S 23 AS 899/11 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 23 AS 899/11 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller für die von dem Antragsteller in Anspruch genommene Englischnachhilfe 134,00 Euro monatlich für die Monate Dezember 2011 bis Februar 2012 vorläufig, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu gewähren.

2. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine schulische Angebote ergänzende Lernförderung (Nachhilfe).

Der 1994 geborene Antragsteller ist als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft Bezieher von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der gegenwärtig laufende Bewilligungsabschnitt endet am 29.2.2012.

Der Antragsteller besucht seit dem Sommer 2011 die Beruflichen Schulen X. Diese nehmen als so genannte X-Schule an einem vom Europäischen Sozialfonds geförderten Programm des Hessischen Kultusministeriums teil. In dessen Rahmen werden an der Schule zwei besondere berufsvorbereitende Bildungsgänge angeboten. Im ersten Lernzweig finden sich Schüler, die ohne Schulabschluss an die Schule kommen und dort ihren Hauptschulabschluss erwerben sollen (X 1). In dem zweiten Zweig (X 2) bringen die Schüler einen einfachen Hauptschulabschluss bereits mit. Hier kann in einem weiteren, zehnten Pflichtschuljahr der qualifizierende Hauptschulabschluss erworben werden.

Der Antragsteller besuchte bis zum Abschluss der neunten Klasse eine Förderschule. Englischunterricht wurde an dieser Schule nicht erteilt. Aufgrund seiner für einen Schüler an einer Förderschule außergewöhnlich guten Leistungen war es ihm möglich, am Ende der neunten Klasse als Externer an der Y-Schule Y-Stadt den einfachen Hauptschulabschluss (ohne Englischprüfung) mit der Gesamtnote "2,4" zu erwerben. Er erhielt dabei folgende Noten: Erdkunde, Geschichte, Sport, Biologie: "sehr gut"; Deutsch, Arbeitslehre, Kunst: "gut"; Physik: "befriedigend", Mathematik: "ausreichend". In den zentralen Abschlussarbeiten erhielt er in Deutsch ein "befriedigend" und in Mathematik ein "mangelhaft", in der Projektprüfung ein "ausreichend". Sein Arbeitsverhalten wurde von der Förderschule mit "gut", sein Sozialverhalten mit "sehr gut" bewertet. Er sei ein "hoch motivierter und sehr interessierter Schüler".

Der Antragsteller besucht nun den Schulzweig X 2 mit dem Ziel, im Sommer 2012 den qualifizierenden Hauptschulabschluss zu erwerben.

Aufgrund der zu Beginn des Schuljahres gänzlich fehlenden Englischkenntnisse des Antragstellers riet der Englisch- und Klassenlehrer dem Antragsteller an, ergänzend zum Englischunterricht an der Schule private Nachhilfe in Anspruch zu nehmen. Eine solche Nachhilfe besucht der Antragsteller seit dem 7.11.2011. Es fallen Kosten in Höhe von 134,00 EUR monatlich an. Der Antragsteller erhält dafür zweimal in der Woche 90 Minuten Nachhilfeunterricht. Nach drei Nachhilfeeinheiten gelang es ihm, in der letzten Englischarbeit eine "3 -" zu schreiben. In der zuvor geschriebenen Klassenarbeit hatte der Antragsteller demgegenüber nur ein ganz knappes "ausreichend" erreicht.

Den Antrag auf Übernahme der Kosten für die Nachhilfe lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 9.11.2011 ab. Die Übernahme der Kosten der Lernförderung komme nicht in Betracht, da beim Antragsteller nicht speziell die Gefährdung der Versetzung in eine nächsthöhere Klassenstufe bestehe und er mit dem einfachen Hauptschulabschluss bereits über einen guten Schulabschluss verfüge.

Hiergegen legte der Antragsteller am 13.11.2011 Widerspruch ein, über den bislang nicht entschieden wurde.

Am 30.11.2011 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.

Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen für die Inanspruchnahme von Englisch-Nachhilfestunden in Höhe von 134,00 EUR monatlich zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Er bezweifelt, dass für den Antragsteller eine positive Prognoseentscheidung hinsichtlich des angestrebten qualifizierenden Hauptschulabschlusses abgegeben werden könne. Er ist außerdem der Ansicht, dass die Defizite, die der Antragsteller in Englisch aufweist, durch die Schule selber auszugleichen bzw. im Rahmen des Schulsystems aufzufangen seien.

Der im Rahmen eines Erörterungstermins am 20.12.2011 als Zeuge vernommene Schulleiter der BSX. hat den Umstand, dass es dem Antragsteller gelungen war, als Förderschüler den Hauptschulabschluss zu erwerben, vor dem Hintergrund seiner beruflichen Erfahrung als sehr positives Signal auch für die zukünftige Entwicklung des Antragstellers gedeutet. Eine Konstellation wie im Falle des Antragstellers, in der ein Schüler den Schulzweig X 2 direkt von der Förderschule kommend und daher ohne Englischkenntnisse besuche, sei in den zwölf Jahren seiner Tätigkeit als Schulleiter an der BSX. noch nie vorgekommen. Es sei daher aber auch so, dass der Antragsteller, der vor Beginn des Schuljahres noch gar keinen Englischunterricht erhalten hatte, nunmehr ausschließlich mit Schülern unterrichtet werde, die an der Hauptschule bereits fünf Jahre in Englisch unterrichtet worden seien. Das Leistungsniveau dieser anderen Schüler sei zwar verhältnismäßig niedrig, ein deutlicher Unterschied zum Antragsteller bestehe aber trotzdem noch.

Zum Prüfungssystem hat der Zeuge ausgeführt, dass der Antragsteller, um am Ende des Schuljahres den qualifizierenden Hauptschulabschluss zu erwerben, höchstens in einem der unterrichteten Hauptfächer Mathematik, Deutsch und Englisch die Note "5" erhalten dürfe, die zudem durch ein anderes Hauptfach mindestens mit der Note "3" ausgeglichen werden müsse. Eine "6" in einem der Hauptfächer sei nicht auszugleichen. Ebenso wenig sei ein Ausgleich möglich, wenn in zwei Hauptfächern lediglich eine "5" erreicht werde. Der Antragsteller stehe gegenwärtig in Deutsch auf der Note "2", in Mathematik auf der Note "4", in Englisch auf der Note "5". Wenn die Nachhilfe des Antragstellers wieder eingestellt werde, sei nicht auszuschließen, dass er in Englisch bis auf die Note "6" abrutschen werde. Dass er in jedem Fall auch ohne Nachhilfe mindestens eine "5" erreichen werde, sei seiner Einschätzung nach nicht gewährleistet.

Die Schule selbst sei für zusätzliche Fördermaßnahmen mit fachlicher Ausrichtung nicht ausgestattet. Die EU-Fördermittel, die zur Verfügung stünden, seien ausschließlich für pädagogische Interventionen durch entsprechende Kräfte vorgesehen.

Zum genauen Ablauf des restlichen Schuljahres 2011/2012 an der X 2 hat der Zeuge erklärt, dass das Halbjahreszeugnis am 31.1.2012 ausgestellt werde. Die Entscheidung über die Zulassung zur Prüfung für den qualifizierenden Hauptschulabschluss erfolge am 28.3.2012. Die schriftlichen Abschlussprüfungen in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Englisch lägen vom 21.5.2012 bis 25.5.2012. Am 11.6.2012 würden die Ergebnisse bekannt gegeben.

Der ebenfalls als Zeuge vernommene Klassen- und Englischlehrer des Antragstellers hat zu der zu erwartenden weiteren Entwicklung der Schulleistungen des Antragstellers Auskunft erteilt. Generell gelte, dass das Unterrichtsniveau in der zweiten Schuljahreshälfte steige, die Noten der Schüler zur zweiten Schuljahreshälfte hin darum tendenziell schlechter würden. Die Abschlussprüfung in Englisch sei tatsächlich schwierig. Wenn der Antragsteller mit der aus den Leistungen der beiden Halbjahre gebildeten Vornote auf "5" stehen würde, müsse er in der Abschlussarbeit, die ein Drittel der Gesamtnote zähle, mindestens eine "3" schreiben, um insgesamt noch auf die Note "4" zu kommen. Das sei vermutlich nicht zu schaffen. Wenn die Vornote dagegen bei "4" oder sogar besser liege, dürfe die Abschlussarbeit entsprechend schlechter sein. Auch er halte den Antragsteller für ganz außergewöhnlich motiviert. Er habe in der kurzen Zeit, in der er Nachhilfe bekommen habe, bereits erhebliche Fortschritte erzielt, was sich auch in der letzten Klassenarbeit niedergeschlagen habe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der zum Antragsteller geführten Leistungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.

Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung liegen vor.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden, wenn dies zur Abwehr wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden, § 86b Abs. 2 Satz 3 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO).

1. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten Nachhilfekosten glaubhaft gemacht.

§ 28 Abs. 5 SGB II in seiner rückwirkend ab dem 1.1.2011 geltenden Fassung sieht als Teil des so genannten Bildungspaketes einen Mehrbedarf für außerschulische Lernförderung ("Nachhilfeunterricht") vor. Danach wird bei Schülerinnen und Schülern eine schulische Angebote ergänzende, angemessene Lernförderung berücksichtigt, soweit diese geeignet und zusätzlich erforderlich ist, um die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen.

Der Antragsteller begehrt Leistungen für eine solche außerschulische Lernförderung in Form der Englischnachhilfe.

Dabei steht der Umstand, dass der Antragsteller sich im Rahmen der von ihm besuchten Schulform in der Abschlussklasse befindet, es in seinem Fall also nicht um die Versetzung in die nächste Klassenstufe gehen kann, zur Überzeugung des Gerichts entgegen der vom Antragsgegner im Ablehnungsbescheid vertretenen Auffassung der Leistungsbewilligung nicht entgegen. Denn bei der von dem Antragsgegner favorisierten Lesart müsste eine Lernförderung grundsätzlich im jeweils letzten Schuljahr eines jeden Schulzweiges prinzipiell ausgeschlossen sein. Für eine solche Interpretation ist indes sachlich nichts erkennbar. Sie ist auch weder dem Wortlaut des § 28 Abs. 5 SGB II, der von der Erreichung der "wesentlichen Lernziele" spricht, noch der Gesetzesbegründung zu dieser Vorschrift zu entnehmen. Nach letzterer bezieht sich die nach dem Wortlaut erforderliche Geeignetheit und Erforderlichkeit der Lernförderung "auf das wesentliche Lernziel, das sich wiederum im Einzelfall je nach Schulform und Klassenstufe aus den schulrechtlichen Bestimmungen des jeweiligen Landes ergibt. Das wesentliche Lernziel in der jeweiligen Klassenstufe ist regelmäßig die Versetzung in die nächste Klassenstufe bzw. ein ausreichendes Leistungsniveau" (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 26.10.2010, BT-Drs. 17/3404, S. 105). Das ausreichende Leistungsniveau wird in der Schulklasse des Antragstellers durch die Voraussetzungen des qualifizierenden Hauptschulabschlusses definiert, auf den das Schuljahr hinführt. Um eben diese erfüllen zu können, soll die Nachhilfe in Anspruch genommen werden.

Der Förderungsfähigkeit der Nachhilfe steht nicht entgegen, dass entsprechend der Gesetzesbegründung (a. a. O.) Verbesserungen zum Erreichen einer besseren Schulartempfehlung regelmäßig keinen Grund für eine Lernförderung darstellen. Die danach auszuschließenden Fallkonstellationen sind mit der Situation des Antragstellers nicht zu vergleichen. Das Ziel einer besseren Schulartempfehlung steht tatsächlich weder in Zusammenhang mit der Frage der Versetzung als solcher noch mit der Erreichung eines am Lehrplan für das aktuelle Schuljahr gemessenen "ausreichenden" Leistungsniveaus. Der Einsatz von Lernförderungen zur Erzielung einer besseren Schulartempfehlung birgt zudem inhärent die Gefahr in sich, den Schüler damit in eine Schulform hineinzudrücken, die dem von ihm aus eigener Kraft erreichbaren Leistungsniveau letztlich unangemessen ist, und so absehbare Folgeprobleme zu erzeugen. Der Fall des Antragstellers ist indes anders gelagert. Das von diesem besuchte Schuljahr an der X 2 dient zwar der Erreichung eines höheren Schulabschlusses als dem einfachen Hauptschulabschluss, den der Antragsteller bereits innehält. Aus der gegenwärtigen Perspektive heraus betrachtet stellt sich der angestrebte qualifizierende Hauptschulabschluss jedoch alternativlos als das (einzige) Leistungsziel der Schulklasse dar, die der Antragsteller zur Zeit besucht. Der Nachhilfeunterricht soll auch nicht primär dazu dienen, dem Antragsteller weitere Schul- oder Ausbildungsformen zu erschließen, die seiner Eignung nicht entsprechen. Der Antragsteller hat sich vielmehr aus eigener Kraft für den gegenwärtig besuchten Schulzweig qualifiziert. Dass er außerschulische Unterstützung braucht, um im Fach Englisch das erforderliche Leistungsniveau zu erreichen, ist nicht einer fehlenden intellektuellen Geeignetheit für die besuchte Schulform oder gar einem selbst zu verantwortenden Fehlverhalten in der Vergangenheit zuzurechnen, sondern dem Umstand, dass an der Schulform, die er zuvor besuchte, Englischunterricht schlicht nicht erteilt wurde. Der Fall des Antragstellers ist nach alledem zur Überzeugung des Gerichts nicht mit jenen Fallgestaltungen gleichzusetzen, in denen es lediglich um eine bessere Schulartempfehlung geht.

Der Anspruch ist zur Überzeugung des Gerichts auch nicht ausgeschlossen, weil die nach § 28 Abs. 5 SGB II vorgesehene Lernförderung der Annahme des Gesetzgebers zufolge "nur in Ausnahmefällen" und "in der Regel nur kurzzeitig" für die Erreichung des Lernziels "geeignet und erforderlich und damit notwendig [sei], um vorübergehende Lernschwächen zu beheben" (a. a. O.). Soweit diesen – missglückten – Formulierungen die Intention einer Leistungsbeschränkung auf (nicht näher definierte) Ausnahmefälle sowie auf eine jeweils nur kurzfristig zu gewährende Lernförderung zu entnehmen sein sollte, steht dies jedenfalls der Leistungsgewährung im vorliegenden Fall nicht entgegen. Von einem Ausnahmefall ist vorliegend sowohl aus genereller Perspektive als auch bei individueller Betrachtung auszugehen. Der Fall des Antragstellers ist an der von ihm besuchten Schule bislang einzigartig. Auch ist von früheren außerschulischen Lernförderungen des Antragstellers, denen er seine bisherige erfreuliche Entwicklung zu verdanken hätte, nichts bekannt. Das Kriterium der Kurzzeitigkeit mag seinerseits bei einer Lernförderung über einen fast sieben Monate währenden Zeitraum (hier: vom 7. November 2011 bis zur Abschlussprüfung Ende Mai 2012) in anderen Konstellationen als der vorliegenden unter Umständen nicht mehr gewahrt sein, in denen es tatsächlich nur um die Überwindung "kurzfristiger Lernschwächen" im Rahmen einer üblichen Schul"karriere" geht, bei der dem Schüler abzuverlangen ist, die geforderten Schulleistungen in der von ihm besuchten Schulform regelmäßig ohne Hilfe von außen zu erbringen. Die Regelung des § 28 Abs. 5 SGB II soll nicht dazu dienen, strukturelle Schwächen des Bildungssystems und des Mitteleinsatzes dort breitflächig und regelmäßig über das System der Grundsicherung aufzufangen. Schüler sollen also nicht – womöglich über Jahre hinweg – unter Einsatz von Mitteln, die dem SGB II entstammen, in Schulformen hineingedrückt oder gehalten werden, die ihrem persönlichen, im Rahmen des normalen Schulsystems zu weckenden Leistungsvermögen unangemessen sind. Insofern kann im Regelfall neben der "Ausnahmesituation" auch die "Kurzfristigkeit" der Lernförderung erwartet werden. Im Falle des Antragstellers schließt dessen besondere Ausgangssituation zur Überzeugung des Gerichts indes die Annahme der Unangemessenheit einer Lernförderung über (maximal) sieben Monaten hinweg aus.

Die Lernförderung ist erforderlich in Hinblick auf das zu erreichende Lernziel – den qualifizierenden Hauptschulabschluss. Die Ursache für das Nachhilfeerfordernis liegt nicht in unentschuldigtem Fernbleiben vom Unterricht oder vergleichbaren Ursachen (vgl. auch dazu die Gesetzesbegründung, a. a. O.), die allein in den Einfluss- und Verantwortungsbereich des Antragstellers selber fielen und einen Ausgleich durch außerschulische Förderung nicht rechtfertigen könnten. Im Übrigen ist hinsichtlich der Frage, ob der Antragsteller die erforderlichen Leistungen nicht auch aus eigener Kraft erbringen könnte, letztlich eine Prognoseentscheidung zu treffen. Insofern ist auf die Aussage des Klassen- und Englischlehrers des Antragstellers zurückzugreifen, nach der nicht auszuschließen ist, dass der Antragsteller ohne außerschulische Unterstützung in Englisch auch auf eine – nicht mehr ausgleichbare – "6" abrutschen könnte. In Angesicht der bekannten objektiven Umstände des Falles besteht für das Gericht kein Anlass, sich dieser Annahme nicht anzuschließen.

Schließlich ist zur Überzeugung des Gerichts auch von der Geeignetheit der Lernförderung zur Erzielung des Lernziels auszugehen. Bei der Frage nach der Geeignetheit ist eine auf das Schuljahresende bezogene prognostische Einschätzung unter Einbeziehung der schulischen Förderangebote zu treffen. Ist im Zeitpunkt der Bedarfsfeststellung diese Prognose negativ, besteht kein Anspruch auf Lernförderung. Gleiches gilt (erst Recht), wenn das Lernziel objektiv nicht mehr erreicht werden kann (vgl. die Gesetzesbegründung zu § 28 Abs. 5 SGB II, a. a. O.). Vorliegend besteht das Lernziel letztlich in der Erreichung des qualifizierenden Hauptschulabschlusses, auf den die von dem Antragsteller besuchte einjährige Schulform abzielt. Der Antragsteller darf danach zum Jahresende in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und Englisch keine "6" und höchsten eine – zudem durch eine "3" auszugleichende – "5" erhalten. Da der Antragsteller in Deutsch gegenwärtig auf "2" steht, besteht insofern in diesem Fach nicht nur keine Gefahr, sondern er wird hier vermutlich auch die Ausgleichmöglichkeit für eine "5" schaffen. Hinsichtlich der zu erwartenden Englischnote ist zu beachten, dass es dem Antragsteller in der letzten Klassenarbeit gelungen ist, schon nach drei Stunden Nachhilfe eine "3-" zu schreiben. Dass seine Englischkenntnisse dennoch deutlich hinter den Kenntnissen seiner Klassenkameraden zurückliegenden, haben seine Lehrer bestätigt. Dass er aber auch im Falle fortgesetzter kontinuierlicher Nachhilfe auf eine "6" abrutschen wird, ist – nicht zuletzt angesichts der dem Antragsteller von allen Seiten attestierten Engagiertheit in seinen schulischen Belangen sowie seines insgesamt sehr ordentlichen Abschlusszeugnisses im letzten Jahr – zur Überzeugung des Gerichts überwiegend nicht wahrscheinlich. Gleiches gilt für die Frage, ob damit zu rechnen ist, dass der Antragsteller in den Fächern Mathematik und Englisch (trotz Nachhilfe in letzterem Fach) auf die Note "5" abrutschen wird. Zwar steht der Antragsteller auch in Mathematik bereits auf einer "4", und sein Klassenlehrer hat angegeben, dass der Lernstoff im zweiten Schulhalbjahr eher anspruchsvoller werden wird. Eine dennoch überwiegend positive Prognose ist indes zur Überzeugung des Gerichts abweichend von der Einschätzung des Antragsgegners nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Antragsteller in seiner Abschlussprüfung für den einfachen Hauptschulabschluss lediglich ein "mangelhaft" erzielte. Denn insofern ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller die damalige Prüfung als Externer ablegte und ein Ausgleich möglicherweise bestehender intellektueller Schwächen über Fleiß und Engagement insofern strukturell stark erschwert war. Anders dürfte es hingegen nun stehen, wo der Antragsteller an dem auf die Prüfung vorbereitenden und auf diese hin ausgelegten Unterricht teilnimmt und es ihm insofern möglich sein sollte, Schwächen in einem gewissen Maß über besonderen Fleiß auszugleichen.

Die im Rahmen des § 28 Abs. 5 SGB II vorzunehmende Prognoseentscheidung kann als notwendige ex ante-Entscheidung nicht auf Sicherheiten bauen und solche nicht verlangen. Zur Überzeugung des Gerichts rechtfertigen die an den Antragsteller zu stellenden Erwartungen es indes überwiegend davon auszugehen, dass ihm der qualifizierende Hauptschulabschluss gelingen wird, und ihm darum über die Gewährung der beantragten Lernförderung diese Chance zu eröffnen.

Die vom Antragsteller in Anspruch genommene Lernförderung ist angemessen. Angemessenheit liegt vor, wenn die Lernförderung im Rahmen der örtlichen Angebotsstrukturen auf kostengünstige Anbieterstrukturen zurückgreift, und sich die Höhe der Vergütung nach der konkret benötigten Lernförderung und den ortsüblichen Sätzen richtet (Begründung des Gesetzesentwurfs, a. a. O., S. 105 f.). Vorliegend findet eine Nachhilfe zweimal wöchentlich für jeweils 90 Minuten (entsprechend zwei üblichen Unterrichtseinheiten à 45 Minuten) statt. Hochgerechnet aufs Jahr und geteilt durch zwölf kann damit von monatlich durchschnittlich 17,3 Unterrichtseinheiten à 7,75 Euro (134,00 Euro geteilt durch 17,3) ausgegangen werden. Dieser Preis pro Unterrichtseinheit bietet aus Sicht des Gerichts ebenso wenig Anlass für Beanstandungen wie die gewählte Nachhilfefrequenz mit zweimal 90 Minuten wöchentlich. Dass die Mutter des Antragstellers für diesen zudem nicht lediglich eine leistungsstarke (und eventuell kostengünstigere) Schülerin engagiert, sondern eine Nachhilfeform gewählt hat, die auf professioneller Grundlage agiert, ist angesichts der besonderen Bedarfssituation des Antragstellers, der erhebliche Lerninhalte in kurzer Zeit aufholen muss, gut nachvollziehbar und nicht unangemessen. Auch kann zur Überzeugung des Gerichts nicht davon ausgegangen werden, dass sich – losgelöst von der Frage der Geeignetheit – etwa ein Student oder eine Studentin oder eine sonstige Privatperson zu einem günstigeren Stundenlohn zur Erteilung der Nachhilfe bereitfände.

2. Vorliegend ist auch vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes auszugehen. Angesichts des für die Lernförderung monatlich erforderlichen Betrags in Höhe von 134,00 EUR kann dem Antragsteller bzw. seiner Familie nicht abverlangt werden, über einen Zeitraum von (bis zu) sieben Monaten hinweg das Geld für die Nachhilfe aus der Regelleistung vorzustrecken.

3. Die Verpflichtung zur vorläufigen Leistungsgewährung war auf die Monate Dezember 2011 bis Februar 2012 zu begrenzen.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, bei dem regelmäßig Leistungen für die Vergangenheit nicht gewährt werden, wurde erst am 30.11.2011 gestellt. Die Mutter des Antragstellers hatte zudem die Kosten der Nachhilfe für den Monat November 2011 bereits vor Antragstellung vorgestreckt. Die Entscheidung über eine Leistungsgewährung für den Monat November 2011 bleibt damit dem Widerspruchsverfahren – bzw. gegebenenfalls einem gerichtlichen Hauptsacheverfahren – vorbehalten.

Auch konnte keine vorläufige Verpflichtung über den Monat Februar 2012 hinaus ausgesprochen werden. Der laufende Bewilligungszeitraum endet am 29.2.2012. Da die Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II den Leistungsbezug nach dem SGB II dem Grunde nach voraussetzt, war eine Verpflichtung zur Lernförderung nicht über diesen Tag hinaus auszusprechen. Bei fortgesetztem SGB II-Bezug dürfte eine Leistungsbewilligung aber jedenfalls bis zum 28.3.2012 als dem Tag der Entscheidung über die Zulassung zur Abschlussprüfung, bei positiver Entscheidung darüber hinaus bis zur Ablegung der Abschlussprüfung Ende Mai 2012 angezeigt sein.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 172 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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