S 32 AS 788/11 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 32 AS 788/11 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 402/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner im Wege einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen nach dem SGB II.

Die Antragstellerin bezog von dem Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt bewilligte der Antragsgegner mit Änderungsbescheid vom 4.04.2011 Leistungen für den Zeitraum vom 1.01.2011 bis 31.05.2011 in Höhe von 1.185,75 EUR monatlich. Die Antragstellerin beantragte am 4.04.2011 bei dem Antragsgegner die Fortzahlung der Leistungen. Am xxx gewann die Antragstellerin in der yy-Fernsehsendung " ..." 20.000,00 EUR. Mit Schreiben vom 13.05.2011 forderte der Antragsgegner als Nachweis hierüber die Vorlage eines Kontoauszuges mit dem Gewinneingang. Diesen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 14.06.2011 dem Antragsgegner vor. Die Zahlung in Höhe von 20.000,00 EUR ging am 3.05.2011 auf dem Konto der Antragstellerin ein.

Mit Bescheid vom 17.06.2011 lehnte der Antragsgegner den Folgeantrag der Antragstellerin ab. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, die Antragstellerin sei nicht hilfebedürftig, da sie ihren Bedarf aus dem zu berücksichtigenden Einkommen decken könne. Der am 3.05.2011 zugeflossene Geldbetrag sei als Einkommen gemäß § 11 Abs. 1 SGB II zu berücksichtigen. Als einmalige Einnahme sei dieser Betrag gemäß § 11 Abs. 3 SGB II für einen Zeitraum von 6 Monaten (Juni 2011 bis November 2011) mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag anzusetzen.

Die Antragstellerin hat am 8.06.2011 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Die Antragstellerin ist der Auffassung, sie habe auch für den Monat Juni 2011 Anspruch auf den mit Änderungsbescheid vom 4.04.2011 bewilligten Betrag an monatlicher Grundsicherung. Der Antragsgegner habe die Zahlung ab 1.06.2011 ohne Begründung eingestellt. Die Antragstellerin behauptet ferner, sie habe den Gewinn zur Schuldentilgung und für sonstige Anschaffungen aufgebraucht.

Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Auszahlung der Grundsicherung für Juni 2011 an die Antragstellerin, sowie die Zahlung des Sozialversicherungsbeitrages an die zuständige Krankenversicherung und die Zahlung der KdU per sofort anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, die Antragstellerin verfüge über bedarfsausschließendes einmaliges Einkommen, welches sie vorrangig zur Bestreitung des Lebensunterhalts einzusetzen habe. Im Übrigen sei durch den erheblichen Geldgewinn der Antragstellerin auch kein Anordnungsgrund gegeben.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Antragsgegners und die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig aber unbegründet.

Nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen.

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 86 b, Rdnrn. 27 und 29 m. w. N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden.

Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht. Ein Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung von Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II ist nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit zu erkennen. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II ist Voraussetzung für Leistungen nach dem SGB II u. a. die Hilfebedürftigkeit. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II nur, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann.

Die Antragstellerin hat mit Überweisung der Geldgewinns in Höhe von 20.000,00 EUR auf ihr Konto am 3.05.2011 Einkommen erzielt, das im Rahmen der Leistungen nach dem SGB II anzurechnen ist. Nach § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen. Der der Antragstellerin im Mai 2011 ausgezahlte Gewinn war eine Einnahme in Geld und damit Einkommen nach dieser Vorschrift.

Zur Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II sind die aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (zur Bestimmung des sozialhilferechtlichen Einkommens) und des Bundessozialgerichtes (zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen im Rahmen der Arbeitslosenhilfe) entwickelten Grundsätze übertragbar. Danach ist Einkommen alles das, was der Hilfebedürftige während eines Zahlungszeitraumes wertmäßig dazuerhält, Vermögen ist dagegen das, was er bei Beginn eines Zeitraumes bereits hat, sogenannte Zuflusstheorie (vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18.02.1999 - 5 C 35/97 - und Bundessozialgericht, Urteil vom 09.08.2001 - B 11 AL 15/01 AR -). Diese Zuflusstheorie ist auch weiterhin heranzuziehen, da die Regelungen der § 11 ff. SGB II im Wesentlichen den Bestimmungen des Sozialhilferechts entsprechen (LSG Berlin Brandenburg Beschluss vom 31.07.2006 - L 19 B 303/06 AS ER -; Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 22.11.2006 - L 8 AS 325/06 ER -). Das Gericht hat keine Bedenken, die vom BVerwG und BSG entwickelten Grundsätze auch im Rahmen des SGB II zur Unterscheidung von Einkommen oder Vermögen heranzuziehen: Unterschiede hinsichtlich des Leistungszwecks oder der Systematik der Vermögens- und Einkommensberücksichtigung, welche eine abweichende Unterscheidung der Begriffe Einkommen und Vermögen erforderten, sind nicht ersichtlich. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im SGB II ist daher die Antragstellung gemäß § 37 SGB II (BSG, Urteile vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R und B 14/11b AS 17/07 R). Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II ist grundsätzlich mithin alles, was jemand nach der Antragstellung beim Grundsicherungsträger wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was er vor der Antragstellung beim zuständigen Träger der Grundsicherung bereits hatte. Es handelt sich somit vorliegend um Einkommen und nicht um Vermögen, so dass die Freibeträge des § 12 Abs. 2 SGB II keine Anwendung finden.

Der Geldgewinn ist der Antragstellerin im Mai 2011 zugeflossen und daher gemäß § 11 Abs. 3 S. 1 SGB II ab diesem Monat als Einkommen zu berücksichtigen. Denn nach der insofern anzuwendenden Zuflusstheorie ist der tatsächliche Zufluss des Einkommens entscheidend (BSG, Urteil v. 9.08.2001 – B 11 AL 15/01 R; BVerwG, Urteil v. 18.02.1999 – 5 C 35/97). Das Einkommen ist wegen der in § 11 Abs. 3 S. 3 SGB II enthaltenen Aufteilungsregel auch nicht nach Ablauf des Zuflussmonats zu Vermögen i. S. d. § 12 SGB II geworden. Einkommen wird zum Vermögen, sofern es bei Ablauf des Zahlungszeitraums noch nicht verbraucht ist. Anderes gilt indes für einmalige Einnahmen. Diese sind nach § 11 Abs. 3 S. 3 SGB II auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen. Eine nach Antragstellung zugeflossene Einnahme bleibt rechtlich auch über den Zuflussmonat - und über den Bewilligungszeitraum - hinaus zu berücksichtigendes Einkommen (Urteile des BSG v. 30.9.2008 - B 4 AS 57/07 R und B 4 AS 29/07 R; BSG Urteil v. 16.12.2008 – B 4 AS 48/07 R). Das monatlich anzusetzende Einkommen ist damit geeignet, den Bedarf der Antragstellerin unter Zugrundelegung der Regelleistung und Kosten der Unterkunft zu decken.

Von dem erzielten Einkommen sind auch keine Schulden und sonstige Ausgaben abzuziehen. Schulden können lediglich Vermögen, aber nicht Einkommen mindern. Eine andere Betrachtungsweise würde dazu führen, dass die Allgemeinheit als Steuerzahler zur Schuldentilgung beitragen müsste. Einkünfte sind aber in erster Linie dazu da, den Lebensbedarf zu decken. Im Rahmen des SGB II ist das Einkommen hierfür vorrangig zu verwenden (SG Münster, Urteil v. 19.07.2006 – S 3 AS 44/06). Eine Tilgung von Schulden führt zu keiner Reduzierung bzw. Nichtanrechenbarkeit von erzieltem Einkommen, da die steuerfinanzierte Sozialleistung des Arbeitslosengeld II kein Mittel zur Schuldentilgung ist (LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 1.02.2007 – L 13 AS 6118/06 ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 20.06.2007 – L 12 AS 44/06). Die Tilgung von Schulden ist als freiwillige Disposition über die eigenen Mittel bei der Beurteilung der Hilfebedürftigkeit nicht zu berücksichtigen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss v. 24.08.2007 – L 13 AS 46/07 ER). Hierdurch verliert der Geldgewinn nicht seinen Charakter als Einkommen. Der Einsatz von Einkommen zur Schuldentilgung darf im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht zum Vorteil des Hilfesuchenden berücksichtigt werden (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 9.05.2007 – L 12 AS 52/06). Insoweit handelt es sich nur um eine bestimmte Form der Einkommensverwendung (BSG, Urteil v. 30.07.2008 – B 14 AS 43/07 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.11.2006 – L 1 B 40/05 AS). Auf die von der Antragstellerin geltend gemachte Schuldentilgung kommt es damit nach Auffassung des Gerichts nicht an. Im Übrigen ist es absolut unverständlich, dass die Antragstellerin Schulden tilgt und teure Anschaffungen tätigt, statt zunächst die Miete zu bezahlen, um sich dann im hier vorliegenden Verfahren auf die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses zu berufen.

Eine einstweilige Regelung ist auch nicht zur Sicherstellung des Krankenversicherungsschutzes geboten. Denn seit dem 01.04.2007 sind auch solche Personen in der gesetzlichen Krankenversicherung kraft Gesetzes versichert, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und zuletzt krankenversichert waren (§ 5 Abs. 1 Nr. 13a SGB V).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg abzulehnen.
Rechtskraft
Aus
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