L 6 AS 190/11 B

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 25 AS 113/11 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 190/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Außerschulische Lernförderung ist als Sonderbedarf zu bewerten, der vom Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum erfasst sein kann. Hintergrund für die Leistung ist die Pflicht des Bundes im Rahmen der Fürsorge hilfebedürftige Personen auch im Bildungsbereich mit den notwendigen finanziellen Mitteln auszustatten, sofern der Bedarf nicht anderweitig gedeckt ist.

2. Ist eine vollständige Sachverhaltsaufklärung im einstweiligen Rechtsschutz nicht möglich, muss anhand der Folgenabwägung entschieden werden. Dabei ist die bisherige schulische Entwicklung mit zu berücksichtigen.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 7. September 2011 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, die Kosten des Antragstellers für einen Einzel-unterricht (in der Woche zwei Stunden) bei der Lernwerkstatt in B in Höhe von 130,00 EUR/Monat in der Zeit vom 2. Januar bis 22. Juni 2012 vorläufig in Form eines personalisierten Gutscheins oder einer Direktzahlung an die Lernwerkstatt zu übernehmen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendig entstandenen außergericht-lichen Kosten für das gesamte Verfahren zu erstatten. &8195;

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vom Antragsgegner die Übernahme der Kosten für einen außerschulischen Nachhilfeunterricht in Höhe von 130,00 EUR monatlich für sechs Monate.

Der am 2001 geborene Antragsteller bezieht zusammen mit seiner Mutter, die alleinerziehend ist, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Die Mutter des Antragstellers erzielt Einkommen aus einer Nebenbeschäftigung von rd. 100,00 EUR monatlich. Außerdem erhält sie Pflegegeld in Höhe von 255,00 EUR und Kindergeld für den Antragsteller in Höhe von 184,00 EUR. Unterhalt erhält weder der Antragsteller noch seine Mutter.

Der Antragsteller ist anerkannter Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 60. Die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G", "B" und "H" sind festgestellt (Bescheid des Landesamtes für soziale Dienste vom 15. Juni 2006). Er befindet sich in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung. Sein behandelnder Arzt hat folgende Diagnosen im Februar 2010 gestellt:

einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung, kombinierte umschriebene Entwicklungsstörungen, testpsychologische Intelligenz im Bereich der Lern- behinderung.

Der Antragsteller besucht eine Integrationsklasse in einer Grundschule in W. Aufgrund der bereits in der 1. Klasse festgestellten Lern-, Leistungs- und Verhaltensprobleme und dem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf erhielt der Antragsteller im Rahmen des schulischen Unterrichts differenzierte Lernangebote in den Fächern Mathematik, Deutsch, HSU und Religion. Außerdem erhielt er im außerschulischen Bereich Unterstützung durch eine Lerntherapeutin. Nach dem im Mai 2010 verfassten sonderpädagogischen Gutachten (Abschlussbericht) benötigt der Antragsteller weiterhin besondere Unterstützung, um Lernangebote annehmen zu können. Die Lernschwierigkeiten seien nicht allein mit Mitteln der Grundschule zu verbessern. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse liege ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Bereich Lernen "eindeutig" vor.

Ab April 2009 bis November 2010 nahm der Antragsteller an einer außerschulischen Lerntherapie durch die Dipl.-Pädagogin S teil. Die Therapie war auf das Lern- und Arbeitsverhalten und auf die fachspezifischen Leistungen gerichtet. Die Schuljahreszeugnisse zeigten eine Verbesserung der Leistungen bei nach wie vor bestehenden Schwierigkeiten insbesondere in den Fächern Deutsch und Mathematik. Eine Fortführung dieser Therapie erfolgte aus Kostengründen nicht mehr.

Im Juli 2010 beantragte die Mutter des Antragstellers für den Antragsteller beim Kreis Rendsburg-Eckernförde Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche in Form einer Lerntherapie auf Grundlage von § 35a Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII). Diesen Antrag lehnte der Kreis Rends¬burg-Eckernförde (Jugendamt) mit bestandskräftigem Bescheid vom 17. November 2010 ab. Zur Begründung führte der Kreis aus, dass nach § 35a Abs. 1 SGB VIII Kinder Anspruch auf Eingliederungshilfe wegen ihrer seelischen Gesundheit haben, wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlichen Kenntnissen beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten sei. Aufgrund der vorgelegten Diagnosen könne eine solche Beeinträchtigung bzw. eine drohende Beeinträchtigung nicht festgestellt werden, weshalb die beantragte Kostenübernahme abzulehnen sei.

Die Grundschule hat im Rahmen des Grundschulzeugnisses für das 3. Schuljahr einen Bericht über die Lernentwicklung und den Leistungsstand des Antragstellers nach Abschluss des 3. Schul-jahres abgegeben. Danach schafft der Antragsteller es immer häufiger, Konflikte verbal zu lösen, es falle ihm jedoch weiterhin schwer, sich an die Gesprächsregeln zu halten. In den schriftlichen Unterrichtsphasen könne er sich bei bekannten Aufgabentypen inzwischen über einen längeren Zeitraum auf seine Aufgaben konzentrieren und komme zu ansprechenden Ergebnissen. Kurze Texte könne er im Fach Deutsch erlesen. Das selbstständige Erlesen und Umsetzen von Arbeitsanweisungen falle ihm jedoch noch sehr schwer. Beim Schreiben von Textproduktionen benötige er noch Gliederungshilfen. Eigene Geschichten verfasse er hingegen phantasievoll und zeige sich dabei ausdauernd. Im Mathematikunterricht könne der Antragsteller im Zahlenraum bis 100 auch mit Zehnerübergang addieren und subtrahieren. Das Kopfrechnen bereite ihm jedoch noch große Schwierigkeiten. Ebenso zeige er große Unsicherheiten bei der Mathematisierung von Textaufgaben. Insgesamt sei der Antragsteller ein von der Klassengemeinschaft tolerierter Mitschüler, der in Fächern wie Sport, Singen oder Kunst mit Freude und Einsatz am Unterricht beteiligt sei.

Der Antragsteller besucht seit Beginn des Schuljahres 2011/2012 die 4. Klasse der Grundschule. Am 27. Mai 2011 beantragte die Mutter des Antragstellers für den Antragsteller die Übernahme der Kosten für außerschulischen Nachhilfeunterricht im Umfang von zwei Stunden wöchentlich durch eine geschulte Kraft in den Fächern Mathematik und Deutsch. Dem Antrag fügte sie eine Bestätigung der Schule vom 23. Mai 2011 bei, nach der für den Antragsteller Lernförderbedarf (Nachhilfe) für den Förderzeitraum 2011 bis Juni 2012 bestehe. Das Erreichen wesentlicher Lernziele sei gefährdet, im Falle der Erteilung von Nachhilfeunterricht bestehe eine positive Versetzungsprognose. Geeignete kostenfreie schulische Angebote beständen nicht.

Mit Bescheid vom 6. Juli 2011 lehnte der Antragsgegner die Übernahme der Kosten für außerschulischen Nachhilfeunterricht ab. Leistungen zur Lernförderung könnten kurzzeitig gewährt werden, um vorübergehende Lernschwächen zu beheben und um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Nicht berücksichtigt werden könnten dauerhafte Einschränkungen wie z. B. Legasthenie, Dyskal¬kulie oder ADHS. Aus den eingereichten Unterlagen sei zu schließen, dass nicht nur eine kurzzeitige Lernförderung erforderlich sei. Eine längerfristig notwendige Lernförderung sei jedoch grundsätzlich nicht mehr angemessen im Sinne von § 28 Abs. 5 SGB II. Mit dem dagegen am 25. Juli 2011 erhobenen Widerspruch machte der anwaltlich vertretene Antragsteller geltend, dass das Vorliegen einer Lernbeeinträchtigung nicht den Leistungsanspruch nach § 28 Abs. 5 SGB II ausschließe. Auch bei Vorliegen einer Lernbeeinträchtigung sei Nachhilfe sinnvoll und geeignet, um Lernziele erreichen zu können. Die Nachhilfe sei nicht dafür gedacht, um die Lernbeeinträchtigung aufzuheben, sondern um im Bereich der Fächer Mathematik und Deutsch durch eine gezielte Förderung zu ermöglichen, dass er die wesentlichen Lernziele erreichen könne. Es stelle eine Rechtsverletzung dar, wenn der Antragsgegner lernbehinderte Kinder von vornherein von der Nachhilfe ausschließen wolle. Eine Entscheidung über den Widerspruch ist bisher nicht ergangen.

Am 28. Juli 2011 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Schleswig einen Eilantrag gestellt und zur Begründung geltend gemacht, die Nachhilfe sei nicht dazu gedacht, die Lernbeeinträchtigungen aufzuheben, sondern dazu, die Defizite im Bereich der Fächer Mathematik und Deutsch durch zusätzliche Förderung abzubauen. Der Antragsteller hat beantragt,

1. die Antragsgegnerin (gemeint: den Antragsgegner) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen für Bildung und Teilhabe in Form der Übernahme der Kosten für Nachhilfe im Umfang von zwei Stunden wöchentlich gemäß § 28 SGB II für Jan Thore Wessel wie von der Mutter beantragt, zu bewilligen, 2. ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Unterzeichnerin zu bewilligen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass außerschulische Lernförderung als anzuerkennender Bedarf nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und damit notwendig sei. Vorliegend gehe es nicht um eine kurzzeitige Förderung einer vorübergehenden Lerneinschränkung, sondern um eine dauerhafte Förderung, die durch eine Schule mit besonderen Förderungsmöglichkeiten abgedeckt werden könne. Das Sozialgericht hat weitere Stellungnahmen eingeholt.

Nach einer am 6. September 2011 eingereichten Stellungnahme der Rektorin der Grundschule in W ist ein zusätzlicher Förderunterricht für den Antragsteller durch eine fachlich geschulte Kraft zur Unterstützung und Entlastung der Eltern zu befürworten. Die Förderung im letzten Schuljahr habe deutliche Fortschritte erbracht. Der Antragsteller zeige noch Schwächen im Mathematikunterricht. Auch wenn er im letzten Schuljahr gute Fortschritte gemacht habe, könne er noch nicht im gleichen Zahlenraum wie die anderen Kinder seiner Klassenstufe rechnen. Es sei anzustreben, dass er diesen Rückstand aufhole, damit er dann in naher Zukunft mit differenzierten Aufgaben am gleichen Thema wie seine Mitschüler/innen arbeiten könne. Auch hinsichtlich der letzten Einmaleins-Reihen sei eine außerschulische Unterstützung sinnvoll, da er mit der Klasse gemeinsam dann die schriftlichen Rechenverfahren der Multiplikation und Division erlernen könne. Hinsichtlich des Fachs Deutsch könne er inzwischen recht flüssig lesen, die korrekte Rechtschreibung und die Anwendung der ersten Rechtschreibregeln wie der Groß- und Kleinschreibung machten ihm aber noch Mühe, weshalb er zusätzlichen Übungsbedarf habe.

Mit Beschluss vom 7. September 2011 hat das Sozialgericht Schleswig den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Es fehle bereits an einem hinreichend konkreten Antrag, nach dem sich die Angemessenheit der Lernförderung durch den erstrebten Nachhilfeunterricht beurteilen lasse. Der Antragsteller habe nicht dargelegt, welche konkrete Einrichtung er zu welchem Preis besuchen möchte. Ungeachtet dessen könne der Antrag auch deshalb keinen Erfolg haben, weil der Antragsteller die Lernförderung nicht lediglich benötige, um nur vorübergehende kurzfristig aufgetretene Lernschwächen zu beseitigen. Vielmehr handele es sich um grundsätzliche Lernschwächen, die bereits seit Beginn des Schulbesuchs bestünden. Obwohl bereits in der Vergangenheit eine intensive Lernförderung stattgefunden habe, bestünden nach wie vor Defizite. Auch der ursprünglich auf ein Jahr bezogene Leistungsantrag weise auf die Notwendigkeit einer längerfristigen Förderung hin.

Gegen den ihm am 9. September 2011 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 5. Oktober 2010 beim Sozialgericht Schleswig eingegangenen Beschwerde. Zur Begründung bezieht er sich auf eine ergänzende Stellungnahme zum Nachhilfebedarf des Antragstellers durch die Dipl.-Pädagogin S vom 19. September 2011. Nach Einschätzung von Frau S hindert der angegebene IQ Wert von 78 den Antragsteller nicht daran, die Lerninhalte der Klasse 4 mit entsprechender Unterstützung durch Nachhilfe zu erarbeiten. Zu berücksichtigen sei auch der notwendige Ausgleich einer Teilleistungsstörung im Bereich der Hörverarbeitung.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Schleswig vom 7. Sep-tember 2011 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihm für den Zeitraum von sechs Monaten die Kostenübernahme für zwei Nachhilfestunden wöchentlich in Höhe von monatlich 130,00 EUR zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen und vertritt die Auffassung, dass es angesichts der langfristigen bisherigen Förderung nicht erkennbar sei, auf welcher Grundlage die Dipl.-Pädagogin und Lerntherapeutin S zu ihrer Einschätzung gekommen sei, dass nur noch eine zeitlich begrenzte Förderung von sechs Monaten erforderlich sei.

Auf Anfrage des Senats, ob der Antragsteller auf Legasthenie oder Dyskalkulie positiv getestet worden sei, hat dieser mitgeteilt, dass ein Test in der Schule mit der Begründung, dass bei Feststellung eines Förderstatusses ein solcher Test nicht mehr durchgeführt werde, nicht vorgenommen worden sei. Im Übrigen sind auf Anforderung weitere Unterlagen (u. a. der Kinder- und jugendpsychiatrische Befundbericht von dem Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. P vom 1. März 2010) eingereicht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist auch im Hinblick auf den Beschwerdewert statthaft; sie ist im Übrigen form- und fristgerecht erhoben (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die Beschwerde ist auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht die begehrte einstweilige Anordnung abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Hierzu hat der betreffende Antragsteller das Bestehen des zu sichernden materiellen Rechts (Anordnungsanspruch) sowie die besondere Dringlichkeit des Erlasses der begehrten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO -). Die besondere Eilbedürftigkeit, die den Anordnungsgrund kennzeichnet, ist zu bejahen, wenn dem Antragsteller unter Berücksichtigung auch der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann (Keller in: Meyer-Lade-wig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdn. 28).

Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, aaO, § 86b Rdn. 16b).

Nach §§ 19 Abs. 2, 28 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der Fassung des Gesetzes ab dem 1. April 2011 wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen. Hintergrund dieser gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453) ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (BVerfGE 125, 175) in der beanstandet wurde, dass Ausgaben für das Bildungswesen bei der Regelbedarfsfeststellung bisher vollständig unberücksichtigt geblieben waren. Ungeachtet der grundsätzlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz der Länder im Bildungsbereich bestehe die Pflicht des Bundes im Rahmen der Fürsorge hilfebedürftige Personen auch im Bildungsberiech mit den notwendigen finanziellen Mitteln auszustatten sofern der Bedarf nicht anderweitig gedeckt ist. Demgemäß wird in den Materialien zu § 28 Abs. 5 SGB II die außerschulische Lernförderung als Sonderbedarf bewertet, der vom Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum erfasst sein kann (vgl. BT-Drs. 17/3404, S. 105). Allerdings soll dieser Mehrbedarf nur in Ausnahmefällen geeignet und erforderlich und damit notwendig sein. In der Regel - so der Gesetzgeber in den Materialen seiner Begründung weiter - ist die Nachhilfe nur kurzzeitig notwendig, um vorübergehende Lernschwächen zu beheben. Sie soll unmittelbare schulische Angebote lediglich ergänzen. Die unmittelbaren schulischen Angebote haben in jedem Fall Vorrang und nur dann, wenn diese im konkreten Einzelfall nicht ausreichen, kommt außerschulische Lernförderung in Betracht. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Lernförderung bezieht sich auf das wesentliche Lernziel, das sich wiederum im Einzelfall je nach Schulform und Klassenstufe aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes ergibt. Das wesentliche Lernziel in der jeweiligen Klassenstufe ist regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe beziehungsweise ein ausreichendes Leistungsniveau.

Es ist nach der Begründung zum Gesetz eine auf das Schuljahresende bezogene prognostische Einschätzung unter Einbeziehung der schulischen Förderangebote zu treffen. Ist im Zeitpunkt der Bedarfsfeststellung diese Prognose negativ, besteht kein Anspruch auf Lernförderung. Die Lernförderung ist auch dann nicht geeignet, wenn das Lernziel objektiv nicht mehr erreicht werden kann, sondern nach den schulrechtlichen Bestimmungen beispielsweise ein Wechsel der Schulform und eine Wiederholung der Klasse angezeigt sind. Liegt die Ursache für die vorübergehende Lernschwäche in unentschuldigtem Fehlen oder vergleichbaren Ursachen und bestehen keine Anzeichen für eine nachhaltige Verhaltensänderung, ist Lernförderung ebenfalls nicht erforderlich (BT-Drs 17/3404, S. 105).

Gleichzeitig ist der Nachrang der schulbezogenen Leistungen nach dem SGB II gegenüber Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII und gegenüber den schulbezogenen Leistungen der Jugendhilfe nach dem SGB VIII zu beachten (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). Dies gilt insbesondere für die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35 a SGB VIII. Anspruchsvoraussetzung dafür ist, dass die seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.

Dem Senat ist es in diesem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht möglich, die Eignung und Erforderlichkeit einer Nachhilfe und den fehlenden Vorrang von Hilfen nach dem SGB VIII, gemessen an diesen Maßstäben, zu beurteilen. Bei der erforderlichen Überprüfung der Sach- und Rechtslage ist im Bereich der Leistungen nach dem SGB II die Erfolgsaussicht der Hauptsache zwar grundsätzlich nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05 zitiert nach Juris). Ist dem Gericht allerdings im Eilverfahren trotz Amtsermittlungsgrundsatz eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so muss anhand der Folgenabwägung entschieden werden. Hierbei sind die grundrechtlichen Belange der Antragsteller einzubeziehen.

Eine vollständige Sachaufklärung war dem Senat in dem Verfahren nicht möglich. Es bedarf weiterer Ermittlungen zur Erforderlichkeit und Geeignetheit einer Nachhilfe zum Abbau fachlicher Defizite und zum möglichen Vorrang der Eingliederungshilfe bezogen auf einen strukturellen sonderpädagogischen Förderbedarf, der sich aus den anerkannten Behinderungen des Antragstellers ergibt.

Einerseits bestehen Zweifel, ob die Lernförderung nur benötigt wird, um vorübergehende, kurzfristig aufgetretene Lernschwächen zu beseitigen. Der Antragsteller ist seit 2006 anerkannter Behinderter und leidet gegenwärtig an einer Aufmerksamkeitsstörung mit Hyperaktivität und an Verhaltensauffälligkeiten, die die soziale Integration erschweren. Der behandelnde Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie beschreibt in seinem Gutachten vom 1. März 2010 einen erheblichen Handlungsbedarf und empfiehlt eine tagesklinische Behandlung an einer Kinder- und Jugendpsychiatrie und –psychotherapie. Auffälligkeiten in der Schule, in der bereits eine Integrationsklasse besucht wird, bestehen nach diesem Bericht von Beginn des Schulbesuchs an und nicht nur vorübergehend. Dies könnte für einen Vorrang und der Notwendigkeit einer längerfristig angelegten Eingliederungshilfe nach dem SGB VIII und gegen eine Erfolgsprognose von lediglich außerschulischem Nachhilfeunterricht zum Abbau von fachlichen Defiziten sprechen.

Andererseits sind die bereits erzielten deutlichen Erfolge im Laufe der Grundschulzeit zu würdigen, was für eine Effektivität der gezielten Förderung spricht. Im Rahmen der Integrationsklasse und mit Unterstützung durch eine Sonderschullehrkraft hat sich der Antragsteller positiv entwickelt und ist gut in die Klassengemeinschaft integriert. Die bisherige Kombination von schulischer Förderung und zusätzlichem außerschulischem Förderunterricht war offenbar konstruktiv. Die Schule beschreibt im Grundschulzeugnis 2010/2011 deutliche Fortschritte im Lernverhalten, sieht aber in den Fächern Deutsch und Mathematik noch fachliche Defizite. Ähnlich bestätigt auch die Rektorin in ihrer im September 2011 eingereichten (undatierten) Stellungnahme in erster Linie noch bestehende fachliche Defizite in den Fächern Deutsch und Mathematik. Insofern sind die Angaben der Schule zur Lern- und Integrationsfähigkeit des Antragstellers deutlich positiver als im Bericht des behandelnden Arztes. Auch der Umstand, dass die Gewährung der von der Mutter des Antragstellers beantragten Eingliederungshilfe vom Kreis abgelehnt worden ist, spricht gegen einen leistungsausschließenden Vorrang der Eingliederungshilfe – selbst wenn sich die inhaltlichen Gründe dem bestandskräftigen Ablehnungsbescheid nicht entnehmen lassen.

Schließlich ist auch denkbar, dass der Antragsteller eine Kombination von sonderpädagogischer Förderung wie sie auch im Rahmen der Integrationsklasse geleistet wird und fachlich eher kurzfristig angelegter Nachhilfe benötigt, um den Abschluss für die Grundschule zu erreichen. Dies schließt nach Auffassung des Senats eine Anspruchsberechtigung im Rahmen von § 28 Abs. 5 SGB II nicht aus.

In Anbetracht der Dringlichkeit des Begehrens musste der Senat auf eine nähere Aufklärung der Defizite des Antragstellers und der genaueren Hilfebedarfs etwa durch eine kinderpsychiatrische Begutachtung verzichten. Die Unterlagen sind soweit verfügbar beigezogen und vom Senat gewürdigt worden, sie ergeben jedoch ein widersprüchliches Bild, das im Rahmen des Eilrechtsschutzes nicht weiter geklärt werden kann. Angesichts der bisherigen positiven Entwicklung und der Bedeutung vor allem des erfolgreichen Besuchs der 4. Klasse für die anschließende schulische Einstufung fällt die vom Senat zu treffende Abwägung zu Gunsten des Antragstellers aus.

Da das 4. Schuljahr am 22. Juni 2012 endet, war die Beschwerde nur insoweit erfolglos als vorläufige Teilhabeleistungen für volle sechs Monate begehrt worden sind.

Die Kostenentscheidung beruhen auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Der Anteil des Unterliegens fällt zeitlich nicht ins Gewicht und wirkt sich daher nicht auf die Kostenerstattung aus.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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