L 19 AS 1926/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 695/11
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1926/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.10.2011 geändert. Der Klägerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt T, J, beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe.

Die Klägerin steht im Bezug von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchendes - (SGB II).

Mit Bescheid vom 22.11.2010 bewilligte die Rechtsvorgängerin des Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagter) der Klägerin - sowie den mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen - für die Zeit vom 01.12.2010 bis 31.05.2011 Leistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 15.12.2010 legten die Klägerin und die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.11.2010 ein. Hierbei wandten sie sich gegen die Berücksichtigung von Elterngeld in Höhe von 300,00 EUR im Monat als Einkommen. Mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2011 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.

Am 21.02.2011 hat die Klägerin Klage erhoben und unter Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid vom 21.01.2011 beantragt, den Beklagten zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Elterngeld zu zahlen.

Nach Erhebung der Klage hat der Beklagte am 14.03.2011, 25.03.2011 und 26.03.2011 Änderungsbescheide betreffend den Zeitraum vom 01.01.2011 bis 31.05.2011 erlassen.

Am 23.05.2011 hat sich Rechtsanwalt T für die Klägerin bestellt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung beantragt. Zur Begründung der Klage hat er ausgeführt, die Höhe der Regelbedarfe seit dem 01.01.2011 sei verfassungswidrig zu niedrig bemessen.

Mit Beschluss vom 19.10.2011, der Klägerin zugestellt am 21.10.2011, hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt T, J, abgelehnt. Auf den Inhalt des Beschlusses wird Bezug genommen.

Hiergegen hat die Klägerin am 26.10.2011 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung verweist sie erneut darauf, dass die Höhe der Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 01.01.2011 aus verfassungsrechtlichen Gründen zu niedrig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte, die sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Klägerin ist Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt T zu gewähren.

Prozesskostenhilfe steht der Klägerin nach § 73 a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zu, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach summarischer Prüfung hinreichende Erfolgsaussicht aufweist.

Hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, wobei diese angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht ohne Schwierigkeiten beantwortet werden kann (Bundesverfassungsgericht - BVerfG - Nichtannahmebeschluss vom 19.07.2010 - 1 BvR 1873/09 = NJW 2010, 3083 ff.= juris Rn. 11; Beschluss vom 19.02.2008 - 1BvR 1807/07 = NJW 2008, 1060 ff. = juris Rn. 23 m.w.N). Nur wenn diese Voraussetzungen vorliegen, läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, den Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht ihres Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten. Das Hauptsacheverfahren eröffnet nämlich den Parteien bessere Möglichkeiten der Entwicklung und Darstellung ihrer Rechtsstandpunkte. Die vertiefte Erörterung im Hauptsacheverfahren bietet dabei auch dem entscheidenden Gericht nicht selten die Möglichkeit seine eigene - im Prozesskostenhilfeverfahren aufgrund summarischer Prüfung - gebildete Rechtsauffassung zu überdenken.

Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage im vorliegenden Fall hat der Beklagte die Höhe der der Klägerin zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben ermittelt und der Klägerin die entsprechenden Leistungen bewilligt. Soweit sie die Anrechnung des Elterngeldes als Einkommen rügt, ist dies - nach summarischer Prüfung - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. dazu ausführlich Beschluss des Senats vom 02.04.2012 - L 19 AS 57/12 B = juris). Darüber hinaus rügt sie lediglich, dass die Ermittlung der konkreten Regelbedarfe durch das Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz - RBEG) vom 24.03.2011 (BGBl. I S 453) verfassungswidrig sei.

Die Höhe des Regelbedarfs ist nach dem Wortlaut der einschlägigen Vorschrift eindeutig festgelegt, eine vom Wortlaut abweichende Auslegung auch unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben nicht möglich. Der Beklagte und die Gerichte sind an die Gesetze gebunden. Die Entscheidungskompetenz hinsichtlich einer Feststellung der Verfassungswidrigkeit obliegt dem Bundesverfassungsgericht. Der Senat hat gegen die Höhe der gesetzlich geregelten Regelbedarfe für die Zeit ab dem 01.01.2011 keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (so auch etwa LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2011 - L 12 AS 3445/11 = juris; Bayerisches LSG, Beschluss vom 10.08.2011 - L 19 AS 305/11 NZB = juris; SG Aachen Urteil vom 20.07.2011 - S 5 AS 177/11 = juris; SG Augsburg, Urteil vom 10.11.2011 - S 15 AS 749/11 = juris). Jedoch ist zu berücksichtigen, dass in der Literatur dezidiert mit ausführlicher und differenzierter Begründung die Auffassung vertreten wird, dass die Neuregelung der Regelbedarfe durch das RBEG nicht den durch das Bundesverfassungsgericht dargelegten Anforderungen entspreche. Im Hinblick auf diesen Diskussionsstand in der Literatur ist unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechtsschutzgleichheit und der Komplexität der Rechtsfrage der Klägerin die Möglichkeit zu eröffnen, ihren Rechtsstandpunkt - Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen der Höhe der Regelbedarfe - darzulegen, um dem Gericht die Möglichkeit des Überdenkens seiner Rechtsauffassung zu geben.

Für den hier streitigen Bewilligungsabschnitt ist auch nach § 73a SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO die Beiordnung eines Rechtsanwalts erforderlich. Eine Beiordnung ist nach dieser Vorschrift dann erforderlich, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig ist oder ein Beteiligter nicht in der Lage ist, seine Rechte angemessen wahrzunehmen (BVerfG Beschluss vom 09.07.2010 - 2 BvR 2258/09). Ob die Beiordnung erforderlich ist, ist stets im Einzelfall zu prüfen (vgl. Beschluss des Senats vom 27.12.2011 - L 19 AS 1538/11 B).

In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich zu beachten, dass ein Anspruch auf Beiordnung eines Rechtsanwalts nicht für die Klärung der betreffenden Rechtsfrage in mehr als einem Verfahren der Klägerin besteht (vgl. dazu auch Beschluss des Senats vom 27.06.2012 - L 19 AS 1899/11 B).

Das Grundrecht auf Rechtsschutzgleichheit, welches auch dem Institut der Prozesskostenhilfe zugrunde liegt, gebietet es nicht, dem unbemittelten Rechtssuchenden für jeden weiteren Bewilligungsabschnitt im Hinblick auf die behauptete Verfassungsmäßigkeit der Regelleistungen Prozesskostenhilfe zu gewähren. Denn durch die in einer Sache gewährte anwaltliche Beratung und Prozessführung wird er in die Lage versetzt, die rechtliche Situation auch in den Parallelfällen hinreichend zu beurteilen. Aus der Erstberatung und den aus ihr hervorgegangenen Dokumenten (Anwaltsschreiben) bezieht der Beratene bei Vorliegen mehrerer sachlich und rechtlich (nahezu) gleich gelagerter Fälle spezifische Rechtskenntnisse, die eine im Prinzip rechtlich anspruchsvolle Materie auch für den Laien handhabbar machen können. Die Verweisung auf Selbsthilfe stellt dann keine unverhältnismäßige Einschränkung der Rechtswahrnehmung dar, weil auch ein kostenbewusster Bemittelter das aufgrund der Erstberatung vorhandene Wissen selbständig auf die späteren Fälle übertragen würde (so zur Beratungshilfe BVerfG, Beschluss vom 30.05.2011 - 1 BvR 3151/10 = NJW 2011, 2711 ff. = juris Rn. 12; Beschluss vom 02.09.2010 - 1 BvR 1974/08 = NZS 2011, 462 f. = juris Rn. 13 ff.).

Vorliegend ist der erste Bewilligungszeitraum des Jahres 2011 streitig, so dass für den vorliegenden Fall die Beiordnung eines Rechtsanwalts in Betracht kommt. Der Erforderlichkeit einer Beiordnung steht auch nicht die Anhängigkeit eines Revisionsverfahrens entgegen (vgl. dazu unter dem Gesichtspunkt eines unechten Musterverfahrens, LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 29.02.2012 - L 14 AS 206/12 B = juris Rn 8; LSG NRW Beschluss vom 15.12.2011 - L 2 AS 1774/11 B; LSG NRW Beschluss vom 04.01.2012- L 12 AS 2100/11 B = juris Rn 2), da die Klage vor Anhängigkeit eines entsprechenden Revisionsverfahrens erhoben wurde.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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