L 14 AS 933/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 53 AS 8520/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 933/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Europäisches Fürsorgeabkommen VO(EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des
Sozialgerichts Berlin vom 13. April 2012 geändert. Das beigeladene Land wird verpflichtet, für die Monate Mai und Juni 2012 Hilfe zum
Lebensunterhalt in Höhe von jeweils 74,80 (vierundsiebzig 80/100) Euro monatlich sowie – gleichfalls vorläufig – für die Zeit ab dem 1. Juli 2012 bis zu einer Entscheidung des Sozialgerichts Berlin in der Hauptsache (S 53 AS 8520/12), längstens jedoch bis zum 30. September 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 374,00 (dreihundertvierundsiebzig) Euro und Kosten der Unter-kunft/Heizung von monatlich 305,95 (dreihundertfünf 95/100) Euro, sofern diese tatsächlich anfallen, zu zahlen. Die Beschwerde des Antragsgegners wird, soweit das Sozialgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 31. März 2012 gegen den Aufhebungsbescheid vom 28. März 2012 und die Aufhebung der Vollziehung angeordnet hat, mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet wird. Die Beschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen. Das beigeladene Land hat dem Antragsteller vier Fünftel, der Antragsgegner ein Fünftel der ihm entstandenen Kosten des Verfahrens zu erstatten. Der Antrag des Antragstellers, ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und den Rechtsanwalt M W beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Der 1974 geborene Antragsteller, der die spanische Staatsangehörigkeit besitzt, hält sich nach seinen Angaben seit Mai 2009 in B auf; am 19. Mai 2009 meldete er der Meldebehörde seinen Einzug in eine im Bezirk F-K gelegene Wohnung. Ab dem 17. August 2009 war der Antragsteller in einer Gaststätte beschäftigt. Am 17. Mai 2011 meldete er den Einzug in eine andere – gleichfalls im Bezirk F-K gelegene – Wohnung. Seit dem 1. März 2012 lebt er zur Untermiete in einem ihm zunächst befristet bis zum "1.05.2012" überlassenen Zimmer in einer Wohnung ebenfalls im Bezirk F-K.

Am 27. Mai 2011 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) zu gewähren. Dabei erklärte er, dass er sich seit dem 15. April 2011 in Deutschland aufhalte. Seinen
Lebensunterhalt habe er bislang durch Gelegenheitsarbeiten als Aktmodell bestritten, worüber er keine Nachweise habe. Er wohne derzeit mietfrei, da er seit dem 26. Mai 2011 wohnungslos sei.

Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller daraufhin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Oktober 2011 in Höhe von 364 Euro monatlich (Bescheid vom 31. Mai 2011) sowie – nach dem Einzug in eine für die Zeit vom 1. September bis 31. Oktober 2011 untergemietete Wohnung – ab dem 1. September bis zum 31. Oktober 2011 zusätzlich Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 341,72 Euro monatlich (Bescheid vom 16. September 2011).

Mit Bescheid vom 11. Oktober 2011 (in der Fassung des Änderungsbescheids vom 26. November 2011) bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller sodann "bis zur Klärung (seines) tatsächlichen Aufenthaltes" vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. November bis 31. Dezember 2011 in Höhe von 364 monatlich bzw. in Höhe von 374 Euro monatlich für die Zeit vom 1. Januar bis 30. April 2012 (jedoch "derzeit" keine Leistungen für Unterkunft und Heizung). Nachdem der Antragsteller mitgeteilt hatte, dass er für die Zeit vom 27. Dezember 2011 bis zum 27. Februar 2012 wieder eine Wohnung (zur Un-termiete) gefunden habe, bewilligte der Antragsgegner ihm für diesen Zeitraum auch Leistungen für Unterkunft und Heizung (in Höhe von 348,95 Euro monatlich; Bescheid vom 17. Januar 2012).

Für die Zeit vom 1. März bis (zunächst) zum 1. Mai 2012 mietete der Antragsteller (wiederum als Untermieter) ein Zimmer in einer weiteren Wohnung (weiterhin im Bezirk F-K), das er nach wie vor bewohnt und möglicherweise auf unbestimmte Zeit mieten kann. Der Antragsgegner bewilligte mit Bescheid vom 12. März 2012 daraufhin für März 2012 auch Leistungen für Unterkunft und Heizung (in Höhe von 305,95 Euro); der Anspruch auf Leistungen für die Zeit ab dem 1. April 2012 werde noch geprüft.

Am 23. März 2012 beantragte der Antragsteller, ihm weiter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 28. März 2012 ab, da der Antragsteller nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keine Leistungen nach diesem Gesetz erhalten könne. Das Europäische Fürsorgeabkommen sei nach dem von der Bundesrepublik Deutschland zu diesem Abkommen abgegebenen Vorbehalt nicht mehr anwendbar. Mit Bescheid vom selben Tag (und mit derselben Begründung) hob der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen für die Zeit ab dem 1. April 2012 auf.

Gegen beide Bescheide legte der Antragsteller am 31. März 2012 Widerspruch ein, die der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheiden vom 16. April 2012 zurückwies; der Antragsteller hat daraufhin am 25. April 2012 Klage beim Sozialgericht Berlin erhoben (S 53 AS 8520/12).

Gleichfalls am 31. März 2012 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den (Aufhebungs-)Bescheid vom 28. März 2012 anzuordnen, ihm vorläufig Leistungen in Höhe von 595,72 Euro für April 2012 und ab dem 1. Mai 2012 in Höhe der "Regelleistung zuzüglich der angemessenen Kosten der Unterkunft" zu gewähren, hilfsweise, das beizuladende Land Berlin vorläufig zu verpflichten, ihm ab dem 1. April 2012 Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) zu bewilligen und auszuzahlen. Er halte sich seit dem 1. Mai 2009 in Berlin auf. Er sei frei-schaffender Künstler und habe drei Bilder verkauft. Mit dem Antragsgegner habe er eine Eingliederungsvereinbarung geschlossen und besuche – wie darin vorgesehen – einen Deutschkurs.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 13. April 2012 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Aufhebungsbescheid vom 28. März 2012 und die Aufhebung seiner Vollziehung angeordnet und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für April 2012 vorläufig Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 305,95 Euro zu gewähren sowie ihm für die Zeit vom 1. Mai bis zum 30. September 2012 vorläufig, längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache, Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs in Höhe von 374 Euro monatlich zuzüglich angemessener Kosten der Unterkunft und Heizung, soweit diese tatsächlich anfielen, zu gewähren. Es bestünden erhebliche Zweifel, ob der Ausschluss (auch) von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs mit dem Recht der
Europäischen Union vereinbar sei. Diese Zweifel seien im vorliegenden Verfahren nicht abschließend zu klären; danach seien dem Antragsteller als Ergebnis einer Folgenabwägung vorläufig existenzsichernde Leistungen zu gewähren.

Gegen diese Anordnung wendet sich der Antragsgegner mit seiner am 20. April 2012 beim Landessozialgericht eingelegten Beschwerde. Er hält – unter Hinweis auf Entscheidungen des 20. und des 29. Senats des Landessozialgerichts – den in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II
geregelten Ausschluss von Leistungen für mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar. Das Europäische Fürsorgeabkommen sei nach dem von der Bundesrepublik Deutschland erklärten Vorbehalt auf Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs nicht mehr anwendbar.

Der Antragsteller hat am 9. Mai 2012 ergänzend beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Widerspruchsbescheide "der Beklagten" vom 16. April 2012 (S 53 AS 8520/12) anzuordnen. Er erklärt, dass er im Februar 2009 seinen Hausrat in Spanien verkauft habe. Von dem Erlös in Höhe von 1.000 Euro habe er dann zunächst in Berlin gelebt. Sechs Monate habe er bei einem "Bekannten für wenig Geld gelebt"; das sei dann nicht mehr gegangen. Manchmal habe er (im Jahr 2009) als Aktmodell für Künstler gearbeitet, an deren Namen und Adressen er sich nicht erinnern könne. Er habe alle zwei bis drei Wochen einen Termin für zwei bis drei Stunden gehabt und dafür ungefähr elf Euro für eine Stunde erhalten. Irgendwann seien die Bilder fertig gewesen und er sei nicht mehr angerufen worden. Die am 17. August 2009 begonnene Beschäftigung in einer Gaststätte habe Mitte September 2009 wieder geendet. Er sei einen Tag krank gewesen und man habe ihm gesagt, er solle nicht mehr kommen. Ferner habe er im Mpark drei Bilder für jeweils 100 Euro an Passanten verkauft. Später habe er bei Freunden gewohnt, die ihm manchmal auch etwas zu essen gegeben hätten. Außerdem habe er gelernt, wo man günstig Essen bekommen könne. Zur Zeit nehme er an einem Deutschkurs mit sechs Unterrichtseinheiten am Tag an fünf Tagen in der Woche teil. Er sei arbeitslos und habe keine (Neben-)Beschäftigung. Die Mieten für April und Mai 2012 habe er bezahlt.

Mit Beschluss vom 2. Mai 2012 hat der Vorsitzende des Senats auf Antrag des Antragsgegners die Vollstreckung aus der einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts mit der Maßgabe ausgesetzt, dass dem Antragsteller für Mai 2012 vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs in Höhe von 80 v.H. zuzüglich der angemessenen Kosten der Unterkunft/Heizung, soweit diese tatsächlich anfallen, unverzüglich auszuzahlen sind.

Mit Beschluss vom 25. Mai 2012 hat der Senat das beigeladene Land als Träger der Sozialhilfe nach dem SGB XII beigeladen, da dessen Verpflichtung zur (vorläufigen) Erbringung von Leistungen in Betracht komme. Das beigeladene Land, das bereits mit Bescheid vom 4. Mai 2012 die Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs abgelehnt hat (wogegen der Antragsteller nach seinen Angaben Widerspruch eingelegt hat), meint, dass der Antragsteller keine Leistungen nach diesem Gesetz beanspruchen könne, da er nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs als Erwerbsfähiger "dem Grunde nach" leistungsberechtigt sei. Auch unter Berücksichtigung des Europäischen Fürsorgeabkommens habe der
Antragsteller keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs, da aufgrund des Abkommens nur ein Anspruch auf "Fürsorge" unter den gleichen Bedingungen wie für die eigenen Staatsangehörigen bestehe.

Mit (weiterem) Beschluss vom 1. Juni 2012 hat der Vorsitzende des Senats seine Anordnung vom 2. Mai 2012 geändert und den Antrag des Antragsgegners auf Aussetzung der Vollstreckung aus der einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts mit der Maßgabe abgelehnt, dass dem Antragsteller ab 1. Juni 2012 vorläufig Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs in Höhe von 80 v.H. zuzüglich der angemessenen Kosten der Unterkunft/Heizung, soweit diese tatsächlich anfallen, unverzüglich
auszuzahlen sind; im Übrigen (für die Monate April und Mai 2012) verbleibe es bei dem Be-schluss vom 2. Mai 2012.

Der Antragsgegner hat dem Antragsteller mit Bescheiden vom 4. Mai und 4. Juni 2012 vorläufig Leistungen in Höhe von jeweils 605,15 Euro (299,20 Euro "Regelleistung" sowie 305,95 Euro "Unterkunftskosten") bewilligt und ausgezahlt.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners hat überwiegend Erfolg; an seiner Stelle hat das beigeladene Land vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts des Antragstellers zu erbringen.

Es ist glaubhaft gemacht – und wird weder vom Antragsgegner noch vom beigeladenen Land auch nur ansatzweise in Zweifel gezogen –, dass der Antragsteller, der zwar das 15. Lebensjahr vollendet, aber noch nicht die Altersgrenze nach § 7a SGB II erreicht hat (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 7a SGB II), erwerbsfähig ist (§§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 8 SGB II) und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II), derzeit sowohl hilfebedürftig i.S.d. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und 9 SGB II ist wie auch seinen notwendigen
Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen bestreiten kann (§ 19 Abs. 1 SGB XII). Hierbei darf bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, soweit es um die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller geht, nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt werden. Umstände der Vergangenheit dürfen nur insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstel-lers ermöglichen (BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05 – juris). Aus Aktenlage und Vorbringen der Beteiligten lässt sich nichts anderes ableiten, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt Hilfebedürftigkeit glaubhaft gemacht ist. Danach könnte der Antragsteller Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs haben.

Im vorliegenden (Eil-)Verfahren unterstellt der Senat zugunsten des Antragsgegners indes, dass der Antragsteller nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keine Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach diesem Gesetzbuch beanspruchen kann, da er sich lediglich "zur Arbeitsuche" in Deutschland aufhält. Zwar spricht einiges dafür, dass diese Regelung nicht mit Vorschriften des europäischen Unionsrechts, insbesondere nicht mit der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO [EG] Nr. 883/2004) vereinbar ist (vgl. Beschluss des Senats vom 27. April 2012 – L 14 AS 763/12 B ER–; a. A. bspw. der 5. und 20. Senat des
erkennenden Gerichts, Beschlüsse vom 29. Februar 2012 – L 20 AS 2347/11 B ER – bzw. 3. April 2012 – L 5 AS 2157/11 B ER – alle in juris); allerdings ist diese – in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstrittene – Frage höchstrichterlich noch nicht geklärt. Ebenso wenig geklärt ist, ob der von Deutschland am 19. Dezember 2011 erklärte Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953, wonach "(d)ie Regierung der Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung (übernimmt), die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatangehörigen zuzuwenden" (Bekanntmachung vom 31. Januar 2012, BGBl. II S. 144), wirksam ist; dazu liegen – soweit ersichtlich – erst zwei obergerichtliche Entscheidungen (des 19. Senat und des 25. Senats des erkennenden Gerichts, Beschlüsse vom 9. Mai 2012 – L 19 AS 794/12 B ER – juris bzw. vom 23. Mai 2012 – L 25 AS 837/12 B ER – bislang nicht veröffentlicht) vor.

Sollte der Antragsteller – wie der Antragsgegner und wohl auch das beigeladene Land annehmen – nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keine Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs beanspruchen können und dieser Leistungsausschluss mit höher- bzw. vorrangigem Recht vereinbar und insbesondere der nunmehr von Deutschland erklärte Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen wirksam sein, hätte der Antragsteller allerdings Anspruch auf Leistungen (Hilfe zum Lebensunterhalt) nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs. Er hält sich tatsächlich in Deutschland auf (§ 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII), und es ist – wie bereits erwogen – glaubhaft gemacht, dass er seinen notwendigen
Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen bestreiten kann (§ 19 Abs. 1 SGB XII). Einem Anspruch steht nicht die Regelung in § 21 Satz 1 SGB XII entgegen, wonach Personen, die nach dem Zweiten Buch als Erwerbsfähige "dem Grunde nach leistungsberechtigt" sind, keine Leistungen für den Lebensunterhalt (nach dem Zwölften Buch) erhalten. Denn der Antragsteller wäre, wenn er denn wegen der Regelung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II keine Leistungen nach dem Zweiten Buch beanspruchen könnte, von den dort vorgesehenen Leistungen ausgeschlossen und danach gerade nicht "dem Grunde nach leistungsberechtigt (nach dem Zweiten Buch)" (in diesem Sinn bereits LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 3. November 2006 – L 20 B 248/06 AS ER – und 27. Juni 2007 – L 9 B 80/07 AS ER –; Sächsisches LSG, Be-schluss vom 4. Januar 2011 – L 7 SO 28/10 B ER –, ferner SG Konstanz, Beschluss vom 5. November 2009 – S 3 AS 2665/09 ER – [alle juris] sowie W. Eicher, in: jurisPK-SGB XII, § 21 Rn. 26 f. SGB XII).

Einem Anspruch steht ferner nicht entgegen, dass nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben; diese Regelung ist gegenüber dem Antragsteller, der im Besitz einer
Bescheinigung über sein Aufenthaltsrecht nach § 5 FreizügG/EU ist und sich somit "erlaubt" in Deutschland aufhält (bzw. dessen Aufenthalt jedenfalls als erlaubt "gilt"), aufgrund des Europäischen Fürsorgeabkommens nicht anzuwenden (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 14 AS 23/10 R –, juris). Nach Artikel 1 dieses Abkommens ist Deutschland verpflichtet, ihm in gleicher Weise wie den eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der deutschen Gesetzgebung vorgesehen sind. Einen Vorbehalt, dass sie sich nicht verpflichtet, Staatsangehörigen der anderen Vertragstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens die im Zwölften Buch des Sozialgesetzbuchs vorgesehenen Leistungen in gleicher Weise wie ihren eigenen Staatsan-gehörigen und unter den gleichen Bedingungen zu gewähren, hat die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nicht erklärt.

Diese auch das Europäische Fürsorgeabkommen berücksichtigende Auslegung der §§ 21 Satz 1 und 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII vermeidet jedenfalls eine Verletzung der von Deutschland übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen; sie führt im Übrigen dazu, dass die Wirk-samkeit des von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zum Europäischen Fürsorgeabkommen erklärten Vorbehalts nicht deshalb in Frage gestellt werden kann, weil dadurch Deutschland das Abkommen in unzulässiger Weise teilweise – für alle erwerbsfähigen Staatsangehörigen der anderen Vertragstaaten – gekündigt hätte (auch deswegen an der Wirksamkeit des Vorbehalts zweifelnd der 25. Senat des erkennenden Gerichts, Beschluss vom 23. Mai 2012 – L 25 AS 837/12 B ER –). Vielmehr bleiben den durch das Fürsorgeabkommen
geschützten Staatsangehörigen der anderen Vertragstaaten die Ansprüche, die ihnen vor dem Inkrafttreten des Zweiten und Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs nach dem seinerzeit geltenden Bundessozialhilfegesetz zustanden, erhalten; die Ansprüche aufgrund des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs entsprechen denen aufgrund des außer Kraft getretenen Bundessozialhilfegesetzes – und sind im Übrigen im Kern auch denen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs vergleichbar. Lediglich darüber hinausgehende Ansprüche (etwa Leistungen zur Eingliederung in Arbeit, aber auch eine großzügigere Regelung bei der Berücksichtigung von Vermögen) stünden den vom Fürsorgeabkommen Begünstigten nicht zu. Eine völkerrechtliche Verpflichtung, derartige Vergünstigungen auch Staatsangehörigen anderer Vertragstaaten zu gewähren, besteht aber aufgrund des Fürsorgeabkommens nicht. Nach alledem hat das beigeladene Land dem Antragsteller vorläufig die zur Sicherung seines Lebensunterhalts erforderlichen Leistungen (Hilfe zum Lebensunterhalt) zu erbringen, soweit nicht bereits der Antragsgegner Leistungen aufgrund der Anordnung des Sozialgerichts vom 13. April 2012 erbracht hat. Hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung war die
Einschränkung vorzunehmen, soweit diese (ab 1. Juli 2012) tatsächlich anfallen, denn der Antragsteller soll möglicherweise erst Mieter der Wohnung werden, in der er zur Zeit als Untermieter lebt. Aufgrund des vom Antragsteller am 23. März 2012 gestellten Antrags war dem
beklagten Land, das nicht nur Träger der Sozialhilfe, sondern auch ein Träger des Antragsgegners (kommunaler Träger) ist, bekannt, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen (§ 18 Abs. 1 SB XII). Soweit der Antragsgegner allerdings Leistungen (Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts) für April 2012 bereits bewilligt hat (Bescheid vom 11. Oktober 2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 26. November 2012), hält es der Senat mit Rück-sicht auf die Vorläufigkeit seiner jetzigen Entscheidung für angezeigt, es bei der vom Sozialge-richt angeordneten aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. – jetzt – der Klage gegen die von dem Antragsgegner verfügten Aufhebung jener Bewilligung zu belassen, so dass insoweit der Antragsgegner dem Antragsteller noch diese Leistungen zu erbringen hat; ggfl. wird das beklagte Land sie zu erstatten haben. Aufgrund der Vorläufigkeit seiner Entscheidung belässt es der Senat auch an der faktischen Zahlungsverpflichtung des Antragsgegners für die Monate Mai und Juni 2012. Mag der Antragsgegner aus heutiger Sicht hierfür nicht zuständig gewesen sein, so kann er dem mit einem entsprechenden Erstattungsantrag (§§ 103 ff. SGB X) beim Beigeladenen begegnen, sofern er dies noch nicht bereits getan haben sollte (siehe Beschluss vom 1. Juni 2012).

Soweit das Sozialgericht für diesen Bewilligungsmonat noch die Kosten der Unterkunft in Höhe von 305,95 Euro zugesprochen hatte, vermochte der Senat dies nicht zu teilen. Der Antragsteller hatte zwar ursprünglich diesbezüglich mit seinem Antrag einen Betrag von "595,72" Euro geltend gemacht. Auf Nachfrage des Sozialgerichts aber mit Schriftsatz vom 3. April 2012 klarstellend erklärt, "dass bis 30.04.2012 die Anordnung der aufschiebenden Wirkung begehrt wird". Ausgehend hiervon, ist ein auf die Kosten der Unterkunft gerichtetes Begehren für diesen Monat nicht (mehr) zu erkennen.

Die Entscheidung über die Kostenerstattung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 193 Abs. 1 und 197a Abs. 2 Satz 1 SGG. Danach hat das beigeladene Land, dass im Wesentlichen unterliegt, dem Antragsteller vier Fünftel der ihm für das Verfahren entstandenen Kosten zu erstatten; im Übrigen hat ihm der Antragsgegner, dessen Rechtsmittel nur teilweise Erfolg hat, die ihm entstandenen Kosten zu einem Fünftel zu erstatten.

Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist dem Antragsteller nicht zu bewilligen, da er in Folge der (unanfechtbaren) Entscheidung über die Kostenerstattung in der Lage ist, die Kosten der Rechtsverfolgung selbst aufzubringen (§ 114 Satz 1 ZPO i.V.m.§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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