S 29 AS 333/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 29 AS 333/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 248/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Das Konzept des Jobcenters Lahn-Dill erfüllt die Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch – Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2011, insbesondere die Berücksichtigung einer höheren angemessenen Kaltmiete als Teil der Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Der alleinstehende Kläger stand seit dem 1. Januar 2005 im Leistungsbezug des Beklagten nach dem SGB II. Er bewohnt eine ca. 60 m² große Mietwohnung in der Gemeinde B-Stadt mit einer – im streitgegenständlichen Zeitraum – monatlichen Kaltmiete von 390,00 EUR sowie Vorauszahlungen für Nebenkosten in Höhe von 50,00 EUR monatlich. Die Wohnung wurde zum 1. Mai 2002 umfassend renoviert, wobei neben neuen Böden auch eine Außendämmung angebracht sowie neue Fenster eingebaut wurden. Die Heizung wird mittels Gas betrieben. Für den Bezug von Gas leistet der Kläger unmittelbar gegenüber der Stadtwerke B-Stadt GmbH Vorauszahlungen in Höhe von 29,00 EUR monatlich. Der Kläger zahlt zudem 35,00 EUR monatlich für eine Garage.

Bereits ab dem 1. Juli 2005 berücksichtigte der Beklagte bei der Leistungsgewährung nicht mehr die tatsächlichen sondern lediglich angemessene Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Mit bestandskräftigem Bewilligungsbescheid vom 28. Juni 2005 für den Bewilligungszeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 2005 erkannte der Beklagte erstmals lediglich eine Kaltmiete in Höhe von 269,39 EUR sowie Nebenkosten in Höhe von 63,71 EUR an.

Bis zum 30. November 2010 berücksichtigte der Beklagte bei der Leistungsgewährung in der Folge eine angemessene Kaltmiete in Höhe von 288,00 EUR, wobei bei der Berechnung eine Wohnungsgröße von 50 m² zugrunde gelegt wurde.

Mit Änderungsbescheid vom 8. November 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. November 2010 noch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 383,37 EUR, ab dem 1. bis zum 31. Dezember 2010 lediglich noch Leistungen mit Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 331,73 EUR. Dem hiergegen eingelegten Widerspruch wurde mit Änderungsbescheid vom 28. Februar 2011 für den Monat Dezember 2010 abgeholfen.

Mit Bescheid vom 22. November 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2011 nunmehr lediglich in Höhe von monatlich 690,73 EUR. Die Kosten der Unterkunft wurden dabei insgesamt in Höhe von 331,73 EUR berücksichtigt. Darin enthalten war eine angemessene Kaltmiete in Höhe von nur 259,20 EUR. Der Beklagte leitete die angemessenen Kosten der Unterkunft dabei ab aus einer angemessenen Wohnfläche für einen 1-Personen-Haushalt von 45 m² sowie aus der Mietwertübersicht für den L-OR-Kreis mit der Stadt W., Stand 2010.

Hiergegen hat der Kläger am 3. Dezember 2010 Widerspruch eingelegt. Mit Schreiben vom 20. Dezember 2010 erläuterte der Beklagte dem Kläger die Zusammensetzung der berücksichtigten Kosten der Unterkunft, bevor der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2011 zurückgewiesen wurde.

Mit Änderungsbescheid vom 1. März 2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger zwischenzeitlich für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. März 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 689,73 EUR sowie für den Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2011 Leistungen in Höhe von monatlich 697,73 EUR. Berücksichtigt wurden die angepassten Vorauszahlungen für Gas. Gegen diesen Änderungsbescheid erhob der Kläger am 16. März 2011 Widerspruch.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2011, geändert durch Bescheid vom 1. März 2011, hat der Kläger am 18. März 2011 Klage beim Sozialgericht Gießen erhoben.

Mit weiterem Änderungsbescheid vom 15. April 2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2011 Leistungen in Höhe von monatlich 717,20 EUR. Berücksichtigt wurden nunmehr die angepassten Vorauszahlungen für Gas sowie ein Mehrbedarf für Warmwasser in Höhe von 8,00 EUR monatlich jeweils ab dem 1. Januar 2011.

Der Kläger ist im Wesentlichen der Auffassung, der Beklagte habe zu seinen Gunsten höhere Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen. Das von dem Beklagten verwendete Konzept zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfülle nicht die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts aufgestellten Voraussetzungen für ein schlüssiges Konzept. Bei der Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft sei zudem wie zuvor von einer angemessenen Wohnungsgröße von 50 m² auszugehen, d.h. eine angemessene Kaltmiete von 288,00 EUR zu berücksichtigen. Ihm sei auch nicht von dem Beklagten mitgeteilt worden, dass die Wohnung zu groß sei bzw. dass er sich ggfs. eine andere Wohnung suchen solle.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 22. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung angemessener Kosten der Unterkunft in Form einer Kaltmiete von 288,00 EUR zu gewähren, d.h. für den Zeitraum vom 01. Januar bis 30. Juni 2011 einen Betrag in Höhe von 172,80 EUR nachzuzahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, die angemessenen Kosten der Unterkunft seien bei der Leistungsgewährung berücksichtigt worden. Dabei sei, unabhängig von dem Vorgehen in der Vergangenheit, für einen 1-Personen-Haushalt lediglich von einer Wohnfläche von 45 m² auszugehen. Hinsichtlich der angemessenen Kaltmiete sei darüber hinaus auf die Mietwertübersicht für den L-OR-Kreis mit der Stadt W., Stand 2010, zurückzugreifen. Dabei werde zugunsten der Leistungsempfänger im Rahmen der Berechnung mindestens von einem "Mittleren Wohnwert" der betreffenden Wohnung ausgegangen. Diese Vorgehensweise erfülle die vom Bundessozialgericht aufgestellten Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen D. zu Entstehung und Inhalt der Mietwertübersicht für Wohnraum für die Landkreise C-Stadt und D-Stadt-B (ohne die Städte C-Stadt und D-Stadt) und für den L-OR-Kreis mit der Stadt W.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Beklagtenakten, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie auf die Ausführungen des Zeugen D. ausweislich der Sitzungsniederschrift sowie seiner schriftlichen Stellungnahme vom 19. März 2012 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig aber unbegründet. Der Bescheid vom 22. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2011, geändert durch Bescheide vom 1. März und 15. April 2011, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die Beteiligten haben im Rahmen der mündlichen Verhandlung den Streitgegenstand des Klageverfahrens zulässigerweise auf die Gewährung der Kosten der Unterkunft und Heizung für den Bewilligungszeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2011 beschränkt. Denn eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Leistungen für die Unterkunft und Heizung ist zulässig, soweit es sich bei der Verfügung über diese Leistungen um eine abtrennbare Verfügung (Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X) des Gesamtbescheides handelt (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 132/10 R, Rn. 11).

Der Kläger hat keinen Anspruch auf weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund der Berücksichtigung höherer angemessener Kosten der Unterkunft, konkret einer höheren Kaltmiete, im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Die neben der Kaltmiete angefallenen Kosten der Unterkunft wurden durch den Beklagten inzwischen in voller Höhe anerkannt. Da im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II maximal die tatsächlichen Kosten berücksichtigt werden können, scheidet ein weitergehender Anspruch insoweit aus.

Der Beklagte hat die Kaltmiete zu Recht lediglich in Höhe der angemessenen Kosten der Unterkunft für einen 1-Personenhaushalt in der Gemeinde B-Stadt von 259,20 EUR monatlich berücksichtigt.

Leistungen für die Unterkunft werden gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Angemessenheit ist unter Zugrundelegung der sog. Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu konkretisieren: Nach der in einem ersten Schritt vorzunehmenden Bestimmung der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und des Wohnungsstandards ist in einem zweiten Schritt festzustellen, welcher räumliche Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der Angemessenheit maßgebend ist. Sodann ist zu ermitteln, wie viel für eine abstrakt angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt im streitgegenständlichen Zeitraum aufzuwenden gewesen ist (Ermittlung der Angemessenheitsgrenze auf Grund eines schlüssigen Konzepts des Grundsicherungsträgers). Abschließend ist zu prüfen, ob der Hilfesuchende eine solchermaßen abstrakt angemessene Wohnung auch tatsächlich hätte anmieten können, ob also eine konkrete Unterkunftsalternative bestanden hat.

Der räumliche Vergleichsmaßstab ist dabei so zu wählen, dass Hilfesuchende im Regelfall ihr soziales Umfeld beizubehalten vermögen. Deshalb ist für den räumlichen Vergleichsmaßstab in erster Linie der Wohnort des Hilfesuchenden maßgebend. Nur bei besonders kleinen Gemeinden, die über keinen repräsentativen Wohnungsmarkt verfügen, kommen größere und bei besonders großen Städten kleinere Gebietseinheiten in Betracht (BSGE 97, 231 (238 f) = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 S 23 f, jeweils Rn. 24; BSGE 97, 254 (260) = SozR 4-4200 § 22 Nr. 3 S 33, jeweils Rn. 21). Entscheidend ist es, für die repräsentative Bestimmung des Mietpreisniveaus ausreichend große Räume der Wohnbebauung zu beschreiben, die auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009 - B 4 AS 30/08 R, Rn. 21).

Zugrunde zu legen ist ein einfacher, im unteren Marktsegment liegender Standard (BSGE 97, 231 (238) = SozR 4-4200 § 22 Nr. 2 S 23, jeweils Rn. 24); die Wohnung muss hinsichtlich ihrer Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen (BSGE 97, 254 (259) = SozR 4-4200 § 20 Nr. 3 S 32, jeweils Rn. 20). Um ausgehend davon den angemessenen Quadratmeterpreis zu ermitteln, ist es nicht erforderlich, auf einfache oder qualifizierte Mietspiegel im Sinne der §§ 558c und 558d BGB abzustellen bzw. solche Mietspiegel erstellen zu lassen, soweit sie insbesondere im ländlichen Raum fehlen. Die vom Grundsicherungsträger gewählte Datengrundlage muss allerdings auf einem schlüssigen Konzept beruhen, das eine hinreichende Gewähr dafür bietet, dass es die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes wiedergibt (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 - B 14/7b AS 44/06 R, FEVS 60, 145, 149, Rn. 16; vgl. auch BSG, SozR 4-4200 § 22 Nr. 7 S 66 Rn. 23). Dabei müssen die Faktoren, die das Produkt "Mietpreis" bestimmen, in die Auswertung eingeflossen sein. Zu diesen Faktoren zählen im Regelfall zumindest der Standard, die Größe und die Ausstattung der Wohnung, wobei sich der Standard nach Lage der konkreten Verhältnisse auch im Jahr des ersten Bezugs bzw. der letzten Renovierung ausdrücken kann (BSG, a.a.O.).

Zusammenfassend gilt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts:

a) Die Datenerhebung muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen.
b) Es muss nachvollziehbar sein, welche Wohnungen in die Datenerhebungen einbezogen wurden (gesamter Wohnungsbestand oder Bestand an Wohnungen einfachen Standards? Legt der Grundsicherungsträger seiner Datenerhebung nur die Wohnungen einfachen Standards zugrunde, muss er nachvollziehbar offen legen, nach welchen Gesichtspunkten er dabei die Auswahl getroffen hat; ggf. Differenzierung nach Größe).
c) Es müssen Angaben über den Beobachtungszeitraum gemacht werden.
d) Die Art und Weise der Datenerhebung muss offengelegt werden (welche Erkenntnisquellen wurden ausgewertet).
e) Die Datenerhebung und die Datenauswertung müssen repräsentativ und valide sein und anerkannten mathematisch-statistischen Standards entsprechen.

Sofern ein solches schlüssiges Konzept des Leistungsträgers fehlt, kommt im gerichtlichen Verfahren eine Schätzung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach § 202 SGG i.V.m. 287 ZPO in Betracht (vgl. SG Gießen, Beschluss vom 24. November 2009 - S 26 AS 1266/09 ER). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann dies u.a. auch bedeuten, dass das Gericht den tatsächlichen Quadratmeterpreis als angemessen zugrunde legen darf. Allerdings wären die Kosten der Unterkunft auch in einem solchen Fall nicht völlig unbegrenzt zu übernehmen, sondern nur bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte nach § 8 Wohngeldgesetz (a.F.) anzuerkennen (vgl. BSG, Urteil vom 20. August 2009 - B 14 AS 65/08 R).

Die Vorgehensweise des Beklagten erfüllt die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.

Der Beklagte nutzt zur Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft in seinem Zuständigkeitsbereich die durch das erstellte Mietwertübersicht für Wohnraum für die Landkreise C-Stadt und D-Stadt-B (ohne die Städte C-Stadt und D-Stadt) und für den L OR-Kreis mit der Stadt W., Stand 2010. Dabei wird in einem ersten Schritt dem Wohnort des Leistungsempfängers anhand des Bodenpreisniveaus eine Mietstufe zugeordnet. Der Unterkunft des Leistungsempfängers wird sodann ein Wohnwert zugeordnet, der sich aus den Kriterien Baujahr der Unterkunft, Ausstattung und Lage zusammensetzt. Abhängig vom Wohnwert wird sodann der Mietpreis einer sog. Normalwohnung von 70 m² innerhalb der einschlägigen Mietstufe ermittelt. Der so gefundene Mittelwert pro Quadratmeter wird mittels eines Index auf die tatsächliche (angemessene) Wohnungsgröße umgerechnet.

Die vom Beklagten verwendete Datengrundlage in Form der Mietwertübersicht für den L OR-Kreis mit der Stadt W., Stand 2010, bietet zur Überzeugung der Kammer eine hinreichende Gewähr dafür, dass sie die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes wiedergibt.

Entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berücksichtigt die Mietwertübersicht zur Ermittlung der angemessenen Kaltmiete einer Wohnung die qualitativen Faktoren Lage, Größe, Ausstattung und Standard der Wohnung. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass die Mietwertübersicht zur Bestimmung des sog. Wohnwertes einer Wohnung, bestehend aus der Kombination von Standard, Ausstattung und Lage der Wohnung, ein Punktesystem verwendet, welches das Alter der Wohnung in drei Klassen, die Ausstattung in drei Stufen (einfach, mittlere, gehobene Ausstattung) und die Lage in drei Bereich (mäßige, mittlere und gute Wohnlage) einordnet.

Die im Wege der Mietwertübersicht vorgenommene Datenerhebung bezieht sich mit dem L-OR-Kreis einschließlich der Stadt W. auf den gesamten Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Dabei wurde bei der Datenerhebung nach Aussage des Zeugen D. insbesondere darauf geachtet, dass die berücksichtigte Datengrundlage sowohl flächendeckend war, als auch eine sog. "Klumpenbildung", d.h. eine erhebliche regionale Konzentration von Datensätzen, ausgeschlossen wurde. Letzteres wäre gegebenenfalls der Fall gewesen, wenn die Datengrundlage sich insbesondere auf die Angaben von örtlichen Wohnungsbaugesellschaften beschränkt hätte. Dies wurde im Rahmen der Erstellung der Mietwertübersicht bewusst vermieden. Hinsichtlich der flächenmäßigen Abdeckung wurde dagegen sichergestellt, dass jede Gemeinde im Zuständigkeitsbereich des Beklagten mit eigenen Daten in der Auswertung vertreten ist.

Der Beobachtungszeitraum für die Mietwertübersicht ergibt sich aus dem Alter der zugrundeliegenden Datengrundlage. Die Datensammlung umfasst Daten ab dem Jahr 2000. Dabei ergibt sich für die Kammer aus den ergänzenden Angaben des Zeugen D., dass der ganz wesentliche Anteil der Datengrundlage ab dem Jahr 2007 gesammelt wurde (vgl. Häufigkeitsverteilung der qualifizierten Fälle auf Bl. 8 der schriftlichen Stellungnahme des Zeugen D. vom 19. März 2012). Die Datensammlung wird laufend fortgeführt. Anhaltspunkte für die Berücksichtigung veralteten Datenmaterials sind für die Kammer nicht ersichtlich.

Für die Kammer ist nach den Ausführungen des Zeugen D. nachvollziehbar, welche Daten Eingang in die Datengrundlage für die Mietwertübersicht gefunden haben. Danach wurde nicht der gesamte Wohnungsbestand erfasst, sondern nur solche Datensätze berücksichtigt, bei denen dem Amt für Bodenmanagement auch qualifizierende Merkmale der Unterkunft zur Verfügung standen. Dies betrifft insbesondere Angaben zur Ausstattung der konkreten Wohnung. Dabei wurde zusätzlich nach Anwendung einer ersten Regressionsanalyse ein um Ausreißer bereinigter Datenbestand geschaffen, der uncharakteristische Mieten aus dem Datenbestand entfernen sollte.

Als Datenquellen dienten Fragebögen, die von Hauseigentümern ausgefüllt wurden und Angaben zu Mietverhältnissen enthielten. In den Fragebögen wurden dabei insbesondere Angaben zur Ausstattung der Mietwohnungen abgefragt. Als weitere Datenquelle dienten Kopien von Kaufverträgen sowie Datensammlungen im Rahmen eigener Begutachtungen durch das Amt für Bodenmanagement. Ergänzend wurden in geringerer Zahl Angaben des Sozialamtes des L-OR-Kreises zu Mietverhältnissen von Leistungsbeziehern verwendet, wobei diese aufgrund ggfs. fehlender Angaben zu den qualifizierenden Merkmalen der Wohnungen, d.h. insbesondere der Ausstattung der Wohnung, nur eingeschränkt Verwendung fanden. Die Angaben zu den Bodenpreisen stammen aus dem jeweiligen Bodenrichtwert gemäß § 196 Baugesetzbuch, wobei nach Aussage des Zeugen D. zusätzlich anhand der konkreten Lage eines Objektes innerhalb eines Ortes eine weitere Plausibilitätsprüfung vorgenommen wurde.

Der Zeuge D. konnte in diesem Zusammenhang angeben, dass Mietangebote aus Zeitungsanzeigen keinen Eingang in die Datengrundlage gefunden haben, da in diesen Fällen zum einen unklar gewesen sei, zu welchem Mietpreis die Objekte tatsächlich vermietet worden seien, zum anderen in der Regel keine ausreichenden qualifizierten Angaben zur Ausstattung der Wohnungen vorlagen. Die Auswertung entsprechender Wohnungsangebote erfolgt durch den Zeugen D. vielmehr nur im Rahmen einer zusätzlichen Plausibilitätskontrolle sowie zur laufenden Beobachtung von Entwicklungen innerhalb des Mietmarktes. Insofern bietet diese zusätzliche Beobachtung Gewähr dafür, dass bei signifikanten Veränderungen des Mietmarktes die Notwendigkeit einer Aktualisierung der Mietwertübersicht erkannt wird. Nach Aussage des Zeugen D. konnte auf dieser Grundlage erkannt werden, dass sich aktuell die Mietpreise nach oben entwickelt haben, so dass eine Aktualisierung der Mietwertübersicht voraussichtlich für Ende des laufenden Jahres 2012 vorgesehen ist. Als Datengrundlage der Aktualisierung würden dann lediglich die Datenbestände der letzten fünf Jahre, d.h. ab 2007, herangezogen werden, so dass eine Repräsentativität der Daten auch bei Veränderungen des Mietpreisniveaus gewährleistet sei.

Die bei Erstellung der Mietwertübersicht angewendete Regressionsanalyse stellt einen anerkannten mathematisch-statistischen Standard dar. Die Regressionsanalyse ist eine Sammlung von statistischen Analyseverfahren, die in der Lage ist, Beziehungen zwischen einer abhängigen und einer oder mehreren unabhängigen Variablen festzustellen. Sie wird insbesondere verwendet, wenn Zusammenhänge quantitativ zu beschreiben oder Werte der abhängigen Variablen zu prognostizieren sind. Die Nutzung dieser Analysemethode zur Auswertung der Datengrundlage ist insofern nicht zu beanstanden.

Bei der Ermittlung der Zu- und Abschläge gegenüber der Normalwohnung mit einer Größe von 70 m² ergab die Auswertung des Datenmaterials, dass die Wohnungsmiete in bestimmter Abhängigkeit von der Wohnungsgröße stand. Dabei konnte festgestellt werden, dass diese Abhängigkeit nicht lediglich streng linear erfolgt, sondern der Quadratmeterpreis für flächenmäßig größere Wohnungen relativ gesehen geringer wird bzw. flächenmäßig kleinere Wohnungen relativ gesehen einen höheren Quadratmeterpreis aufweisen. Dies entspricht den Vorgaben der Rechtsprechung, die eine streng lineare Umrechnung aus den o.g. Gründen als unzureichend erkannt hat.

Schließlich ist die der Mietwertübersicht zugrundeliegende Datenauswertung zur Überzeugung der Kammer auf Grundlage der nachvollziehbaren Ausführungen des Zeugen D. repräsentativ. Mangels aktueller statistischer Angaben über die Gesamtzahl der Mietwohnverhältnisse im Zuständigkeitsbereich des Beklagten greift die Kammer hilfsweise auf die vom Zeugen D. durchgeführte Hochrechnung aufgrund der Entwicklung der Einwohnerzahl zurück. Danach bestehen im Zuständigkeitsbereich des Beklagten geschätzt ca. 42.000 Mietwohnverhältnisse. Die qualifizierte Datengrundlage, die der Mietwertübersicht Stand 2010 zugrunde lag, umfasst demgegenüber ca. 2000 Mietwohnverhältnisse, d.h. einen Anteil von ca. 5 %. Die Kammer hält diese Stichprobengröße für ausreichend, um mit statistisch anerkannten Methoden hinreichend repräsentative Angaben zu erhalten. Auch für die vom Kläger bewohnte Gemeinde B Stadt liegt mit ca. 100 erfassten Datensätzen ebenfalls eine hinreichend große Stichprobengröße vor.

Die Kammer berücksichtigt zudem, dass der Beklagte bei Anwendung der Mietwertübersicht als Werkzeug zur Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft unabhängig von den tatsächlichen Verhältnissen von einer Mindestzahl der Wohnwertpunkte ausgeht. So berücksichtigt der Beklagte das Alter der Immobilie nach den tatsächlichen Verhältnissen, die Lage der Immobilie wird jedoch mindestens mit der Wertung einer mittleren Lage und die Ausstattung der Wohnung immer mindestens mit einer mittleren Ausstattung in die Berechnung eingestellt. Die Summe der Wohnwertpunkt repräsentiert damit garantiert mindestens einen mittleren Wohnwert im Sinne der Mietwertübersicht. Für die Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft stellt dabei jeder zusätzliche Wohnwertpunkt eine Erhöhung der berücksichtigungsfähigen Kosten dar. Der so angesetzte Standard stellt somit zur Überzeugung der Kammer sicher, dass zumindest der von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts genannte einfache, im unteren Marktsegment liegende Standard der Unterkunft durchgehend gewährleistet wird. Insofern ist es für die Kammer nachvollziehbar, dass sich bei Vergleichsprüfungen des Beklagten die Mieten von Wohnungsbaugesellschaften in seinem Zuständigkeitsbereich in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle im Rahmen der gewährten angemessenen Kosten der Unterkunft bewegten. Der von dem Beklagten gewählte Ansatz bei der Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft schließt aus Sicht der Kammer jedenfalls aus, dass das grundgesetzlich geschützte Mindestniveau des Existenzminimums im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft unterschritten wird.

Wendet man das aus Sicht der Kammer schlüssige Konzept zur Feststellung der angemessenen Kosten der Unterkunft auf die vom Kläger bewohnte Mietwohnung an, so ist für die Gemeinde B-Stadt zunächst die Mietstufe 6 anzusetzen. Bei der Bestimmung des Wohnwertes der Wohnung des Klägers ist von einem Baujahr 2002 auszugehen, da in diesem Jahr eine Vollrenovierung stattgefunden hat. Dies ergibt eine Einordnung in die Altersklasse 3 mit der Zuweisung von 3 Wohnwertpunkten. Die Ausstattung der Wohnung ist mit dem Mindestwert für eine mittlere Ausstattung von 3 Wohnwertpunkten anzusetzen, ebenso ist die Lage der Wohnung mit dem Mindestwert für eine mittlere Wohnlage, d.h. mit 2 Wohnwertpunkten, zu versehen. Aus der Summe von 8 Wohnwertpunkten ist bei Berücksichtigung der Mietstufe 6 für eine 70 m² große Normalwohnung ein Mittelwert von 5,12 EUR/m² abzuleiten. Im Hinblick auf eine angemessene Wohnfläche von 45 m² für den alleinstehenden Kläger ergäbe dies einen Anpassungsfaktor von 1,055, d.h. eine durchschnittliche Kaltmiete von 5,40 EUR /m². Bezogen auf die angemessene Wohnfläche von 45 m² ergäbe dies eine Kaltmiete von 243,00 EUR. Tatsächlich berücksichtigte der Beklagte sogar den noch nach der Mietwertübersicht für 2008 errechneten höheren Quadratmeterpreis von 5,76 EUR/m², d.h. bei 45 m² eine angemessene Kaltmiete von 259,20 EUR. Ein Anspruch auf darüber hinausgehende Kosten der Unterkunft besteht somit nicht.

Die Kammer hat keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Mietverhältnis im Rahmen der angemessenen Kosten der Unterkunft im zumutbaren Verweisungsbereich des Klägers tatsächlich nicht zur Verfügung stand. Der Kläger hat insoweit bereits nicht vorgetragen, entsprechende Aktivitäten zur Senkung seiner Kosten der Unterkunft ergriffen zu haben, insbesondere sich ggfs. bei dem örtlichen Wohnhilfebüro nach alternativen Unterkünften erkundigt zu haben. Vielmehr bewohnt der Kläger seine Wohnung in Kenntnis der monatlichen Unterdeckung der Kosten der Unterkunft bereits seit Juli 2005.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass bei der Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft eine angemessene Wohnfläche von 50 m² statt 45 m² in Ansatz gebracht wird.

Die berücksichtigungsfähige Wohnfläche ist anhand der Kriterien der Förderungswürdigkeit im sozialen Wohnungsbau nach den hierfür geltenden Vorschriften (§ 5 Wohnungsbindungsgesetz i.V.m. § 27 Abs. 1 - 5 Wohnraumförderungsgesetz) zu beantworten. Nach Nr. 4.2.1 der Richtlinien zur sozialen Wohnungsraumförderung in Hessen ist eine Wohnungsgröße für eine Person bis 45 m², für zwei Personen bis 60 m² und für jede weitere Person 12 m² angemessen (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Dezember 2007 - L 6 AS 234/07 ER, Rn. 25; Beschluss vom 24.10.2005 - L 9 AS 48/05 ER). Für den alleinstehenden Kläger hat der Beklagte somit zu Recht eine angemessene Wohnfläche von 45 m² zugrunde gelegt.

Eine aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ableitbare Selbstbindung der Verwaltung dahingehend, dass der Beklagte weiterhin verpflichtet wäre, zugunsten des Klägers von einer angemessenen Wohnfläche von 50 m² auszugehen, besteht nicht. Zunächst besteht kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend, dass ein rechtswidriger Zustand durch den an Recht und Gesetz gebundenen Beklagten fortgeführt wird. Darüber hinaus ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts jeweils auf den angegebenen Bewilligungszeitraum beschränkt. Nach Ablauf des Bewilligungszeitraums findet, soweit ein entsprechender Folgeantrag durch den Leistungsempfänger gestellt wird, eine erneute Prüfung des Sachverhalts statt. Ein über die Befristung der Leistungen hinausgehender Vertrauensschutz kann sich bei einem Leistungsempfänger daher von vornherein nicht bilden.

Die nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II erforderliche Kostensenkungsaufforderung erfolgte zumindest durch die jeweils begründete Berücksichtigung der angemessenen statt der tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Damit hatte der Kläger bereits seit dem 1. Juli 2005 Kenntnis davon, dass seine tatsächlichen Kosten der Unterkunft unangemessen hoch waren. Der mit der Kostensenkungsaufforderung verbundenen Information und Warnung des Leistungsempfängers war somit genüge getan.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG, die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG. Dabei war zunächst zu berücksichtigen, dass nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG die Berufung zulässig ist, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR übersteigt. Dies ist hier zunächst nicht der Fall, da die Differenz zwischen bewilligten und begehrten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum lediglich 172,80 EUR umfasst. Die Kammer hat jedoch die Möglichkeit der Berufung nach § 144 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG ausdrücklich zugelassen, da es sich bei der Beurteilung des schlüssigen Konzeptes des Beklagten zur Ermittlung der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelt. Die Klärung dieser Rechtsfrage ist dabei von besonderem allgemeinem Interesse, da die Gruppe der von der Festsetzung der angemessenen Kosten der Unterkunft betroffenen Hilfeempfänger nicht unerheblich ist, die fiskalischen Konsequenzen für den betroffenen Leistungsträger dagegen erheblich sind.
Rechtskraft
Aus
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