L 7 SO 133/11 B

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 27 SO 102/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 SO 133/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 13. April 2011 aufgehoben und der Klägerin Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug ohne Ratenzahlung ab Antragstellung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. D., B-Stadt, bewilligt.

Gründe:

Die am 25. Mai 2011 beim Sozialgericht eingegangene Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main (SG) vom 13. April 2011, ausweislich des Empfangsbekenntnisses des Prozessbevollmächtigten zugestellt am 2. Mai 2011, ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor.

1. Die Beschwerde ist zunächst statthaft.

Dies setzt bei einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der das SG die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hat, regelmäßig voraus, dass in der Hauptsache ein statthaftes Rechtsmittel eingelegt werden könnte (vgl. hierzu ausführlich: Hess. LSG, 06.07.2009 – L 9 B 274/08 AS und 08.07.2009 – L 6 AS 174/09 B; außerdem Senat, 13.07.2009 – L 7 AL 89/09 B und 04.10.2010 – L 7 AS 436/10 B). Davon ist hier im Ergebnis auszugehen.

Bedenken können insoweit bestehen, weil die Beklagte durch den angegriffenen Bescheid vom 4. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2010 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 900,76 Euro monatlich für die Zeit vom 1. Juli 2009 bis 30. Juni 2010 bewilligt und dabei einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 46,- Euro monatlich berücksichtigt hat. Die Klägerin macht demgegenüber geltend, dass von einem Mehrbedarf von 70,20 Euro monatlich auszugehen sei. Insoweit ergibt sich eine Differenz von 24,20 Euro monatlich. Der Zeitraum, der durch den streitigen Bescheid geregelt wird, geht nicht über ein Jahr hinaus; ihm dürfte dementsprechend keine Ablehnung entsprechender Leistungen (bzw. der Berücksichtigung des Mehrbedarfs für die folgenden Leistungszeiträume) zu entnehmen sein.

Bei der Berechnung ist jedoch die Beschwer der Klägerin, die sich aus dem weiteren Bescheid vom 3. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2010 ergibt, einzubeziehen. Die Klägerin hatte im Klageschriftsatz vom 4. Mai 2010 im Wege der objektiven Klagehäufung sowohl den Bescheid vom 4. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2010 als auch den Bescheid vom 23. August 2009 (richtig: 3. August 2009) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2010 angegriffen. Durch diesen sieht sich die Beklagte berechtigt, ab 1. September 2009 einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gar nicht mehr zu berücksichtigen. Insgesamt beträgt die Differenz zwischen den von der Klägerin begehrten Leistungen und den von der Beklagten erbrachten daher bereits im Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2009 bis 30. Juni 2010 768,40 Euro (je 72,- Euro für die zehn Monate von September 2009 bis Juni 2010 und je 24,20 Euro für Juli und August 2009). Die Summe von mehr als 750 Euro, ab der eine Klage, die – wie hier – eine Geldleistung betrifft, von Gesetzes wegen berufungsfähig (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) und damit eine Beschwerde im Prozesskostenhilfeverfahren auch unter Berücksichtigung von § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 2 S. 2 HS. 2 ZPO (Zivilprozessordnung) statthaft ist, ist damit erreicht. Es kommt nicht mehr darauf an, ob der Bescheid vom 23. August 2009 darüber hinaus so verstanden werden kann und muss, dass mit ihm Leistungen wegen eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung auf Dauer und somit für mehr als ein Jahr abgelehnt werden sollten – obwohl es zumindest zweifelhaft ist, ob eine Rechtsgrundlage für eine derartige isolierte Entscheidung über ein Berechnungselement und ohne Rücksicht auf den üblichen Bewilligungszeitraum existiert (vgl. Bay. LSG, 17.01.2011 – L 11 AS 926/10 B PKH). Ebenfalls kommt es nicht darauf an, ob der zeitlich ohne Beschränkung formulierte Leistungsantrag – soweit er über den 30. Juni 2010 hinausreicht – statthaft ist und ob und wie die möglicherweise fehlende Statthaftigkeit bei der Berechnung der Beschwer zu berücksichtigen ist, ob also der Argumentation der Klägerin aus dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28. Juni 2011 gefolgt werden kann, streitig seien in beiden Verfahren die Zahlungen von September 2009 bis (zumindest) Juni 2011.

Das SG führt allerdings – wenn auch ohne förmlichen Trennungsbeschluss – die Klage gegen den Bescheid vom 4. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. April 2010 einerseits und die Klage gegen den Bescheid vom 3. August 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2010 andererseits in unterschiedlichen Verfahren. Dies hat regelmäßig zur Folge, dass sich der Beschwerdewert nach den verselbständigten Prozessteilen richtet. Anders ist dies jedoch, wenn ein sachlicher Grund für die Trennung nicht ersichtlich ist; dann ist es ausreichend, wenn die Berufungssumme bei Zusammenrechnung der Ansprüche erreicht wird (vgl. BGH, 06.07.1995 – I ZR 20/93; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG – Kommentar, 8. Aufl. 2008, § 144 Rdnr. 18a).

So liegt es hier. Insbesondere besteht zwischen dem Bescheid vom 4. Juni 2009 und dem vom 3. August 2009 ein enger Zusammenhang. Letzterer ist zwar als isolierte Ablehnung einer "Hilfeart Krankenkostzulage" ab September 2009 formuliert. Tatsächlich stellt der Mehrbedarf jedoch nur ein Berechnungselement bei der Bewilligung der Grundsicherungsleistungen dar. Überdies hatte die Beklagte Leistungen unter Berücksichtigung eines entsprechenden Bedarfs – wenn auch nur in Höhe von 46,00 Euro – bis 30. Juni 2010 bereits bewilligt. Mit dem Bescheid vom 3. August 2009 änderte sie also – auch wenn sie dies möglicherweise nicht so gesehen hat – die Leistungsbewilligung aus dem Bescheid vom 4. Juni 2009 ab; der Bescheid vom 3. August 2009 hätte daher nach § 86 SGG als Gegenstand des bereits anhängigen Widerspruchsverfahrens behandelt werden müssen. Gerade § 86 SGG verdeutlicht, dass der Gesetzgeber in derartigen Fällen regelmäßig eine einheitliche rechtliche Überprüfung als sachgerecht ansieht. Zudem stützt die Klägerin in beiden Verfahren ihr Klagebegehren auf die Behauptung, auf Grund der bei ihr vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von 70,20 Euro zu berücksichtigen. Demgegenüber sind Ermessensgesichtspunkte, die dennoch eine Trennung erlaubten, nicht ersichtlich, so dass für die Beurteilung der Statthaftigkeit die hypothetischen Berufungssummen beider Verfahren zusammenzurechnen sind.

2. Sonstige Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit bestehen nicht.

3. Entgegen der Auffassung des SG liegen zudem die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter anwaltlicher Beiordnung vor.

a) Gemäß § 114 S. 1 ZPO, der über die Verweisungsnorm des § 73a Abs. 1 S. 1 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren gilt, ist einem Beteiligten auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Der Maßstab für die dabei geforderten Erfolgsaussichten ist im Lichte der grundrechtlich garantierten Rechtsschutzgleichheit zu bestimmen. Sie folgt aus dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz aus Art. 20 Abs. 3 GG. Gefordert ist hiernach eine Angleichung der Rechtsschutzmöglichkeiten eines Unbemittelten mit denen eines Bemittelten, der seine Erfolgsaussichten unter Berücksichtigung des Kostenrisikos vernünftig abwägt. Hinreichende Erfolgsaussichten sind zu bejahen, wenn für den Antragsteller eine nicht fernliegende Möglichkeit besteht, sein Rechtsschutzziel durch die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes jedenfalls unter Zuhilfenahme aller verfahrensrechtlich vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen instanzgerichtliche Entscheidungen durchzusetzen (Bundesverfassungsgericht, 14.6.2006 – 2 BvR 626/06; BVerfGE 81, 347 (357); stRspr).

Von derartigen Erfolgsaussichten ist, wenn eine Rechtsfrage im Zentrum der Auseinandersetzung steht, auszugehen, wenn diese weder angesichts der gesetzlichen Regelung noch im Hinblick auf Auslegungshilfen, die sich aus bereits vorliegender Rechtsprechung ergeben, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (BVerfGE 81, 347 (359)) noch höchstrichterlich geklärt ist. Nur so verbleibt dem Unbemittelten die Möglichkeit, seinen klärungsbedürftigen Rechtsstandpunkt zumindest im Hauptsacheverfahren zu vertreten und von dort aus in die höhere Instanz zu bringen (BVerfG, 14.6.2006 – 2 BvR 626/06 mwN).

Andererseits sind die Erfolgsaussichten grundsätzlich als hinreichend anzusehen, wenn eine weitere Sachverhaltsaufklärung – über die geforderte Mitwirkungsobliegenheit des Antragstellers nach § 103 S. 1 SGG hinaus – ernstlich in Betracht kommt. Dabei darf die Erfolgsprognose (nur) in sehr engen Grenzen auf eine vorweggenommene Beweiswürdigung gestützt sein.

b) Ausgehend von diesem Maßstab sind hinreichende Erfolgsaussichten im vorliegenden Verfahren gegeben.

Die Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahre 2008 enthalten zu der bei der Klägerin vorliegenden Laktoseintoleranz keine ausdrückliche Beurteilung. Hinzu kommt, dass die Klägerin an einem Diabetes mellitus leidet und sich beide Gesundheitsbeeinträchtigungen möglicherweise – und nach dem Vortrag der Klägerin – beeinflussen bzw. in ihren Auswirkungen auf das Ernährungsverhalten und die damit verbundenen Kosten verstärken. Die amtsärztlichen Stellungnahmen, auf die sich die Beklagte bei ihren Entscheidungen gestützt hat, sind demgegenüber sehr kurz gehalten, so dass sich ein eindeutiger medizinischer Sachstand auch bei deren Berücksichtigung nicht ergibt: So hat Dr. E. in der Stellungnahme vom 13. Juli 2009 ausgeführt, der Zuschlag könne nur gewährt werden, wenn der BMI unter 18,5 liege und/oder ein schneller krankheitsbedingter Gewichtsverlust (über 5% des Ausgangsgewichts in den letzten drei Monaten) zu verzeichnen sei. Damit werden die in den Empfehlungen des Deutschen Vereins formulierten Kriterien für einen Mehrbedarf bei verzehrenden Erkrankungen und gestörter Nährstoffaufnahme bzw. Nährstoffverwertung aufgenommen, nicht aber erläutert, aus welchen Gründen diese im konkreten Fall der Klägerin maßgeblich sein sollen. In der Stellungnahme vom 23.10.2009 wird – im Zusammenhang mit dem Wunsch der Klägerin nach einem persönlichen Gespräch – darauf verwiesen, die Entscheidung entspreche den Richtlinien, ohne dass deutlich würde, um welche Richtlinien es sich handelt und welche Grundlage diese ggf. haben.

In Anbetracht des insbesondere von den behandelnden Ärztinnen Dr. F. und G. mehrfach – wenn auch ebenfalls kurz und ohne nähere Begründung – attestierten Mehrbedarfes ist nach Auffassung des Senats eine weitere Aufklärung des medizinischen Sachverhalts geboten.

Die Frage, ob eine Laktoseintoleranz, also eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, überhaupt – auch wenn sie zu einem Mehrbedarf führen sollte – im Rahmen von § 30 Abs. 5 SGB XII berücksichtigungsfähig ist, ist eine Rechtsfrage, die noch nicht jedenfalls nicht zu Ungunsten der Klägerin – abschließend geklärt ist.

Auch wenn insgesamt ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs – noch dazu in der geforderten Höhe – nicht übermäßig wahrscheinlich sein mag, sind doch hinreichende Erfolgsaussichten für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe gegeben.

c) Auch hinsichtlich der sonstigen Voraussetzungen hierfür bestehen keine durchgreifenden Zweifel, namentlich hat die Klägerin die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen durch die Vorlage des aktuellen Bewilligungsbescheides für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII hinreichend belegt.

Die anwaltliche Beiordnung erfolgt nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO. Sie ist erforderlich, weil die Gegenseite sich im Rechtsstreit rechtskundiger und prozesserfahrener Mitarbeiter bedient, deren Kenntnis- und Erfahrungsstand der Klägerin ohne anwaltliche Hilfe nicht zur Verfügung steht (vgl. zum Maßstab: BVerfG, 6.5.2009 1 BvR 439/08).

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht, da das Bewilligungsverfahren wie das Hauptsacheverfahren kostenfrei ist (§ 183 SGG) und eine Erstattung der dem Gegner entstandenen Kosten ausgeschlossen ist (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 S. 4 ZPO, für Beschwerdeverfahren: § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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