S 16 SO 94/09

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
16
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 16 SO 94/09
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Übernahme der Miete während der Zeit seiner Untersuchungshaft (U-Haft).

Der 1972 geborene Kläger erhielt bis zum Antritt seiner U-Haft am 03.03.2009 Arbeitslosengeld II (Alg II). Nachdem das Job Center Duisburg die Übernahme der Kosten der Unterkunft während der Zeit der U-Haft abgelehnt hat, beantragte der Kläger am 03.04.2009 bei der Beklagten die Übernahme der Miete bis zu seiner Haftentlassung. Er legte eine Bescheinigung der JVA Duisburg vor, wonach der Haftentlassungstermin offen ist.

Mit Bescheid vom 05.05.2009 und Widerspruchsbescheid vom 27.08.2009 lehnte die Beklagte die Übernahme der Miete nach § 34 SGB XII mit der Begründung ab, dass diese lediglich für eine kurzfristige Haft bei zu 3 Monaten übernommen werden könne. Vorliegend sei das Haftende jedoch nicht absehbar. Darüber hinaus drohe auch keine Wohnungslosigkeit. Dies läge nicht bereits vor, wenn der Verlust der konkret angemieteten Wohnung drohe, sondern erst dann, wenn nach der Haftentlassung nicht rechtzeitig zumutbarer Ersatz gefunden werden könne. Dies sei vorliegend nicht ersichtlich. Darüber hinaus könne der Kläger die Hilfe der Fachstelle für Wohnungsnotfälle in Anspruch nehmen.

Mit seiner am 08.09.2009 erhobenen Klage macht der Kläger geltend, dass die Ermessenerwägungen der Beklagten nicht sachgerecht seien. Der Begriff "kurzfristig" werde in der genannten Vorschrift gar nicht erwähnt. Darüber hinaus sei es der U-Haft geradezu immanent, dass deren Dauer nicht absehbar sei. Er sei am 15.09.2009 aus der U-Haft entlassen worden und in seine Wohnung zurückgekehrt. Die Miete sei sodann wieder vom Job Center übernommen worden. Es habe sich lediglich um eine etwas über 6monatige Haftdauer gehandelt, in der Mietrückstände für die Zeit von April bis September 2009 in Höhe von 2.118,00 Euro aufgelaufen seien. Die Miete für März 2009 sei noch vom Job Center übernommen worden. Der Vermieter habe das Mietverhältnis während der Zeit der U-Haft gekündigt. Er habe jedoch mit dem Vermieter vereinbart, zunächst das vorliegende Verfahren abzuwarten, bevor rechtliche Schritte eingeleitet werden. Aktuell verbüße er seine Strafhaft. Die Wohnung sei daher gekündigt und anderweitig vermietet worden. Die von der Beklagten zu Grunde gelegten Richtlinien des Ministeriums für Gesundheit und Soziales des Landes NRW seine vorliegend nicht einschlägig, da sie § 22 SGB II betreffen. Außerdem gelte § 67 SGB XII (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten).

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 05.05.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.08.2009 zu verurteilen, für die Zeit vom 01.04.2009 bis 30.09.2009 die angefallene Miete in Höhe von 2.118,00 Euro zu übernehmen,

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung aus den im Widerspruchsbescheid genannten Gründen für rechtmäßig. Laut den Richtlinien des Ministeriums für Gesundheit und Soziales des Landes NRW seien kurzfristige Abwesenheitszeiten, also Zeiträume bis maximal drei Monate, zu berücksichtigen. Vorliegend sei das Ende der U-Haft zunächst nicht absehbar gewesen und habe im Ergebnis über sechs Monate betragen. Darüber hinaus stehe die Leistung in ihrem Ermessen. Sie habe dieses dahingehend ausgeübt, die Mietübernahme abzulehnen. Anhaltspunkte dafür, dass das Ermessen ausnahmsweise ausschließlich dahingehend auszuüben gewesen wäre, die Hilfe zu gewähren, bestehen nicht.

Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die den Kläger betreffende Leistungsakte der Beklagten. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Übernahme der Miete für seine Wohnung während der Zeit seiner U-Haft.

Streitig ist vorliegend nach dem Vortrag des Klägers die Übernahme der Miete für Zeit vom 01.04.2009 bis 30.09.2009.

Ein Anspruch auf Übernahme der rückständigen Miete nach §§ 19, 29 oder 34 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch (SGB XII) für die Zeit nach der Haftentlassung, vom 15.09.2009 bis 30.09.2009, scheidet bereits deshalb aus, weil der Kläger sich ab 15.09.2009 wieder in seiner Wohnung befunden hat. Er hatte daher als erwerbsfähiger Hilfebedürftiger gegenüber dem Job Center einen nach § 5 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II) gegenüber dem SGB XII vorrangigen Anspruch auf Alg II und damit auch auf Übernahme der Kosten der Unterkunft.

Für die Zeit vom 01.04.2009 bis 14.09.2009 besteht ebenfalls kein Anspruch auf Übernahme der Miete aus Mitteln der Sozialhilfe.

Soweit als maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt auf den Tag der Antragstellung bei der Beklagten (April 2009) abgestellt wird, ist das Begehren des Klägers so zu verstehen, dass er die Übernahme der aktuell und zukünftig fällig werdenden Miete begehrt. Insoweit kommen als Anspruchsgrundlagen die §§ 19, 27 SGB XII sowie 67 SGB XII in Betracht. Da zum Zeitpunkt der Antragstellerung bei der Beklagten keine Mieten rückständig waren, scheidet § 34 SGB XII als Anspruchsgrundlage aus.

Die §§ 19, 27 Abs. 1 und 29 Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch (SGB XII; Hilfe zum Lebensunterhalt) kommen für die zum Zeitpunkt der Antragstellung fälligen und die zukünftigen Mieten als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht. Der Anspruch ist jedoch nicht bereits wegen § 5 Abs. 2 SGB II ausgeschlossen (so aber: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2010, Az: L 23 SO 46/10 B ER), denn nach § 7 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB II erhält derjenige erwerbsfähige Hilfebedürftige gerade keine Leistungen nach dem SGB II, der sich – wie der Kläger – in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung befindet. Aus diesem Grund regelt das SGB XII in § 98 Abs. 4 SGB XII auch, welcher Sozialhilfeträger Leistungen nach dem SGB XII an Personen zu erbringen hat, die sich in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung befinden (vgl. Wahrendorf, in: Grube/ Wahrendorf, SGB XII-Kommentar, 3. Aufl. § 98 Rn. 31). Personen, die sich in einer entsprechenden Einrichtung befinden, sind daher dem Grunde nach anspruchsberechtigt nach dem SGB XII, soweit ein entsprechender Bedarf besteht. Vorliegend besteht ein solcher Bedarf gerade nicht, denn der Bedarf des Klägers an Unterkunft ist im streitigen Zeitraum dadurch sichergestellt worden, dass er sich in U-Haft befand. Die streitigen Unterkunftskosten dienen damit nicht dem aktuellen Bedarf des Klägers an einer Wohnung, sondern vielmehr der Erhaltung dieser Wohnung bis zum Zeitpunkt seiner Entlassung aus der Haft. Damit gehören die Kosten der Unterkunft aber nicht zum gegenwärtigen Bedarf des Klägers an Hilfe zum Lebensunterhalt (ebenso: SG Münster, Beschluss vom 02.05.2005, Az: S 12 SO 31/05 ER und SG Duisburg, Urteil vom 06.08.2008, Az: S 16 (35) SO 2/06).

Auch § 67 SGB XII scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Der Kläger gehört nicht zum Personenkreis der nach § 67 SGB XII Leitungsberechtigten (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2010, Az: L 23 SO 46/10 B ER). Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 SGB XII sind Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. Hieraus ergibt sich ein Rechtsanspruch und nicht nur ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Aufl., § 67 Rz 4). Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Lebensverhältnisse wird in § 1 Abs. 2 der Verordnung zu § 69 SGB XII - Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten - (VO) anhand der dort genannten Beispiele konkretisiert. Danach bestehen besondere Lebensverhältnisse bei Personen, die aus einer geschlossenen Einrichtung entlassen werden. Dies betrifft auch die Entlassung aus der Haft. Dem Inhaftierten kann Obdachlosigkeit drohen, wenn er nicht in seine Wohnung zurückkehren kann. Insoweit ist die Hilfe zur Erhaltung der Wohnung (§ 4 VO) auch präventiv, weil sie im Hinblick auf eine bevorstehende, konkret abzusehende Entlassung erforderlich ist (vgl. Bayerisches Landessozialgericht (LSG), Beschluss vom 17.09.2009, Az: L 18 SO 111/09 B ER).

Der Kläger gehört jedoch nicht zu den Personen, bei denen im Sinne von § 1 Abs. 3 VO besondere soziale Schwierigkeiten der Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft entgegenstehen. Nach § 1 Abs. 3 VO liegen soziale Schwierigkeiten dann vor, wenn ein Leben in der Gemeinschaft durch ausgrenzendes Verhalten des Hilfesuchenden oder eines Dritten wesentlich eingeschränkt ist, u.a. im Zusammenhang mit Straffälligkeit. Soziale Schwierigkeiten allein und damit Lebensschwierigkeiten allgemeiner Art reichen nicht aus. Die sozialen Schwierigkeiten müssen vielmehr von einer solchen Intensität sein, dass dem Betroffenen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft nicht nur vorübergehend entweder nicht oder nur erheblich eingeschränkt möglich ist (Schoenfeld in: Grube/ Wahrendorf, SGB XII-Kommentar, 2. Aufl. § 67 Rn. 10 m.w.N.). Eine wesentliche Teilhabeeinschränkung in diesem Sinne ist weder dargetan noch sonst erkennbar. Der Kläger ist zwar straffällig geworden, dies führte jedoch nach Ende der U-Haft nicht zu einer Teilhabeeinschränkung durch sein oder das Verhalten Dritter. Hiervon wäre erst dann auszugehen, wenn dem Kläger z. B. nach Verbüßung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe die ungewohnte eigenverantwortliche Lebensführung tief greifende Probleme bereiten würde oder wenn die Art seines Vergehens zu einer dauerhaften gesellschaftlichen Ächtung mit entsprechenden Folgen führen würde. Derartige Probleme sind im Fall des Klägers nicht ersichtlich. Diese Entwicklung war während der U-Haft auch absehbar. Die Schwierigkeiten, bei bestehenden Mietschulden neuen Wohnraum anzumieten, sind Lebensschwierigkeiten allgemeiner Art, denen der allein stehende Kläger mithilfe des für ihn zuständigen Job Centers (etwa durch Mietübernahmeerklärungen gegenüber einem neuen Vermieter) oder mit der angebotenen Hilfe der Beklagten begegnen kann (vgl. zum Ganzen: LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 04.05.2010, Az: L 23 SO 46/10 B ER).

Soweit auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt wird, kommt als Anspruchsgrundlage lediglich § 34 SGB XII in Betracht, denn bei den geltend gemachten Mieten handelt es sich dann um rückständige Mieten und damit um Schulden.

§ 34 Abs. 1 SGB XII ist vorliegend dem Grunde nach anzuwenden (ebenso: SG Münster, Beschluss vom 02.05.2005, Az: S 12 SO 31/05 ER). Wie bereits dargelegt, scheidet ein vorrangiger Anspruch nach dem SGB II aus. Ein Anspruch des Klägers auf Übernahme der Mietschulden nach § 34 Abs. 1 SGB XII besteht jedoch nicht. Nach dieser Vorschrift können Schulden nur übernommen werden, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist (Satz 1). Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2). Zum hier maßgeblichen Beurteilungszeitraum der letzten mündlichen Verhandlung, war eine Übernahme nicht gerechtfertigt, denn die Wohnung stand dem Kläger zum einen auch nach seiner Haftentlassung noch zur Verfügung und musste durch die Übernahme der Mietschulden daher nicht gesichert werden. Zum anderen kann diese Unterkunft aktuell nicht mehr gesichert werden, denn das Mietverhältnis ist gekündigt und die Wohnung bereits anderweitig vermietet.

Lediglich ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass es sich bei der Übernahme der Mietschulden nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB XII um eine Ermessensleistung der Beklagte handelt. Es steht daher in ihrem Ermessen zu bestimmen, ob und in welchem Umfang eine Übernahme der Miete erfolgt. Regelmäßig kann die Miete während der Dauer einer Haft übernommen werden, wenn eine Resthaftzeit von bis zu 6 Monaten zu verbüßen ist (SG Duisburg, Urteil vom 06.08.2008, Az: S 16 (35) SO 2/06). Es dürfte jedoch nicht zu beanstanden sein, wenn die Beklagte im vorliegenden Fall eine Rest-Haftdauer von 3 Monaten oder weniger verlangt. Insoweit hat eine Abwägung zwischen der Angemessenheit des Einsatzes öffentlicher Mittel mit dem Interesse des Einzelnen am Erhalt seiner Wohnung stattzufinden. Ist bei Antragstellung jedoch der Zeitpunkt der Haftentlassung völlig offen, ist es nicht ermessensfehlerhaft, den Antrag abzulehnen, zumal vorliegend noch keine Mietrückstände aufgelaufen waren, so dass zunächst kein Wohnungsverlust drohte. Unabhängig davon, ob eine Übernahme bei einer Resthaftdauer von bis zu drei oder bis zu sechs Monaten in Betracht kommt, scheidet die Übernahme der Miete während der U-Haft vorliegend deshalb aus, weil diese mehr als sechs Monate betrug. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass – wie der Kläger vorträgt – die Verkündung des Urteils zunächst innerhalb von 6 Monaten angekündigt worden ist, sich dann jedoch verzögert hat und die Haftentlassung daher erst nach 6 Monaten erfolgt ist. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Haftdauer, denn ausschließlich hieraus ergibt sich, ob die Übernahme der Miete aus öffentlichen Mitteln noch angemessen ist oder nicht. Die Gründe, die zu einer Verlängerung der U-Haft geführt haben, sind für die anzustellenden Ermessenserwägungen daher nicht relevant.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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