L 7 AS 472/11 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 467/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 472/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 61/11 S
Datum
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zuweisung eines Ein-Euro-Jobs
Die Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung (Ein-Euro-Job) ist eine Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit, die im Ermessen der Behörde steht. § 16d Satz 1 SGB II vermittelt keinen individuellen Anspruch.
Im einstweiligen Rechtsschutz könnte eine Zuweisung eines Ein-Euro-Jobs allenfalls dann erfolgen, wenn das Ermessen zugunsten des Betroffenen auf Null reduziert wäre. Eine Verpflichtung zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung könnte im einstweiligen Rechtsschutz nur erfolgen, wenn der Erhalt einer Ermessensentscheidung selbst eilbedürftig wäre.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 6. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, ob der Antragsgegner vorläufig zur Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung (sog.
1-Euro-Job) verpflichtet ist.

Der 1965 geborene Antragsteller bezieht seit Anfang 2005 mit einer Unterbrechung von Juli bis Oktober 2005 ständig Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er verfügt über abgeschlossene Berufsausbildungen als Konditor, Koch sowie Hotelkaufmann. Der Antragsgegner übermittelte ihm laufend Stellenangebote, ohne dass es zu einem Beschäftigungsverhältnis kam.

Mit Beschluss vom 23.11.2010 (L 16 AS 778/10 B ER) wurde ein Eilantrag auf Übernahme der Kosten für einen Anzug, Hemd und Schuhe für Vorstellungsgespräche sowie Druckerpatronen abgelehnt.

Am 14.02.2011 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner die Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung, um monatlich bis zu 195,- Euro verdienen zu können.

Am 14.04.2011 stellte der Antragsteller beim Sozialgericht Augsburg einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Ihm sei eine Arbeitsgelegenheit in Aussicht gestellt worden. Die beim Antragsgegner beantragte Zuweisung dieser Arbeitsgelegenheit sei ohne detaillierte Begründung nicht erfolgt. Er könne eine Entscheidung im regulären Widerspruchs- und Klageverfahren nicht abwarten, weil er am soziokulturellen Leben nicht teilnehmen könne, am unteren Existenzminimum vegetiere, seine anstehenden Rechnungen begleichen müsse und seit Januar 2011 wieder einmal sanktioniert werde. Der Antragsgegner nahm mit Schriftsatz vom 01.06.2011 zu dem Eilantrag Stellung. Auf diesen Schriftsatz wird Bezug genommen.

In der mündlichen Verhandlung am 06.06.2011 erklärte der Vertreter des Antragsgegners laut Niederschrift: "Der Antrag auf Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit wird abgewiesen. Zur Begründung verweise ich auf meinen Schriftsatz vom 01.06.2011. Der Kläger hat die Möglichkeit, innerhalb eines Monats gegen diesen Bescheid Klage einzureichen."

Mit Beschluss vom 06.06.2011 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft. § 16d SGB II begründe keinen individuellen Rechtsanspruch auf Schaffung eines 1-Euro-Jobs. Im Übrigen erfülle der Antragsteller nicht die Voraussetzungen von § 16d SGB II, weil er nach eigenen Angaben erwerbsfähig und intensiv mit der Stellensuche befasst sei. Weiter sei die Zuweisung eines 1-Euro-Jobs nicht geeignet, die aktuelle finanzielle Notsituation zu verbessern. Bei den gewährten Mitteln handle es sich nur um eine Entschädigung für Mehraufwendungen.

Am 14.06.2011 hat der Antragsteller Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Der Antrag auf eine Arbeitsgelegenheit sei zu genehmigen und der materielle und immaterielle Schaden sei zu überprüfen. Ergänzend wies er darauf hin, dass er auch Bewerbungsmaterial, einen Anzug und Schuhe für Vorstellungsgespräche kaufen müsse.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 06.06.2011 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, ihm eine Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung (1-Euro-Job) zuzuweisen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat.

Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).

Es fehlt hier an einem Anordnungsanspruch, weil die Zuweisung eines 1-Euro-Jobs im Ermessen des Antragsgegners steht und eine Ermessensreduzierung auf Null zugunsten des Antragstellers nicht erkennbar ist.

Am 06.06.2011 hat der Antragsgegner einen Verwaltungsakt erlassen, in dem die begehrte Zuweisung des 1-Euro-Jobs abgelehnt wurde. Dieser Verwaltungsakt steht dem Eilverfahren nicht entgegen. Er ist mangels Ermessensausübung rechtswidrig und mangels einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung (es fehlt jeder Hinweis auf die Form des Widerspruchs, § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG) für ein Jahr nicht bindend (§§ 77, 66 SGG). Allerdings ersetzt das Eilverfahren nicht die Einlegung eines Widerspruchs bei der Behörde (vgl. BayLSG, Beschluss vom 11.04.2011, L 7 AS 214/11 B ER).

Wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, vermittelt § 16d SGB II keinen Rechtsanspruch auf Schaffung oder Zuweisung eines 1-Euro-Jobs (Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 16 Rn. 205a und Münder, LPK-SGB II, 3. Auflage 2009, § 16d Rn. 7). Die Zuweisung eines solchen ist eine Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit, die wie die anderen Eingliederungsmaßnahmen im Ermessen der Behörde liegen. Insbesondere lässt sich aus § 16d Satz 1 SGB II, wonach für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die keine Arbeit finden können, Arbeitsgelegenheiten geschaffen werden sollen, kein Soll-Anspruch auf eine Arbeitsgelegenheit ableiten, wenn ein typischer Fall vorliegt. Diese Vorschrift wendet sich an die Behörde in Sinne einer generellen Vorgabe, dieses Eingliederungsinstrument zu nutzen. Satz 2 HS 2 dieser Vorschrift begründet nur einen Anspruch auf Aufwendungsersatz, wenn denn ein 1-Euro-Job zugewiesen wurde und ausgeführt wird.

Damit steht demjenigen, der die Zuweisung eines 1-Euro-Jobs begehrt, nach § 39 Abs. 1 SGB I nur ein Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung des Ermessens zu. Aus § 16d Satz 1 SGB II lässt sich entnehmen, dass nur Erwerbsfähige, die keine Arbeit finden können, einen derartigen Anspruch auf Ermessensausübung haben können. Zu dieser Gruppe könnte der Antragsteller gehören, weil er sich seit Jahren ohne Erfolg um Arbeit bewirbt. Ob der Misserfolg des Antragstellers auf ungeeignetem Bewerberverhalten beruht - dies ist angesichts seiner ausgezeichneten Qualifikationen und dem Scheitern vieler Bewerbungen denkbar - oder, ob er der Stärkung einer fehlenden Arbeitsfähigkeit durch eine praxisorientierte Heranführung an den normalen Arbeitsmarkt durch einen 1-Euro-Job bedarf, vermag das Beschwerdegericht nicht zu beurteilen. Auch wenn letzteres der Fall wäre, wäre nur eine Ermessensentscheidung eröffnet, die ein Gericht gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG nur eingeschränkt überprüfen darf.

Bei einer Ermessensleistung kann ein Anspruch auf die Leistung vom Gericht nur dann bejaht werden, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des Anspruchs vorliegen und das Ermessen zugunsten des Betroffenen auf Null reduziert wäre. Letzteres bedeutet, dass die Ausübung des Ermessens allein zu einer Leistungsgewährung führen kann, weil keine Ablehnung begründet werden könnte. Diese Ermessensreduzierung ist hier ausgeschlossen. Der Antragsteller betont immer wieder, dass er den 1-Euro-Job deswegen anstrebt, weil er die Mehraufwandsentschädigung für seinen Lebensunterhalt und den finanziellen Ausgleich von Absenkungen einsetzen will. Dafür ist ein 1-Euro-Job nicht gedacht. Er soll, wie ausgeführt, die Arbeitsfähigkeit durch eine praxisorientierte Heranführung an den normalen Arbeitsmarkt stärken. Wenn dies bei der Motivation des Antragstellers nebensächlich ist, ist eine Ermessensreduzierung auf Null ausgeschlossen.

Auf das Problem, dass eine vorläufige Zuweisung eines 1-Euro-Jobs zu einer Tätigkeit im Rahmen der vorläufigen Arbeitsgelegenheit und damit zu einer grundsätzlich unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führen würde, kommt es damit nicht mehr an (vgl. dazu Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 86b Rn. 31).

Soweit in dem Antrag auf Zuweisung des 1-Euro-Jobs als "weniger" ein Antrag auf eine neue Ermessensentscheidung enthalten ist, könnte dieser Antrag im Eilverfahren allenfalls dann erfolgreich sein, wenn der Erhalt einer Ermessensentscheidung selbst eilbedürftig wäre (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., § 86b Rn. 30a). Dies ist hier nicht erkennbar. Insbesondere kann das erkennbare Interesse am Erhalt der Mehraufwandsentschädigung nicht berücksichtigt werden, weil dies wie dargelegt neben dem eigentlichen Zweck des
1-Euro-Jobs liegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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