XX), 7.126,12 EUR (Versicherungsvertragsnummer 2.6 520 XXX.XX) und 3.561,72 EUR (Versicherungsvertragsnummer 2.6 499 XXX.XX) einbezahlt worden. Dem stehen Rückkaufswerte in Höhe von 12.051,38 EUR (Versicherungsvertragsnummer 2.6 964 XXX.XX), 2.400,00 EUR (Versicherungsvertragsnummer 2.6 520 XXX.XX) und 1.187,38 EUR (Versicherungsver-tragsnummer 2.6 499 XXX.XX) entgegen.

Der sich errechnende Verlust bei rein isolierter Betrachtung der Verhältnisse von eingezahlten Beiträgen zum aktuellen Rückkaufswert von 46% (Versicherungsvertragsnummer 2.6 964 XXX.XX) bzw. 66% (Versicherungsvertragsnummer 2.6 964 XXX.XX und 2.6 520 XXX.XX) liegt offensichtlich nicht mehr im Bereich der Wirtschaftlichkeit im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 Alt. 1 SGB II.

Zusätzlich zu den von der Versicherungsgesellschaft mitgeteilten Rückkaufswerten müssen vorliegend jedoch auch die bereits aus den Lebensversicherungen geleisteten Teilauszahlungen in Höhe von 9.205,20 EUR (Versicherungsvertragsnummer 2.6 964 078.40), 5.607,40 EUR (Versiche-rungsvertragsnummer 2.6 520 306.71) und 2.776,50 EUR (Versicherungsvertragsnummer 2.6 499 502.17) bei der Ermittlung der Wirtschaftlichkeit berücksichtigt werden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten sind diese jedoch nicht "fiktiv" bei der Ermittlung der Rückkaufswerte hinzuzurechnen. Dies widerspräche zum einen der Rechtsprechung des Bundes-sozialgerichts, welches ausgeführt hat, dass der Rückkaufswert gerade den gegenwärtigen, d.h. aktuellen Verkaufswert widerspiegelt (BSG, Urteil vom 15.04.2008 - B 14 AS 27/07 R), da durch das Hinzuaddieren von Beiträgen als Rechnungsposten keine realistische Abbildung des Marktwertes des Vermögensgegenstandes mehr erfolgt; zum anderen stehen dem Kläger die bereits vor Antragstellung geleisteten Beträge aus den Lebensversicherungen nicht mehr als bereites Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.03.2010 - L 7 B 386/09 AS ER).

Viel eher sind die unstreitig bereits erfolgten Teilauszahlungen beim aktuellen Substanzwert der Lebensversicherungen zu berücksichtigen.

Im Gegensatz zur herkömmlichen Lebensversicherung, bei welcher die Versicherungssumme erst bei Ende der Vertragslaufzeit ausbezahlt wird, stehen bei dem Modell der vereinbarten Teilauszahlung dem Versicherungsnehmer schon während der Versicherungslauflaufzeit erste Teilauszahlungen zu. Das Kapital gelangt in diesem Fall über die gesamte Laufzeit in festen Teilraten zur Auszahlung.

Verstirbt die versicherte Person wird je nach Vereinbarung entweder die zu Beginn des Vertrages vereinbarte Versicherungssumme fällig, die unabhängig von den bereits erfolgten Teilzahlungen ist, oder es wird die Summe abzüglich der bereits erfolgten Leistungen ausgezahlt.

Die Teilauszahlungen sind hierbei abhängig von dem Deckungskapital bzw. dem aktuellen Rückkaufswert des Vertrages. Bei Ablauf der Vertragszeit erhält der Versicherungsnehmer lediglich die letzte Teilrate der vereinbarten Versicherungssumme, welche somit gegenüber der Ablaufleistung einer Lebensversicherung ohne Teilauszahlungen deutlich vermindert ist.

Insofern ist es auch nicht möglich, zur Ermittlung der Wirtschaftlichkeit der Verwertung die einbezahlten Beträge als Substanzwert dem Rückkaufswert, welcher sich an der Höhe des Deckungskapitals orientiert, gegenüberzustellen, ohne die bereits geleisteten Teilauszahlungen ebenfalls zu berücksichtigen. Ansonsten wäre die Diskrepanz zwischen Verkehrswert und dem Wert der eingezahlten Beträge ab Auszahlung der erste Teilrate immer beachtlich, die Verwertung der Versicherung immer ausgeschlossen.

Berücksichtigt man vorliegend die erhaltenen Teilauszahlungen in Höhe von 9.205,20 EUR (Versi-cherungsvertragsnummer 2.6 964 XXX.XX), 5.607,40 EUR (Versicherungsvertragsnummer 2.6 520 XXX.XX) und 2.776,50 EUR (Versicherungsvertragsnummer 2.6 499 XXX.XX bei der Ermittlung des vorhandenen Deckungskapitals bzw. Substanzwertes, so ist keine Unwirtschaftlichkeit gegeben. Bei den Versicherungsvertragsnummern 2.6 520 XXX.XX und 2.6 499 XXX.XX übersteigt der aktuelle Rückkaufswert bereits den Substanzwert, bei Versicherungsvertragsnummer 2.6 964 XXX.XX ist die Grenze der offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit mit einem Verlust von ca. 8 % nicht erreicht.

Danach war die Klage als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Rechtskraft
Aus
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