L 7 AS 985/11 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 31 AS 4611/11 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 985/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Das Erfordernis, die vorherige Zusicherung des kommunalen Trägers gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II
einzuholen, ist lediglich eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, stellt also keine
Anspruchsvoraussetzung dar. § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II kommt jedoch die Funktion zu, vor einem Umzug zu
klären, ob die höheren Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen werden. Die Regelung dient dem
Schutz der Hilfebedürftigen vor den weitreichenden Konsequenzen des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, die in der
nur gekürzten Übernahme der tatsächlichen angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung ohne
Übergangsfrist bestehen (Fortsetzung der Rechtsprechung des Senats, vgl. Sächsisches Landessozialgericht
, Beschluss vom 04.03.2011 -L 7 AS 753/10 B ER).

2. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen die Kosten der Unterkunft und Heizung auf die bisherigen
angemessenen Unterkunftskosten begrenzt werden, wenn Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den
kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren,
gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Mit dieser Regelung soll dem Leistungsmissbrauch eine Grenze
gesetzt und Kostensteigerungen für Leistungen der Kosten der Unterkunft und Heizung innerhalb der
kommunalen Grenzen vorgebeugt werden. Mit der nur ausnahmsweise erfolgenden Übernahme von über den
bisher als angemessen anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung - auch innerhalb der
Angemessenheitsgrenzen - liegenden Unterkunftskosten wird es den Hilfebedürftigen verwehrt, den
maximalen Leistungsanspruch auszuschöpfen, wenn ihr existenzsichernder Bedarf bereits angemessen
gedeckt ist.

3. Hat eine Bedarfsgemeinschaft (oder ein alleinstehender Hilfebedürftiger) eine bestimmte Wohnung -
während oder außerhalb des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - gewählt, so spricht
zunächst die tatsächliche Vermutung für die Angemessenheit der konkreten, selbst gewählten Unterkunft. Die
bloße, auch erhebliche Unterschreitung der maßgeblichen Flächenhöchstwerte macht daher allein einen
Umzug regelmäßig noch nicht erforderlich. Bei anderer Sichtweise würde der Zweck der Vorschrift verfehlt, die
Ausschöpfung der örtlichen Angemessenheitsgrenzen durch einen Umzug in eine Wohnung mit höheren,
jedoch noch angemessenen Kosten zu verhindern.

4. Zur Erteilung der Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II ist der kommunale Träger nach Satz
2 der Vorschrift jedoch verpflichtet, wenn die Kosten der neuen Unterkunft ihrerseits angemessen sind und der
Umzug erforderlich ist. Nur bei Vorliegen beider Voraussetzungen besteht ein Anspruch auf Erteilung der
Zusicherung.

5. Der Umzug ist erforderlich, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von
dem sich auch ein Nichtleistungsempfänger leiten lassen würde.

6. Eine Kündigung des Mietvertrages über die bisherige Wohnung durch die Hilfebedürftigen rechtfertigt die
Erforderlichkeit des Umzugs nicht. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit des Umzugs hat eine durch
Eigenkündigung der Hilfebedürftigen herbeigeführte Umzugsnotwendigkeit außer Betracht zu bleiben.
Ansonsten hätten es die Hilfebedürftigen in der Hand, einen der gesetzgeberischen Zielsetzung
widersprechenden Wohnungswechsel zu erzwingen.
I. Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Oktober 2011 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über die vorläufige Erteilung einer Zusicherung zum Umzug in eine neue Wohnung.

Die 1982 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der 2001 und 2006 geborenen Antragstellerinnen zu 2) und 3). Diese bewohnten zunächst gemeinsam mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) und Vater der Antragstellerin zu 3) die 72 m² große Wohnung in der F.straße in P ... Im Fortzahlungsantrag vom 15.01.2010 gab die Antragstellerin zu 1) an, seit Ende November bzw. Dezember 2009 von ihrem Ehemann getrennt zu leben. Zu ihrer Bedarfsgemeinschaft gehörten die Antragstellerinnen zu 2) und 3).

Zum 01.02.2010 mietete die Antragstellerin zu 1) ihre derzeitige, 60 m² große Wohnung in der M straße. in P ... an. Die Wohnung verfügt über ein Wohnzimmer mit einer Fläche von ca. 18 m², zwei Kinderzimmer mit Flächen von 10,5 m² und 8,8 m², eine Wohnküche, ein Bad und einen Flur. Die Kinderzimmer werden von den Antragstellerinnen zu 2) und 3) genutzt. Die Antragstellerin zu 1) schläft im Wohnzimmer. Die Antragstellerin zu 1) kündigte die Wohnung zum 31.12.2011.

Am 27.09.2011 sprach die Antragstellerin zu 1) bei dem Antragsgegner vor und begehrte die Zusicherung zur Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung für die 80,10 m² große Wohnung in der B.straße in P ... Diese Wohnung verfügt über ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer, zwei Kinderzimmer, eine Küche, ein Bad und einen Flur. Die Miete hierfür beträgt 335,00 EUR/Monat. Zudem sind Betriebskosten in Höhe von 80,00 EUR/Monat und Heizkosten in Höhe von ebenfalls 80,00 EUR/Monat zu zahlen. Eine Mitarbeiterin des Antragsgegners teilte der Antragstellerin zu 1) - ausweislich eines gefertigten Aktenvermerkes - am selben Tag mit, die "Genehmigung für diese Wohnung kann nicht erteilt werden". Den Widerspruch der Antragsteller wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2012 zurück. Die Antragsteller haben Klage zum Sozialgericht Chemnitz (SG) erhoben.

Bereits am 29.09.2011 haben die Antragstellerinnen einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes beim SG gestellt. Die alte Wohnung sei für die Bedürfnisse der Antragstellerinnen zu klein. Die Antragstellerinnen zu 2) und 3) könnten aufgrund der beengten Wohnraumverhältnisse ihren Hobbys und täglichen Aufgaben nicht ausreichend nachgehen. Zudem sei beabsichtigt, für die Antragstellerin zu 3) in naher Zukunft einen Schreibtisch anzuschaffen, weil sie die Vorschule besuchen werde. Ein solcher könne in dem von ihr genutzten, lediglich 8,8 m² großen Kinderzimmer nicht aufgestellt werden.

Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 05.10.2011 abgelehnt. Unabhängig vom Vorliegen eines Anordnungsgrundes hätten die Antragstellerinnen bereits keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) solle die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des Leistungserbringers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Wohnung einholen. Der kommunale Träger sei gemäß § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich sei und die Aufwendungen für die neue Wohnung angemessen seien. Vorliegend sei die Erforderlichkeit des Umzugs nicht glaubhaft gemacht. Ob ein Umzug erforderlich sei, bestimme sich danach, ob für ihn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständiger Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichtleistungsberechtigter leiten lassen würde. Allein die Tatsache, dass die Antragsteller eine 60 m² große Wohnung bewohnten, obwohl nach der Verwaltungsvorschrift des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales und Verbraucherschutz zur Regelung von Wohnflächenhöchstgrenzen (VwV Wohnflächenhöchstgrenzen) vom 07.06.2010 bei drei Personen 75 m² angemessen wären, vermöge die Erforderlichkeit des Umzuges nicht zu begründen, weil die in der VwV Wohnflächenhöchstgrenzen genannten Wohnflächen lediglich Obergrenzen und keine Mindeststandards bezeichneten. Der Unterkunftsbedarf der Antragstellerinnen werde durch die bewohnte Wohnung noch ausreichend gedeckt, insbesondere könnten die Antragstellerinnen zu 2) und 3) jeweils ein eigenes Kinderzimmer nutzen. Eine gravierende Beeinträchtigung der Entwicklung der Antragstellerin zu 3) sei nicht schon deshalb zu erwarten, weil ihr Kinderzimmer lediglich 8,8 m² groß sei. Ob der für die Antragstellerin zu 3) zu erwerbende Schreibtisch in das Kinderzimmer passen werde, könne das SG nicht beurteilen. Allerdings entspreche es einer allgemeinkundigen Tatsache, dass Schreibtische in verschiedenen Größen erhältlich sind, wobei ein Nichtleistungsberechtigter eher einen Schreibtisch wählen würde, der den Wohnverhältnissen angemessen sei, als eine Wohnung zu suchen, die der Größe des Schreibtisches entspreche. Im Übrigen sei nach dem Vortrag der Antragstellerinnen der Schreibtisch noch nicht angeschafft und nach Auffassung des SG für ein Kindergartenkind im Hinblick auf die zukünftige Teilnahme an der Vorschule auch nicht erforderlich. Darüber hinaus sei kein sachlicher Grund ersichtlich, der dagegen spreche, dass die Antragstellerin zu 3) am Wohnzimmertisch ihrem Hobby, dem Malen, nachgehe. Schließlich rechtfertige auch die Absicht der Antragstellerin zu 1), eine Lebenspartnerschaft aufzubauen, noch keinen Umzug in eine größere Wohnung.

Gegen den den Antragstellerinnen am 11.10.2011 zugestellten Beschluss haben diese am 07.11.2011 Beschwerde beim SG eingelegt, die am 10.11.2011 beim Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG) eingegangen ist. Ein Anordnungsgrund sei gegeben. Die Antragstellerin zu 1) habe den bestehenden Mietvertrag bereits gekündigt. Die begehrte Wohnung stehe nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens in ca. zwei Jahren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zur Verfügung. Der Umzug in die neue Wohnung sei - auch nach Auffassung des Antragsgegners - erforderlich. Daher sei bezüglich dieses Tatbestandsmerkmals eine Entscheidung des Gerichts nicht mehr zu treffen. Die von den Antragstellerinnen bewohnte Wohnung sei mit ca. 60 m² viel zu klein. Nach der vom SG zitierten VwV stehe drei Personen mindestens eine Fläche von 75 m² zu, wobei unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein entsprechender Sicherheitszuschlag zu gewähren sei. Der Antragstellerin zu 1) stehe zudem kein Schlafzimmer zur Verfügung. Hierauf habe sie jedoch einen Anspruch. Ihr sei nicht zuzumuten, nachts im Wohnzimmer auf dem Sofa zu schlafen. Die Größe der Kinderzimmer spiele eine sekundäre Rolle. Zweifellos seien Schreibtische verschiedener Größen erhältlich. Selbstverständlich kauften auch Empfänger von Grundsicherungsleistungen einen den Wohnraumverhältnissen angepassten Schreibtisch. Im 8,8 m² großen Kinderzimmer der Antragstellerin zu 3) sei jedoch kein Platz für einen Schreibtisch. Zudem könne es keine Rolle spielen, dass der neue Lebenspartner der Antragstellerin zu 1) noch nicht in der Wohngemeinschaft der Antragstellerinnen aufgenommen sei. Die Antragstellerin zu 1) habe zum Zeitpunkt des Einzugs in die derzeitige Wohnung fluchtartig die von ihr zuvor bewohnte eheliche Wohnung mit einem gemeinsamen Kind verlassen. Zum damaligen Zeitpunkt sei nicht klar gewesen, ob auch das zweite Kind mit der Antragstellerin zu 1) zusammen wohnen dürfe. Daher habe sie eine lediglich 60 m² große Wohnung angemietet. Hiernach habe das Familiengericht entschieden, auch die Antragstellerin zu 3) dürfe bei der Antragstellerin zu 1) wohnen. Die Wohnung in der B ...straße in P. sei noch nicht vermietet. Zwar habe die Antragstellerin zu 1) zum 31.12.2011 ihre bisherige Wohnung gekündigt. Sie habe jedoch mit dem Vermieter eine Verlängerung des Mietverhältnisses zunächst bis zum 29.02.2012 und nunmehr darüber hinaus vereinbart.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 05.10.2011 aufzuheben und dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern die vorläufige Zusicherung zur Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung B ...straße in P., 1. Obergeschoss rechts zu erteilen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Dem Senat liegen die Akten des Antrags- und des Beschwerdeverfahrens sowie die Verwaltungsakten des Antragsgegners vor.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerinnen ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG mit Beschluss vom 05.10.2011 den Antrag abgelehnt.

Den Antragstellerinnen steht kein Anspruch auf vorläufige Erteilung der Zusicherung zur Übernahme der Unterkunftskosten für die Wohnung B.straße in P ..., 1. Obergeschoss rechts, zu.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können die Gerichte auf Antrag, der gemäß § 86 b Abs. 3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu ist gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Gem. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG ist § 929 ZPO entsprechend anzuwenden.

1. Die Antragstellerinnen haben einen Anordnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Nach § 22 Abs. 4 SGB II soll die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft einholen. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II wird nur der bisherige Bedarf für Unterkunft und Heizung anerkannt, wenn sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung erhöhen.

Das Erfordernis, die vorherige Zusicherung des kommunalen Trägers gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II einzuholen, ist lediglich eine Obliegenheit des Leistungsempfängers, stellt also keine Anspruchsvoraussetzung dar (BSG, Urteil vom 30.08.2010 - B 4 AS 10/10 R, zitiert nach Juris, RdNrn. 17, 18; BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R, zitiert nach Juris, RdNr. 27; SächsLSG, Beschluss vom 04.03.2011 - L 7 AS 753/10 B ER). § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II kommt nach der Rechtsprechung des BSG jedoch die Funktion zu, vor einem Umzug zu klären, ob die höheren Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen werden (BSG, Urteil vom 30.08.2010, a.a.O., RdNr. 17). Die Regelung dient dem Schutz der Hilfebedürftigen vor den weitreichenden Konsequenzen des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II, die in der nur gekürzten Übernahme der tatsächlichen angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung ohne Übergangsfrist bestehen (BSG, Urteil vom 30.08.2010, a.a.O.). Den Leistungsberechtigten steht jedoch auch bei fehlender Zusicherung nach § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II dem Grunde nach ein Anspruch auf Übernahme der angemessenen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu (SächsLSG, a.a.O.), wenn der Umzug erforderlich ist.

Nach dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. 16/1410 S. 23) sollen die Kosten der Unterkunft und Heizung auf die bisherigen angemessenen Unterkunftskosten begrenzt werden, wenn Hilfebedürftige unter Ausschöpfung der durch den kommunalen Träger festgelegten Angemessenheitsgrenzen für Wohnraum in eine Wohnung mit höheren, gerade noch angemessenen Kosten ziehen. Der Senat hat bereits entschieden (SächsLSG, a.a.O.), dass er in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG davon ausgeht, dass mit dieser Regelung dem Leistungsmissbrauch eine Grenze gesetzt und Kostensteigerungen für Leistungen der Kosten der Unterkunft und Heizung innerhalb der kommunalen Grenzen vorgebeugt werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 01.06.2010 - B 4 AS 60/09 R, zitiert nach Juris, RdNr. 21 m.w.N.). Mit der nur ausnahmsweise erfolgenden Übernahme von über den bisher als angemessen anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung - auch innerhalb der Angemessenheitsgrenzen - liegenden Unterkunftskosten wird es den Hilfebedürftigen verwehrt, den maximalen Leistungsanspruch auszuschöpfen, wenn ihr existenzsichernder Bedarf bereits angemessen gedeckt ist (BSG, a.a.O.).

Hat eine Bedarfsgemeinschaft (oder ein alleinstehender Hilfebedürftiger) eine bestimmte Wohnung - während oder außerhalb des Bezugs von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - gewählt, so spricht zunächst die tatsächliche Vermutung für die Angemessenheit der konkreten, selbst gewählten Unterkunft. Die bloße, auch erhebliche Unterschreitung der maßgeblichen Flächenhöchstwerte macht daher allein einen Umzug regelmäßig noch nicht erforderlich. Bei anderer Sichtweise würde der Zweck der Vorschrift verfehlt, die Ausschöpfung der örtlichen Angemessenheitsgrenzen durch einen Umzug in eine Wohnung mit höheren, jedoch noch angemessenen Kosten zu verhindern (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.03.2011 - L 5 AS 359/10 B ER, zitiert nach Juris, RdNr. 36; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 07.05.2009 - L 8 AS 87/08, zitiert nach Juris, RdNrn. 32, 36). Der Begriff der Erforderlichkeit ist jedoch nicht mit dem der Unumgänglichkeit gleichzusetzen (SG Hildesheim, Beschluss vom 22.12.2009 - S 26 AS 2257/09 ER, zitiert nach Juris, Rdnr. 25).

Zur Erteilung der Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II ist der kommunale Träger nach Satz 2 der Vorschrift lediglich verpflichtet, wenn die Kosten der neuen Unterkunft ihrerseits angemessen sind und der Umzug erforderlich ist. Umgekehrt bedeutet dies, dass auch nur bei Vorliegen beider Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung der Zusicherung besteht. Ein Umzug ist erforderlich, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichtleistungsempfänger leiten lassen würde (SächsLSG, Beschluss vom 04.03.2011, a.a.O.; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.12.2009 - L 2 AS 4587/09, zitiert nach Juris, RdNr. 43; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.11.2009 - L 29 AS 1196/09 B ER, zitiert nach Juris, RdNr. 29). Hierfür sprechen auch die in der amtlichen Begründung zur Neuregelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II (BT-Drucks. 16/1410 S. 23) genannten Beispiele eines erforderlichen Umzugs: Umzug zur Eingliederung in Arbeit, aus gesundheitlichen oder sozialen Gründen (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 22.12.2009, a.a.O., RdNr. 20; SG Dortmund, Urteil vom 04.10.2010 - S 31 AS 317/08, zitiert nach Juris, RdNr. 18). Von der Rechtsprechung sind u. a. eine ungünstige Wohnflächenaufteilung bei bevorstehender Geburt eines Kindes, die bevorstehende Geburt eines weiteren Kindes bei Unzumutbarkeit der Wohnungssuche kurz nach der Geburt, eine Summierung unterwertiger Wohnverhältnisse (schlechte sanitäre Verhältnisse und Ofenheizung bei älterem, gesundheitlich angeschlagenen Leistungsbezieher; Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses in einer Wohngemeinschaft) und der Rückbau der bisherigen Wohnung als Gründe für die Erforderlichkeit eines Umzugs angesehen worden (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.09.2009 - L 34 AS 1724/08, zitiert nach Juris; SG Dresden, Urteil vom 08.01.2010 - S 23 AS 1952/09, zitiert nach Juris, RdNr. 24). Mehr oder minder nachvollziehbare Gründe unterhalb der Erforderlichkeitsschwelle rechtfertigen jedoch auch geringfügige Mehrkosten nicht (Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl., § 22 RdNr. 49; z. B. Umzug in eine Wohnung mit Aufzug mit Kleinkind, das noch nicht laufen kann, bei bestehenden Rückenschmerzen der Mutter: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 08.12.2009 - L 2 AS 4587/09, zitiert nach Juris, RdNrn. 44 ff).

Unter Beachtung dieser Maßgaben haben die Antragstellerinnen vorliegend einen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer vorläufigen Zusicherung zur Übernahme der Kosten der Unterkunft und Heizung für die Wohnung B straße. in P., 1. Obergeschoss rechts nicht hinreichend glaubhaft gemacht.

Die Tatsache, dass die Antragstellerin zu 1) den Mietvertrag über die derzeitige Wohnung bereits gekündigt hat, rechtfertigt die Erforderlichkeit des Umzugs nicht. Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit hat eine durch Eigenkündigung der Hilfebedürftigen herbeigeführte Umzugsnotwendigkeit außer Betracht zu bleiben. Ansonsten hätten es die Hilfebedürftigen mit ihrer Kündigung in der Hand, einen der gesetzgeberischen Zielsetzung widersprechenden Wohnungswechsel zu erzwingen (SG Hildesheim, Beschluss vom 22.12.2009 - S 26 AS 2257/09 ER, zitiert nach Juris, RdNr. 31). Zudem ist den Antragstellerinnen eine Verlängerung des Mietvertrages für die derzeit bewohnte Wohnung - wie zunächst bis 29.02.2012 und nunmehr darüber hinaus erfolgt - möglich.

Die Erforderlichkeit des Umzugs der Antragstellerinnen ist nicht glaubhaft gemacht. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann ein Rechtsstreit - auch durch Ausübung des Dispositionsrechts der Beteiligten - nicht auf einzelne Tatbestandsvoraussetzungen einer Norm begrenzt werden (u. a. BSG, Urteil vom 23.08.2011 - B 14 AS 165/10 R, zitiert nach Juris, RdNr. 16). Daher kann auf die Prüfung des Tatbestandsmerkmals der Erforderlichkeit des Umzugs nicht verzichtet werden. Der mit Unterzeichnung durch beide Vertragsparteien am 10.01.2010 geschlossene Mietvertrag über die derzeitige Wohnung der Antragstellerinnen ist ausweislich dessen § 2 mit Wirkung zum 01.02.2010 geschlossen worden. In der einstweiligen Versicherung vom 29.02.2011 hat die Antragstellerin zu 1) ausgeführt, das Familiengericht habe am 31.01.2010 entschieden, dass die Antragstellerin zu 3) bei ihr wohnen darf. Das Mietverhältnis begann folglich nach der Entscheidung des Familiengerichts.

Ungeachtet dessen ist der Vortrag der Antragstellerin zu 1), sie sei in die derzeitige, ca. 60 m² große und aus ihrer Sicht für drei Personen zu kleine Wohnung lediglich deshalb "fluchtartig" eingezogen, weil zum Zeitpunkt des Einzugs nicht klar gewesen sei, ob das Familiengericht einen Aufenthalt der Antragstellerin zu 3) bei der Antragstellerin zu 1) bestimmen würde, nicht glaubhaft. Zum einen hat die Antragstellerin zu 1) im Antrag auf Weiterbewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 15.01.2010 bereits angegeben, mit der Antragstellerin zu 3) eine Bedarfsgemeinschaft zu bilden. Zum anderen haben die Antragstellerinnen bis dahin gemeinsam mit dem Ehemann der Antragstellerin zu 1) und Kindsvater der Antragstellerin zu 3), mithin zu viert, in der ausweislich des Mietvertrages vom 14.10.2005 lediglich 72 m² großen Wohnung F ...straße in P. gewohnt.

Der Senat muss vorliegend keine Entscheidung darüber treffen, ob die Antragstellerinnen zu 2) und 3) Anspruch auf jeweils ein eigenes Kinderzimmer haben, weil ihnen ein solches in der derzeitigen Wohnung zur Verfügung steht (vgl. zur bisherigen Rechtsprechung des Senats: SächsLSG, Beschluss vom 04.03.2011, a.a.O.).

Bezüglich der künftigen Ausstattung des Zimmers der Antragstellerin zu 3) mit einem Schreibtisch ist der Vortrag aus dem Antragsverfahren im Beschwerdeverfahren nicht aufrechterhalten worden. Sofern im Beschwerdeverfahren ausgeführt wird, in dem 8,8 m² großen Kinderzimmer der Antragstellerin zu 3) sei kein Platz für einen der Zimmergröße angepassten Schreibtisch, ist dies für den Senat nicht glaubhaft.

Eine Rechtsprechung, wonach einem Erwachsenen zwingend ein Wohn- und ein Schlafzimmer zur Verfügung stehen muss, konnte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerinnen nicht benennen. Eine solche existiert auch nicht.

Im Übrigen wird gem. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die zutreffenden Gründe des erstinstanzlichen Beschlusses verwiesen.

2. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war mangels hinreichender Erfolgsaussichten abzulehnen.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Weinholtz Reichert Dr. Anders
Rechtskraft
Aus
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