L 14 AS 1460/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 93 AS 12692/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 1460/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des
Sozialgerichts Berlin vom 29. Mai 2012 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin A W für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat zu Recht die aufschiebende Wirkung der – nunmehr erhobenen – Klage (SG Berlin, Az.: S 93 AS 12692/12) gegen den Aufhebungsbescheid vom 20. April 2012 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Mai 2012 angeordnet und, soweit die Bescheide schon vollzogen waren, die entsprechende Nachzahlung einbehaltener Leistungen verfügt. Ursprünglich waren dem Antragsteller, der spanischer Staatsangehöriger ist und sich seit Januar 2011 mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in B aufhält, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) u.a. für den Bewilligungsabschnitt vom 1. Februar 2012 bis 31. Juli 2012 (Bewilligungsbescheid vom 31. Januar 2012) vorläufig (, weil der Gas-Abschlagsplan nicht mehr aktuell war) gewährt worden, die durch die zuerst genannten Bescheide schließlich ab 1. Juni 2012 aufgehoben worden sind, weil der Antragsteller gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II aus-geschlossen sei.

Die vom SG im Rahmen von § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vor-genommene Interessenabwägung ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Offen bleiben kann, ob der von Deutschland am 19. Dezember 2011 erklärte Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953, wonach "(d)ie Regierung der Bundesrepublik Deutschland keine Verpflichtung (übernimmt), die im Zweiten Buch Sozialge-setzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatangehörigen zuzuwenden" (Bekanntmachung vom 31. Januar 2012, BGBl. II S. 144), wirksam ist; dazu liegen – soweit ersichtlich – erst zwei obergerichtliche Entscheidungen (des 19. Senat und des 25. Senats des erkennenden Gerichts, Beschlüsse vom 9. Mai 2012 – L 19 AS 794/12 B ER – juris bzw. vom 23. Mai 2012 – L 25 AS 837/12 B ER – bislang nicht veröffentlicht) vor. Selbst wenn der Leistungsausschluss mit dieser – vom Antragsgegner geführten – Begründung zutreffend wäre, stellt sich darüber hinaus die Frage, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtswidrig ist.

Hierzu teilt der Senat bislang die Auffassung, dass § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht mit Vorschriften des europäischen Unionsrechts, insbesondere nicht mit Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur
Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO [EG] Nr. 883/2004) vereinbar ist (vgl. Beschluss des Senats vom 27. April 2012 – L 14 AS 763/12 B ER– juris; a. A. bspw. der 5. und 20. Senat des erkennenden Gerichts, Beschlüsse vom 29. Februar 2012 – L 20 AS 2347/11 B ER – bzw. 3. April 2012 – L 5 AS 2157/11 B ER – alle in juris). Zwecks Vermeidung von Wiederholungen seiner Entscheidungsgründe verweist der Senat auf diese veröffentlichte
Entscheidung. Zweifel an der persönlichen und sachlichen Anwendbarkeit gemäß Art 1, 2 der VO [EG] Nr. 883/2004 auf den Antragssteller hat der Senat nicht. Der Antragsteller war seit seiner Einreise bis 28. Juli 2011 als Arbeitnehmer bei einem Touristikunternehmen in B sozialversicherungspflichtig tätig, wie sich aus den in der Behelfsakte vorliegenden Abrechnungen der Brutto/Netto-Bezüge ergibt. Insoweit stellt sich ohnedies die Frage, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II anzuwenden ist. Der Antragsteller dürfte nicht "allein" zur Arbeitsuche in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist sein, sondern um eine Arbeit aufzunehmen. Die abschließende Klärung dieser Frage wird dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müssen.

Soweit mit Blick auf § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU zu erwägen ist, bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung bleibe das Recht auf Freizügigkeit (nur) während der Dauer von sechs Monaten unberührt und aufgrund des (Vor-)Leistungsbezuges vom 1. August 2012 bis 28. Februar 2012 (Bewilligungsbescheid vom 28. September 2012) sei der Übergangszeitraum verbraucht, macht dies gerade den Widerspruch zu Art. 4 VO [EG] Nr. 883/2004 deutlich, wonach Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates haben, sofern in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Der Antragsgegner wird nicht in Abrede stellen können, dass der Antragsteller in dem deutschen Arbeitsmarkt integriert gewesen ist, bevor er erstmalig im August 2011 Leistungen nach dem SGB II beantragt und später auch bezogen hatte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG in entsprechender Anwendung.

Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist dem Antragsteller nicht zu bewilligen, da er in Folge der (unanfechtbaren) Entscheidung über die Kostenerstattung in der Lage ist, die Kosten der Rechtsverfolgung selbst aufzubringen (§ 114 Satz 1 ZPO i.V.m. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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