L 5 AS 197/11 B ER

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 58 AS 1492/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 AS 197/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Mai 2011 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die am 30. Mai 2011 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den am 25. Mai 2011 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 24. Mai 2011, durch den der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt worden ist, ist statthaft und zulässig (§ 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 173 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Sie ist jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, dem Begehren der Antragstellerin zu entsprechen, den Antragsgegner vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ohne Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen des Herrn S. E. zu gewähren. Insoweit nimmt der Senat auf den Beschluss des Sozialgerichts entsprechend § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind nach § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft zu machen. Die Antragstellerin hat jedoch nicht in dem hohen Maße, das für den Erlass einer die Hauptsache faktisch vorwegnehmenden einstweiligen Anordnung erforderlich ist, dargelegt und glaubhaft gemacht, die beantragten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zur Zeit beanspruchen zu können und hierauf zur Vermeidung wesentlicher Nachteile angewiesen zu sein.

Die Beschwerdebegründung, mit der im Wesentlichen vorgetragen wird, dass das Sozialgericht die Darlegungs- und Beweislast in § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II verkannt habe, gibt keine Veranlassung zu einer abweichenden Betrachtung. Denn es liegen hinreichende Indizien dafür vor, dass die Antragstellerin und Herr S. E. eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II bilden.

Zur Bedarfsgemeinschaft gehören nach § 7 Abs. 3 Nrn. 1 und 3c SGB II die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten – dies betrifft die am 20. Mai 1969 geborene Antragstellerin – und als Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Person – hier der am XX.XXXXX 1972 geborene Herr S. E. –, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.

Mit der zum 1. August 2006 neu gefassten Regelung des § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II umschreibt der Gesetzgeber nach wie vor die so genannte eheähnliche Lebensgemeinschaft. Dass der Gesetzgeber an dem damit verbundenen Begriffsinhalt auch mit der Neufassung festhalten wollte, ergibt sich schon aus dem Anlass der Umformulierung der Vorschrift. Diese sollte lediglich dazu dienen, in die Definition auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften einzubeziehen. Vor diesem Hintergrund war es nicht erforderlich, von dem tradierten Begriff der Einstandsgemeinschaft – wie er vom Bundesverfassungsgericht, Bundessozialgericht und Bundesverwaltungsgericht entwickelt worden ist – abzuweichen (vgl. Beschluss des Senats vom 4. 3. 2010, Az.: L 5 B 471/09 ER AS).

Was Inhalt dieses Begriffes ist und was bei der Prüfung des Vorliegens einer solchen Einstandsgemeinschaft zu beachten ist, hat das Sozialgericht umfassend und zutreffend dargestellt. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass sich die Partner im Sinne eines wechselseitigen Einstandswillens so sehr füreinander verantwortlich fühlen, dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.11.1992, Az.: 1 BvL 8/87; BSG, Urteil vom 17.10.2007, Az.: B 11a/7a AL 52/06 R, SozR 4-4300 § 144 Nr. 16; BSG, Urteil vom 13.11.2008, Az.: B 14 AS 2/08 R, BSGE 102, 76; Beschluss des Senats vom 28.5.2010, Az.: L 5 AS 132/10 B ER). Nach Überzeugung des Senats ist ein solcher wechselseitiger Einstandswille im Verhältnis zwischen der Antragstellerin und Herrn S. E. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Dieses geht aus der Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II hervor. Die Vermutungsregelung des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II ist entgegen der vom Sozialgericht vertretenen Auffassung im vorliegenden Falle anwendbar.

§ 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II setzt voraus, dass Partner länger als ein Jahr (in einem Haushalt) zusammenleben. Weder genügt es daher für die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft, dass Personen länger als ein Jahr zusammen wohnen. Noch genügt es, wenn Personen nicht partnerschaftlich zusammenleben. Erforderlich neben dem Zeitablauf ist für das Eingreifen der Vermutung, dass ein partnerschaftliches Zusammenleben in einem Haushalt feststeht (Valgolio in Hauck/ Noftz, SGB II, § 7 Rn. 56a). Zusammenleben setzt - anders als bloßes Zusammenwohnen -, eine gemeinsame Haushaltsführung voraus, also ein gemeinsames Wirtschaften "aus einem Topf". Das "Zusammenleben" muss geeignet sein, den Schluss auf das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft zu begründen und erfordert, dass zum schlichten gemeinsamen Wohnen in einer Wohnung weitere Gesichtspunkte hinzukommen (vgl. LSG Berlin- Brandenburg vom 4. 4. 2011, Az.: L 10 AS 517/11 B ER, L 10 AS 524/11 B PKH; Sächsisches LSG, Urteil vom 7. 1. 2011, Az.: L 7 AS 115/09; ständige Rechtsprechung des 9. Senats des LSG Niedersachsen- Bremen seit seinem Beschluss vom 3. August 2006, Az.: L 9 AS 349/06 ER, a. A.: LSG Niedersachsen- Bremen, Beschluss vom 2.3.2007, Az.: L 13 AS 24/06; LSG Sachsen- Anhalt, Urteil vom 25.11.2010, Az.: L 2 AS 187/07). Gelingt dem Gegner der Nachweis der Voraussetzungen von § 7 Abs. 3a SGB II, so wird der für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft erforderliche wechselseitige Einstandswille vermutet.

Diesen Nachweis zu führen ist dem Antragsgegner hier gelungen.

Es liegen Hinweistatsachen vor, die auf ein Zusammenleben der Antragstellerin mit Herrn E. schließen lassen. Dieses ergibt sich daraus, dass die Antragstellerin seit mehr als einem Jahr, nämlich seit mehr als vier Jahren, mit Herrn S. E. zusammen wohnt und sich dieses Zusammenwohnen auf sehr engem Raum gestaltet, und zwar in einer lediglich 39,93 qm umfassenden Zwei-Zimmer-Wohnung. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, den Schluss zu ziehen, dass ein so beengter Wohnraum für zwei Personen zu erheblicher Nähe führt und eine Rückzugsmöglichkeit, wie sie bei Wohngemeinschaften gegeben ist, für den Einzelnen kaum vorstellbar ist. Der Untermietvertrag zwischen der Antragstellerin und Herrn S. E. vom 1. Juli 2007 weist zudem aus, dass die Antragstellerin die gesamte Wohnung "zur gemeinsamen Nutzung" angemietet hat (§ 1 Abs. 2 des Untermietvertrages). Diese Umstände lassen auf das Vorliegen eines über eine Wohngemeinschaft hinausgehenden partnerschaftlichen Zusammenlebens schließen. Hinzu kommt, dass auch keine Mietzahlungen der Antragstellerin an Herrn E. durch entsprechende Kontoauszüge belegt werden können – nach Angaben der Antragstellerin und des Herrn E. werde der Untermietzins in bar gezahlt.

Eine weitere Aufklärung der Verhältnisse hat die Antragstellerin, die allein dazu im Stande ist, verweigert, indem sie weder einem Hausbesuch durch Vertreter des Antragsgegners zugestimmt noch einen Fragebogen des Sozialgerichts beantwortet hat. Der Inhalt der von der Antragstellerin und Herrn E. abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen vom 26. April 2011 sowie die vorgelegte Genehmigung der SAGA zur Untervermietung sagen über die tatsächlichen Wohnverhältnisse nichts aus. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Antragsgegner es unterlassen hat, der Antragstellerin die Anlage VE zur Prüfung, ob eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliegt, zu übersenden. Nach dem sich aus der Verwaltungsakte des Antragsgegners ergebenden Sachverhalt wurde die Antragstellerin am 16. März 2011 zur Durchführung eines Hausbesuchs befragt und am 1. April 2011 bezüglich ihres am 28. März 2011 gestellten Fortzahlungsantrages auf Leistungen ab dem 1. Mai 2011 angeschrieben und auf ihre Mitwirkungspflichten hingewiesen, was die Antragstellerin mit Schreiben vom 7. April 2011 abgelehnt hat. Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer Ansicht, nicht zur weiteren Mitwirkung verpflichtet zu sein, keine Fragebögen zum Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft ausgefüllt hätte.

Bei dieser Sachlage, bei der die weitere Prüfung des Sachverhalts ohne eine Mitwirkung der Antragstellerin nicht möglich ist (vgl. von Wulffen, in: ders., SGB X, 7. Auflage 2010, § 20 Rn. 6), geht das Fehlen eingehender Feststellungen zu den Lebensverhältnissen der Antragstellerin und des Herrn E. zu Lasten der Antragstellerin und ist der Nachweis eines partnerschaftlichen Zusammenlebens als erfüllt anzusehen (vgl. Berchtold, in: Berchtold/ Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, Kap. 5, Rn. 573 f.; Udsching, in: Krasney/ Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage 2008, Kap. III Rn. 29; Kothe, in Redeker/ von Oertzen, VwGO, 15. Auflage 2010, § 108 Rn. 13a; Nierhaus, Beweismaß und Beweislast, 1989, S. 351). Ist nämlich das Vorhandensein der in § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II genannten Hilfstatsachen hinreichend belegt, so ist es Sache des Anspruchsstellers, plausible Gründe darzulegen, die das Zusammenleben dagegen als reine Zweckgemeinschaft erscheinen lassen. Daran sind zwar keine hohen Anforderungen zu stellen (Brühl/ Schoch in LKP – SGB II, 3. Auflage 2009, § 7 Rn. 88); allein das Bestreiten des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft – wie hier – reicht aber nicht.

Auch der Umstand, dass die Leistungen nach dem SGB II für die Antragstellerin existenzsichernd wären, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Die verfassungsrechtliche Dimension, die einem Anspruch auf Existenzsicherung nach dem SGB II innewohnt, führt nicht dazu, dass ein Antragsteller die ihm zumutbaren Mitwirkungshandlungen verweigern darf, um auf diese Weise Leistungen zu erlangen, die ihm bei einer Mitwirkung (eventuell) nicht zustehen (LSG Mecklenburg- Vorpommer, Beschluss vom 22.2.2007, Az.: L 8 B 11/07). Die Antragstellerin hat an der Aufklärung des Vorliegens einer Bedarfsgemeinschaft mitzuwirken. Unterlässt sie dieses, bleibt der hier für gegeben erachtete Vermutungstatbestand bestehen.

Schließlich ist auch aus Gründen der Überbrückung der Zeit bis zum Nachholen einer der Antragstellerin obliegenden Widerlegung der Vermutung eine Leistungsgewährung nicht angezeigt. Die Verzögerung, die sich aus der möglicherweise doch noch zu berücksichtigenden qualifizierten Gegendarstellung der Antragstellerin ergibt, hat die Antragstellerin selbst verursacht, so dass sich eine Leistungsgewährung nicht rechtfertigt (Bayerisches LSG, Beschluss vom 22.8.2008, Az.: L 7 B 512/08 AS ER). Auch in diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerin selbst den durch das Sozialgericht übersandten Fragenkatalog - inklusive Anforderung einer Skizze zur Wohnungsaufteilung und Möblierung - zur Ausgestaltung ihrer Lebensverhältnisse nicht beantwortet hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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