L 7 KA 117/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 83 KA 41/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 117/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2009 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid mit Bezug auf das Quartal I/00; streitig ist ein Rückzahlungsbetrag in Höhe von 2.372,26 Euro.

Der Kläger ist zur vertragszahnärztlichen Versorgung im Bezirk der Beklagten zugelassen.

Mit dem Honorarbescheid für das Quartal I/00 vom 19. Juli 2000 behielt die Beklagte unter Buchungsnummer 285 für dieses Quartal Honorar in Höhe von 2.730,- DM (1.395,83 Euro) ein. Der Honorarbescheid begründete den Einbehalt nicht gesondert, führte aber eine Fülle von Umständen auf, im Hinblick auf die die Honorarverteilung unter Vorbehalt erfolge, u.a. im Hinblick auf "Rückforderungen aufgrund HVM-bedingter Kürzungen für die Jahre 1996 bis 1999".

In einem Rundschreiben vom 18. Oktober 2000 wies die Beklagte u.a. darauf hin, dass es zu Honorarkorrekturen für das Quartal I/00 kommen werde; aufgrund noch nicht abgeschlossener Verträge mit der IKK und den BKKen würden diese Rückforderungen aber frühestens im Frühjahr 2001 bekannt sein. Die Verträge mit der IKK und den BKKen schloss die Beklagte bis Juli 2001 vollständig ab.

In einem Sonderrundschreiben vom 10. Dezember 2001 wies die Beklagte auf gerichtliche Auseinandersetzungen in Zusammenhang mit Honorarrückforderungen für die Jahre 1997 bis 1999 hin. Weil die Gründe von Entscheidungen des Landessozialgerichts Berlin vom 5. Dezember 2001 sowie des Bundessozialgerichts vom 31. Oktober 2001 noch nicht vorlägen, sei das weitere Vorgehen offen. Auch für das Quartal I/00, für das noch ein alter HVM gelte, müsse vor abschließender Abrechnung das Vorliegen der Urteilsgründe abgewartet werden. Dies bestätigte die Beklagte zudem in einem an den Kläger gerichteten Schreiben vom 18. Dezember 2001 ("Honorarendabrechnung für das Jahr 2000").

In den Folgejahren erfolgte keine abschließende Honorarabrechnung für das Quartal I/00. Erst mit Bescheid vom 21. März 2007, dem Kläger bekannt gegeben am 6. Juni 2007, nahm die Beklagte eine Honorarberichtigung für das Quartal I/00 vor. Der vom Kläger zurückzuzahlende Betrag belaufe sich auf 2.372,26 Euro; abzüglich des geleisteten Einbehalts von 1.395,83 Euro komme es in der Quartalsabrechnung IV/06 zu einer Lastschrift von noch 976,43 Euro. Zur Begründung führte die Beklagte aus: Mit Urteilen vom 14. Dezember 2005 habe das Bundessozialgericht die Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheide der Beklagten mit Bezug auf die Jahre 1997 bis 1999 für rechtmäßig erklärt. Nach höchstrichterlicher Klärung der HVM-Rechtslage könne und müsse nun auch die noch ausstehende HVM-Anwendung für das Quartal I/00 erfolgen. Aufgrund der Honorareinbehalte im Honorarbescheid I/00, des Rundschreibens vom 18. Oktober 2000, des Sonderrundschreibens vom 10. Dezember 2001 und des Schreibens an den Kläger vom 18. Dezember 2001 habe dieser erkennen können, dass es für das Quartal I/00 noch zu einer abschließenden HVM-Anwendung mit einer Berichtigung des für dieses Quartal vorläufig ausgezahlten Honorars kommen werde. Der vom Kläger geschuldete Rückforderungsbetrag errechne sich auf der Grundlage eines auf alle Vertragszahnärzte entfallenden Honorarberichtigungsvolumens von 5.060.556,07 Euro.

Mit seinem hiergegen erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, der Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid sei rechtswidrig, weil die Rückforderung verjährt sei; die Beklagte hätte innerhalb von vier Jahren nach Erlass des Honorarbescheides I/00 handeln müssen.

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dem Kläger hätte von Anfang an klar sein müssen, dass eine abschließende Berechnung seines Honorars für das Quartal I/00 noch ausstehe. Erst mit den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 2005, die die Beklagte im April 2006 erhalten habe, habe man Gewissheit gehabt über die Tragfähigkeit des auch noch im Quartal I/00 geltenden HVM 1996. Ein umfangreicher EDV-technischer Vorlauf habe dazu geführt, dass die Abrechnung für das Quartal I/00 dann erst zusammen mit der Abrechnung für das Quartal IV/06 habe erfolgen können. Die grundsätzlich geltende vierjährige Verjährungsfrist sei im Falle des Klägers gehemmt gewesen aufgrund der Aussetzung der Widerspruchsverfahren gegen die Berichtigungsbescheide vom 18. Oktober 2000 bis zur abschließenden Revisionsentscheidung des Bundessozialgerichts am 14. Dezember 2005 Die vom Bundessozialgericht entschiedenen Musterverfahren hätten die Rechtmäßigkeit des HVM 1996 und seine Anwendbarkeit auf die Folgejahre zum Gegenstand gehabt. Außerdem habe die Beklagte in jedem Honorarbescheid der Quartale I/00 bis III/06 unter Schlüsselnummer 185 und 285 den vorsorglichen 10%-Einbehalt aus I/00 in Höhe von 2.730 DM gebucht und damit auf die noch ausstehende Honorarberichtigung für dieses Quartal hingewiesen. Im Übrigen sei eine Korrektur rechtswidriger Bescheide auch nach Ablauf von vier Jahren möglich, wenn der Adressat nicht schutzwürdig sei. Angesichts eines Gesamthonorarvolumens von rund 97.000 Euro für das Quartal I/00 stelle der geringfügige Berichtigungsanteil keinen unzumutbaren Nachteil dar. Zudem habe der Kläger die Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides für das Quartal I/00 kennen müssen; er habe Kenntnis von allen maßgeblichen Umständen gehabt und sei auch auf das Ausstehen einer Honorarberichtigung hingewiesen worden. Der Kläger selbst habe – wie eine Vielzahl anderer Berliner Zahnärzte – Widerspruch eingelegt gegen den Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid vom 18. Oktober 2000 und um die Bedeutung der bei dem Bundessozialgericht geführten Musterverfahren gewusst. Insgesamt habe der Kläger daher kein Vertrauen auf den unveränderten Bestand des Honorarbescheides vom 19. Juli 2000 für das Quartal I/00 genossen.

Zur Begründung seiner dagegen erhoben Klage hat der Kläger im Wesentlichen vorgebracht: Der Verfahrensablauf habe den Lauf der maßgeblichen Frist von vier Jahren nicht gehemmt. Die von der Beklagten angeführten und vom Bundessozialgericht am 14. Dezember 2005 entschiedenen Musterverfahren hätten nicht das Quartal I/00, sondern nur die Jahre 1997 bis 1999 betroffen. Auch sonst hätte der Kläger weder einen Grund für zu erwartende Rückforderungen noch etwa deren voraussichtliche Höhe absehen können. Jedenfalls stehe der Rückforderung die Einrede der Verjährung entgegen. Die von der Beklagten in den Honorarbescheid I/00 aufgenommenen allgemeinen Vorbehalte hätten den Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist nicht berührt. Es müsse bei der nach vier Jahren eintretenden Verjährung bleiben, weil keine Vertrauensausschlusstatbestände vorlägen. Insbesondere könne keine Rede davon sein, dass der Kläger etwa die Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides I/00 gekannt habe. Nach jahrelanger Untätigkeit der Beklagten habe er nicht mehr mit einer Honorarberichtigung rechnen müssen. Die Fortschreibung des Einbehalts von 2.730,- DM (1.395,83 Euro) bis zum Quartal III/06 in den jeweiligen Honorarbescheiden habe eine Honorarberichtigung nicht erwarten lassen, denn es habe an der Geltendmachung einer Forderung gefehlt. Der letzte dementsprechende Hinweis der Beklagten sei am 18. Dezember 2001 erfolgt, mithin weit mehr als vier Jahre vor Erlass des Bescheides vom 21. März 2007. Daher bestehe Vertrauensschutz.

Mit Urteil vom 10. Juni 2009 hat das Sozialgericht Berlin den angefochtenen Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid aufgehoben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe die vierjährige Ausschlussfrist mit dem Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid vom 21. März 2007 nicht gewahrt. Diese sei spätestens im Juli 2004 abgelaufen. Zu diesem Zeitpunkt hätten auch keine Unsicherheiten mehr über die Höhe der zu verteilenden Gesamtvergütung bestanden, denn nach dem Rundschreiben der Beklagten vom 18. Oktober 2000 habe nur der Vertragsschluss mit der IKK und den BKK`en im Frühjahr abgewartet werden sollen. Der Fristablauf habe auch keiner Hemmung unterlegen. Verhandlungen zwischen den Beteiligten über den Anspruch hätten nicht geschwebt. Die Beklagte habe "einseitig" auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 2005 gewartet, um hieraus Schlussfolgerungen für das Quartal I/00 zu ziehen. "Verhandlungen" über das streitige Quartal hätten hierin nicht gelegen. Eine Hemmung resultiere auch nicht aus der in jedem Honorarbescheid fortgesetzten Buchung des Einbehalts für das Quartal I/00, denn hierin liege nur eine buchhalterische Position, aber keine Regelung. Alle sonstigen Bekundungen der Beklagten in den Jahren 2000 und 2001 hätten den Ablauf der Ausschlussfrist ebenso wenig gehemmt. Die im Honorarbescheid enthaltenen Vorläufigkeitshinweise allein hätten den Lauf der Ausschlussfrist nicht beeinflusst. Wenn die Beklagte eine Hemmung der Ausschlussfrist hätte herbeiführen wollen, hätte sie den Kläger über ihre Entscheidung in Kenntnis setzen müssen, den Ausgang des Rechtsstreits vor dem Bundessozialgericht in Bezug auf Honorarberichtigungen und Rückforderungen für die Jahre 1997 bis 1999 abwarten zu wollen, bis über die Honorare im Quartal I/00 abschließend entschieden werden könne; so sei die Beklagte aber nicht verfahren, sondern habe den Kläger zwischen Dezember 2001 und Juni 2007 gar nicht weiter informiert. Im Hinblick auf die Vertrauensschutztatbestände aus § 45 Abs. 2 SGB X ergebe sich nichts anderes. Nichts sei dafür ersichtlich, dass der Kläger im Juli 2000 die Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides I/00 kannte oder hätte kennen müssen. Schließlich habe die Beklagte auch die Jahresfrist aus § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X versäumt, denn alle notwendigen Tatsachen seien ihr mit Zustellung der BSG-Entscheidung vom 14. Dezember 2005 im April 2006 bekannt gewesen; der Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid sei aber erst im Juni 2007 bekannt gegeben worden.

Gegen diese ihr am 6. Juli 2009 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 5. August 2009 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorbringt: Dem Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist bzw. einem geschützten Vertrauen des Klägers in den Bestand des Honorarbescheides I/00 hätten sowohl der ausdrückliche Vorbehalt im Honorarbescheid vom 19. Juli 2000 als auch die späteren Bekundungen der Beklagten gegenüber dem Kläger entgegen gestanden. Die bestehenden Ungewissheiten im Hinblick auf die Honorarsituation habe die Beklagte hinlänglich zum Ausdruck gebracht, was auch das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 14. Dezember 2005 (B 6 KA 17/05 R) so gesehen habe. Seinen guten Glauben in den Bestand des Honorarbescheides habe der Kläger spätestens verloren, als er gegen den Honorarberichtigungs- und Rückforderungsbescheid vom 18. Oktober 2000 in Bezug auf die Jahre 1997 bis 1999 Widerspruch eingelegt habe. Es habe ein stillschweigendes Einverständnis zwischen den widerspruchsführenden Zahnärzten und der Beklagten bestanden, die Rechtsfragen um den HVM 1996 höchstrichterlich in Musterverfahren klären zu lassen, was Auswirkungen bis einschließlich zum Quartal I/00 habe nach sich ziehen müssen. Das Abwarten des Ausgangs der Musterverfahren vor dem Bundessozialgericht zur Honorarberichtigung für die Jahre 1997 bis 1999 habe die Bedeutung eines Stillhalteabkommens im Sinne von § 205 BGB. Im Übrigen habe der Kläger die ausstehende Honorarberichtigung anerkannt, indem er die fortlaufende Buchung des Sicherungseinbehalts für das Quartal I/00 widerspruchslos hingenommen habe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Juni 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Für eine Hemmung von Verjährungs- und Ausschlussfristen sei weit mehr erforderlich als ein pauschaler und einseitiger Hinweis auf eventuell noch ausstehende Korrekturen eines Honorarbescheides. Dass der Kläger gegen die Honorarberichtigung und –rückforderung für die Jahre 1997 bis 1999 Widerspruch eingelegt habe, bleibe ohne Auswirkungen auf das Quartal I/00. Von dem von der Beklagten behaupteten "stillschweigenden Einverständnis" im Hinblick auf die noch ausstehende Korrektur des Honorarbescheides I/00 könne keine Rede sein. Die Beklagte habe die für eine Hemmung der Verjährung notwendige individuelle und konkrete Ankündigung einer Honorarberichtigung bzw. Erklärungen für die zeitliche Verzögerung der Honorarberichtigung unterlassen.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das Sozialgericht den Honorarberichtigungs- und -rückforderungsbescheid vom 21. März 2007 aufgehoben. Er ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil er nach Ablauf der vierjährigen Ausschlussfrist ergangen ist und der Kläger Vertrauensschutz im Hinblick auf den Bestand des korrigierten Honorarbescheides besitzt.

Das erstinstanzliche Urteil stellt die rechtlichen Zusammenhänge zutreffend dar und arbeitet insbesondere genau und unter Zitierung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung heraus, dass die Möglichkeit der Honorarberichtigung begrenzt wird durch eine vierjährige Ausschlussfrist. Hierauf und auch auf die weiteren Entscheidungsgründe kann der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen vollständig Bezug nehmen (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

In Würdigung des Vorbringens der Beklagten bleibt vertiefend auszuführen: Der Lauf der Ausschlussfrist beginnt mit der Bekanntgabe des Honorarbescheides für das Quartal I/00 vom 19. Juli 2000. Das Recht der Beklagten zur Änderung dieses Bescheides endete im Interesse der Rechtssicherheit (vgl. hierzu Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 21 Rdnr. 78) vier Jahre später.

Der Lauf der Vierjahresfrist hat sich auch nicht etwa deshalb über den Juli 2004 hinaus verlängert (bzw. war gehemmt), weil fortlaufend Ungewissheit über die Höhe der im Quartal I/00 zu verteilenden Gesamtvergütung bestand (vgl. zu diesem Aspekt Wenner, a.a.O.; Bundessozialgericht, Beschluss vom 27. April 2005, B 6 KA 46/04 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 14, sowie Urteil vom 14. Dezember 2005, B 6 KA 17/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 20). Auseinandersetzungen der Gesamtvertragsparteien wegen der Gesamtvergütung im streitigen Quartal I/00 – und auf dieses kommt es an – waren nämlich nicht dergestalt in der Schwebe, dass der Lauf der Vierjahresfrist in rechtlich relevanter Weise gehemmt gewesen wäre; Schiedsamtsverfahren oder gerichtliche Streitigkeiten waren insoweit nicht anhängig. In ihrem Rundschreiben vom 18. Oktober 2000 hat die Beklagte lediglich angeführt, dass es noch am Vertragsschluss mit IKK und BKK`en fehle, bevor Honorarkorrekturen für das Quartal I/00 vorgenommen werden könnten. Die noch ausstehenden Verträge waren sämtlich im Juli 2001 abgeschlossen. Auf der Grundlage des für das Quartal I/00 geltenden HVM sowie der ausgehandelten Gesamtverträge hätte die Beklagte zur Überzeugung des Senats also schon lange vor Ablauf der Vierjahresfrist einen Honorarberichtigungs- und –rückforderungsbescheid für das Quartal I/00 erlassen können, der auch keinen anderen Entscheidungssatz enthalten hätte als der am 21. März 2007 erlassene. Der frühzeitige Erlass eines solchen Bescheides war auch ohne Weiteres zumutbar und praktikabel; ein gegebenenfalls sich anschließendes Widerspruchsverfahren hätte mit Blick auf bei den Gerichten zum HVM für die Jahre 1997 bis 1999 anhängige Rechtsfragen ruhend gestellt werden können. Der Aspekt der Ungewissheit über die Höhe der zu verteilenden Gesamtvergütung rechtfertigt daher insgesamt nicht die Annahme, die Vierjahresfrist sei bei Erlass des streitigen Bescheides vom 21. März 2007 noch nicht abgelaufen gewesen.

Auch sonst war der mit zunehmendem Zeitablauf gewachsene Vertrauensschutz des Klägers in den Bestand des Honorarbescheides für das Quartal I/00 nicht durchbrochen. Die Geltung der vierjährigen Ausschlussfrist ist nichts anderes als eine Ausprägung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14. Dezember 2005, B 6 KA 17/05 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 14). Die Beklagte hat zur Überzeugung des Senats keine ausreichenden Anstrengungen unternommen, um den Kläger im jahrelangen Zeitraum nach Erlass des Honorarbescheides vom 19. Juli 2000 in einer Weise bösgläubig zu machen, die ihm den grundsätzlich bestehenden Vertrauensschutz genommen hätte.

Hintergrund der hier eingetretenen Verzögerung war der nachvollziehbare Wille der Beklagten, eine abschließende Betrachtung des Quartals I/00 zurückzustellen, bis der Rechtsstreit über die Honorarberichtigungs- und –rückforderungsbescheide für die Jahre 1997 bis 1999 rechtskräftig abgeschlossen war. Rechtlich zwingend war dieses taktische Verhalten allerdings nicht, denn der am 14. Dezember 2005 vor dem Bundessozialgericht abgeschlossene Rechtsstreit (B 6 KA 17/05 R u.a.) bezog sich nicht auf das Quartal I/00, selbst wenn in den streitigen Jahren 1997 bis 1999 derselbe HVM galt.

Der bei der Beklagten bestehende (nur) innere Vorbehalt, das Quartal I/00 erst nach rechtskräftigem Abschluss des für die Jahre 1997 bis 1999 geführten Rechtsstreits abschließend zu bescheiden, hat sich gegenüber dem Kläger allerdings nicht auf rechtlich relevante Weise manifestiert. Wenn eine K(Z)ÄV Zweifel an der Rechtmäßigkeit der konkret anzuwendenden Grundlagen der Honorarverteilung kennt oder im Hinblick auf aktuell geführte rechtliche Auseinandersetzungen kennen muss, ist sie gehalten, darauf durch gezielte Vorbehalte und Vorläufigkeitsvermerke in den Honorarbescheiden hinzuweisen; unterlässt sie dies, kann ihre Berechtigung zur Korrektur von später als fehlerhaft erkannten Honorarbescheiden eingeschränkt sein (vgl. Wenner, a.a.O., Rdnr. 77; Bundessozialgericht, Urteil vom 31. Oktober 2001, B 6 KA 16/00 R, zitiert nach juris, dort Rdnr. 33). Die in den Honorarbescheid vom 19. Juli 2000 aufgenommenen Vorbehalte waren, hieran gemessen, erkennbar zu weit gefasst, zumal zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar war, welchen Rechtsstreit die Honorarberichtigungs- und –rückforderungsbescheide vom 18. Oktober 2000 für die Jahre 1997 bis 1999 nach sich ziehen würden.

Davon abgesehen hat keine der von der Beklagten vorgelegten Veröffentlichungen in der Folgezeit eine ausreichende und nachvollziehbare Verknüpfung gezogen zwischen der konkret für die Jahre 1997 bis 1999 geführten rechtlichen Auseinandersetzung und dem Honorarbescheid für das Quartal I/00. Das Rundschreiben vom 18. Oktober 2000 nahm nur auf die noch nicht abgeschlossenen Verträge mit der IKK und den BKK`en, das Sonderrundschreiben vom 10. Dezember 2001 lediglich auf einen Eilbeschluss des 7. Senats des Landessozialgerichts Berlin vom 5. Dezember 2001 Bezug, dessen schriftliche Begründung abgewartet werden sollte, bevor über das Quartal I/00 entschieden werden könne; dieser Beschluss betraf auch nicht etwa das Quartal I/00, sondern Honorare für die Jahre 1997 bis 1999, enthielt keine abschließende Aussage zur Rechtmäßigkeit des dort angefochtenen Bescheides und verfolgte im Wesentlichen einen spezifisch eilverfahrens- bzw. prozessrechtlichen Ansatz. Nichts anderes ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten an den Kläger vom 18. Dezember 2001. Auch die von der Beklagten mit der Berufung vorgelegte Veröffentlichung aus dem Heft MBZ 04/2001 bezog sich nicht etwa auf ein begründetes Abwarten in Bezug auf das Quartal I/00, sondern verhielt sich nur zu den Bescheiden vom 18. Oktober 2000 für die Jahre 1997 bis 1999.

Schließlich greifen auch die von der Beklagten bemühten Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) zur Hemmung der Ausschlussfrist nicht.

Nach § 45 Abs. 2 SGB I Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB V) gelten für die Hemmung der Verjährung im Sozialverwaltungsrecht die Vorschriften des BGB. Diese Bestimmung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. hierzu und zum Folgenden nur Beschluss vom 27. April 2005, B 6 KA 46/04 B, zitiert nach juris, dort Rdnr. 11) entsprechend auf die Ausschlussfrist für den Erlass von Prüf- und Berichtigungsbescheiden anzuwenden.

"Verhandlungen über den Anspruch" im Sinne von § 203 BGB schwebten zwischen den Beteiligten zu keinem Zeitpunkt. Mit dem "Anspruch" kann nur der Streitgegenstand im engeren Sinne gemeint sein, nämlich die Höhe des Honorars für das Quartal I/00. Eine "Hemmung durch Rechtsverfolgung" im Sinne von § 204 BGB lag ebenfalls nicht vor, denn eine solche wurde, etwa in Gestalt der Erhebung einer Klage oder des Erlasses eines Bescheides, gerade nicht betrieben. Ein Leistungsverweigerungsrecht aufgrund einer diesbezüglichen Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger (§ 205 BGB) bestand nicht, denn an einer solchen Vereinbarung fehlte es unzweifelhaft. Für ein "Stillhalteabkommen" in Bezug auf das Quartal I/00, wie die Beklagte es unterstellt, fehlt jeder Anhaltspunkt. Auch § 212 BGB lässt sich nicht mit Erfolg fruchtbar machen. Danach beginnt die Verjährung erneut, wenn (Nr. 1) der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt. Abgesehen davon, dass schon die Rechtsfolge nicht zum hier gegebenen Sachverhalt passt, ist die auf Verjährungstatbestände zugeschnittene Vorschrift des § 212 BGB grundsätzlich nicht auf Ausschlussfristen entsprechend anwendbar (vgl. nur Grothe in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2012, Rdnr. 1 zu § 212, sowie Bundesgerichtshof, Urteil vom 9. April 2008, VIII ZR 84/07, NJW 2008, S. 2258 [2259]). Der Zweck von Ausschlussfristen besteht darin, für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu sorgen; dem stünde es entgegen, die Möglichkeit ihrer vollständigen Erneuerung zuzulassen. Schließlich greift auch § 215 BGB nicht. Danach schließt die Verjährung die Aufrechnung und die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts nicht aus, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet oder die Leistung verweigert werden konnte. Mit dem angefochtenen Honorarberichtigungsbescheid vom 21. März 2007 erklärte die Beklagte nämlich weder eine Aufrechnung (§ 387 BGB), noch machte sie ein Zurückbehaltungsrecht (im Sinne von § 273 BGB) geltend. Sie machte vielmehr einen Rückforderungsanspruch hinsichtlich überzahlten Honorars geltend und verrechnete diesen mit dem bereits einbehaltenen Betrag. Diese Situation ist nicht zu vergleichen mit der in § 215 BGB gemeinten Konstellation von sich gegenüber stehenden Forderungen. Zudem gilt auch hier dasselbe wie in Bezug auf § 212 BGB: Eine entsprechende Anwendung von § 215 BGB stünde im Widerspruch zu dem Zweck der Ausschlussfrist, nach vier Jahren abschließende Rechtssicherheit herbeizuführen.

Nichts anderes ergibt sich schließlich, wenn man den angefochtenen "Honorarberichtigungsbescheid" als Rücknahmebescheid im Sinne von § 45 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) ansieht. Unabhängig davon, dass eine Rücknahme für die Vergangenheit ohnehin nur erfolgen dürfte, wenn der Kläger die Rechtswidrigkeit des Honorarbescheides für das Quartal I/00 kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 4 Satz 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X; für beides ist nichts ersichtlich), hätte die Rücknahme innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen erfolgen müssen, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Honorarbescheides für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Selbst wenn man hier für den Fristbeginn auf die Zustellung der Urteile des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 2005 (B 6 KA 17/05 R u.a.) gegenüber der Beklagten abstellen wollte, die im April 2006 erfolgte, war die Jahresfrist bei Bekanntgabe des Honorarberichtigungsbescheides am 6. Juni 2007 sicher abgelaufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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