S 13 KR 66/12

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 13 KR 66/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob und ggf. in welchem Umfang der Kläger auf eine Kapitalleistung einer Versorgungskasse Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (KV) und Pflegeversicherung (PV) zu zahlen hat.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger war seit 1976 bei der Aachener und Münchener Versicherung AG beschäftigt und seitdem (Pflicht-)Mitglied in deren Versorgungskasse (vgl. § 3 der Satzung der Versorgungskasse für die Angestellten der Aachener und Münchener Versicherung AG und der Aachener und Münchener Beteiligungs-Aktiengesellschaft). Seit 01.08.2011 bezieht er eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung und ist seitdem Pflichtmitglied der Beklagten in der Krankenversicherung der Rentner.

Am 17.08.2011 zeigte die Zahlstelle der Versorgungskasse bei der Beklagten an, dass dem Kläger am 25.08.2011 Versorgungsbezüge in Form einer einmaligen Kapitalleistung von 104.493,75 EUR ausgezahlt werden.

Durch Bescheid vom 08.11.2011 stellte die Beklagte – zugleich im Namen der Pflegekasse – die Beitragspflicht der gesamten Kapitalleistung fest. Zur Begründung führte sie aus, dass für die Ermittlung der Beiträge die Kapitalleistung auf zehn Jahre (120 Monate) zu verteilen sei; daraus ergebe sich ein monatlicher Versorgungsbezug von 870,78 EUR. Hierauf betrage ab 01.09.2011 der Monatsbeitrag zur KV 134,97 EUR, zur PV 16,98 EUR, insgesamt 151,95 EUR.

Dagegen erhob der Kläger am 13.11.2011 Widerspruch. Er wies darauf hin, bis 31.12.2003 habe keine Beitragspflicht bestanden, wenn Versorgungsbezüge einmalig ausgezahlt worden seien. Er sehe ein, dass ab 01.01.2004 Beiträge erhoben werden können, und sei auch bereit, diese zu zahlen, nicht aber für die davor liegende Zeit, da dies eine rückwirkende unzulässige Veranlagung sei; er sei bereit, monatlich 12,56 EUR als Beitrag zur KV und PV zu zahlen.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 08.03.2012 – zugleich im Namen der Pflegekasse – zurück. Sie legte ausführlich die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Beitragspflicht von Kapitalleistungen der betrieblichen Altersversorgung auch aus vor dem 01.01.2004 geschlossenen (Alt-)Verträgen dar.

Dagegen hat der Kläger am 13.03.2012 Klage erhoben. Er meint, dass sich auch der Gesetzgeber an Altverträge halten müsse, so wie er an den Vertrag mit der Versorgungskasse seit 1976 gebunden sei. Was das BVerfG entscheide, sei noch lange nicht rechtmäßig. Er wehre sich nicht gegen eine Gesetzesänderung, die ab 2004 eine Beitragspflicht zur KV und PV einführe, wohl aber dagegen, dass auch Altverträge, die vor 2004 geschlossen wurden, in vollem Umfang in die Beitragspflicht einbezogen würden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 08.11.2011 in der Fassung des Wider-spruchbescheides vom 08.03.2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verbleibt bei ihrer in den angefochtenen Bescheiden vertretenen Rechtsauffassung.

Auf Anfrage des Gerichts hat der Kläger bestätigt, dass immer nur er als Arbeitnehmer versicherte Person/Mitglied der Versorgungskasse gewesen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide, die die Beklagte zurecht auch im Namen der Pflegekasse erlassen hat (vgl. § 46 Abs. 2 Satz 4 Elftes Buch Sozialgesetzbuch – SGB XI), nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die von der Versorgungskasse der Aachener und Münchener Versicherung AG ausgezahlte einmalige Kapitalleistung in Höhe von 104.493,75 EUR unterliegt in voller Höhe der Beitragspflicht zur KV und PV. Denn bei dieser Kapitalleistung handelt es sich um eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung im Sinne von § 1 des Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG).

Die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen der betrieblichen Altersversorgung zur KV ergibt aus § 226 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 229 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), zur PV aus § 57 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), der auf die vorgenannten Vorschriften des SGB V verweist. Die Beitragspflicht entfällt, wenn die monatlichen beitragspflichtigen Einnahmen aus Versorgungsbezügen und Arbeitseinkommen insgesamt 1/20 der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches, das waren 2011 monatlich 127,75 EUR, nicht übersteigen (§ 226 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 4 SGB V). Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung, nämlich – wie im Fall des Klägers – eine einmalige Kapitalleistung, so gilt 1/120 der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens für 120 Monate (§ 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V). Wie das BVerfG entschieden hat, ist die Heranziehung von Versorgungsbezügen (auch) in der Form der nicht wiederkehrenden Leistungen – wie die einmalige Kapitalzahlung aus der betrieblichen Altersversorgung – zur Beitragspflicht mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG, Beschluss vom 07.04.2008 – 1 BvR 1924/07; Beschluss vom 06.09.2010 – 1 BvR 739/08; Beschluss vom 28.09.2010 – 1 BvR 1660/08). Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 13.09.2006 – B 12 KR 5/06 R; Urteil vom 25.04.2007 – B 12 KR 25/05 R; Urteil vom 12.12.2007 – B 12 KR 2/07 R; Urteile vom 12.11.2008 – B 12 KR 6/08 R und B 12 KR 9/08 R; Urteil vom 30.03.2011- B 12 KR 16/10 R). Dass sich – nach Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung – die Beitragspflicht aus Versorgungsbezügen auch darauf bezieht, ergibt sich aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (LSG NRW, Urteil vom 14.02.2008 – L 5 KR 77/07). Sodann hat das BVerfG auch schon zu der Änderung des § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V ab 01.01.2004 durch Artikel 1 Nr. 143 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl. I S. 2190) entschieden. Aus dem Beschluss vom 07.04.2008 (1 BvR 1924/07) wird deutlich, dass auch in der Vergangenheit abgeschlossene Verträge rechtmäßig in die Beitragspflicht einbezogen worden sind, diese Änderung also mit dem Grundgesetz vereinbar ist (vgl. ebenso: BSG, Urteil vom 30.03.2011 – B 12 KR 16/10 R).

Unter Beachtung dieser verfassungsrechtlichen Grundsätze ist die Beitragspflicht der gesamten ausgezahlten Kapitalleistung zur KV und PV, auch soweit sie auf Versicherungsbeiträgen vor dem 01.01.2004 beruht, recht- und verfassungsmäßig. Während der gesamten Mitgliedschaft des Klägers in der Versorgungskasse war er als Arbeitnehmer die begünstigte Person. Ein Statuswechsel in dem Sinne, dass er aus dem die Pflichtmitgliedschaft begründenden Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden wäre und die Beiträge – außerhalb des Systems der betrieblichen Altersversorgung – entrichtet hätte, hat nicht stattgefunden. Insofern kann dahinstehen, ob und ggf. in welcher Weise die vom BVerfG zu einem Versicherungsnehmerwechsel bei Direktversicherungen entwickelten Grundsätze (vgl. BVerfG; Beschluss vom 28.09.2010 – 1 BvR 1660/08) auf die Mitgliedschaft in Versorgungskassen übertragbar sind (bejahend für Pensionskassenversicherungsverträge: SG Aachen, Urteil vom 22.05.2012 – S 13 KR 372/11). Aus der beitragspflichtigen Kapitalleistung von 104.493,75 EUR errechnet sich nach Division durch 120 (vgl. § 229 Abs. 1 Satz 3, letzter Halbsatz SGB V) ein monatlicher Bemessungsbetrag von 870,78 EUR. Dieser liegt über der Bagatellgrenze von 127,75 EUR (im Jahre 2011), bis zu dem die Beitragspflicht entfiele. Die Beitragssätze betragen in der KV 15,5 % (§§ 241, 248 S. 1 SGB V) und in der PV 1,95 % (§ 55 Abs. 1 S. 1 SGB XI). Hieraus ergibt sich – wie von der Beklagten richtig gerechnet – ab 01.09.2011 ein monatlicher Beitrag zur KV von134,97 EUR und zur PV von 16,98 EUR, insgesamt 151,95 EUR.
Rechtskraft
Aus
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