S 2 KR 65/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 2 KR 65/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.149,77 EUR nebst 2% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.049,77 EUR seit dem 19.03.2009 und 8% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 100,00 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch auf Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung sowie die Zahlung der Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) nebst Zinsen streitig.

Die Klägerin ist Trägerin des nach § 108 SGB V zugelassenen C-Krankenhauses in T. in der Zeit vom 17.02.2009 bis 22.02.2009 befand sich die bei der Beklagten versicherte Frau D. H. in diesem Krankenhaus in stationärer Behandlung. Dorthin war sie am 16.02.2009 von ihrer Frauenärztin überwiesen worden, nachdem diese bei ihr einen Gestationsdiabtes (sog. Schwangerschaftsdiabetes) diagnostiziert hatte. Am 19.02.2009 wurde Frau H.im C. Krankenhaus von einem Jungen, K., entbunden. Im Hinblick auf den Diabetes kodierte die Klägerin bei der Abrechnung der angefallenen Behandlungskosten als abrechnungsrelevante Diagnose ICD 10: Z 83.3. Die entsprechende Rechnung, die mit einem Betrag von 1.829,51 EUR endete sandte die Klägerin am 03.03.2009 an die Beklagte. Mit Schreiben vom 16.03.2009 forderte der N. vom C. Krankenhaus Unterlagen zwecks Prüfung nach § 275 SGB V an. Nach Abschluss der Prüfung bezahlte die Beklagte auf die Rechnung der Klägerin lediglich 779,74 EUR mit der Begründung, die Überprüfung durch den N. habe ergeben, dass eine Kodierung Z 83.3 nicht in Betracht komme, weil der Diabetes bei der Mutter und nicht bei dem Neugeborenen vorgelegen habe. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 30.04.2009, in dem sie vertrat, die von Ihr vorgenommene Kodierung sei zutreffend gewesen. Hieraufhin holte die Beklagte eine weitere Stellungnahme es N. ein, der bei seiner Auffassung verblieb, die Kodierung sei zu ändern gewesen. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 13.08.2009, in dem sie sodann abschließend feststellte, eine Rechnungskorrektur sei nicht gerechtfertigt. Sofern die geltend gemachte Vergütung nicht in voller Höhe bezahlt werde, behalte man sich die Geltendmachung von Verzugszinsen und Aufwandspauschale vor. Mit Schreiben vom 14.12.2009 mahnte die Klägerin, vertreten durch die Verwaltung des C. Krankenhauses die Beklagte hinsichtlich der Zahlung der Prüfpauschale und der ausstehenden Restsumme. Als Zahlungsfrist wurde der 23.12.2009 bestimmt. Nachdem eine entsprechende Zahlung ausblieb, hat die Klägerin am 16.03.2010, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Klage auf Zahlung der Restsumme sowie einer Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V in Höhe von 100,00 EUR nebst Zinsen erhoben.

Sie beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.149,77 EUR nebst 2% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.049,77 EUR seit dem 19.03.2009 und 8 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 100,00 EUR seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen, wonach die in Ansatz gebrachte Kodierung unzutreffend gewesen sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Abrechnungsgutachtens durch Dr. med. L. welches dieser im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 20.06.2011 erläutert hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Patientenakte der Frau H. sowie die beigezogenen Verwaltungsunterlagen Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) in Verbindung mit § 7 Satz 1 Nr. 1, § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz – KHEntgG), § 17b des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (Krankenhausfinanzierungsgesetz – KHG) sowie der Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2009 (Fallpauschalenvereinbarung 2009 – FPV 2009) in Verbindung mit dem Vertrag nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 – Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (Sicherstellungsvertrag) - für die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen, die für die Beteiligten im streitgegenständlichen Zeitraum weiterhin Anwendung finden.

Sofern, wie im vorliegenden Fall, die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und sie – was zwischen den Beteiligten ebenfalls unstreitig ist - gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist, entsteht die Zahlungsverpflichtung dem Grunde nach unmittelbar nach der Inanspruchnahme der Leistung durch den versicherten Patienten (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 25.11.2010, B 3 KR 4/10 R – st. Rspr., m.w.N.). Vorliegend streitig ist allein, wie die von den behandelnden Ärzten des Krankenhauses der Klägerin durchgeführten Leistungen im Zusammenhang mit der Entbindung von K. richtig zu kodieren waren und schließlich in welcher Höhe ein Zahlungsanspruch besteht.

Diese Leistungen waren im streitgegenständlichen Zeitraum unter Anwendung der Deutschen Kodierrichtlinien Version 2009 (DKR 2009) als Hauptdiagnose Z 38.0 (Einling, Geburt im Krankenhaus) und als Nebendiagnose Z 83.3 (Diabetes mellitus in der Familienanamnese) zu kodieren. Bei dieser Kodierung, auch dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig, ergaben die Grouping-Ergebnisse für 2009 einen Betrag in Höhe von 1.867,60 EUR (vgl. zum sog. Grouping auch Bundessozialgericht, a.a.O.). Dass mittlerweile das Grouping für 2011 hierfür lediglich noch einen Betrag von 725,20 EUR ergibt, ist für den hier zu entscheidenden Fall unerheblich.

Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, es sei lediglich Z 38.0 ohne Nebendiagnose zu kodieren gewesen, vermag sich die Kammer dieser Einschätzung nicht anzuschließen. Die Nebendiagnose wird in D 003d DKR 2009 wie folgt definiert:

"Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt".

Zur Erläuterung wird weiter ausgeführt:

"Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist: - Therapeutische Maßnahmen - Diagnostische Maßnahmen - Erhöhter Betreuungs-, Pflege und/oder Überwachungsaufwand ( ) Sofern eine Begleitkrankheit das Standardvorgehen für eine spezielle Prozedur beeinflusst, wird diese Krankheit als Nebendiagnose kodiert ( )"

Dies zeigt nach Auffassung der Kammer eindeutig, dass nach DKR 2009 zum einen ein kodierungsspezifischer Krankheitsbegriff besteht, der gerade dazu führen kann, dass ein medizinisch erforderlicher Mehraufwand Berücksichtigung findet. Solch ein erhöhter Diagnose- und Überwachungsmehraufwand lag hier vor, wie sich zum einem aus der Patientenakte, zum anderen aber auch aus dem Gutachten des Dr. L. ergibt. Schon die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. betreffend die Betreuung von Neugeborenen diabetischer Mütter AWMF 024/006 zeigt, dass bei Kindern diabetischer Mütter, unabhängig davon, ob auch das Neugeborene tatsächlich unter einem Diabetes leidet, ein erhöhter Mehraufwand medizinisch angezeigt ist (vgl. dazu auch Mehnert, Diabetologie in Klinik und Praxis, 5. Aufl. 2003, S. 340 f.). Unabhängig davon verdeutlichen aber auch die in der Patientenakte von Justin festgehaltenen physischen Reaktionen des Neugeborenen – die Notwendigkeit des vom Krankenhauspersonal betriebenen Aufwands. So wird unmittelbar nachdem das Kind aus Kreißsaal übernommen wurde, festgestellt, dass Justin polyglobul aussehe (vgl. zu klinischen Auffälligkeiten allgemein Mehnert, a.a.O.) Auch einige Stunden später wurde dieser Eindruck beschrieben. Unter Berücksichtigung der Vorgeschichte der Mutter rechtfertigte dies nach Auffassung der Kammer den Mehraufwand des Krankenhauses (häufiges Messen des Blutzuckerwertes, engmaschige Kontrolle, Fütterung von Maltodextrin). Dies spiegelt sich in der oben beschriebenen Kodierung wieder. Die Klägerin hätte demnach – gemäß dem Groupingergebnis 2009 - einen Anspruch auf Zahlung von 1.867,60 EUR. Dieser ist durch Zahlung in Höhe von 779,74 durch Erfüllung erloschen. Damit verbliebe ein Restanspruch in Höhe von 1.087,86 EUR. Geltend gemacht wurden lediglich 1.049,77 EUR. In dieser Höhe hatte die Klage auch vollumfänglich Erfolg (ne ultra petita).

Der Klägerin steht überdies auch der geltend gemachte Anspruch in Höhe von weiteren 100,00 EUR zu. Bis zur Änderung des § 275 Abs. 1c SGB V durch das Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Krankenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 (Krankenhausfinanzierungsreformgesetz - KHRG) vom 17.03.2009 (BGBl. I S. 534), welches ab dem 25.03.2009 in Geltung getreten ist, belief sich die Höhe der Aufwandspauschale auf 100,00 EUR. Seitdem beträgt sie 300,00 EUR. Maßgeblich für die Frage, welches Recht Anwendung findet ist nach Auffassung der Kammer der Zeitpunkt der Aufnahme der Ermittlungen durch den N ... Dies ist im vorliegenden Fall der 16.03.2009, weswegen noch § 275 Abs. 1c SGB V in seiner alten Fassung zur Anwendung kommt (in diesem Sinne wohl auch Sichert, in: Becker/Kingreen, Kommentar zum SGB V, 2. Aufl. 2010, § 275 Rn. 13). Da – wie oben ausgeführt – die von der Beklagten vorgenommen Minderung des Rechnungsbetrags unzutreffend war, sind die Tatbestandsvoraussetzungen für den Anspruch auf Zahlung des Pauschbetrages gegeben.

Der Zinsanspruch hinsichtlich des Vergütungsanspruchs folgt aus §§ 14, § 15 Abs. 1 des Vertrages nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 – Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (Sicherstellungsvertrag). Die Fälligkeit des Anspruchs regelt § 15 Abs. 1 Satz 1 des Sicherstellungsvertrages. Der Anspruch war damit am 18.03.2009 fällig. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 4 stehen der Klägerin damit Zinsen in Höhe von 2% über dem Diskontsatz (Basiszinssatz) der Deutschen Bundesbank ab dem 19.03.2009 zu. Auch die Aufwendungspauschale nach § 275 Abs. 1c SGB V ist zu verzinsen (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 19.05.2009, L 11 KR 5231/08; Bundessozialgericht, Urteil vom 19.04.2007, B 3 KR 10/06 R; vgl. auch Sichert, a.a.O., § 275 Rn. 11). Hierbei sind als Zinssatz 8 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz in Ansatz zu bringen, weil die Klägerin als gewerbliche Unternehmerin in diesem Zusammenhang kein Verbraucher ist, § 288 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (vgl. Bundessozialgericht, a.a.O.). Diese Zinsen stehen der Klägerin jedenfalls seit Rechtshängigkeit, d.h. seit dem 16.03.2010, vgl. § 94 SGG, zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Rechtskraft
Aus
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