L 14 AS 763/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 203 AS 5872/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 763/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. März 2012 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragsteller zu 1) und 2) gegen die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab dem 1. April 2012 in dem Bescheid des Antragsgegners vom 27. Februar 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. März 2012 wird angeordnet. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller zu 3) vorläufig ab dem 1. Mai 2012 bis zum 31. Juli 2012, längstens bis zu einer Entscheidung des Sozialgerichts in dem dort anhängigen Klageverfahren S 203 AS 5872/12 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Sozialgeld) zu erbringen. Der Antragsgegner hat den Antragstellern die ihnen entstandenen Kosten des Verfahrens zu erstatten. Der Antrag der Antragsteller, ihnen für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und den Rechtsanwalt M G beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe:

Die zulässige (§§ 172 Abs. 1, 173 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]), insbesondere nicht durch § 172 Abs. 3 Nr. 1 SG ausgeschlossene Beschwerde der Antragsteller hat Erfolg.

Auf den verständig zu würdigenden Antrag der Antragsteller zu 1) und 2) ist die – nach § 39 Nr. 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) entfallende – aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern inzwischen (am 10. April 2012) beim Sozialgericht erhobenen Anfechtungsklage (S 203 AS 5872/12) gegen die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ab dem 1. April 2012 in dem Bescheid vom 27. Februar 2012 anzuordnen (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG). Ihnen sind mit dem Bescheid vom 10. Februar 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensbedarfs (Regelbedarf) nicht lediglich vorläufig, sondern endgültig bewilligt worden. Als Grund für die Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung hat der Antragsgegner angegeben (§ 328 Abs. 1 Satz 2 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs [SGB III] i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II), dass über den Anspruch auf Kindergeld für den Antragsteller zu 3) noch nicht entschieden worden sei. Die Bewilligung von Kindergeld für den Antragsteller zu 3) kann sich jedoch nur auf dessen Leistungsanspruch auswirken, so dass die Entscheidung allenfalls insoweit vorläufig sein kann; im Übrigen ist sie endgültig. Folgerichtig hat der Antragsgegner diese (aus seiner Sicht von Anfang an rechtswidrige) Entschei-dung nach § 45 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) zurückgenommen. Diese Rücknahme der Bewilligung erscheint rechtswidrig, so dass das Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes hinter dem der Antragsteller an dem Bestand der zurückgenommenen Bewilligung von Leistungen zurückbleibt.

Dem Antragsteller zu 3) sind Leistungen hingegen nur vorläufig bewilligt worden. Im Hinblick darauf ist die als "Aufhebung" (bzw. "Rücknahme") bezeichnete Entscheidung in dem Be-scheid vom 27. Februar 2012, soweit sie sich an den (gesetzlich durch den Antragsteller zu 1) vertretenen) Antragsteller zu 3) richtet, als endgültige, ablehnende Entscheidung über dessen Anspruch für die Zeit ab dem 1. April 2012 zu verstehen. Vorläufiger Rechtsschutz ist deshalb insoweit durch eine einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu gewähren (vgl. hierzu Sächsisches LSG, Beschluss vom 10. September 2009 – L 7 AS 414/09 B ER –).

Soweit der Antragsgegner die (endgültige) Bewilligung von Leistungen gegenüber den Antragstellern zu 1) und 2) zurückgenommen hat bzw. zurücknehmen wollte, stellt sich bereits die Frage, ob der Antragsgegner der Antragstellerin zu 2) eine entsprechende Entscheidung (Ver-waltungsakt) überhaupt bekanntgegeben hat; denn der Bescheid vom 27. Februar 2012 ist lediglich an den Antragsteller zu 1) gerichtet, der zwar – zusammen mit der Antragstellerin zu 2) – den Antragsteller zu 3), nicht aber die Antragstellerin zu 2) gesetzlich vertritt; die Vermutung, dass er auch die Antragstellerin zu 2) als Bevollmächtigter vertritt (§ 38 Abs. 1 SGB II), gilt für die Rücknahme von Bewilligungen nicht.

Zudem ist nicht erkennbar, dass die Antragsteller zu 1) und 2) vor dem Erlass des Bescheids vom 27. Februar 2012 zu der beabsichtigten Rücknahme der Bewilligung angehört worden sind, wie dies § 24 Abs. 1 SGB X vorschreibt. Dass der Antragsgegner in dem angefochtenen Bescheid dann ausführt, "entscheidungsrelevante Gründe (seien von den Antragstellern nicht) vorgetragen (worden)", kann mit Fug als zynisch empfunden werden. Ob dieser Mangel der unterbliebenen Anhörung als "geheilt" angesehen oder noch "geheilt" werden kann, kann vorliegend auf sich beruhen.

Auch wegen der unterbliebenen Anhörung ist (noch) nicht abschließend zu klären, ob und ggfl. inwieweit die Antragsteller auf den Bestand der (unterstellt: rechtswidrigen) Bewilligung von Leistungen durch den Bescheid vom 10. Februar 2012 vertraut haben und ihr Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme der Bewilligung schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Dabei wäre zu bedenken, dass der Antragsgegner den
Antragstellern offenbar eine Zusicherung zur Berücksichtigung der Aufwendungen für eine von ihnen anzumietende Wohnung (§ 22 Abs. 4 SGB II) erteilt und auch eine Mietkaution als Bedarf (§ 22 Abs. 6 SGB II) anerkannt hat (Bescheid vom 27. Februar 2012); daraufhin scheinen die Antragsteller entsprechende "Vermögensdispositionen" getroffen zu haben.

Daneben bestehen in der Sache gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Bewilligung von Leistungen. Die Antragsteller zu 1) und 2) haben das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht, sind erwerbsfähig – insbesondere bedürfen sie keiner Arbeitserlaubnis –, haben glaubhaft gemacht, dass sie hilfebedürftig sind, und halten sich – rechtmäßig – gewöhnlich in Deutschland auf (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II); der Antragsteller zu 3) hat zwar das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet und ist nicht erwerbsfähig, lebt aber mit den Antragstellern zu 1) und 2) in einer Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Der Antragsgegner hat den Antragstellern unabhängig davon, ob sie nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 2 SGB II von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen sind, offenbar deshalb Leistungen bewilligt, weil sie Staatsangehörige eines anderen Vertragsstaates des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11. Dezember 1953 sind (dazu BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R –) – allerdings augenscheinlich in Unkenntnis dessen, dass Deutschland am 19. Dezember 2011 einen Vorbehalt zum Europäischen Fürsor-geabkommen angebracht hat, wonach sich die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nicht verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden in gleicher Weise wie ihren eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die im Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen zu gewähren ("In accordance with Article 16, paragraph b, second sentence, of the Convention, the Government of the Federal Republic of Germany does not undertake to grant to nationals of the other Contracting Parties, equally and under the same conditions as to its own nationals, the benefits provided for in Book Two of the Social Code – Basic Income Support for Jobseekers – in the latest applicable version"). Ob dieser Vorbehalt, durch den sämtliche erwerbsfähigen (§ 8 SGB II) hilfebedürftigen Staatsangehörigen der ande-ren Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (aber wohl nicht von Leistungen nach dem Zwölften Buch des
Sozialgesetzbuchs [SGB XII]) ausgeschlossen werden sollen, wirksam ist, was die Antragsteller in Zweifel ziehen lassen (vgl. dazu auch LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 14. Januar 2008 – L 8 SO 88/07 ER – unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2000 – 5 C 29/98 –), kann indes letztlich offen bleiben.

Jedenfalls ist anzunehmen, dass die Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und deren Familienangehörigen keine Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs erhalten, wegen vorrangiger Regelungen des Rechts der Europäischen Union auf die Antragsteller, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind, nicht anzuwenden ist. Wie der Senat bereits erwogen hat (Beschlüsse vom 30. September 2011 – L 14 B 1148/11 B ER – und vom 24. April 2012 – L 14 AS 460/12 B ER –), wird die Vereinbarkeit des in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II geregelten Leistungsausschlusses mit dem Recht der Europäischen Union nach dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 833/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO [EG] Nr. 883/2004), die die VO (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und
abwandern, weitgehend abgelöst hat, zunehmend bezweifelt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August 2011, – L 15 AS 188/11 B ER –; LSG Hessen, Beschluss vom 14. Juli 2011 – L 7 AS 107/11 B ER –).

Die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt nach ihrem Art. 2 Abs. 1 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Fa-milienangehörigen oder Hinterbliebenen. Sachlich gilt diese Verordnung unter anderem für Leistungen bei Arbeitslosigkeit (Art. 3 Abs. 1 Buchst. h) sowie "auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Artikel 70" (Art. 3 Abs. 3). Artikel 70 gilt für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Artikel 3 Abs. 1 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen. Dies sind für Deutschland neben den Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitssuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 SGB II) erfüllt sind (Art. 70 Abs. 2 i.V.m. Anhang X DEUTSCHLAND VO (EG) Nr. 883/2004). Nach Art. 4 VO (EG) Nr. 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats.

Die Antragsteller sind als Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats, die bis zum 31. März 2012 Leistungen nach Rechtsvorschriften, für die die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt, (zumindest "formell" auch rechtmäßig) bezogen haben und für die deshalb "die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten", vom persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 erfasst. Die noch in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 vorgesehene Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereichs nur auf Arbeitnehmer und Selbständige (Art. 2 VO [EWG] 1408/71) ist entfallen. Zu berücksichtigen ist außerdem der Grundsatz der Völker- und Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes, der den Organen der deutschen öffentlichen Gewalt gebietet, Verstöße gegen das Völkerrecht und das Unionsrecht zu vermeiden, soweit dies im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts möglich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2010 – 2 BvF 1/07 – m.w.N.). Dies spricht dafür, dass sich aus der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für alle Unionsbürger nach den gleichen Maßstäben wie für Deutsche ableitet, selbst wenn das Aufenthaltsrecht nur auf der Arbeitssuche beruht.

Soweit andere Senate dieses Gerichts nicht von einer Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II überzeugt sind, weil sich dies nach historisch-systematischer sowie
teleologischer Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nicht herleiten lasse (Beschluss des 20. Senats vom 29. Februar 2012 – L 20 AS 2347/11 B ER –) bzw. weil Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaatenfrei zu bewegen und aufzuhalten vom 29. April 2004 (Unionsbürger-Richtlinie [UnionsbürgerRL]) Vorrang vor der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 genieße (Beschluss des 5. Senats vom 3. April 2012 – L 5 AS 2157/11 B ER –), gewinnt der erkennende Senat hierdurch nicht die Überzeugung, seine vorangestellte Rechtsprechung aufgeben zu müssen. Zwar hat das BSG (Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 14 AS 23/10 R –) das Zweite Buch des Sozialgesetzbuchs als Fürsorgegesetz bezeichnet. Ob es deswegen dennoch eine Leistung sein kann, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert, wie es der Gerichtshof der Europäischen Union gemeint haben könnte (Urteil vom 4. Juni 2009, – verb. Rs. C-22/08 und C-23/08; Vatsouras und Koupatantze gg. Arbeitsgemeinschaft [ARGE] Nürnberg 900), ist nicht auszuschließen. Der Gerichtshof führt als Hinweis, dass diese Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern soll, § 7 Abs. 1 SGB II an, wonach der Betroffene erwerbsfähig sein muss (Rnr. 43). Damit zielt dieser Hinweis auf § 8 SGB II. Es liegt nahe, das vom Gerichtshof angeführte Unterscheidungsmerkmal i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB II zu verstehen. Auch wenn es sich bei den Sozialhilfe-leistungen und den Leistungen nach dem SGB II um bedarfsabhängige steuerfinanzierte Lei-stungen der Grundsicherung handelt, sind sie nicht identische Leistungsarten. Dem Gemeinschaftsgesetzgeber des Art. 24 Abs. 2 UnionsbürgerRL kann nicht unterstellt werden, er habe den Unterschied der beiden Leistungen nicht gekannt. Anderes ergibt sich schon aus Art. 4 Abs. 2a VO (EWG) Nr. 1408/71 im Anhang II a, wonach das Arbeitslosengeld II als "beitragsunabhängige Sonderleistung" eingestuft wurde (Verordnung [EG] Nr. 629/2006 vom 5. April 2006; Fuchs, Deutsche Grundsicherung und europäisches Koordinationsrecht, NZS 2007, 1, 3 ff.). Insoweit deutet einiges daraufhin, dass der Ausschluss von § 24 Abs. 2 UnionsbürgerRL nur auf die Sozialhilfe (i.S.d. SGB XII) – so auch ihr Wortlaut – bezogen worden sein dürfte (vgl. SG Berlin, Urteil vom 29. Februar 2008 – S 37 AS 1403/08 –). Vor diesem Hintergrund ergibt sich aber ein Vorrang dieser Norm nicht, sondern ein anderer Anwendungsbereich, so dass auch nichts aus demselben Erlasstag der Unionsbürger-Richtlinie und der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 abgeleitet werden kann.

Diese Erwägungen, aufgrund derer anzunehmen ist, dass die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen für die Antragsteller zu 1) und 2) rechtswidrig ist, gelten entsprechend für den vom Antragsteller zu 3) erhobenen Anspruch. Auch er wird nicht von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen sein, so dass ihm vorläufig zur Abwendung wesentlicher Nachteile (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Sozialgeld) zu erbringen sind; dabei wird ggfl. Kindergeld als Einkommen zu berücksichtigen sein (§ 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II). Der Senat hält es für sachgerecht, diese vorläufige Regelung bis zum Ende des Zeit-raums zu beschränken, für den der Antragsgegner dem Antragsteller zu 3) ursprünglich (vorläufig) Leistungen bewilligt hat; für die Zeit vor Erlass dieser Entscheidung sind keine Leistungen (vorläufig) zu erbringen.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und Beiordnung des die Antragsteller vertretenden Rechtsanwalts ist abzulehnen, da sie aufgrund der
unanfechtbaren Entscheidung über die Kostenerstattung in der Lage sind, die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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