S 14 RA 2111/02 W05

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 14 RA 2111/02 W05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klagen werden abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt gegenüber der Beklagten zu 1. die Gewährung einer höheren Rente unter Außerachtlassung der Begrenzung des berücksichtigungsfähigen Entgeltes für den Zeitraum vom 1. Januar 1978 bis zum 17. März 1990 auf das Durchschnittsentgelt, die auf der Feststellung der Bescheide der Beklagten zu 2. beruht.

Der 1935 geborene Kläger war vom 1. Januar 1963 bis zum 2.Oktober 1990 als Staatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft der DDR tätig. Er übernahm ab 1965 die fachliche Beratung der Sendereihe "D ..." des Fernsehens der DDR trat dort als Kommentator auf. Vom 1. Januar 1971 bis zum 30. Juni 1990 gehörte er der freiwilligen zusätzlichen Altersversorgung für Mitarbeiter des Staatsapparates (nachfolgend: AV Staat) an (Anlage 1 Nr. 19 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz-AAÜG-). Am 1. Juli 1990 hätte er einem Vermerk auf der Beitragskarte der AV Staat zufolge einen Anspruch auf eine zusätzliche Versorgung in Höhe von 1425 DM zuzüglich der Rente der Sozialversicherung, begrenzt auf 90 % des monatlichen Nettoverdienstes, d.h. 2.151 DM gehabt. Während seiner selbständigen Tätigkeit vom 1. Januar 1993 bis zum 30. September 2000 entrichtete er freiwillige Beiträge auf der Grundlage der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage.

Auf seinen im November 2000 gestellten Rentenantrag gewährte die Beklagte zu 1. dem Kläger mit Bescheid vom 31. Januar 2001 eine Regelaltersrente ab 1. Oktober 2000 in Höhe von zunächst 2032,65 DM auf der Grundlage von 0,2242 Entgeltpunkten und 47,4357 Entgeltpunkten Ost. Der Rentenberechnung lagen für die Zeit vom 1. Januar 1978 bis zum 17. März 1990 auf das Durchschnittsentgelt gekürzte Entgelte zugrunde.

Den dagegen eingelegte Widerspruch, mit dem der Kläger die Rentenberechnung ohne eine Begrenzung der Entgelte begehrte, die durch die besonderen Beitragsbemessungsgrenzen Ost und die spezielle Beitragsbemessungsgrenze nach § 6 Abs. 2 AAÜG entständen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2002 zurück. Es bestehe kein Anspruch auf Berücksichtigung von Arbeitseinkommen, das die Beitragsbemessungsgrenze West überschreite. Soweit mit dem Widerspruch die Aufhebung der Begrenzung der Entgelte nach § 6 Abs. 2 und 3 des AAÜG begehrt werde, müsse darauf hingewiesen werden, dass die Begrenzung im Überführungsbescheid durch den Zusatzversorgungsträger vorgenommen werde. Daran sei sie, die Beklagte zu 1., gebunden. Es bestehe auch kein Anspruch auf Zahlung einer Rente ausgehend von einem zum 1. Juli 1990 geschützten fiktiven Zahlbetrag. Die im Beitrittsgebiet bestehenden Zusatz- und Sonderversorgungssysteme seien zum 1. Juli 1990 geschlossen und die Ansprüche und Anwartschaften in die Rentenversicherung überführt worden. Damit bestünden seit diesem Zeitpunkt keine Zahlungsansprüche aus diesem System mehr.

Mit seiner hiergegen erhobenen Klage begehrt der Kläger eine höhere Rente unter Berücksichtigung der Ansprüche auf Renten aus der allgemeinen Rentenversicherung bzw. aus der Sozialversicherung der DDR, berechnet im Rahmen der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze. Er macht geltend, dass seine Ansprüche dem Eigentumsschutz des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention unterfielen und nicht liquidiert werden dürften. Gegen den Rentenstrafrechtsbewahrungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2010 seien aussichtsreiche Menschenrechtsbeschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht worden. Zudem habe der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen Deutschland in seinen abschließenden Bemerkungen vom 20. Mai 2011 nachhaltig kritisiert. Nachdem der Ausschuss festgestellt habe, dass die Kürzungen der Renten der Minister verfassungs- und menschenrechtswidrig seien, dürften die Regelungen des § 6 Abs. 2 AAÜG nicht mehr angewandt werden. Da ein schutzwürdiges Interesse an einem gesonderten Verfahren zur isolierten Überprüfung der vom Versorgungsträger abgelehnten Datenfeststellungen bei Streitigkeiten, in denen das Begehren im Kern auf die Gewährung einer höheren Rente gerichtet sei, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht bestehe, sei das Verfahren bis zur bestandskräftigen Entscheidung über die Feststellungen des Versorgungsträgers, die Gegenstand des Klageverfahrens S 29 R ... seien, auszusetzen.

Mit Bescheid vom 4. März 1999 stellte die Beklagte zu 2., der Versorgungsträger für die Zusatzversorgungssysteme, in Anwendung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AAÜG unter anderem die Zeit vom 1. September 1962 bis zum 30. Juni 1990 als Zeit der Zugehörigkeit zur AV Staat fest und teilte die in diesem Zeitraum erzielten tatsächlichen Entgelte und die nach den Vorschriften des AAÜG für die Rentenberechnung berücksichtigungsfähigen Entgelte mit, wobei im Zeitraum vom 1. Januar 1978 bis zum 17. März 1990 neben den tatsächlich erzielten Entgelten für die einzelnen Jahre die Werte der Anlage 5, das Durchschnittsentgelt, aufgeführt waren.

Einen Überprüfungsantrag zum Feststellungsbescheid vom 4. März 1999 lehnte die Beklagte zu 2. mit Bescheid vom 4. Februar 2009 ab. Der Gesetzgeber habe die Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2004 durch das Erste Gesetz zur Änderung des AAÜG zum 1. Juli 2005 (1. AAÜG-ÄndG 2005) neu gefasst. Danach werde ein Sondertatbestand für Zeiten festgestellt, in denen eine Beschäftigung gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 7 AAÜG als Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der DDR ausgeübt worden ist. Der Kläger habe in der Zeit vom 1. Januar 1978 bis zum 17. März 1990 eine Beschäftigung als Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der DDR ausgeübt.

Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte zu 2. durch Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2009 zurück.

Mit der hiergegen erhobenen Klage, die unter dem Aktenzeichen S 29 R. registriert worden ist, macht der Kläger geltend, auch die Neuregelung des AAÜG zum 1. Juli 2005 entspreche nicht den Grundsätzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2004. Er habe weder Weisungsbefugnisse gegenüber Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit besessen noch einem System der Selbstprivilegierung angehört.

Die Kammer hat das Verfahren S 29 R. mit Beschluss vom 16. August 2011 zum hiesigen Verfahren verbunden.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu 1. unter Änderung der Rentenbescheide vom 31. Januar 2001, 30. April 2001, 27. April 2004 und 5. Februar 2007 zu verurteilen, ihm eine höhere Rente unter Berücksichtigung seiner Ansprüche auf Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. aus der Sozialversicherung der DDR zu gewähren, berechnet im Rahmen der allgemeinen Beitragsbemessungsgrenze, sowie, soweit eine Mitgliedschaft bestand oder nachträglich anzuerkennen ist, aus dem zusätzlichen Versorgungssystem bzw. aus der FZR der DDR in der Höhe, in der die Ansprüche rechtmäßig zur Ergänzung der Versichertenrente zu einer Vollversorgung erworben wurden, ohne die Begrenzungen nach dem AAÜG, jedoch angepasst gemäß den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen an die Lohn- und Einkommensentwicklung im Beitrittsgebiet seit dem 1. Juli 1990.

2. den Bescheid vom 4. Februar 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu 2. zu verurteilen, den Bescheid vom 4. März 1999 zu ändern, und die Zeit der Zugehörigkeit zum Versorgungssystem Nr. 19 der Anlage 1 zum AAÜG und die während des Zeitraums tatsächlich erzielten Entgelte ohne das Vorliegen eines Sondertatbestandes für die Anwendung einer niedrigeren als der regelmäßigen Beitragsbemessungsgrenze nach § 6 Abs. 2 AAÜG festzustellen.

Die Beklagten zu 1. und 2. beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1. macht geltend, dass der Rentenversicherungsträger an die Feststellungen des Versorgungsträgers gebunden sei.

Die Beklagte zu 2. verweist darauf, dass der Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Nr. 7 AAÜG in dem festgestellten Zeitraum erfüllt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beiden Gerichtsakten der verbundenen Verfahren sowie die Verwaltungsakten der Beklagten zu 1. und 2. Bezug genommen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage gegen die Beklagte zu 2. ist bereits unzulässig, die Klage gegen die Beklagte zu 1. zulässig, aber unbegründet.

Mit seiner Klage gegen die Beklagte zu 2. macht der Kläger nicht unzutreffende Feststellungen der Entgelte im Einzelfall geltend, die einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen würden, sondern wendet sich gegen die Begrenzung der Entgelte auf die Werte der Anlage 5. Diese Einwände sind jedoch nicht im Verfahren gegen den Zusatzversorgungsträger zu prüfen, da es insoweit an einer anfechtbaren Entscheidung fehlt. Über die Frage, ob bei der Berechnung der Rente nach dem SGB VI eine niedrigere als die regelmäßige Beitragsbemessungsgrundlage zur Anwendung kommt, hat der Zusatzversorgungsträger nach ständiger Rechtsprechung des BSG seit 1996 (Urteile vom 18. Juli 1996 – 4 RA 7/95 -, 20. Oktober 2001 – B 4 RA 61/01 R -, 20. Dezember 2001 – B 4 RA 6/01 R -, 29. Oktober 2002 - B 4 RA 27/02 R – und vom 14. Mai 2003 – B 4 RA 65/02 R - sowie Beschluss vom 09. Oktober 2006 – B 4 RA 263/05 B -, alle zitiert nach Juris) nicht zu entscheiden. Das AAÜG ermächtigt den Zusatzversorgungsträger nicht dazu, dem Rentenversicherungsträger verbindlich vorzuschreiben, dieser müsse bei seiner Entscheidung über den Bestand und die Höhe des Rechts der Rente nach dem SGB VI die besondere BBG des AAÜG, hier insbesondere § 6 Abs. 2 AAÜG, außerachtlassen.

Soweit der Kläger die Gewährung einer höheren Rente begehrt, ist Gegenstand des Verfahrens nur der Rentenbescheid vom 31. Januar 2001. Die weiteren Rentenbescheide haben diesen Bescheid nicht ersetzt, da sie die Höhe des Abzuges für die Krankenversicherung und die Pflegeversicherung betrafen und die allein streitige Rentenhöchstwertfestsetzung nicht abgeändert haben.

Die Klage ist aber unbegründet.

Der Kläger kann keine höhere fiktive Vorleistung mit einem höheren Wert seiner Rangstelle und deswegen auch keine höhere Altersrente beanspruchen. Bei der Ermittlung des Wertes seiner fiktiven Vorleistung für die Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland dürfen seine aus der Beschäftigung bei der Generalstaatsanwaltschaft erzielten Arbeitsentgelte nur bis zur besonderen Beitragsbemessungsgrenze des § 6 Abs. 2 AAÜG und dessen Anlage 5 berücksichtigt werden. Denn die §§ 5 und 6 AAÜG enthalten gegenüber dem SGB VI spezielles Rentenversicherungsrecht (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 29. Januar 2004 – B 4 RA 24/03 R-, zitiert nach juris). § 5 AAÜG bestimmt, welche der in der DDR von einem am 1. August 1991 Versorgungsberechtigten ausgeübten Beschäftigungen oder Tätigkeiten "beitragsunabhängig" den Pflichtbeitragszeiten des SGB VI gleichgestellt werden sollen. § 6 AAÜG regelt, welche fiktiven Rangstellenwerte aus diesen gleichgestellten Pflichtbeitragszeiten in der allgemeinen Rentenversicherung des SGB VI erzielt werden. Hierfür kommt es zum einen darauf an, welchen Arbeitsverdienst der frühere Versorgungsberechtigte in jedem Kalenderjahr tatsächlich erzielt hat, zum anderen, welche BBG maßgeblich sein soll.

Für den von § 6 Abs. 2 AAÜG erfassten Personenkreis ist die besondere, niedrigere Beitragsbemessungsgrenze des Durchschnittsverdienstes vorgesehen. Hierzu heißt es in der Gesetzbegründung zum 1. AAÜG-ÄndG (BT-Drucksache 15/5314, S.1 ), die Entgeltbegrenzung werde auf Zeiten beschränkt, in denen insbesondere solche Funktionen im Parteiapparat der SED, in der Regierung oder im Staatsapparat ausgeübt worden seien, die auch eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sowie dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umfasst hätten. Ebenso werden auch Zeiten in Funktionen auf den höchsten Ebenen des so genannten Kadernomenklatursystems der DDR einbezogen, da die Betreffenden – wie auch die MfS/AfNS-Mitarbeiter – einkommens- und versorgungsseitig Teil eines Gesamtkonzepts der Selbstprivilegierung innerhalb des Staates gewesen seien. Einbezogen in die Begrenzung seien schließlich auch Staatsanwälte, sofern sie die Aufsicht über Ermittlungsverfahren des MfS/AfNS hatten. Dem gleichgestellt würden Funktionen im hierarchischen Überbau der Staatsanwaltschaft, in deren Zuständigkeit diese Verfahren fielen (BT-Drucksache 15/5314, S. 4). Als Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft übte der Kläger eine Funktion im hierarchischen Überbau der Staatsanwaltschaft aus, in deren Zuständigkeit die Aufsicht über Ermittlungsverfahren des MfS/AfNS fiel. Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger konkret über eine Weisungsbefugnis gegenüber dem MfS verfügte, da in der Begrenzungsregelung insoweit allein an seine Funktion im hierarchischen Überbau der Staatsanwaltschaft angeknüpft wird. Die Weisungsbefugnis als solche wird hinreichend durch die Dienstanweisung Nr. 1/52 zum Befehl Nr. 74/52 vom 15. Mai 1952, veröffentlicht als Dokument 8 der Sammlung "Anatomie der Staatssicherheit" der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Abteilung Bildung und Forschung, verdeutlicht. Danach wurde durch Beschluss des Ministerrates vom 27. März 1952 dem Generalstaatsanwalt der DDR die Aufsicht über die Untersuchungen in Strafsachen der Untersuchungsorgane sowie über die Haftanstalten des Ministeriums für Staatssicherheit übertragen. Ob diese Anknüpfung an eine MfS-nahe Tätigkeit verfassungsgemäß ist, oder ob dies Bedenken unterliegt, weil das BVerfG in seinem Urteil vom 28. April 1999- 1 BvL 11/94, BVErfGE 100, 138 ff) die Rechtfertigung der Kürzung in der allgemeinen Überhöhung der im MfS erzielten Entgelte gesehen hat, konnte die Kammer dahingestellt lassen.

Denn die Kammer ist von der Verfassungsmäßigkeit auch der Kürzungsregelung des § 6 Abs. 2 Nr. 7 AAÜG auf der Grundlage des Beschlusses des BVerfG vom 6. Juli 2010, 1 BvL 9/06, 1 BvL 2/08 überzeugt. Zwar erklärt der Beschluss ausdrücklich nur die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG für mit dem Grundgesetz vereinbar unter Hinweis darauf, dass die Kläger in den beiden Vorlageverfahren jeweils als Minister bzw. stellvertretender Minister nur Tätigkeiten im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 4 AAÜG ausgeübt haben. Dem Beschluss sind jedoch allgemeine Ausführungen zur Vereinbarkeit der Kürzungsregelungen mit Art. 14 des Grundgesetzes (GG) und Art. 3 GG zu entnehmen. Insbesondere hat das BVerfG es trotz der erheblichen Kritik im Vorlagebeschluss des Sozialgerichts Berlin vom 9. Juni 2006 (S 35 RA 5653/97 W05) für gerechtfertigt erachtet, dass der Gesetzgeber gegenüber spezifisch eingegrenzten Gruppen im Blick auf deren allgemein privilegierte Sonderstellung in der DDR ohne langwierige Ermittlungen zu deren Beschäftigungs- und Qualifikationsstruktur sowie zur Struktur des von dieser Gruppe erzielten Pro-Kopf-Einkommens zu Rentenkürzungen befugt ist (vgl. C I 3 b, Rdnr. 73 des Beschlusses).

Die Anknüpfung an eine besondere Verantwortung für das Regime der DDR hält das BVerfG bezogen auf einen eng beschränkten Personenkreis von Leistungsverantwortlichen für verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. Rdnr. 74 a.a.O.). Auch stellt es darauf ab, dass die durch die Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der Mitarbeiter des Staatsapparates nachgewiesene Systemnähe und darüber hinaus noch die im Staatsapparat erreichte Höhe im System zusammengenommen hinreichende Anknüpfungspunkte für die typisierende Rentenbegrenzung wegen überhöhter Honorierung sind (vgl. Rdnr. 78 a.a.O.). All diese Erwägungen gelten in gleicher Weise für die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 7 AAÜG.

Auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG ist nicht erkennbar. Die Benachteiligung der in § 6 Abs. 2 AAÜG genannten Personengruppen ist durch hinreichende sachliche Gründe gerechtfertigt. Das mit der Regelung verfolgte Ziel, überhöhte Arbeitsentgelte bestimmter Personengruppen aus Tätigkeiten, in denen diese im Vergleich mit anderen Personengruppen bei typisierender Betrachtung einen erheblichen Beitrag zur Stärkung oder Aufrechterhaltung des politischen Systems der DDR geleistet haben, nicht in vollem Umfang in die Rentenversicherung zu übernehmen, dient der Umsetzung der in Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchstabe b Satz 3 Einigungsvertrag enthaltenen Vorgabe einer Überprüfung, in welchem Umfang erzielte Arbeitsentgelte die Gewährung einer Rente rechtfertigen (vgl. Rdnr. 85). Die Typisierung hat das BVerfG ebenfalls für verfassungsgemäß erachtet, weil bei dem erfassten Personenkreis in typisierender Weise der Schluss gerechtfertigt sei, dass den Inhabern ein Teil des Entgelts als Prämie für Systemtreue gezahlt worden sei (vgl. Rdnr. 90 des Beschlusses). Auch diese Erwägungen treffen für den Personenkreis des § 6 Abs. 2 Nr. 7 AAÜG zu. Denn nach § 38 Abs. 1 des Gesetzes über die Staatsanwaltschaft der DDR vom 7. April 1977 (GBl I, 93 ff) war der Generalstaatsanwalt für eine der führenden Rolle der Arbeiterklasse entsprechende Auswahl, Entwicklung und Erziehung der Kader der Staatsanwaltschaft verantwortlich.

Entgegen der Auffassung des Klägers war die Kammer durch die Feststellungen des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen Deutschland in seinen abschließenden Bemerkungen vom 20. Mai 2011 nicht gehindert, die Entscheidung des BVerfG für weiterhin maßgeblich zu erachten. Denn der Ausschuss wendet sich an die Regierung der Bundesrepublik mit der Aufforderung, bestimmte, aus seiner Sicht bestehende Missstände zu beseitigen. Dies ändert nichts an der bisher bestehenden Gesetzeslage, die die Kammer im Hinblick auf den zitierten Beschluss des BVerfG für verfassungsgemäß erachtet.

Die Kammer war schließlich nicht an einer Entscheidung aufgrund der Tatsache gehindert, dass gegen den Beschluss des BVerfG eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht worden ist. Insoweit hat die Kammer die bisherige Rechtsprechung des Gerichtshofes berücksichtigt. Denn die 5. Sektion des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat eindeutig in ihrer Entscheidung vom 25. September 2007 -12923/03- darauf verwiesen, dass der Gerichtshof bereits über mehrere im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung stehende Fälle entschieden und dabei den einmaligen historischen Kontext sowie die ungeheuren Aufgaben berücksichtigt habe, denen sich der Gesetzgeber gegenübersah, um die vielen Fragen zu regeln, die sich durch den Übergang von einem kommunistischen Regime zu einem demokratischen und marktwirtschaftlichen System zwangsläufig gestellt haben (siehe unter zahlreichen anderen Fällen die Rechtssache Kuna./. Deutschland (Entsch.) Nr. 52449/99, CEDH-2001-V). Diesbezüglich verfügte der Gesetzgeber über einen weiten Ermessensspielraum (Rechtssache von Maltzan , Rdnr. 74, und Adam u.a .../. Deutschland (Entsch.) Nr. 290/03, 1. September 2005).

Soweit der Kläger Ansprüche zur Ergänzung der Versichertenrente zu einer Vollversorgung geltend macht, ist eine gesetzliche Grundlage hierfür nicht ersichtlich. Insbesondere hat der 1935 geborene Kläger keinen Anspruch auf eine Vergleichsberechnung nach § 4 Abs. 4 AAÜG. Danach ist eine Vergleichsberechnung dann vorzunehmen, wenn eine Rente nach dem SGB VI in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 beginnt. Die Rente des Klägers beginnt erst nach Ablauf der Schutzfrist. Die in Artikel 2 RÜG enthaltene Stichtagsregelung, in der die Anwendung des Gesetzes auf einen Rentenbeginn bis spätestens zum 31. Dezember 1996 begrenzt wird, ist unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Stichtagsregelungen sind notwendig und zulässig, der Zeitpunkt muss sich aber an dem zugrunde liegenden Sachverhalt orientieren und die Interessenlage der Betroffenen muss angemessen berücksichtigt sein (Bundessozialgericht, Urteil vom 6. Mai 1999 - B 8 KN 10/98 R -, SozR 3 - 8575 Art. 2 § 44 RÜG Nr. 1, S. 7 ff.). Die befristete Fortgeltung des Rechtes der Deutschen Demokratischen Republik zielt auf einen Bestandsschutz der bei der Wiedervereinigung rentennahen Jahrgänge. Die Befristung resultiert aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber eine möglichst schnelle Angleichung des Rentenversicherungsrechtes angestrebt hat. Daher liegt auch keine Ungleichbehandlung gegenüber den Versicherten vor, deren Rente bis zum 31. Dezember 1996 beginnt.

Nach alledem hatten beide Klagen keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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