S 8 KR 354/10

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Stuttgart (BWB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 354/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein 13-Jähriger, der 1,52 m groß ist und eine Endgrößenprognose von 1,65 m hat, hat gegen seine Krankenkasse keinen Anspruch auf die Behandlung mit einem Medikament zur Körpervergrößerung, wenn dieses Medikament in Deutschland nicht zur Behandlung von Wachstumsstörungen zugelassen ist.
Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung der ihm für die Anschaffung des Medikaments Femara (Wirkstoff: Letrozol) bislang entstandenen Kosten in Höhe von EUR 3.010,42 und die zukünftige Versorgung mit diesem Medikament.

Der am X geborene Kläger, der derzeit eine Körpergröße von ca. 1,52 m hat, ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Im August 2009 beantragte er bei der Beklagten die Versorgung mit dem Medikament Femara (Wirkstoff: Letrozol). Er legte ein Attest von der Universität M. (ohne Datum) und einen Arztbrief von Prof. S. von der Universität M. vom 04.08.2009 vor. Danach leide der Kläger unter familiärem Kleinwuchs. Seine Endgrößenprognose liege bei 1,65 m. Er könne mit dem Medikament Femara behandelt werden. Nach Studien habe sich ein durchschnittlicher Größengewinn von 5 cm ergeben. Relevante Nebenwirkungen hätten sich nicht ergeben. Die Therapiekosten würden ca. EUR 200,00 je Monat betragen. Bedingt durch die Wachstumsproblematik sei der Kläger psychisch sehr belastet.

Femara ist in Deutschland für die Behandlung von verschiedenen Brustkrebsformen zugelassen. Eine Zulassung für die Behandlung von Wachstumsstörungen besteht nicht.

Die Beklagte holte eine von Frau Dr. P. erstellte Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern (MDK) vom 18.09.2008 ein. Danach sei das Medikament für die Behandlung von Kleinwuchs in Deutschland nicht zugelassen. Ein Alternativpräparat gäbe es in Deutschland nicht. Aus ihrer Sicht sei eine Psychotherapie indiziert. Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 19.08.2009 ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, da das beantragte Medikament in Deutschland für die Behandlung von Kleinwuchs nicht zugelassen sei, komme eine Verordnung auf Kassenrezept nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nur dann in Betracht, wenn eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer beeinträchtigende Erkrankung vorliege, für die es keine andere Therapie gäbe, die über die gesetzliche Krankenkasse abgerechnet werden könne. Außerdem müssten Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen würden, dass die Einnahme des Arzneimittels zu einem Behandlungserfolg führe. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da der MDK eine Psychotherapie als alternative Therapiemöglichkeit empfohlen habe.

Der Kläger erhob Widerspruch und verwies darauf, dass Prof. S. von der Universitätsklinik M. die Therapie mit diesem Medikament befürwortet und als angezeigt erachtet habe. Der Kläger legte eine Stellungnahme von Prof. S. vom 30.09.2009 vor, in der er ausführte, ihm sei bekannt, dass das Medikament in der Therapie des Kleinwuchses bislang nicht angewandt worden sei. Wie er aber bereits dargelegt habe, würden Forschungsergebnisse zeigen, dass durch die Östrogenblockade ein deutlicher Zugewinn der Endlänge kleinwüchsiger Patienten zu erreichen sei. Eine Psychotherapie, die im Übrigen viel teurer sei, stelle keine Alternative dar.

Die Beklagte holte ein von Dr. A. nach Aktenlage erstelltes MDK-Gutachten vom 14.10.2009 ein. Demnach würden keine randomnisierten placebokontrollierten Phase-3-Studien zur Behandlung von Kleinwuchs mit Femara vorliegen. Es sei davon auszugehen, dass die Lebensqualität des Klägers aufgrund seines Kleinwuchses beeinträchtigt sei. Allerdings liege kein psychopathologischer Befundbericht vor, so dass nicht ausgesagt werden könne, ob die Wachstumsstörung die alleinige Ursache für die psychischen Probleme darstelle. Bei fehlendem Wachstumshormonmangel sei eine Standardtherapie nicht verfügbar.

Auf dieser Grundlage wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2009 zurück. Zur Begründung wiederholte und vertiefte sie ihre Begründung aus dem Ausgangsbescheid. Ergänzend führte sie aus, dass für eine Psychotherapie wesentlich höhere Kosten entstehen würden, erlaube keine andere Entscheidung, da hypothetische Kosten auf Leistungsentscheidungen keine Aus-wirkungen haben könnten.

Hiergegen richtet sich die am 18.01.2010 erhobene Klage, zu deren Begründung der Kläger im Wesentlichen ausführt, er sei etwa 20 cm kleiner als seine Klassenkameraden, was zu einer psychisch starken Belastung führe, die sich insgesamt schlecht auf seine Entwicklung auswirke. Er werde ausgegrenzt und habe dadurch Minderwertigkeitsgefühle. Demgegenüber sei das beantragte Medikament ein erprobtes und in Fachkreisen bewährtes Medikament zur Verlängerung der Wachstumsphase. Dem MDK fehle die erforderliche Fachkunde. Eine Psychotherapie stelle keine Alternative zur Behandlung des Kleinwuchses dar. Außerdem seien die Kosten hierfür deutlich höher, so dass der Wirtschaftlichkeitsfaktor gewahrt sei. Aufgrund seines Kleinwuchses liege eine schwer wiegende Beeinträchtigung seiner Lebensqualität vor. Es sei nicht erforderlich, einen psychopathologischen Befundbericht vorzulegen, da ein solcher in seinem Alter noch nicht erstellt werden könne. Die Wirksamkeit des Medikaments sei wissenschaftlich nachgewiesen. Er habe gegen die Beklagte daher einen Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament Femara und auf Erstattung der ihm hierfür bislang entstandenen Kosten in Höhe von EUR 3.010,42.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19.08.2009 in Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 17.12.2009 zu verurteilen, ihm EUR 3.010,42 zu erstatten und ihn zukünftig mit dem Medikament Femara (Wirkstoff: Letrozol) zu versorgen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf den Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig aber nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 19.08.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2009 ist rechtmäßig. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Medikament Femara (Wirkstoff: Letrozol) und daher auch keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten, die ihm für die Anschaffung dieses Medikaments bereits entstanden sind.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Abs 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arz-neimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Außerdem sind die Einschränkungen des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V und des § 12 Abs. 1 SGB V zu beachten, wonach Qualität und Wirksamkeit von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen sowie den medizinischen Fortschritt berücksichtigen, die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen sowie das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürfen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der sich die Kammer anschließt, sind Fertigarzneimittel mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit grundsätzlich nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn ihnen die arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 1/06 R m.w.N.). Dabei liegt eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne nur vor, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll (BSG, a.a.O.). Femara ist für die Behandlung von Wachstumsstörungen in Deutschland nicht zugelassen, so dass diese Voraussetzung im vorliegenden Fall nicht erfüllt ist.

In Fällen, in denen ein Arzneimittel zwar grundsätzlich zugelassen ist, dieses aber in einem nicht zugelassenen Anwendungsbereich eingesetzt werden soll (sog. "Off-Label-Use" oder zulas-sungsüberschreitende Anwendung), kommt nach der Rechtsprechung eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkasse in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwer wiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Dabei müssen alle drei genannten Voraussetzungen vorliegen (BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 1/06 R m.w.N.; BSG, Urteil vom 19.03.2002 – B 1 KR 37/00).

Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt (BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 1/06 R m.w.N.). Denn der sog. Off-Label-Use bedeutet, Arzneimittel ohne die arzneimittelrechtlich vorgesehene Kontrolle der Sicherheit und Qualität einzusetzen, die in erster Linie Patienten vor inakzeptablen unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit schützen soll. Ausnahmen können daher nur in engen Grenzen aufgrund einer Güterabwägung anerkannt werden, die der Gefahr einer krankenversicherungsrechtlichen Umgehung arzneimittelrechtlicher Zulassungserfordernisse entgegenwirkt, die Anforderungen des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung an Qualität und Wirksamkeit der Arzneimittel beachtet und den Funktionsdefiziten des Arzneimittelrechts in Fällen eines unabweisbaren, anders nicht zu befriedigenden Bedarfs Rechnung trägt (BSG, a.a.O., m.w.N.).

Auf dieser Grundlage stellt die beim Kläger vorliegende Wachstumsstörung mit einer Endgrö-ßenprognose von 1,65 m keine auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung dar. Wie das Bundessozialgericht entschieden hat, liegt eine Krankheit als vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichenden Körperzustand nicht vor, wenn die Körpergröße des Betroffenen "im Normbereich" liegt. Selbst bei einer Endgrößenprognose von lediglich 146,5 cm hat es jedenfalls die für den Off-Label-Use erforderlichen qualifizierten Krankheitsvoraussetzungen verneint (BSG, Beschluss vom 19.09.2007 – B 1 KR 52/07 B). Das Bundessozialgericht hat dies überzeugend damit begründet, dass das Recht der Teilhabe behinderter Menschen einen der Regelwidrigkeit Rechnung tragenden Grad der Behinderung erst unterhalb einer Körpergröße von 141 cm nach Abschluss des Wachstums vorsieht und die Feststellung des Schwerbehinderten-Status erst bei einer Körpergröße von unter 131 cm ermöglicht. Dem schließt sich die erkennende Kammer in vollem Umfang an. Der Kläger leidet demnach an keiner lebensbedrohlichen oder auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung. Die Voraussetzungen für einen "Off-Label-Use" sind daher nicht erfüllt.

Zu keinem anderen Ergebnis führen die vom Kläger vorgetragenen psychischen Beeinträchtigungen. Dabei kann dahinstehen, ob diese ein solches Ausmaß haben, dass ihnen Krankheitswert zukommt und ein Therapiebedarf besteht. Auch wenn dies der Fall sein sollte, hat der Kläger keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit dem streitgegenständlichen Medikament. Denn psychische Leiden sind nach ständiger Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, ausschließlich mit Mitteln der Psychotherapie zu behandeln (BSG, Urteil vom 28.02.2008 – B 1 KR 19/07 R; BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 14/06 R).

Dies gilt auch dann, wenn die Kosten für eine solche Psychotherapie höher sind als die streitge-genständliche medikamentöse Therapie. Denn das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V wirkt nicht leistungserweiternd, sondern gebietet lediglich die Erbringung der wirtschaftlichsten Leistung von denjenigen Leistungen, die dem Grunde nach in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung fallen. Aus diesen Gründen steht dem Kläger auch kein Kostenerstattungsanspruch zu. Denn ein Koste-nerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V setzt nach ständiger Rechtsprechung, der sich die Kammer anschließt, voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu denen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (vgl. BSG, Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 1/06 R m.w.N.; BSG, Urteil vom 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R m.w.N.). Dies ist bei Femara zur Behandlung von Wachstumsstörungen aus den vorstehend genannten Gründen nicht der Fall.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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