L 2 AS 477/11 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 19 AS 6287/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 477/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner einen Anspruch auf die Gewährung eines Darlehens für den Ausgleich seiner Schulden aus dem Vertragsverhältnis mit seinem Energieversorgungsunternehmen für die Lieferung von Strom für seinen Haushalt hat.

Der am ... 1965 geborene Antragsteller bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Er lebte bis Ende Februar 2008 mit seiner Frau und zwei Kindern zusammen in der jetzt noch von ihm allein bewohnten Dreiraumwohnung mit einer Wohnfläche von 71,7 qm in P ... Für die Miete der Wohnung und die Nebenkostenvorauszahlung fallen im Monat 270,00 EUR an. Die Wohnung wird mit einer Ölheizung beheizt, für die der Antragsteller selbst das Heizöl beschaffen muss. Für den Betrieb der Ölheizung ist nach dem Vortrag des Antragstellers elektrische Energie (Strom) erforderlich. Im März 2008 zog die damalige Ehefrau des Antragstellers (die Eheleute sind inzwischen geschieden) mit den beiden Töchter in eine andere Wohnung. Als Grund hierfür gab die damalige Ehefrau des Antragstellers gegenüber der Arbeitsgemeinschaft SGB II M. L. (Arge), die bis Ende 2010 als Rechtsvorgängerin des Antragsgegners die zuständige Trägerin der Grundsicherungsleistungen war, an: Sie könne und wolle die Ehe und das Zusammenleben nicht fortsetzen, weil der Antragsteller nach zehn Jahren Alkoholabstinenz wieder begonnen habe, Alkohol zu konsumieren und aggressiv reagiere. Es gebe erhebliche Probleme im Zusammenleben.

In der Zeit vor und nach der Trennung des Antragstellers von seiner Frau traten bei dem Antragsteller Probleme bei der Regelung seiner persönlichen Angelegenheiten auf; so zahlte er seine Miete und Abschlagzahlungen für die Versorgung mit Strom nur unregelmäßig oder überhaupt nicht. Der Antragsteller nahm auch einen Meldetermin bei der Arge nicht wahr, er verlor eine Arbeitsstelle in der Probezeit und kam einer Aufforderung zur Bewerbung auf eine Arbeitsstelle nicht nach. In den Zeiträumen vom 1. Januar 2008 bis zum 31. März 2008 und vom 1. August bis zum 31. Oktober 2008 waren die Leistungen des Klägers zur Sicherung des Lebensunterhalts wegen festgestellter Pflichtverletzungen um insgesamt 40 v. H. bzw. um 30 v. H. der Regelleistung abgesenkt. Wegen der Mietschulden sprach der Vermieter am 28. Januar 2009 eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses aus und drohte mit einer Räumungsklage, die er dann auch beim zuständigen Amtsgericht erhob. Das Energieversorgungsunternehmen e. Energie AG (e.) drohte mit der Einstellung der Belieferung mit Strom. In einem vor dem Sozialgericht Halle (SG) geführten Eilverfahren erklärte sich die Arge am 27. Mai 2009 bereit, dem Antragsteller zur Abwendung der Räumung der Wohnung ein Darlehen in Höhe von 2.046,52 EUR zu gewähren. Weiter gewährte die Arge dem Antragsteller ein Darlehen in Höhe von 993,36 EUR zum Ausgleich aufgelaufener Schulden für die Stromversorgung bei der e ... Die entsprechenden Beträge wurden direkt an den Vermieter bzw. die e. überwiesen. Für die Rückzahlung wurde ein Einbehalt in Höhe von 10% der Regeleistung ab dem Monat Juli 2009 vereinbart. Weiter wurde eine Direktzahlung der laufende Unterkunftskosten an den Vermieter durch die Arge ab Juli 2009 vereinbart; eine Direktzahlung für die Zukunft an die e. wurde nicht vereinbart. Infolge der Zahlung des Betrages von 993,36 EUR an sie verzichtete die e. auf die Sperrung der Stromversorgung.

Im Juni 2010 stellte die e. die Stromversorgung für die Wohnung des Antragstellers wegen erneuter aufgelaufener Schulden ein. Der Antragsteller wandte sich (erst) mit einem Schreiben vom 21. September 2011 an den Antragsgegner und bat um die Übernahme neu aufgelaufener Schulden bei der e., um die Wiederaufnahme der Stromversorgung zu erreichen. Nach dem Inhalt einer Forderungsaufstellung vom 11. November 2011 der Firma C., die die e. mit der Einziehung ihrer Forderungen gegen den Antragsteller beauftragt hatte, bestand eine Hauptforderung in Höhe von 641,89 EUR. Der erste Teilbetrag hiervon in Höhe von 354,56 EUR war am 2. März 2010 fällig geworden und eine weiterer Teilbetrag von 287,33 EUR am 28. Juni 2010. Wegen geltend gemachter Auslagen, Inkassokosten, Mahnkosten und Zinsen belief sich die Gesamtforderung auf 1.013,98 EUR.

Der Antragsteller hat am 11. November 2011 beim SG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel gestellt, den Antragsgegner vorläufig zur darlehensweisen Übernahme der Stromschulden zu verpflichten. Er hat vorgetragen: Er habe sich bereits intensiv bemüht, einen anderen Anbieter für die Belieferung mit Strom zu finden, was aber nicht gelungen sei. Ihm sei erklärt worden, er müsse zunächst die Schulden bei der e. bezahlen, weil das Durchleitungsrecht selbst im Falle eines Anbieterwechsels bei dieser verbleibe.

Die e. hat auf Anfrage des SG mitgeteilt, ein Wiederanschluss an die Stromversorgung komme erst nach dem vollständigen Ausgleich der Forderung in Betracht.

In der Zeit von November 2010 bis März 2012 hat der Antragsteller aus einer geringfügigen Beschäftigung bei einer Fahrschule jeweils anrechnungsfrei 100,00 EUR im Monat erzielt.

Das SG hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 18. November 2011 verpflichtet, dem Antragsteller 913,00 EUR darlehensweise zu bewilligen. In den Gründen hat das SG ausgeführt: Der Antragsteller habe circa eineinhalb Jahre ohne Strom gelebt. Er habe sich nach seinem glaubhaften Vortrag um Verträge mit anderen Versorgern bemüht, was aber erfolglos geblieben sei. Somit habe der Antragsteller seine Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft. Unter Beachtung der Grundrechtsrelevanz der Versorgung mit Strom habe der Antragsteller Anspruch auf ein Darlehen, damit die Wiederaufnahme der Stromversorgung erreicht werden könne; einen Betrag von 100,00 EUR bzw. 100,98 EUR könne er aus seinem Nebeneinkommen aufbringen. Für die Rückzahlung gelte § 42a SGB II.

Gegen den ihm am 18. November 2011 (per Telefax) zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 23. November 2011 Beschwerde erhoben und vorgetragen: Bezüglich der offenen Hauptforderung, die zur Stromabschaltung geführt habe, sei eine Übernahme gerechtfertigt. Dies gelte aber nicht für die offenen Mahn- und Inkassokosten. Hier hätte der Antragsteller das Auflaufen der Schulden vermeiden können, wenn er früher um Rat und Hilfe ersucht hätte. Zu berücksichtigen sei auch, das der Antragsteller Nebeneinkommen in Höhe von 100,00 EUR im Monat erzielt habe, das er für Zahlungen an den Energieversorger hätte einsetzen können. Weil alleine der Ausgleich der Hauptforderung nicht ausreiche, damit die Stromversorgung wieder aufgenommen werde, scheide eine Darlehensgewährung gänzlich aus. Eine Ermessenausübung auf der Rechtsfolgenseite sei somit nicht erforderlich. Die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf Null lägen auch nicht vor.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 18. November 2011 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Der Antragsteller und Beschwerdegegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hat vorgetragen: Er sei zwar sehr lange ohne Stromversorgung ausgekommen, jetzt aber an einen Punkt gelangt, wo dies nicht mehr möglich sei. Insbesondere brauche er Strom, um seine Heizung betreiben zu können.

Nachdem der Senatsvorsitzende mit Beschluss vom 1. Dezember 2011 einen Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollstreckung der vom SG erlassenen einstweiligen Anordnung abgelehnt hat, hat der Antragsgegner in Ausführung der angefochtenen Entscheidung den sich daraus ergebenden Betrag von 913,00 EUR an die e. überwiesen und hierzu unter dem Datum vom 6. Dezember 2011 einen Ausführungsbescheid "zur Umsetzung des Beschlusses" des SG erlassen. Der Antragsteller hat in einem Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 12. Januar 2012 mitgeteilt, die e. habe die Energieversorgung zwischenzeitlich wieder aufgenommen und ihm gegenüber auf die Restsumme aus der ursprünglich geltend gemachten Forderung verzichtet.

Am 12. Januar 2012 hat ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten stattgefunden. Hierzu wird auf die Niederschrift (Blatt 137 der Gerichtsakten) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Verwaltungsverfahrens sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen. Die Verwaltungsakten des Antragsgegners haben vorgelegen und sind bei der Beratung und Entscheidung berücksichtigt worden.

II.

Die Beschwerde ist nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist auch statthaft gemäß § 172 Abs. 3 Ziffer 1 SGG. Danach ist die Beschwerde ausgeschlossen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist die Berufung zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 750,00 EUR übersteigt. Hier ist für die Beschwer des Antragsgegners der Betrag 913,00 EUR maßgeblich, zu dessen Zahlung er darlehensweise verpflichtet worden ist.

Die Beschwerde ist aber unbegründet.

Die vom SG erlassene einstweilige Anordnung ist nach Auffassung des Senats rechtlich nicht zu beanstanden.

Das Gericht kann nach § 86b Abs. 2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist gemäß § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrundes (also der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile), als auch eines Anordnungsanspruchs (der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs).

Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für die Feststellung des Vorliegens der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung getroffen werden. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden. Dennoch kann der Erlass einer Regelung, die in wirtschaftlicher Hinsicht die Entscheidung der Hauptsache vorweg nimmt, geboten sein, wenn anders die Abwendung der wesentlichen Nachteile nicht möglich ist. Einer Entscheidung steht nicht entgegen, dass noch kein Hauptsacheverfahren anhängig ist, wenn ein solches noch anhängig gemacht werden kann. Im konkreten Fall konnte noch kein Widerspruchs- oder Klageverfahren anhängig gemacht werden, weil eine anfechtbare Verwaltungsentscheidung des Antragsgegners über den Darlehensantrag des Antragstellers noch nicht vorliegt. Mit dem Ausführungsbescheid vom 6. Dezember 2011 sollte eine solche Reglung im Sinne einer Antragstattgabe erkennbar nicht getroffen werden. Bei einer solchen Konstellation kann eine gerichtliche Anordnung schon vor der anfechtbaren Verwaltungsentscheidung ergehen.

Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. § 86b Rn. 16b). Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden.

Den Anordnungsgrund sieht der Senat hier alleine aufgrund des glaubhaften Vortrags des Antragstellers als gegeben an, dass er für die Bewohnbarkeit seiner Wohnung und den Betrieb der Heizung auf Strom angewiesen ist. Dies ist hier im konkreten Fall auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsteller über einen längeren Zeitraum (ab Mitte 2010 bis Ende des Jahres 2011) ohne Strom ausgekommen ist. Angesichts der gerichtsbekannten Bedeutung der Stromversorgung für einen Privathaushalt ist der Vortrag des Antragstellers, er sei an einem Punkt angekommen gewesen, wo er nicht mehr ohne Strom auskommen könne, nachvollziehbar und glaubhaft.

Auch ein Anordnungsanspruch ist gegeben. Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt § 22 Abs. 8 SGB II in Betracht. Nach Satz 1 der Vorschrift können Schulden übernommen werden, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden und soweit die Schuldenübernahme zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen nach Satz 2 übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht.

Im konkreten Fall geht der Senat zunächst davon aus, dass die in § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II genannten Voraussetzungen vorliegen. Der Kläger bezieht laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Eine Schuldenübernahme ist zwar nicht zur Sicherung der Unterkunft aber zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt. Die Stromsperre ist als eine solche vergleichbare Notlage anzusehen, da die Unmöglichkeit der Nutzung von Haushaltsenergie sich unmittelbar auf die Wohnsituation auswirkt (vgl. entspr. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2009, L 7 AS 546/09 B ER, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Dezember 2008, L 7 B 384/08 AS, jeweils zit. nach Juris). Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, eine Wohnung könne auch ohne Strom etwa bei Beleuchtung mit Kerzen und Nutzung eines Campingkochers bewohnt werden. Im Grundsicherungsrecht ist darauf abzustellen, was zu den soziokulturellen Grundbedürfnissen gehört. Es reicht nicht aus, lediglich den Erhalt des Überlebens unter widrigen Bedingungen zu gewährleisten. In diesem Sinne zählt zu dem sicherzustellenden Bedürfnis auf Leben und Wohnen auch eine funktionierende Stromversorgung (so zutreffend Berlit in LPK-SGB II, 4. Auflage, § 23 Rdnr. 193 mit weiteren Nachweisen).

Im konkreten Fall ist die Schuldenübernahme auch zur Behebung der Notlage gerechtfertigt. Die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist Tatbestandsvoraussetzung für eine Verpflichtung des Grundsicherungsträgers. Zu prüfen ist zum einen die objektive Eignung der Schuldenübernahme zur Behebung der Notlage und zum anderen, ob der Betroffene ihm grundsätzlich zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat. Die objektive Eignung der Schuldenübernahme zur Behebung der Notlage wird im konkreten Fall schon dadurch indiziert, dass das Energieversorgungsunternehmen nach der Zahlung der 913,00 EUR die Belieferung des Antragstellers mit Strom wieder aufgenommen hat. Der Senat sieht es für dieses Verfahren auch als glaubhaft gemacht an, dass der Antragsteller keine andere Möglichkeit hatte, die Wiederaufnahme der Stromversorgung ohne Inanspruchnahme einer darlehensweisen Schuldenübernahme zu erreichen. Er selbst verfügte über kein Vermögen, auf das er hätte zurückgreifen können. Der Antragsteller hat zudem glaubhaft vorgetragen, sich um einen Vertragsabschluss mit einem anderen Versorgungsunternehmen bemüht zu haben, was aber erfolglos geblieben sei. Dem Senat ist aus anderen Verfahren nur eine aussagekräftige Auskunft der e. selbst bekannt, dass sie bereit ist, die Stromversorgung bei Beziehern von SGB II-Leistungen aufzunehmen, die offene Forderungen bei anderen Stromversorgern haben, sofern der Leistungsträger die direkte Überweisung von Abschlags- und Rechnungsbeträgen zusagt. Von anderen Stromanbietern sind dem Senat solche ausdrücklichen Zusagen nicht bekannt. Falls doch der Abschluss eines Belieferungsvertrages mit einem anderen Unternehmen möglich gewesen wäre und dem auch keine Durchleitungsrechte der e. entgegen gestanden hätten, hätte es nahegelegen, dass der Antragsgegner aufgrund seiner Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten den Antragsteller nach der Stellung des Antrags auf Übernahme der Schulden mit Schreiben vom 21. September 2011 auf solche Selbsthilfemöglichkeiten (Wechsel zu einem anderen Anbieter) hingewiesen hätte. Diese Erwägung gilt auch im Hinblick auf unterlassene Bemühungen, die Aufhebung der Stromsperre notfalls durch die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem Energieversorgungsunternehmen bei dem zuständigen Zivilgericht zu erreichen (siehe dazu LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. August 2011, L 5 AS 10907/11 B ER, zitiert nach juris). Ohne entsprechende Beratung und Hilfestellung wird ein Leistungsberechtigter die Möglichkeiten und Risiken eines solchen Rechtsschutzantrags in der Regel nicht abschätzen können, so dass ihm ein solches Verfahren nicht zumutbar ist.

Eine Rechtfertigung der Schuldenübernahme ist hier zudem nicht wegen einer dem Antragsgegner vorzuwerfenden missbräuchlichen Herbeiführung seiner Notlage ausgeschlossen. Es kann hier dahinstehen, ob ein missbräuchliches Verhalten bereits die Rechtfertigung der Schuldenübernahme ausschließen kann oder ob es erst auf der Rechtsfolgenseite bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist, wenn die Notlage auf einem missbräuchlichen Verhalten des Leistungsberechtigten beruht. Jedenfalls sieht es auch der hier für die Entscheidung zuständige Senat als gewichtiges, gegen eine Verpflichtung des Trägers der Grundsicherungsleistungen zur darlehensweisen Schuldenübernahme sprechendes Argument an, wenn der Leistungsberechtigte seine Lage zurechenbar missbräuchlich herbeigeführt hat. Eine solche Missbräuchlichkeit wird in der Regel anzunehmen sein, wenn der Leistungsberechtigte seine Energiekostenvorauszahlungen bewusst nicht leistet bzw. Rechnungsbeträge nicht ausgleicht, weil er Schulden in dem Vertrauen darauf auflaufen lässt, der Träger der Grundsicherungsleistungen werde diese schon darlehensweise übernehmen (vgl. dazu Beschluss des 5. Senats des LSG Sachsen-Anhalt vom 31. August 2011, L 5 AS 328/11 B ER, dokumentiert bei juris). Ein solcher Fall liegt aber nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht vor. Zwar hat der Antragsteller nach einer schon einmal im Mai 2009 erfolgten Übernahme von Schulden bei der e. durch die Arge bereits ab März 2010 wieder Schulden aus der Belieferung mit Strom auflaufen lassen. Der Senat sieht aber hier gewichtige Gesichtspunkte, die zur Überzeugung führen, dass der Antragsteller sich nicht zurechenbar missbräuchlich im dem Sinne verhalten hat, dass ihm ein anderes Verhalten möglich und zumutbar gewesen wäre. Im Zusammenhang mit ihrer Trennung von dem Antragsteller und dem Auszug mit den beiden gemeinsamen Kindern aus der vorher gemeinsam mit dem Antragsteller bewohnten Wohnung Anfang 2008 wies die Ehefrau des Antragstellers glaubhaft auf erhebliche persönliche Probleme des Antragstellers im Zusammenhang mit dem nach langjähriger Abstinenz wieder aufgenommenen Alkoholkonsum hin. Es liegt nahe, dass diese persönlichen Schwierigkeiten maßgeblich mitursächlich dafür waren, dass der Antragsteller sich in der Folge mehrfach sanktionsbewehrt pflichtwidrig verhielt und auch persönlichen Pflichten (so die Bedienung seiner Verbindlichkeiten bei der e.) nicht nachkam. Insofern wäre bereits anlässlich des ersten Antrags auf Schuldenübernahme ein Beratungsangebot seitens der Arge an den Antragsteller angezeigt gewesen. Auch wäre es ratsam gewesen, die Schuldenübernahme von dem Zustandekommen einer Vereinbarung zwischen der Arge und dem Antragsteller über eine Direktzahlung der Abschlagszahlung an die e. aus der Regelleistung abhängig zu machen. Entsprechende Beratungsangebote und Hilfestellungen hat es offensichtlich nicht gegeben. Aufgrund der gesamten Umstände liegt es nahe, dass der Antragsteller noch immer nicht ohne Weiteres zu überwindende Schwierigkeiten bei der Regelung seiner persönlichen Angelegenheiten hat. Er hat auch im Erörterungstermin am 13. Januar 2012 nicht den Eindruck eines Leistungsberechtigten vermittelt, der sich bei vorhandenen Selbsthilfemöglichkeiten missbräuchlich auf Solidarleistungen verlässt, sondern eher einer Person mit erkennbaren Schwierigkeiten zur realistischen Einschätzung der persönlichen Situation. Der Senat schließt sich deshalb bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände der nunmehr im Beschwerdeverfahren auch vom Antragsgegner vertretenen Auffassung an, die Übernahme der Stromschulden sei gerechtfertigt. Dabei hält der Senat aber die Differenzierung zwischen der Hauptforderung und den aufgelaufenen Nebenkosten nicht für überzeugend. Dass der Antragsteller über einen Zeitraum von ca. eineinhalb Jahren in seiner Wohnung ohne Stromversorgung gelebt hat, spricht nach Auffassung des Senats weniger für ein gleichgültiges Inkaufnehmen der nun geltend gemachten Nebenforderungen, sondern eher dafür, dass der Antragsteller von der Situation überfordert war und sich erst dann an den Antragsgegner gewandt hat, als er keinen anderen Ausweg mehr sah. Ein sozialwidriges Verursachen einer Notlage vermag der Senat hier nicht zu erkennen.

Unabhängig davon hält der Senat eine Übernahme der Schulden nur dann für gerechtfertigt, wenn für die Zukunft sichergestellt werden kann, dass der Antragsteller seine Verpflichtungen gegenüber dem Energieversorgungsunternehmen bedient. Dennoch ist es nicht erforderlich, die Verpflichtung des Antragsgegners zur darlehensweisen Schuldenübernahme von einer Einverständniserklärung des Antragstellers mit entsprechenden Direktzahlungen an das Energieversorgungsunternehmen aus der Regelleistung abhängig zu machen. Denn die mit Wirkung vom 1. April 2011 in Kraft getretene Neufassung des § 22 Abs. 7 Satz 2 in Verbindung mit Satz 3 Nr. 2 SGB II sieht eine solche Möglichkeit beim Vorliegen von Energiekostenrückständen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen, nun auch unabhängig von einer Einverständniserklärung und einer Abtretungserklärung des Leistungsberechtigten vor. Hiervon kann der Antragsgegner nun im konkreten Fall im Hinblick auf die eingetretene und nur im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes abgewendete Unterbrechung der Energieversorgung noch Gebrauch machen.

Einer Verpflichtung des Antragstellers steht auch nicht entgegen, dass die Übernahme der Schulden nach § 22 Abs. 8 SGB II als Ermessensvorschrift ausgestaltet ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 8 Satz 1 vor, so "können" Schulden übernommen werden. In einem solchen Fall hat der Betroffene in der Regel lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung nach § 39 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB I), nicht jedoch auf eine bestimmte Leistung. Die gerichtliche Kontrolle ist dann auf die Frage beschränkt, ob die Behörde überhaupt Ermessen ausgeübt und dabei den gesetzlich eingeräumten Rahmen weder unter- noch überschritten hat. Hier liegt aber wie oben ausgeführt trotz der Stellung eines Antrags auf Darlehensgewährung schon im September 2011 eine Ermessensentscheidung in der Form eines zu überprüfenden Bescheides noch nicht vor. Der Antragsgegner hat allerdings im Verfahren deutlich gemacht, dass er zumindest die Voraussetzungen für eine Ermessensreduzierung auf "Null" im dem Sinne, dass nur eine Darlehensgewährung rechtmäßig ist, nicht für gegeben hält. Dabei geht der Antragsgegner offensichtlich von einem Anwendungsfall des § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II aus. Der Senat sieht aber im konkreten Fall die Voraussetzungen für eine nur eingeschränkte, "intendierte" Ermessensausübung im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II für gegeben an. Dafür ist maßgeblich, dass hier aufgrund des langen Zeitraums von eineinhalb Jahren ohne Stromversorgung eine Fallkonstellation vorliegt, die wertungsmäßig einer drohenden Wohnungslosigkeit im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II entspricht.

In der Rechtsprechung wird zum Teil die Auffassung vertreten, bei einer Stromsperre liege regelmäßig eine der Wohnungslosigkeit nahe kommende Notlage vor, so dass stets ein Anwendungsfall des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II anzunehmen und eine Schuldenübernahme nur in atypischen Fällen zu versagen sei. Denn die faktische Unbewohnbarkeit einer Wohnung infolge einer Sperrung der Energiezufuhr stehe dem Verlust der Unterkunft gleich (vergl. SG Bremen, Beschluss vom 5. April 2011 – S 23 AS 497/11 ER mit weiteren Nachweisen – zitiert nach juris). Nach anderer Auffassung könne bei einer Unterbrechung der Stromversorgung nur eine vergleichbare Notlage im Sinne des § 22 Abs. 8 Satz 1 SGB II vorliegen, weil das Mietverhältnis an sich durch die Stromunterbrechung nicht beeinträchtigt werde (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. August 2011, L 5 AS 1097/11 B ER, zitiert nach juris). Der hier zur Entscheidung berufene Senat geht jedenfalls bei der im konkreten Fall über einen Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren "hingenommenen" Stromsperre und bei Erforderlichkeit der elektrischen Energie für das Betreiben der Heizung davon aus, dass faktisch ein Zustand eingetreten war, der der Unbewohnbarkeit der Wohnung nahekommt. Dabei ist die besondere Bedeutung der Wohnung als Lebensmittelpunkt der betroffenen Leistungsberechtigten zu würdigen. Eine auch tatsächlich im üblichen Rahmen nutzbare Wohnung ist zum einen "privates Rückzugsgebiet" für die Betroffenen und zum anderen in der Regel auch notwendiger Lebensmittelpunkt, um etwa durch das sozialübliche gelegentliche Einladen von Verwandten oder Bekannten soziale Beziehungen aufrecht zu erhalten. Insofern gehört auch die das Bewohnen einer Wohnung im üblichen Rahmen gewährleistende Energieversorgung zum menschwürdigen Existenzminimum, auf dessen Gewährleistung sich ein Anspruch gegen den Staat unmittelbar aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG ableiten lässt (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09 u. a., zitiert nach juris). Dies ist bei der Auslegung des den Leistungsanspruch konkretisierenden SGB II sowohl von den Leistungsträgern als auch von den Gerichten zu beachten. Im Ergebnis ist somit hier eine zumindest entsprechende Anwendung des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II geboten, wonach ein "intendiertes Ermessen" zur Verpflichtung zur Leistungsgewährung führt, soweit nicht ein atypischer Fall gegeben ist. Im konkreten Fall geht der Senat von einer sich im Rahmen des § 22 Abs. 8 Satz 2 SGB II ergebenden Ermessensreduzierung dahingehend aus, dass nur die darlehensweise Übernahme der Energieschulden in dem vom SG festgestellten Umfang rechtmäßig war.

Dabei sei noch einmal darauf hingewiesen, dass der Antragsgegner sich in solchen Fällen vor einer erneuten Inanspruchnahme wegen aufgelaufener Schulden aus der Belieferung mit Energie (Strom) durch eine Direktzahlung angemessener Abschlagszahlungen an das Energieversorgungsunternehmen nach § 22 Abs. 7 Satz 2 in Verbindung mit Satz 3 Nr. 2 SGB II schützen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mehr mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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