L 8 AS 785/11 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 655/11 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AS 785/11 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zeitpunkt der Erfolgsaussicht im Verfahren der Prozesskostenhilfe - Anforderungen an die Erfolgsaussicht - Entscheidungsreife eines Prozesskostenhilfegesuchs - bewilligungsreifer Antrag auf Prozesskostenhilfe - Erfolgsaussicht eines einstweiligen Rechtsschutzersuchens- Entscheidungsreife und zeitgleiches Angebot eines Anerkenntnisses
1.Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht im Verfahren der Prozesskostenhilfe ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 29.09.2004 - 1 BvR 1281/04, vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02 und vom 12.01.1993 - 2 BvR 1584/92, des Bayer. LSG vom 19.07.2011 - L 15 VG 5/11 B PKH ).
2.Entscheidungsreif ist ein Prozesskostenhilfegesuch, wenn ein Antragsteller einen bewilligungsreifen Antrag vorgelegt hat (vgl. hierzu BVerfG Beschluss vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10) und der Gegner nach § 73a SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat (Beschlüsse des Bayer. LSG vom 02.11.2011, Az.: L 11 AS 634/11 B PKH, des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20.09.2011, A: L 19 AS 1509/11 B ER, L 19 AS 1510/11 und des LSG Baden-Württemberg vom 27.02.2009, Az.: 13 AS 4995/08 PKH-B).
3.Die Chance auf den Erfolg eines einstweiligen Rechtsschutzersuchens entfällt, wenn gleichzeitig mit dem Eintritt der Entscheidungsreife bei der Erwiderung des Prozessgegners das Angebot eines Anerkenntnisses erfolgt.
4.Entscheidungsreife liegt erst vor, wenn die notwendige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 73a Abs. 1 SGG, § 117 Abs. 2 ZPO) vorliegt.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 23. September 2011 (Prozesskostenhilfe) wird zurückgewiesen.



Gründe:


I.

Gegenstand dieses Verfahrens ist eine Beschwerde gegen Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren in erster Instanz.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Ast) bezieht zusammen mit ihrer Bedarfsgemeinschaft vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden: Ag) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II). Den Antrag vom 09.08.2011 auf einstweilige Anordnung für ein Darlehen zur Tilgung der Schulden aus Energiebezugsleistungen (Strom und Gas) lehnte das Sozialgericht Regensburg (SG) mit Beschluss vom 23.09.2011 ab; gleichzeitig lehnte es auch den Antrag auf Bewilligung von PKH ab.

Die Ast erhielt die Regelleistung und Kosten für Unterkunft und Heizung, insbesondere für Strom (Haushaltsenergie) und Gas (Heizung und Warmwasser). Bis Oktober 2010 zahlte der Ag auf Wunsch der Ast den monatlichen Gasabschlag jeweils direkt an den Versorger. Ab Dezember 2010 wurden die Kosten für Unterkunft und Heizung an die Ast ausbezahlt. Ab September 2011 werden die Abschlagszahlungen für Gas und Strom monatlich wiederum auf Wunsch der Ast an den Versorger direkt gezahlt.

Am 09.04.2011 machte der Versorger gegenüber der Ast eine Nachzahlung für Gas in Höhe von 366,37 EUR für die Zeit ab 21.04.2010 geltend. Am 30.04.2011 berechnete der Stromversorger für das vorangegangene Bezugsjahr eine Nachforderung in Höhe von 1.351,20 EUR, weil die Ast ab Mai 2011 weder Abschlagszahlungen für Strom, noch für Gas an ihren Versorgungsbetrieb gezahlt hatten. Zum 14.06.2011 beliefen sich die Stromrückstände auf 1.473,20 EUR.

Einen Antrag auf Übernahme der Stromschulden lehnte der Ag mit Bescheid vom 14.07.2011 ab. Am 18.07.2011 beliefen sich die Gasrückstände auf 855,37 EUR, die Stromrückstände auf 1.693,20 EUR.

Mit Bescheid vom 02.08.2011 lehnte der Ag die Übernahme von Strom- und Gasschulden als Darlehen ab. Es seien nicht alle Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft worden. Ferner sei angemessener Wohnraum im Zuständigkeitsbereich vorhanden und könne angemietet werden, Wohnungslosigkeit drohe daher nicht unmittelbar. Mit weiterem Bescheid vom 22.08.2011 lehnte der Ag die Übernahme einer Nachzahlung für Gas ab. Im Abrechnungszeitraum sei unter Berücksichtigung des Abzugs für Warmwasserkosten im Jahr 2010 ein Betrag an Heizkosten bereits bezahlt worden, der über dem der tatsächlich angefallenen Heizkosten liege.

Am 09.08.2011 hat die Ast beim SG beantragt, den Ag im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, darlehensweise Schulden aus Gas- und Strombezug in Höhe von 2.548,57 EUR zu übernehmen. Der Versorger habe der Ast angedroht, die Strom- und Gaslieferungen zu sperren. Sie hätten daher gemäß § 22 Abs.8 SGB II einen Anspruch auf Übernahme der Schulden.

Am 16.08.2011 hat sich der Ag bereit erklärt Stromschulden aus der Jahresabrechnung vom 30.04.2011 in Höhe von 1351,20 EUR als Darlehen übernehmen.

Mit Beschluss vom 23. September 2011 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, ebenso wie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung, abgelehnt. Im Umfang des Angebots der Ag bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, ebenso wenig noch eine Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund). Im Übrigen bestände kein Anspruch auf Übernahme der geltend gemachten Kosten, so dass es an einem für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsanspruch fehle. Der Antrag auf Bewilligung von PKH bleibe erfolglos, da in der Hauptsache keine hinreichenden Aussichten auf Erfolg bestehen.

Gegen die Ablehnung von PKH hat die Ast am 12.10.2011 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt.

II.

Die Beschwerde ist zwar statthaft (§ 172 Sozialgerichtsgesetz -SGG), frist- und formgerecht eingelegt (§ 173 SGG) und damit insgesamt zulässig. Die Ausschlusstatbestände des § 172 Abs. 3 Nr. 1 Halbsatz 2 und Nr. 2 SGG in der hier anwendbaren mit Wirkung vom 11. August 2010 in Kraft getretenen Fassung des Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 5. August 2010 (BGBl. I S. 1127) greifen nicht ein. Da das SG seine Entscheidung nicht auf das Fehlen der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen gestützt, sondern die Bewilligung von PKH wegen fehlender Erfolgsaussicht in der Hauptsache abgelehnt hat, liegt ein Fall des § 172 Abs. 3
Nr. 2 SGG nicht vor. Darüber hinaus findet auch § 173 Abs. 3 Nr. 1 Halbsatz 2 SGG keine Anwendung, denn eine Entscheidung in der Hauptsache (hier: Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes) wäre angesichts des Beschwerdewertes von 2.548,57 EUR anfechtbar gewesen.

Die Beschwerde ist aber unbegründet; die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH haben zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht mehr vorgelegen.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Bei der Prüfung der Erfolgsaussicht ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 114 ZPO dem aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4 und Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz abzuleitenden verfassungsrechtlichen Gebot entsprechen soll, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen. Daher dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden (vgl. Beschlüsse des Bundesverfassungsgericht vom 29.09.2004 - 1 BvR 1281/04, vom 14.04.2003 - 1 BvR 1998/02 und vom 12.01.1993 - 2 BvR 1584/92).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das SG die für die Bewilligung von PKH erforderliche Erfolgsaussicht zu Recht verneint. Nach der im Verfahren der PKH gebotenen Prüfung haben die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten Regelungsanordnung im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Bewilligungsreife nicht vorgelegen. Entscheidungsreif ist ein Prozesskostenhilfegesuch, wenn ein Antragsteller einen bewilligungsreifen Antrag vorgelegt hat (vgl. hierzu BVerfG Beschluss vom 14.04.2010 - 1 BvR 362/10) und der Gegner nach § 73a SGG i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hat (Beschlüsse des Bayer. LSG vom 02.11.2011, Az.: L 11 AS 634/11 B PKH, des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20.09.2011, A: L 19 AS 1509/11 B ER,
L 19 AS 1510/11 und des LSG Baden-Württemberg vom 27.02.2009, Az.: 13 AS 4995/08 PKH-B).

Im vorliegenden Fall lag zwar hinsichtlich der Regelungsanordnung ein Teilerfolg vor, als der Ag sich am 16.08.2011 bereit erklärt hat, Stromschulden aus der Jahresabrechnung vom 30.04.2011 in Höhe von 1.351,20 EUR zu übernehmen. Ob dies bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen gewesen wäre, ist nicht zu entscheiden. Wegen der Ablehnung einer Regelungsanordnung wurde keine Beschwerde eingelegt.

Für die Beantwortung der im Verfahren der PKH aufgeworfenen Frage, ob die Rechtsverfolgung der Ast ohne Prozessrisiko bleiben durfte, war jedoch auf die Entscheidungsreife, insbesondere die Einlassung des Ag abzustellen. Hier ist am 16.08.2011, gleichzeitig mit dem Eintritt der Entscheidungsreife, die Chance auf einen Teilerfolg entfallen. Denn Voraussetzung eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes ist nicht nur das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, sondern auch eines Anordnungsgrundes. Die Dringlichkeit ist aber mit dem Einlenken der Ag entfallen. Hinsichtlich des übrigen Teils des geltend gemachten Anordnungsanspruchs war ohnehin keine Erfolgswahrscheinlichkeit vorhanden, wie der anschließende ablehnende Beschluss des SG vom 23 September 2011 gezeigt hat.
Im Übrigen hat die Ast die notwendige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 73a Abs. 1 SGG, § 117 Abs. 2 ZPO) erst am 16.05.2011 vorgelegt.

Der Beschluss des SG (Ablehnung von PKH) erging damit im Ergebnis zu Recht.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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