L 7 AS 255/10

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 24 AS 1223/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 255/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. April 2009 sowie die Minderungsbescheide der Beklagten vom 20. August 2007 und vom 23. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2007 und der Änderungsbescheid vom 21. Juli 2009 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die zur Rechtsverfolgung in beiden Rechtszügen notwendigen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine Minderung der ihm von der Beklagten bewilligten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) wegen zweier Meldeversäumnisse.

Der 1955 geborene Kläger erhält nach vorhergehendem Bezug von Arbeitslosenhilfe seit dem 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II von der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin. Zuletzt – vor dem streitigen Zeitraum – bewilligte sie mit Bescheid vom 8. Mai 2007, geändert durch Bescheid vom 2. Juni 2007, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis 30. November 2007; ab 1. Juli 2007 betrug die Leistung 662,28 Euro, dabei berücksichtigte die Beklagte die Regelleistung in voller Höhe von 347,00 Euro.

Am 6. Juni 2007 lud sie den Kläger für den 4. Juli 2007 um 10:00 Uhr zum "Arbeitsberatungsgespräch nach dem SGB II" ein. In der Einladung bat sie ihn, einen aktuellen Satz Bewerbungsunterlagen sowie das Bewerbertagebuch mitzubringen, und belehrte ihn über die Rechtsfolgen, falls er nicht erscheine.

Der Kläger legte durch Schreiben vom 20. Juni 2007, eingegangen bei der Beklagten am folgenden Tag, Widerspruch gegen die Meldeaufforderung ein, den er insbesondere damit begründete, dass die Beratung ihren Zweck nicht erfülle und die notwendige Anonymität und der Schutz seiner Privatsphäre wiederholt nicht gewahrt worden seien.

Zu dem Termin am 4. Juli 2007 erschien der Kläger nicht. Vielmehr teilte er der Beklagten mit einem am gleichen Tage dort eingegangenen Fax mit, dass er am Vormittag einen dringenden Arzttermin habe. Eine Bescheinigung hierzu werde er nachreichen.

Die Beklagte lud den Kläger daraufhin noch am 4. Juli 2007 erneut zu einem Arbeitsberatungsgespräch nach dem SGB II für den 6. Juli 2007 um 12:00 Uhr ein. Das Schreiben hatte im Übrigen denselben Inhalt wie das Einladungsschreiben vom 6. Juni 2007.

Auch am 6. Juli 2007 erschien der Kläger nicht.

Noch am 6. Juli 2007 lud die Beklagte ihn erneut – nunmehr für den 3. August 2007 um 14:00 Uhr – zum Arbeitsberatungsgespräch ein. Das Schreiben hatte im Übrigen wiederum den gleichen Wortlaut wie die vorherigen Einladungen. Außerdem übersandte sie ihm zwei Anhörungsschreiben wegen der versäumten Meldetermine.

Der Kläger legte daraufhin ärztliche Bescheinigungen vor, wonach er sich am 4. Juli 2007 von 9:00 Uhr bis 10:00 Uhr und am 6. Juli 2007 von 11:00 Uhr bis 12:30 Uhr in ärztlicher Behandlung befunden habe. In einem weiteren Schreiben vom 9. Juli 2007, eingegangen bei der Beklagten am folgenden Tag, beantragte er – Bezug nehmend auf seinen Widerspruch vom 20. Juni 2007 und unter zusammengefasster Wiederholung von dessen Begründung –, den Vollzug des nächsten Meldetermins auszusetzen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 wies die Beklagte sodann den Widerspruch vom 20. Juni 2007 gegen die Einladung für den 4. Juli 2007 zurück. Zu dem Schreiben des Klägers vom 9. Juli 2007 wies die Beklagte – nach Rechtsmittelbelehrung und Unterschrift – darauf hin, dass eine Meldeaufforderung keine Fallgestaltung nach § 86 a Abs. 3 bzw. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) darstelle. Zudem sei durch die Erteilung dieses Widerspruchsbescheids ohnehin kein Raum mehr für die Anwendung der genannten Vorschrift.

Der Kläger erhob daraufhin mit Schreiben vom 22. Juli 2007, eingegangen beim Gericht am 24. Juli 2007, Klage zum Sozialgericht Frankfurt (Az.: S 24 AS 934/07), die er im Wesentlichen mit den Argumenten aus dem Widerspruchsschreiben vom 20. Juni 2007 begründete.

Gegenüber der Beklagten nahm er unter dem 12. Juli 2007 zu den ihm vorgeworfenen Meldeversäumnissen insbesondere dahin Stellung, er gehe davon aus, dass er lediglich am 6. Juli 2007 einem Termin nicht nachgekommen sei, da dieser Termin so festgelegt worden sei, dass er als Ersatztermin für den Termin am 4. Juli 2007 angesehen werden müsse. Aber auch die Nichtwahrnehmung des Termins am 6. Juli 2007 könne nicht als Pflichtverletzung angesehen werden, da er bereits am 20. Juni 2007 Widerspruch gegen den Meldetermin eingelegt habe und dadurch gemäß § 86a Abs. 1 SGG aufschiebende Wirkung eingetreten sei. Beide Termine hätten sich nachweislich mit dringenden Arztterminen überschnitten.

Auch zum folgenden Meldetermin am 3. August 2007 erschien der Kläger nicht.

Dazu hörte die Beklagte ihn mit Schreiben vom 6. August 2007 an. Unter dem 20. August 2007 erging sodann zum einen ein Minderungsbescheid wegen des versäumten Meldetermins am 4. Juli 2007, mit dem die Beklagte das dem Kläger zustehende Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 monatlich um 10 % der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des ihm zustehenden Gesamtauszahlungsbetrages, absenkte. Daraus ergebe sich eine Absenkung in Höhe von maximal 35,00 EUR monatlich. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung werde insoweit ab dem 1. September 2007 gemäß § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben. Gründe, die gegen eine Minderung der Leistung sprächen, seien nicht ersichtlich. Mit gleichem Datum erließ die Beklagte zum anderen einen Änderungsbescheid hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Danach bewilligte sie dem Kläger für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 (nur noch) Arbeitslosengeld II in Höhe von 454,28 Euro unter Berücksichtigung eines Minderungsbetrags aufgrund von Sanktionen von 208,00 Euro.

Unter dem 23. August 2007 erließ sie einen weiteren hinsichtlich der Begründung im Wesentlichen gleichlautenden Minderungsbescheid wegen des versäumten Meldetermins am 3. August 2007, mit dem sie das dem Kläger bewilligte Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 monatlich um 30 % der Regelleistung, höchstens jedoch in Höhe des dem Kläger zustehenden Gesamtbetrages, absenkte. Der Kläger sei innerhalb von zwölf Monaten seit der vorangegangenen Sanktion (Bescheid vom 20. August 2007) wiederholt seiner Meldepflicht nicht nachgekommen. Daraus ergebe sich eine Absenkung in Höhe von 104,00 Euro monatlich. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung werde insoweit ab dem 1. September 2007 gemäß § 48 Abs. 1 SGB X aufgehoben. Zudem erließ die Beklagte am gleichen Tag wiederum einen Änderungsbescheid hinsichtlich des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes II, in dem sie von einem Minderungsbetrag von 139,00 Euro ausging.

Ein vom Kläger anschließend mit Schreiben vom 23. August 2007 eingeleitetes Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (S 45 AS 1102/07 ER) blieb erfolglos (Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 24. September 2007).

Mit Schreiben vom 24. August 2007, eingegangen bei der Beklagten am 27. August 2007, legte der Kläger sodann Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 20. August 2007 ein und machte dabei geltend, in dem Bescheid werde auf einen weiteren Bescheid vom 20. August 2007 verwiesen, den er nicht erhalten habe.

Nachdem ihn der von der Beklagten daraufhin am 23. August 2007 nochmals versandte Minderungsbescheid vom 20. August 2007 sowie die Bescheide vom 23. August 2007 erreicht hatten, beanstandete er mit Schreiben vom 27. August 2007 die Herabsetzung seiner Leistung insgesamt. Zur Begründung führte er über die bekannten Argumente hinaus im Wesentlichen aus, der Meldetermin vom 4. Juli 2007 sei erst durch den Bescheid vom 20. August 2007 sanktioniert worden. Es sei ihm damit keine Gelegenheit gegeben worden, den aus dem gleichen Grund versäumten Meldetermin am 3. August 2007 vorher rechtlich einer Überprüfung zu unterziehen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2007 wies die Beklagte "nach Erteilung des ergänzenden Bescheids vom 23.08.2007" den Widerspruch zurück. Allerdings sei der vom Kläger angegriffene Änderungsbescheid vom 20. August 2007 überholt und als gegenstandslos zu betrachten. Gleiches gelte für den Änderungsbescheid vom 23. August 2007. Als Gegenstand des Widerspruchsverfahrens verblieben damit der Sanktionsbescheid vom 20. August 2007 mit dem Inhalt der Minderung um 10 % der Regelleistung wegen Nichterscheinens zur Meldung am 4. Juli 2007 und der Sanktionsbescheid vom 23. August 2007 mit dem Inhalt der Minderung um insgesamt 30 % wegen wiederholter Verletzung der Meldepflicht am 3. August 2007 (Minderungsbetrag insgesamt 104 Euro). Eine entsprechende teilweise Aufhebung der Leistungsbewilligung vom 8. Mai 2007 bzw. 2. Juni 2007 sei erfolgt. Den Termin am 4. Juli 2007 habe der Kläger, so führte die Beklagte zur Begründung im Wesentlichen aus, ohne wichtigen Grund nicht wahrgenommen; er habe Gelegenheit gehabt, nach dem Arzttermin bei der Beklagten vorzusprechen, um seiner Verpflichtung nachzukommen. Gleiches gelte für den Meldetermin am 3. August 2007. Diesen Termin habe der Kläger nicht wahrgenommen in der unzutreffenden Ansicht, durch seinen Widerspruch vom 20. Juni 2007 bzw. die Klage vom 24. Juli 2007 liege eine aufschiebende Wirkung bezüglich der Einladung nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III vor. Nach § 336 a Satz 1 Nr. 4 SGB III hätten aber Widerspruch und Klage gerade keine aufschiebende Wirkung. Durch den Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 sei der Kläger darüber auch informiert worden.

Der Kläger hat daraufhin mit Schreiben vom 3. September 2007, eingegangen bei Gericht am 4. September 2007, Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main (SG) erhoben. Dabei hat er im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Anhörungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.

Die Beklagte hat insbesondere vorgetragen, der Kläger sei in den Einladungsschreiben vom 6. Juni 2007 und 6. Juli 2007, zudem in einem Schreiben seines Vermittlers vom 25. Juni 2007 und im Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 umfassend über die Rechtsfolgen bei Nichtwahrnehmung von Meldeterminen belehrt sowie auf die verschärften Rechtsfolgen bei wiederholten Versäumnissen hingewiesen worden.

Das SG hat dann durch zwei Gerichtsbescheide vom 8. April 2009 die beiden anhängigen Klagen abgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte zum Verfahren L 7 AS 205/09 Bl. 21 ff. und die Gerichtsakte zum Verfahren S 45 AS 934/07 Bl. 32 ff. Bezug genommen. Dabei hat es zur Begründung des im hiesigen Verfahren angegriffenen Gerichtsbescheides im Wesentlichen ausgeführt, die Meldeaufforderung zum 4. Juli 2007 sei rechtmäßig gewesen. Der Kläger sei auch schriftlich über die Rechtsfolgen eines Nichterscheinens belehrt worden und dennoch zum Meldetermin nicht erschienen. Einen wichtigen Grund für sein Verhalten habe er nicht nachgewiesen. Den Arztbesuch am 4. Juli 2007 sehe der Kläger – wie er in der Klageschrift vorgetragen habe – selbst nicht mehr als wichtigen Grund an. Daher müsse auf diesen Aspekt nicht näher eingegangen werden und auch nicht darauf, dass der Kläger zunächst sein Nichterscheinen zum Termin auch mit Geh- und Stehproblemen begründet habe. Auch die vom Kläger vorgetragenen Argumente der Ineffektivität der Beratung und eines Verstoßes gegen § 13 Abs. 2 Nr. 3 BDSG, die §§ 67, 84 a SGB X, § 203 StGB und § 42 SGB III könnten keine wichtigen Gründe darstellen. Die Beklagte sei damit berechtigt gewesen, in einem ersten Schritt aufgrund des Verstoßes gegen die Meldeaufforderung zum 4. Juli 2007 das Arbeitslosengeld II des Klägers um 10 % der Regelleistung abzusenken. Die Absenkung um insgesamt 30 % der Regelleistung mit Bescheid vom 23. August 2007 werde von § 31 Absätze 2 und 3 Satz 3 SGB II getragen. Auch die Meldeaufforderung zum 3. August 2007 sei – ebenso wie die zum 4. Juli 2007 – rechtmäßig gewesen. Ein wichtiger Grund fehle. Soweit der Kläger davon ausgegangen sei, dass sein Widerspruch gegen die Meldeaufforderung aufschiebende Wirkung habe, habe er sich in einem vermeidbaren Rechtsirrtum befunden, über den er durch die Beklagte spätestens in ihrem Hinweis zum Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 aufgeklärt worden sei. Er könne auch nicht mit Erfolg einwenden, dass die Höhe der Absenkung unangemessen sei, denn die Absenkungshöhe ergebe sich bei Meldeversäumnissen unmittelbar aus dem Gesetz. Nicht gehört werden könne der Kläger auch mit dem Argument, ihm sei keine Gelegenheit gegeben worden, weitere Sanktionierungen zu vermeiden. Denn aufgrund der ihm erteilten Belehrungen habe er zur Kenntnis nehmen müssen, welche Rechtsfolgen eine Verletzung der Meldepflicht nach sich ziehen würde. Hinsichtlich des zulässigen Rechtsbehelfs hat das SG darüber belehrt, der Gerichtsbescheid könne mit der Berufung angefochten werden.

Der Kläger hat dementsprechend – nach Zustellung des Gerichtsbescheides am 11. April 2009 – mit Schreiben vom 3. Mai 2009, eingegangen am 5. Mai 2009, Berufung eingelegt (Az.: L 7 AS 205/09).

Nachdem der Berichterstatter mit Schreiben vom 27. Mai 2009 auf die Unzulässigkeit der Berufung wegen des geringen Beschwerdewerts hingewiesen hatte, hat der Kläger mit Schreiben vom 5. Juni 2009, eingegangen am 8. Juni 2009, Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die unter dem Aktenzeichen L 7 AS 307/09 NZB geführt worden ist. Die Berufung zum Aktenzeichen L 7 AS 205/09 hat er mit Schreiben vom 5. Juli 2009 zurückgenommen.

Die Beklagte hat sodann während des anhängigen Beschwerdeverfahrens mit Bescheid vom 21. Juli 2009 der Beschwer des Klägers teilweise abgeholfen und die Minderung der Regelleistung für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 auf insgesamt 70,00 Euro reduziert. Auf Grund des Meldeversäumnisses vom 3. August 2007 trete eine Absenkung der Regelleistung in Höhe von zehn Prozent ein. Der Bescheid vom 23. August 2007 über die Absenkung des Arbeitslosengeldes in Höhe von 30 % der Regelleistung sei damit gegenstandslos. Sie hat dazu ergänzend erläutert, dass auch das Meldeversäumnis am 3. August 2007 nur als erstes Meldeversäumnis behandelt werden könne. Der vorangegangene Bescheid datiere erst vom 20. August 2007; ein ‚wiederholtes’ Fehlverhalten mit entsprechend verschärfter Sanktion könne nicht festgestellt werden.

Da der Kläger daran festgehalten hat, eine Minderung auf Grund des zweiten Meldeversäumnisses habe gar nicht verhängt werden dürfen, die Beklagte insofern aber zu einer vollständigen Abhilfe nicht bereit gewesen ist, hat der Senat durch Beschluss vom 6. Mai 2010 die Berufung zugelassen und den Rechtsstreit als Berufungsverfahren unter dem hiesigen Aktenzeichen fortgeführt.

Zur Begründung seiner Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen. Die Kürzung wegen eines zweiten Sanktionsbescheides setze den Zugang eines ersten Bescheides vor der Pflichtverletzung voraus. Vorher könne der Hilfebedürftige nicht wissen, wie die Behörde sein Verhalten werte. Aus diesem Grunde sei in seinem Fall eine Sanktionierung allenfalls um insgesamt zehn Prozent der Regelleistung wegen des Meldeversäumnisses am 4. Juli 2007 zulässig. Jedenfalls der zweite Minderungsbescheid sei (auch nach der Teilabhilfe) rechtswidrig. Es müsse auch noch einmal darauf hingewiesen werden, dass es sich um ein und denselben Sanktionstatbestand handele: die Ablehnung der Meldepflicht wegen unzureichender Beratung. Ein Grund für eine Meldung habe zudem nicht vorgelegen. Die Beklagte habe nicht eindeutig darlegen können, dass eine akzeptable Berufsberatung an den vorhergehenden Terminen stattgefunden habe.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. April 2009 und die Bescheide der Beklagten vom 20. August 2007 und 23. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2007 sowie den Änderungsbescheid vom 21. Juli 2009 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt nach der Teilabhilfe ihre Bescheide. Insbesondere sei ein weiteres Meldeversäumnis, wenn das erste noch nicht sanktioniert sei, zwar nicht als wiederholte Pflichtverletzung zu behandeln; in diesem Fall sei aber von zwei "ersten Pflichtverletzungen" auszugehen. Diese führten zusammen zu einer Minderung des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes II um 20% der für ihn maßgeblichen Regelleistung, konkret um 70 Euro, für den streitigen Zeitraum.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten zum hiesigen wie zu dem unter dem Aktenzeichen L 7 AS 205/09 geführten Verfahren, der Akten des Sozialgerichts Frankfurt am Main zum Aktenzeichen S 45 AS 1102/07 ER und S 24 AS 934/07 sowie der zum Kläger geführten Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Gerichtsbescheid des SG und die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind aufzuheben. Wegen seines Nichterscheinens zu den Meldeterminen am 4. Juli 2007 und am 3. August 2007 muss der Kläger eine Minderung seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld II nicht hinnehmen.

I. Gegenstand des Verfahrens sind der klageabweisende Gerichtsbescheid des SG vom 8. April 2009 und die beiden Minderungsbescheide vom 20. August 2007 und vom 23. August 2007 in der Gestalt, die sie durch den Widerspruchsbescheid vom 29. August 2007 gefunden haben, sowie der Änderungsbescheid vom 21. Juli 2009, nachdem die Beklagte darin der Beschwer des Klägers nicht vollständig abgeholfen hat. Letzterer ist über §§ 153 Abs. 1 i.V.m. 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden; der Senat hat über ihn auf Klage zu entscheiden. Hinsichtlich des ersten Minderungsbescheides vom 20. August 2007 erscheint es zwar zweifelhaft, ob die Beklagte ihn nicht anlässlich der Sanktionierung des weiteren Meldeversäumnisses durch den zweiten Minderungsbescheid vom 23. August 2007 vollständig hätte ablösen müssen (vgl. in diesem Sinne BSG, 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R); da sie dies aber nicht getan hat, sondern im Widerspruchsbescheid vom 29. August 2007 davon ausgegangen ist, der Bescheid vom 23. August 2007 ergänze den vom 20. August 2007 und dieser verbleibe Gegenstand des Widerspruchsverfahrens, konnte und musste der Kläger sowohl den Minderungsbescheid vom 20. August 2007 wie den vom 23. August 2007 mit Klage angreifen und das SG wie auch der Senat haben über beide zu entscheiden.

Die beiden Änderungsbescheide vom 20. und 23. August 2007 hat die Beklagte demgegenüber bereits im Widerspruchsbescheid als überholt bezeichnet, offenbar weil sie in der Höhe – und zwar bereits nach der damaligen Rechtsauffassung der Beklagten – unzutreffend waren und sie zudem die Teilaufhebung der ursprünglichen Bewilligung auch in den korrespondierenden Minderungsbescheiden vom jeweils gleichen Tag verfügt hatte, so dass gesonderte Änderungsbescheide ihr offenbar überflüssig erschienen. Die Änderungsbescheide hat sie damit aufgehoben, der Kläger war durch sie nicht mehr beschwert und hat sie daher nicht mehr zum Gegenstand seiner im gerichtlichen Verfahren gestellten Anträge gemacht.

Die Beklagte hat darüber hinaus in dem Teilabhilfebescheid vom 21. Juli 2009 formuliert, der Bescheid vom 23. August 2007 sei damit gegenstandslos. Bei einer eng am Wortlaut orientierten Auslegung ließe sich dies so verstehen, dass die Beklagte den ursprünglichen Minderungsbescheid aufheben bzw. durch den neuen Bescheid vollständig ersetzen wolle. Wegen der Einheit von Ausgangs- und Widerspruchsbescheid (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG – Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 95 Rdnr. 2) müsste dies ggf. auch den Widerspruchsbescheid erfassen. Das Verfahren hätte sich insoweit zumindest in der Sache erledigt; als Bescheid, der die Rechtsfolgen des Meldeversäumnisses am 3. August 2007 regelt, verbliebe nur der Bescheid vom 21. Juli 2009. Der Kläger hätte seine Anträge dann sinnvollerweise entsprechend beschränken müssen; eine Entscheidung über den ursprünglichen Bescheid vom 23. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2007 in der Sache würde dagegen ausscheiden (vgl. BSG, 14.05.2003 – B 4 RA 26/02 R; außerdem Leitherer, a.a.O., § 96 Rdnr. 7).

Unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände ist der Regelungsgehalt des Bescheides vom 21. Juli 2009 allerdings dahin auszulegen, dass mit ihm nur die im Bescheid vom 23. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2007 ausgesprochene Minderung des Arbeitslosengeldes II reduziert werden sollte. Er ist insofern als Teilabhilfebescheid und damit als Änderungsbescheid zu den im Klageverfahren angegriffenen Bescheiden zu verstehen, ohne diese vollständig zu beseitigen. Dieser Gesichtspunkt der Teilabhilfe wird in dem Schreiben vom 28. Juli 2009, mit dem die Beklagte den Bescheid an das Gericht übersandt hat, besonders deutlich, war aber auf Grund der Einbindung in die streitige Auseinandersetzung – die dem Kläger selbstverständlich bekannt war, aber auch aus dem Hinweis, der Bescheid werde Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens deutlich wurde – auch für den Kläger aus dem Bescheid selbst erkennbar. Eine gänzliche Neuregelung unter vollständiger Aufhebung des ursprünglichen Minderungsbescheides widersprach im Übrigen so erkennbar den Interessen der Beklagten und dem rechtlichen Kontext, in dem sie handelte, dass eine entsprechende Auslegung schwer zu begründen wäre – auch wenn man zu berücksichtigen hat, dass § 33 Abs. 1 SGB X (i.V.m. § 40 SGB II) für eine Verpflichtung der Beklagten sorgt, ihre Bescheide hinreichend eindeutig zu formulieren. Eine eigenständige Regelung der Minderung für die Zeit vom 1. September 2007 bis 30. November 2007 durch den Bescheid vom 21. Juli 2009 wäre nämlich als Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung nunmehr für die Vergangenheit zu verstehen, wobei die insoweit maßgebliche Jahresfrist aus §§ 48 Abs. 4 S. 1 i.V.m. 45 Abs. 4 S. 2 SGB X (wiederum i.V.m. § 40 SGB II) inzwischen längst abgelaufen war. Der Bescheid vom 21. Juli 2009 ist im Ergebnis als eine (nur) teilweise Abhilfe und Änderung des Bescheides vom 23. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2007 zu verstehen.

Letztlich könnte dies im Übrigen sogar offenbleiben. Die Bescheidlage ist jedenfalls nicht so eindeutig, dass der Kläger nicht wenigstens zur Klarstellung auch die Aufhebung des Minderungsbescheides vom 23. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2007 verlangen kann. Und da diesem Antrag wegen der Rechtswidrigkeit der Bescheide auch zu entsprechen ist, mag auf sich beruhen, ob dem mehr als klarstellende Bedeutung zukommt.

Die Minderungsbescheide standen schließlich in vollem Umfang zur Überprüfung des Berufungsgerichts. Hinsichtlich des Meldeversäumnisses vom 4. Juli 2007 hat der Kläger mit Schreiben vom 22. August 2009 zwar erklärt, auf Grund der Teilabhilfe der Beklagten würde er die Nichtzulassungsbeschwerde vom 5. Juni 2009 zurücknehmen, d.h., er würde die Sanktion von 10% akzeptieren. Allerdings ging der Kläger irrtümlich, als er dies schrieb, davon aus, die Beklagte habe durch den Bescheid vom 21. Juli 2009 die Minderung wegen des Meldeversäumnisses am 3. August 2007 insgesamt beseitigen wollen, während diese tatsächlich nur die ursprünglich zwanzigprozentige Minderung auf eine zehnprozentige reduziert hat. In dem Schreiben vom 22. August 2009 hoffte der Kläger noch auf eine baldige weitere Korrektur, weil er von einem bloßen Versehen der Beklagten ausging, und machte auch die Rücknahme seiner Nichtzulassungsbeschwerde und damit die Akzeptanz der zehnprozentigen Minderung wegen des Meldeversäumnisses am 4. Juli 2007 davon abhängig. Das Schreiben ist insofern als innerprozessual bedingte – Rücknahme der Nichtzulassungsbeschwerde insgesamt zu sehen, wobei diese Bedingung nachfolgend nicht eingetreten ist.

Auch nachdem dem Kläger deutlich geworden war, dass die Beklagte zu einer vollständigen Abhilfe hinsichtlich des Meldeversäumnisses am 3. August 2007 nicht bereit sein würde, hat er – im Schreiben vom 13. September 2009 – allerdings inhaltlich nur beanstandet, dass die nachträgliche Reduzierung der zweiten Sanktion auf zehn Prozent nicht ausreichend sei und der Klage keine Abhilfe verschaffe. Auch dies kann indes nicht als teilweise Rücknahme seiner Nichtzulassungsbeschwerde verstanden werden. Die Beschränkung eines Rechtsbehelfs muss eindeutig, wenn auch nicht unbedingt ausdrücklich erklärt werden. Das ist hier nicht geschehen, auch wenn der Kläger seine inhaltliche Argumentation im Verfahren vor dem Landessozialgericht – bis zur mündlichen Verhandlung – weitgehend auf das ihm vorgeworfene Meldeversäumnis am 3. August 2007 beschränkt und zu erkennen gegeben hat, dass er eine Sanktion wegen des Meldeversäumnisses am 4. Juli 2007 möglicherweise (eher) akzeptieren könne. Eine hinreichend eindeutige Prozesserklärung ergibt sich daraus jedoch nicht, so dass auch die Minderung wegen des Meldeversäumnisses am 4. Juli 2007 und die diesbezüglichen Bescheide Gegenstand des Verfahrens blieben.

II. Mit diesem Inhalt war die Berufung zulässig – insbesondere nach der Zulassung durch Beschluss vom 6. Mai 2010 statthaft – und begründet. Die Voraussetzungen für eine Minderung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld II lagen nicht vor. Das ergibt sich schon daraus, dass es sich bei den Meldeaufforderungen zum 4. Juli 2007 und zum 3. August 2007 um Verwaltungsakte handelte, die aber zum jeweiligen Meldetermin nicht vollziehbar waren, so dass der Kläger eine Befolgungspflicht nicht hatte und dementsprechend die Beklagte einen Verstoß auch nicht sanktionieren durfte.

1. Bei einer Meldeaufforderung handelte es sich auch im hier maßgeblichen Zeitraum um einen Verwaltungsakt (vgl. in diesem Sinne auch Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II Kommentar, § 59 Rdnr. 16; Meyerhoff in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 59 Rdnr. 20; anders etwa Estelmann in ders., SGB II - Kommentar, § 59 Rdnr. 17). Dies hat der Gesetzgeber hinsichtlich der vergleichbaren Meldeaufforderung nach § 309 SGB III dadurch klargestellt, dass nach § 336a S. 1 Nr. 4 SGB III die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Klage bei Meldeaufforderungen entfällt. Da eine derartige Regelung voraussetzt, dass die Meldeaufforderung als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, war die zuvor auch im Arbeitsförderungsrecht streitige Frage nach deren Rechtscharakter seit der Einführung von § 336a SGB III zum 2. Januar 2002 entschieden. Für das SGB II gilt inzwischen das Gleiche; allerdings wurde die entsprechende Vorschrift über den Wegfall der aufschiebenden Wirkung – in § 39 Nr. 4 SGB II – erst durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente vom 22. Dezember 2008 (BGBl I 2008, S. 2917; im Folgenden: Neuausrichtungsgesetz) mit Wirkung zum 1. Januar 2009, also nach dem hier streitigen Zeitraum, eingeführt. Diese Gesetzesänderung hatte hinsichtlich des rechtlichen Charakters der Meldeaufforderung allerdings nur klarstellende Bedeutung. Die Meldepflicht ist im SGB II durch einen in § 59 SGB II enthaltenen Verweis auf §§ 309 und 310 SGB III geregelt; auch ist ein sachlicher Unterschied zwischen der Meldeaufforderung im Rahmen des SGB II zu der nach § 309 SGB III nicht zu erkennen. Da für diese aber bereits bei Einführung des SGB II zum 1. Januar 2005 gesetzlich geklärt war, dass sie als Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X zu behandeln ist, musste dies von Anfang an auch für die Aufforderung nach § 59 SGB II gelten.

2. Die Meldeaufforderungen der Beklagten vom 6. Juni 2007 und vom 6. Juli 2007, mit denen sie den Kläger zum 4. Juli 2007 bzw. zum 3. August 2007 einlud, waren an den jeweiligen Vorspracheterminen nicht vollziehbar.

a) Gegen die Meldeaufforderung zum 4. Juli 2007 legte der Kläger mit Schreiben vom 20. Juni 2007, eingegangen bei der Beklagten am Folgetag, Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 9. Juli 2007, eingegangen ebenfalls am Folgetag, wandte sich der Kläger gegen die Meldeaufforderung zum 3. August 2007. Anders als bei dem Schreiben vom 20. Juni 2007 ist das Schreiben vom 9. Juli 2007 zwar nicht ausdrücklich als Widerspruch formuliert. Bei der gebotenen Auslegung anhand der erkennbaren Interessen des Klägers musste die Beklagte es dennoch in diesem Sinne verstehen. Der Kläger bat darin unter Bezugnahme auf den Widerspruch vom 20. Juni 2007 darum, den Vollzug des nächsten Meldetermins auszusetzen. Eine derartige Aussetzung ist aber regelmäßig nur – oder jedenfalls rechtlich am unproblematischsten – während eines laufenden Widerspruchsverfahrens möglich (vgl. § 86a Abs. 3 S. 1 SGG). Auch wenn der Kläger eine behördliche Aussetzung nur irrtümlich für notwendig erachtete, weil die aufschiebende Wirkung von Gesetzes wegen eintrat (dazu sogleich), war doch daraus und aus dem Bezug auf den zuvor eingelegten Widerspruch das Ziel des Klägers hinreichend eindeutig zu entnehmen. Ausgehend von dem sogenannten Meistbegünstigungsgrundsatz und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) musste die Beklagte das Schreiben daher als Widerspruch gegen die erneute Meldeaufforderung auslegen.

b) Dem Widerspruch gegen die Meldeaufforderung kam jeweils aufschiebende Wirkung zu. Diese folgt aus § 86a Abs. 1 S. 1 SGG, wenn kein Ausnahmefall nach § 86 Abs. 2 SGG (ggf. über dessen Nummer 4 i.V.m. einer spezialgesetzlichen Regelung) vorliegt. Der gesetzliche Sofortvollzug einer Meldeaufforderung ergibt sich für das SGB II aus § 39 Nr. 4 und gilt damit, wie bereits ausgeführt, erst seit der Änderung des SGB II durch das Neuausrichtungsgesetz und also seit dem 1. Januar 2009. Eine entsprechende Anwendung von § 336a S. 1 Nr. 4 SGB III im Rahmen des SGB II ist nicht zu begründen; die Verweisung in § 59 SGB II auf die Regeln des SGB III bezieht sich nur auf §§ 309 und 310 SGB III. Bis zum 31. Dezember 2008 kam daher einem Widerspruch gegen eine Meldeaufforderung – vorbehaltlich der behördlichen Anordnung des Sofortvollzugs – aufschiebende Wirkung zu (vgl. dazu auch Estelmann, a.a.O., § 31 Rdnr. 17, der aus diesem Zusammenhang allerdings den Schluss zieht, die Meldeaufforderung könne nicht als Verwaltungsakt zu verstehen sein, weil diese durch einen Widerspruch sonst allzu leicht ihrer Wirksamkeit beraubt werden könnte; diese Argumentation vom Ergebnis her überzeugt allerdings – angesichts des engen Zusammenhangs mit der Meldeaufforderung nach § 309 SGB III und der aus § 336a SGB III bekannten, vom Gesetzgeber für das SGB II aber bis 31. Dezember 2008 nicht verwirklichten Lösung für dieses Problem – nicht). Von einer entsprechenden Rechtslage ging im Übrigen auch die Gesetzesbegründung zum Neuausrichtungsgesetz aus; dort (BR-Drs. 755/08, S. 85) heißt es: "Da die Einlegung eines Widerspruchs gegen eine Meldeaufforderung eines Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende bislang aufschiebende Wirkung entfaltet, haben zur Meldung Aufgeforderte die Möglichkeit, sich dauerhaft ihrer Meldepflicht zu entziehen ohne den Eintritt von Rechtsfolgen befürchten zu müssen. Mit der Neuregelung wird – ebenso wie in § 336a Satz 1 Nr. 4 SGB III – sichergestellt, dass künftig die Einlegung eines Widerspruchs gegen eine Meldeaufforderung eines SGB II Leistungsträgers keine aufschiebende Wirkung entfaltet."

c) Die aufschiebende Wirkung war schließlich auch nicht (wieder) entfallen. Den Sofortvollzug hatte die Beklagte nicht angeordnet. Den Widerspruchsbescheid zu der Meldeaufforderung vom 6. Juni 2007 zum 4. Juli 2007 erließ die Beklagte erst mit Datum vom 11. Juli 2007, also nach dem Meldetermin. Auch der Widerspruch vom 9. Juli 2007 war bis zum Meldetermin am 3. August 2007 noch nicht beschieden. Der Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2007 bezog sich nur auf den Widerspruch vom 20. Juni 2007 gegen den Bescheid vom 6. Juni 2007. Zu dem Schreiben vom 9. Juli 2007 enthielt er lediglich die Mitteilung, dass eine Meldeaufforderung keine Fallgestaltung nach § 86a Abs. 3 bzw. 2 SGG darstelle. Zudem sei durch die Erteilung dieses Widerspruchsbescheides ohnehin kein Raum mehr für die Anwendung der genannten Vorschrift. Schon durch die Platzierung dieser Ausführungen nach Rechtsbehelfsbelehrung und Unterschrift, aber auch auf Grund der Bezeichnung als Hinweis waren die Ausführungen nicht, jedenfalls nicht hinreichend eindeutig als Erteilung eines Widerspruchsbescheides auch hinsichtlich des Schreibens vom 9. Juli 2007 zu verstehen.

Im Übrigen hat der Kläger nach Erteilung des Widerspruchsbescheides umgehend Klage erhoben. Wollte man davon ausgehen, dass mit diesem auch der Widerspruch im Schreiben vom 9. Juli 2007 gegen die Meldeaufforderung zum 3. August 2007 beschieden worden ist, würde sich die aufschiebende Wirkung aus der Klage ergeben. Die im Klageschriftsatz vom 22. Juli 2007, eingegangen beim SG am 24. Juli 2007, relativ offen formulierten Klageanträge zum Verfahren S 24/45 AS 934/07 müssten dann anhand der Interessen des Klägers entsprechend weit ausgelegt werden.

Im Ergebnis dauerte die aufschiebende Wirkung zum Zeitpunkt der Meldetermine am 4. Juli 2007 bzw. 3. August 2007 fort. Der Kläger war daher nicht gehalten, die Meldeaufforderungen zu befolgen. Er konnte sich vielmehr, wie es die Gesetzesbegründung zum Neuausrichtungsgesetz an der zitierten Stelle formuliert, seiner Meldepflicht "entziehen", ohne den Eintritt ihm nachteiliger Rechtsfolgen befürchten zu müssen.

3. Die Absenkung wegen des Meldeversäumnisses am 3. August 2007 kann zudem deswegen keinen Bestand haben, weil es sich um die bloße Wiederholung bzw. Bekräftigung einer Obliegenheitsverletzung handelte, bevor diesbezüglich ein erster Minderungsbescheid ergangen war. Auch wenn man das Schreiben vom 9. Juli 2007 nicht als Widerspruch gegen die Meldeaufforderung vom 6. Juli 2007 auslegen wollte, müsste die Berufung daher in vollem Umfang Erfolg haben.

Vor Bekanntgabe des ersten Minderungsbescheids ist eine weitere Sanktionierung, jedenfalls wenn es sich um eine wiederholte oder fortgesetzte Obliegenheitsverletzung handelt, aus systematischen Gründen und im Hinblick auf den Zweck der stufenweisen Sanktionierung nicht möglich, und zwar weder als wiederholte Pflichtverletzung, wie die Beklagte zunächst angenommen hatte, noch als "zweite erste Pflichtverletzung", wie die Beklagte sie dem Änderungsbescheid vom 21. Juli 2009 zu Grunde gelegt hat (vgl. ebs. BSG, 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 31 Rdnr. 86; wohl auch Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, § 31 Rdnr. 99 und 103).

Nach der Systematik des § 31 Abs. 3 SGB II in der ab 1. Januar 2007 und auch im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Fassung von § 31 Abs. 3 SGB II (im Folgenden: a.F.; ebs. heute § 31 a SGB II) differenzierte dieser hinsichtlich des Umfangs der Sanktionierung strikt danach, ob es sich um eine erstmalige, eine erste wiederholte Obliegenheitsverletzung oder eine weitere wiederholte Obliegenheitsverletzung handelt (vgl. hierzu und zum Folgenden auch BSG, 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R; außerdem Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 31 Rdnr. 86; ders., Das Sanktionensystem des SGB II, ZFSH/SGB 2008, 3, 14). Daher bedarf es bei wiederholten Meldeversäumnissen der vorangegangenen Feststellung eines anderen (ggf. bereits wiederholten) Meldeversäumnisses mit einem Absenkungsbetrag der niedrigeren Stufe. Aus dieser Systematik wird auch die Funktion der Regelung, nämlich den Betroffenen vor einer

wiederholten Pflichtverletzung zu warnen, deutlich (vgl. auch Sächs. LSG, 01.11.2007 L 3 B 292/07 AS-ER, das von einem appellativen und edukatorischen Zweck der Vorschrift spricht).

Liegt ein wiederholtes Meldeversäumnis nicht vor, scheidet auch eine Erhöhung des Minderungsbetrags durch eine zeitgleiche Absenkung mittels zweier (oder mehrerer) gesonderter Minderungsbescheide mit gleichem Absenkungsbetrag aus, die im Ergebnis zu einer Minderung des Arbeitslosengeldes II im gleichen oder ggf. sogar höheren Umfang führen können; andernfalls würde das gesetzgeberische Konzept der gestuften Absenkung umgangen. Ein Bescheid, der ein weiteres Meldeversäumnis vor Erlass eines Bescheides wegen des vorangegangenen zum Gegenstand hat, kann daher auch nicht teilweise, also mit einer Minderung in gleicher Höhe wie bei dem vorangegangenen Bescheid, als rechtmäßig angesehen werden (vgl. nochmals BSG, 09.11.2010 – B 4 AS 27/10 R).

Das gilt jedenfalls, wenn – wie im hier zu entscheidenden Fall – die beiden sanktionierten Meldeversäumnisse in engem Zusammenhang stehen. So erscheint bereits fraglich, ob überhaupt von einer wiederholten Pflichtverletzung gesprochen werden kann, wenn der Leistungsempfänger bloß eine bereits dokumentierte Haltung bekräftigt, also z.B. das gleiche Arbeitsangebot wiederholt ablehnt oder – wie hier – zu einem Meldetermin mit identischem Meldezweck und in engem zeitlichem Zusammenhang wiederholt nicht erscheint (ablehnend etwa LPK-Berlit, a.a.O., § 31 Rdnr. 85; ders., ZFSH/SGB 2008, 3, 14; Valgolio, a.a.O., § 31 Rdnr. 103; Rixen, in: Eicher/Spellbrink, SGB II – Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 31 Rdnr. 50c). Jedenfalls ist eine erneute Sanktionierung vor Erlass des ersten Bescheides nicht möglich. Die Behörde hätte es sonst in der Hand, die einheitliche Entscheidung des Leistungsbeziehers zu einem identischen Lebenssachverhalt durch schnelles Handeln – also ein in rascher Folge wiederholtes Vermittlungsangebot oder eine mit kurzer Frist wiederholte Einladung – in nahezu beliebiger Höhe zu sanktionieren.

In einer derartigen Fallkonstellation sind zudem die Warnfunktion des ersten Sanktionsbescheides und damit der Zweck der stufenweisen Absenkung von augenfälliger Bedeutung. Gerade im Falle der Sanktionierung (nahezu) identischer bzw. fortgeführter Obliegenheitsverletzungen – und ein solcher wird hier aus dem Vorbringen des Antragstellers erkennbar – ist die mit dem System der gestuften Absenkung offenbar verbundene Erwartung des Gesetzgebers, die erste Sanktion möge den Leistungsbezieher warnen und zu einer Änderung seines Verhaltens veranlassen, plausibel. Diese kann sich aber nur erfüllen, wenn die Beklagte das Verhalten zunächst sanktioniert, dem Betroffenen dadurch in einem Bescheid und also nach abschließender Prüfung zu erkennen gibt, dass sein Verhalten sich aus ihrer Sicht als obliegenheitswidrig darstellt und mit Konsequenzen verbunden ist, und ihm auf diese Weise einen Anlass und Möglichkeit dafür gibt, eine weitere Obliegenheitsverletzung zu vermeiden.

Gegen diese Auffassung, also die Ablehnung zweier (oder mehrerer) "erster Sanktionen", hat z.B. das SG Reutlingen (30.09.2008 – S 2 AS 4133/07) eingewandt, auf diese Weise würde die Funktion des § 31 Abs. 3 SGB II a.F. in ihr Gegenteil verkehrt: § 31 Abs. 3 SGB II a.F. solle den Hilfebedürftigen nicht schützen, sondern eine Härtesanktion ermöglichen. Würde man § 31 Abs. 3 SGB II a.F. aber eine generelle Sperrwirkung für alle mehrfachen Pflichtenverstöße zubilligen, käme dies einer zeitweisen "Immunität" gleich, die nicht Intention des § 31 Abs. 3 SGB II a.F. sei. Diese Auffassung verfehlt jedoch den Zweck des § 31 SGB II, wonach es – jedenfalls bei einem verfassungsgemäßen Verständnis der Vorschrift – nicht in erster Linie um eine Sanktionierung, vulgo Bestrafung, des Betroffenen geht, sondern eben darum, eine Verhaltensänderung zu befördern. Unter diesem Gesichtspunkt ist der Betroffene aber im Zeitraum zwischen der Obliegenheitsverletzung und der behördlichen Reaktion darauf nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie "immun" gegen weitere Sanktionen, sondern es ist noch nicht erkennbar, ob die erste Minderung ihren Zweck erreichen kann oder nicht, so dass eine weitere Sanktion noch nicht geboten ist.

Für ein entsprechendes Verständnis der Vorschrift spricht schließlich, dass bei deren Auslegung wegen des mit der Absenkung verbundenen Eingriffs in das sozio-kulturelle Existenzminimum Verschuldens- und Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte von erheblicher Bedeutung sind (vgl. pointiert in diesem Sinne Schmidt-De Caluwe in Estelmann, SGB II – Kommentar, § 31 Rdnr. 10). Eine "vervielfachte" Sanktionierung für eine jedenfalls im Wesentlichen einheitliche bzw. fortgesetzte Obliegenheitsverletzung ist danach nur zu rechtfertigen, wenn zuvor durch den Absenkungsbescheid und die mit ihm verbundene Warnung eine Zäsur eingetreten ist.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

IV. Ein Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht (mehr).

Hinsichtlich der Rechtsfrage, ob ein "erstes" Meldeversäumnis, das in engem Zusammenhang mit einem vorangegangenen "zweiten" Meldeversäumnis steht, zu einer weiteren Sanktion führen kann, ist die Klärungsbedürftigkeit entfallen; mit der Entscheidung des BSG vom 9. November 2010 (B 4 AS 27/10 R) liegt inzwischen höchstrichterliche Rechtsprechung vor.

Die weitere Rechtsfrage, ob dem Widerspruch gegen eine Meldeaufforderung aufschiebende Wirkung zukommt, stellt sich für die aktuelle, seit 1. Januar 2009 maßgebliche Rechtslage nicht mehr bzw. nicht mehr in vergleichbarer Form. Durch das Neuausrichtungsgesetz ist in § 39 SGB II eine Nr. 4 angefügt worden, nach der Widerspruch und Klage gegen einen Verwaltungsakt, mit dem nach § 59 SGB II in Verbindung mit § 309 SGB III zur persönlichen Meldung bei der Agentur für Arbeit aufgefordert wird, keine aufschiebende Wirkung haben. Hinsichtlich der hier streitigen Fragen ist damit die Klärungsbedürftigkeit entfallen.
Rechtskraft
Aus
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