L 6 AS 1589/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 25 AS 258/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1589/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 67/12 R
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Revision mit Urteil zurückgewiesen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.08.2010 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten der Kläger auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Höhe der Kosten der Unterkunft (KdU) für die Zeit vom 01.02.2009 bis zum 30.04.2009 im Streit.

Die 1960 in Russland geborene Klägerin zu 1) und ihr 1994 geborener Sohn B., der Kläger zu 2), bildeten zusammen mit dem 1987 geborenen Sohn/Bruder E. (im Folgenden: E) eine Bedarfsgemeinschaft und erhielten vom Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die KdU, die der Beklagte direkt an den Vermieter zahlte, beliefen sich für die 63 qm große Wohnung auf insgesamt 526,50 EUR monatlich (Kaltmiete: 406,50 EUR, Heizkostenvorauszahlung: 50,00 EUR, Betriebskostenvorauszahlung: 50,00 EUR, Hausmeisterpauschale: 12,00 EUR, SAT-/Antennenpauschale: 8,00 EUR).

Durch Bescheid vom 13.10.2008 bewilligte der Beklagte den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.11.2008 bis 30.04.2009. Die KdU übernahm er in tatsächlicher Höhe und berücksichtigte sie den Kopfanteilen der Bedarfsgemeinschaft entsprechend bei jedem Mitglied mit einem Drittel (175,50 EUR). Dem E entzog er nach vorangegangenen Sanktionen durch Bescheid vom 06.01.2009 gestützt auf § 31 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 SGB II das ihm bewilligte Arbeitslosengeld II für die Monate Februar bis April 2009 vollständig. Der Bescheid ist bestandskräftig.

Innerhalb des Bewilligungszeitraums berechnete er die Leistungen wegen anzurechnenden Einkommens der Klägerin zu 1) neu (Bescheide vom 06.01., 01.02., 18.02. und 18.03.2009). Dabei berücksichtigte er bereits die erfolgte Sanktion, indem er den auf E entfallenden KdU-Anteil für die Monate Februar bis April 2009 auf 0 setzte. Einen entsprechend um ein Drittel gekürzten Betrag überwies er an den Vermieter.

Durch den angefochtenen Bescheid vom 02.04.2009 setzte der Beklagte erneut die Leistungen für die Monate Februar bis April 2009 wegen zu berücksichtigenden Einkommens der Klägerin zu 1) neu fest. Mit ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch beanstandeten die erstmalig anwaltlich vertretenen Kläger die Höhe der KdU: Der Wegfall des bei E berücksichtigten Anteils sei rechtswidrig. Die Sanktion eines Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft dürfe andere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nicht beeinträchtigen. Wegen der anteiligen Reduzierung der KdU, seien bereits Mietrückstände entstanden, deren Begleichung der Vermieter angemahnt habe. Die Klägerin zu 1) halte es nicht für richtig, dass E zumutbare Arbeit ablehne, sie habe E seit Wochen nicht mehr gesehen.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2009 zurück. Nach neuerlicher intensiver Prüfung der Sach- und Rechtslage sei festzustellen, dass - dies führte er im Einzelnen aus - die verhängten Sanktionen wegen wiederholter Pflichtverletzungen rechtlich nicht zu beanstanden seien. Der Entzug auch der KdU sei rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 5 Satz 5 SGB II seien nicht erfüllt. E habe durch sein Verhalten nachhaltig dokumentiert, dass er nicht bereit sei, seine Weigerungshaltung aufzugeben und seinen Pflichten nachzukommen. Bei vollständiger Kürzung der Leistungen sei der Beklagte zur Zahlung des auf E entfallenden Anteils nicht verpflichtet.

Mit ihrer hiergegen am 09.10.2009 erhobenen Klage haben die Kläger ihr Begehren weiterverfolgt. Sie meinen, es sei unzulässig, wenn sich eine Sanktion gegen ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auf die anderen Mitglieder erstrecke. Dies gelte insbesondere in den Fällen, in denen jüngere Hilfebedürftige in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern lebten und die Eltern im Außenverhältnis zum Vermieter für die Zahlung der Unterkunftskosten einzustehen hätten. Der auf den von der Sanktion Betroffenen entfallende Unterkunftskostenanteil sei daher für die Dauer der Sanktion den Eltern zuzurechnen.

Das Sozialgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den Klägern vom 01.02.2009 bis 30.04.2009 weitere Leistungen für der KdU in Höhe von 175,50 EUR monatlich zu gewähren (Urteil vom 16.08.2010). Es könne offen bleiben, ob die mit Bescheid vom 06.01.2009 festgestellte vollständige Absenkung des Arbeitslosengeldes II gegenüber E rechtmäßig gewesen sei und ob die Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides in einem Verfahren der anderen Mitglieder ohne Beteiligung des E überprüft werden könne. Hiervon unabhängig rechtfertige jedoch bereits die Fallgestaltung ein Abweichen von dem Prinzip der Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfzahl, da ein Festhalten an diesem Prinzip auf eine Sippenhaftung hinausliefe, die dem Sozialrecht fremd sei. Ihnen werde das Fehlverhalten eines volljährigen Familienmitgliedes zugerechnet. Dem stehe aber schon der personenbezogene Charakter einer Sanktion nach § 31 Abs. 1 oder 4 SGB II entgegen, die allein den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen treffen solle, dem ein sanktionswürdiges Verhalten vorzuwerfen sei. Aus den Gesetzesmaterialien im Zusammenhang mit der Verschärfung der Sanktionen für unter 25-Jährige zum 01.08.2006 (BT-Drucks. 16/1696, 27 f.) ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung. Mit der Neuregelung habe der Gesetzgeber auf häufig nicht erreichte erzieherische Wirkungen reagieren wollen. Mit den Verschärfungen habe er allein den Personenkreis der unter 25-Jährigen im Blick gehabt und nicht die mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen. Im Außenverhältnis zum Vermieter bestehe aber für die übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft - zumeist die Eltern - nach wie vor eine mietvertragliche Verpflichtung zur Entrichtung des vollständigen Mietzinses für die gemeinsam genutzte Wohnung. Da die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft den fehlenden Mietanteil letztlich nur unter Rückgriff auf die ihnen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts gewährten SGB II - Leistungen ausgleichen könnten, entstünden entweder wie hier Mietrückstände oder es trete im Sanktionszeitraum eine spürbare Bedarfsunterdeckung bei den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft ein. Dies widerspreche dem in § 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 4 SGB II angelegten Grundsatz familiengerechter Hilfe, wonach die familienspezifischen Lebensverhältnisse von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die Kinder erziehen, berücksichtigt werden sollten. Des Weiteren unterstreiche auch der Gesichtspunkt des individuellen Anspruchs, dass hier vom Regelfall, die KdU nach Kopfteilen zuzuordnen, abgewichen werden müsse. Der junge Hilfebedürftige selbst erhalte insoweit keine Leistungen mehr und die anderen im Außenverhältnis dem Vermieter verpflichteten Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erhielten die Mittel, um ihren zum Erhalt auch der eigenen Wohnung erforderlichen Verpflichtungen nachzukommen. Nicht zu entscheiden sei, ob bei der vorliegenden Fallgestaltung von dem Grundsatz der Aufteilung der KdU nach Kopfzahl nur dann abgewichen werden könne, wenn die sanktionierte Person in einer Bedarfsgemeinschaft mit minderjährigen Geschwistern lebe. Denn in der Bedarfsgemeinschaft des E lebte auch sein jüngerer Bruder, der zum damaligen Zeitpunkt 15 Jahre alte Kläger zu 2).

Gegen das am 02.09.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 16.09.2010 die vom Sozialgericht zugelassene Berufung eingelegt. Die Aufteilung nach Kopfteilen mit Rücksicht auf die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verstoße gegen das Individualprinzip. In Fällen wie diesem sei eindeutig, dass schließlich auch die KdU für die Sanktionszeit vollständig wegfielen. Jedenfalls sei für das SGB II keine gewichtige Gerechtigkeitslücke bei Sanktionsfolgen anzunehmen. Der Betroffene habe die Möglichkeit zur "Reue"-Erklärung. Der Leistungsträger könne zudem durch KdU-Leistungen im Ermessenswege bei sehr einschneidenden Wirkungen eingreifen. Des weiteren bezwecke diese Sanktionierung mit ihren Folgen auch einen gewissen "Sozialdruck" durch die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gegenüber dem sanktionierten jungen Erwachsenen. Bestätigt werde die bisherige gesetzgeberische Intention zudem durch die seit April 2011 geltende Neufassung in § 31 a Abs. 2 Satz 2 SGB II (nF). Die Rechtsanwendung des Sozialgerichts widerspreche dem Prinzip der Gewaltenteilung. Bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Sanktionsregelung sei eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht geboten.

Im Berufungsverfahren hat der Beklagte unter Hinweis auf die bislang dem Gericht nicht bekannten Bescheide vom 06.01., 01.02., 18.02. und 18.03.2009 die Auffassung vertreten, bei dem angefochtenen Bescheid vom 02.04.2009 handele es sich mit Blick auf die KdU nur um eine wiederholende Verfügung. Anlass für den Bescheid vom 02.04.2009 sei lediglich eine geänderte Einkommensanrechnung gewesen. Einem Bescheid, der eine verhängte Sanktion umsetze, komme von vorneherein kein eigenständiger Regelungscharakter zu.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 16.08.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Klägerin zu 1) hat vor dem Senat erklärt, sie könne sich nicht erinnern, die von der Beklagten vorgelegten Bescheide erhalten zu haben. Erst im Zusammenhang mit der Anmahnung von Mietrückständen habe sie anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen und gegen den Bescheid vom 02.04.2009 Widerspruch eingelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die kraft Zulassung statthafte und im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Recht unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 02.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2009 verurteilt, den Klägern für die Monate Februar bis April 2009 weitere KdU in Höhe von 175,50 EUR monatlich zu zahlen. Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), als der Beklagte die KdU für diesen Zeitraum um den zuerkannten Betrag zu niedrig festgesetzt hat.

Der Bescheid vom 02.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2009 ist von den Klägern mit der Klage eindeutig (s etwa BSG Urt v 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn 17) nur hinsichtlich der Höhe der KdU als abgrenzbarem Streitgegenstand (vgl. etwa BSG aa0 und Urt v 24.11.2011 - B 14 AS 15/11 R Rn 11 - jeweils mwN) angefochten worden. Diese Klage ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt insoweit eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung vor. Der angefochtene Bescheid ist zur Höhe der KdU keine lediglich wiederholende Verfügung, die keine Rechtsfolge setzt. Jedenfalls in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat - und in dieser Einheit werden Ausgangs- und Widerspruchsbescheid Gegenstand der Klage (§ 95 SGG) - , handelt es sich auch aus Sicht des verständigen Empfängers (BSG Urt v 30.06.1999 - B 2 U 24/98 R - Rn. 22) um einen sog. Zweitbescheid, der ungeachtet zuvor über denselben Gegenstand getroffener bestandskräftiger Regelungen erneut den Rechtsweg eröffnet (vgl im Überblick Engelmann in: von Wulffen SGB X 7. Auflage 2010 § 31 Rn. 32 mwN; s auch BSGE 68, 228). Selbst wenn in dem ursprünglichen Bescheid vom 02.04.2009 mit Blick auf zu berücksichtigendes Einkommen eine Regelung nur zur Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes getroffen worden sein sollte, hat der Beklagte doch im Widerspruchsbescheid über die den Klägern zustehenden KdU entschieden. Denn er hat es nicht etwa unter Hinweis auf seine bisherigen Bescheide abgelehnt, erneut in eine Sachprüfung einzutreten, sondern vielmehr ausdrücklich hervorgehoben, er habe die Sach- und Rechtslage erneut und intensiv geprüft. Die Prüfung erstreckte sich ausweislich des Begründungsteils auf die Rechtmäßigkeit der Sanktionen und auf die Höhe der KdU der Kläger als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Dabei hat es der Beklagte nicht dabei belassen, die KdU in der um ein Drittel reduzierten Höhe als zwangsläufige Folge der Sanktionen/der letzten Sanktion des E zu begründen; er hat sich vielmehr bewusst dafür entschieden, den durch die Sanktion entfallenen Anteil an den KdU der Bedarfsgemeinschaft als Ausfall zuzuordnen.

Ist der Bescheid vom 02.04.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2009 aber ein Zweitbescheid und steht damit die zur Höhe der KdU getroffene Regelung zur gerichtlichen Überprüfung an, kommt es auf die Wirksamkeit der vorangegangenen Bescheide ab dem 06.01.2009 nicht an. Damit erübrigte sich die Feststellung, ob diese Bescheide den Klägern bekannt gegeben worden sind.

Die Kläger haben nach Maßgabe des § 22 Abs. 1 S 1, S 3 SGB II Anspruch auf Übernahme der KdU für die Zeit vom 01.02.2009 bis zum 30.04.2009 in der tatsächlichen Höhe ohne Abzug des auf E entfallenden Anteils.

Die Kläger gehörten zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II und haben dem Grunde nach Anspruch auf Übernahme der KdU. Beide hatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs. 1 S 1 Nr. 4 SGB II). Die im Jahre 1960 geborene Klägerin zu 1) war erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 S 1 Nr. 2 SGB II), hatte das 15. Lebensjahr vollendet, die Altersgrenze nach § 7 a SGB II aber noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGB II). Der 1994 geborene Kläger zu 2) lebte mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft, beide waren hilfebedürftig, der Kläger zu 2) verfügte über kein eigenes Einkommen oder Vermögen, die Klägerin zu 1) erzielte in dem hier in Rede stehenden Zeitraum nur das berücksichtigte Einkommen, das schon den eigenen Bedarf nicht deckte (§ 7 Abs. 1 S 1 Nr. 3 SGB II).

Die o.a. für die Wohnung der Kläger aufzuwendenden und aufgewandten Kosten sind als KdU für die Zeit vom 01.02. bis zum 30.04.2009 in voller Höhe zu übernehmen. Die Kläger haben Anspruch auf Übernahme jeweils des hälftigen Anteils ohne Abzug des auf E entfallenden Kopfanteils.

Dabei kann offen bleiben, ob es sich bei den tatsächlichen Aufwendungen von insgesamt 526,50 EUR monatlich für die 63 qm große Wohnung (Kaltmiete: 406,50 EUR, Heizkosten-vorauszahlung: 50,00 EUR, Betriebskostenvorauszahlung: 50,00 EUR, Hausmeisterpauschale: 12,00 EUR, SAT-/Antennenpauschale: 8,00 EUR) auch um angemessene Aufwendungen handelte (§ 22 Abs. 1 S 1 SGB II). Mit Blick auf die von den Klägern möglicherweise geltend gemachten Zweifel am Fortbestand der dreiköpfigen Bedarfsgemeinschaft bedarf es in diesem Zusammenhang auch keiner abschließenden Beurteilung, ob E in dem hier in Rede stehenden Zeitraum noch Mitglied der Bedarfsgemeinschaft war oder nicht (zur Bedeutung der Zahl der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft für die Prüfung der Angemessenheit s BSG Urt v 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R Rn 23).

Waren nämlich die Aufwendungen für die dreiköpfige Bedarfsgemeinschaft bereits unangemessen und geht man vom Fortbestand dieser Bedarfsgemeinschaft aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen aus, dann bestand deshalb keine Obliegenheit, die Kosten zu senken, weil der Beklagte die Kläger nicht aufgefordert hatte, die Kosten zu senken. Regelmäßig muss der Leistungsträger den Leistungsberechtigten zur Kostensenkung auffordern, um ihm über die aus seiner Sicht angemessenen Kosten Klarheit zu verschaffen (vgl. BSG Urt v 30.08.2010 - B 4 AS 10/10 R Rn 21). Nur mit dieser Kenntnis ist es dem Leistungsberechtigten (subjektiv) möglich, die Kosten auf den angemessenen Umfang zu senken (BSG aa0). Anhaltspunkte dafür, dass ausnahmsweise eine solche Aufforderung entbehrlich gewesen sein könnte, sieht der Senat nicht; die Kosten der Wohnung für und bezogen auf eine dreiköpfige Bedarfsgemeinschaft hatte der Beklagte bisher übernommen.

Sind die Aufwendungen erst deshalb unangemessen geworden, weil E nicht mehr der Bedarfsgemeinschaft zuzurechnen war, bedarf es ebenfalls einer Kostensenkungsaufforderung. Selbst wenn man unterstellen wollte, dass die Aufklärung und Warnung einer Kostensenkungsaufforderung (s BSG Urt v 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R - Rn 40) über die geänderte Festsetzung der KdU in den Bescheiden ab dem 06.01.2009 erfolgt ist, die die Kläger nach ihrem Vortrag anscheinend nicht erhalten haben wollen (zur Entbehrlichkeit der Aufforderung vgl BSG Urt v 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R - Rn 39; v 07.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - Rn 29), fehlt es dann aber an der zeitlichen Vorgabe, bis wann die Reduzierung zu erfolgen habe (vgl BSG Urt v 19.03.2008 - B 11b AS 41/06 R - Rn 21). Eine in der geänderten Festsetzung konkludent enthaltene Aufforderung, die Kosten (schon) ab dem 01.02. und (nur) für die Zeit bis zum 30.04.2009 zu senken, genügte aber nicht den Vorgaben nach § 22 Abs. 1 S 3 SGB II. Nur bei einer absehbaren längerfristigen und einer endgültigen Veränderung in der Mitgliederzahl der Bedarfsgemeinschaft ist es für die verbliebenen Mitglieder möglich und zumutbar, die entstehenden Gesamtkosten zu mindern und die Wohnverhältnisse an die dauerhafte alleinige Nutzung der Wohnung nunmehr nur noch durch zwei statt drei Personen der Familie anzupassen. Schon wegen der kurzen Vorlaufzeit zwischen Erteilung des ersten Änderungsbescheides vom 06.01.2009 und Herabsetzung der KdU mit Wirkung ab dem 01.02.2009 wäre es den Klägern nicht möglich gewesen, auf die geänderten Vorgaben zeitgerecht angemessen zu reagieren. Es war ihnen aber auch mit Blick auf den nur vorübergehenden Zeitraum, in dem die Kosten um ein Drittel zu kürzen gewesen wären, nicht zumutbar. Auf der Zeitachse besteht eine solche Obliegenheit dann nicht, wenn die Kostensenkung - wie hier mit drei Monaten - einen von vorneherein auf weniger als sechs Monate beschränkten Zeitraum betrifft (so BSG Urt v 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn 23).

Waren die Kosten angemessen oder als unangemessene trotzdem zu übernehmen und bestand die dreiköpfige Bedarfsgemeinschaft fort, ist entgegen der Auffassung des Beklagten für die Anwendung des Kopfteilprinzips in dieser Zeit ausnahmsweise (zur grundsätzlichen Anwendung dieses Prinzip vgl BSG Urt v 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R - Rn 24; s auch Urteile v 24.02.2011 - B 14 AS 61/10 R - ; v 27.08.2008 - B 14/11b AS 55/06 R -; v 27.01.2009 - B 14/7b AS 8/07 R -; v 19.03.2008 - B 11b AS 13/06 R -) dann kein Raum, wenn dem dritten Mitglied der Bedarfsgemeinschaft auf der Grundlage eines bestandskräftigen Sanktionsbescheids der Anspruch auf KdU entzogen wurde.

Der Anrechnung des auf E entfallenden Kopfteils als "fiktiven" zulasten der Kläger steht entgegen, dass dann ihre (tatsächlichen) Aufwendungen nicht mehr gedeckt sind. Damit wird die durch die Aufteilung nach Kopfanteilen verfolgte Zielsetzung konterkariert. Denn die Aufteilung rechtfertigt sich nicht nur daraus, dass die Wohnung gemeinsam mit anderen Personen genutzt wird (vgl etwa BSGE 97, 265 Rn 28), sondern dass der aktuell bestehende Unterkunftsbedarf gerade mehrerer Personen gedeckt wird (BSG Urt v 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - Rn 19). Mit dem anteiligen Wegfall bei der Übernahme der Aufwendungen kommt es aber es zu einer (vorübergehenden) Unterdeckung eines bisher durch die gemeinsame Nutzung dieser Wohnung gedeckten Bedarfs und Anspruchs, da die Verpflichtung der Leistungsberechtigten zur Zahlung der KdU im Außenverhältnis unverändert fortbesteht (vgl zu den Auswirkungen von Sanktionen auf andere Leistungsberechtigte in der Bedarfsgemeinschaft Geiger info also2010, 3).

Ist mit der Anrechnung des Kopfteils eine Lücke im eigenen Bedarf der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft entstanden, wird ihnen (mittelbar) ein Fehlverhalten zugerechnet, auf das sie jedenfalls bei über 18jährigen Mitgliedern ihrer Bedarfsgemeinschaft grundsätzlich keinen rechtlich relevanten Einfluss haben (s Boerner in Löns/Herold-Tews SGB II 3. Aufl. § 22 Rn 19, 23). Eine Auflösung der Bedarfsgemeinschaft entspricht nicht den mit den speziellen Bestimmungen für diesen Personenkreis verfolgten wirtschaftlichen und pädagogisch wirkenden Absichten (s auch SG Aurich Beschl v 06.06.2008 - S 25 AS 298/08 ER - ; zustimmend LSG Nds-Bremen Beschl v 08.07.2009 - L 6 AS 335/09 B ER - Rn 9, 13).

Die Auswirkungen auf (die) andere(n) Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft widerspricht auch dem personenbezogenen Charakter der Sanktion. Sanktionen nach § 31 SGB II aF haben den Zweck, einen Pflichtverstoß zu ahnden und/oder unzureichenden Bemühungen zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit entgegenzuwirken. Sie richten sich deshalb sinnfällig nur gegen die Person, die sich pflicht- oder sozialwidrig verhalten hat. Noch deutlicher ist das bei den strengeren Sanktionen gegen jüngere Erwachsene bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, die einen erzieherischen Effekt erreichen sollen (BT-Drucksache 16(11)108, S. 29; 16(11)114, S. 46; LSG Nds-Bremen Beschl v 08.07.2009 - L 6 AS 335/09 B ER - Rn 9).

Gehören wie hier mit dem Kläger zu 2) im Leistungszeitraum minderjährige Kinder der Bedarfsgemeinschaft an, widerspricht jedenfalls dann die Unterdeckung der KdU durch Anrechnung eines fiktiven Kopfanteils auch deren besonderem Bedarf (vgl auch Wolf/Diehm SozSich 2006, 195) und dem in § 1 Abs 1 S 4 Nr 4 SGB II niedergelegten Grundsatz familiengerechter Hilfe (s LSG Nds-Bremen Beschl v 08.07.2009 - L 6 AS 335/09 B ER - Rn 11; Boerner in Löns/Herold-Tews aa0). Müsste der Kopfanteil des sanktionierten Mitglieds von den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft übernommen und aus dem Regelbedarf bestritten werden, engen sich die grundsätzlich verbliebenen Handlungsspielräume noch einmal zusätzlich ein.

Bei Berücksichtigung des fiktiven Kopfanteils in diesen und vergleichbaren Fällen würde mittelbar nicht nur der individuelle Anspruch auf Deckung der tatsächlichen/angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung unterlaufen. Darüber hinaus wäre der Leistungsträger der wirtschaftliche Nutznießer der Sanktion - zulasten der anderen Leistungsberechtigten der Bedarfsgemeinschaft. Diese würden durch den ungedeckten Anteil an KdU mit Schulden belastet und/oder der auf eine bestimmte Wohnung mit angemessenen Aufwendungen gerichtete Wohnbedarf wäre gefährdet.

Die Auffassung des Beklagten, die Sanktionsentscheidung über den vollständigen Entzug der KdU müsse über den fiktiven Kopfanteil in den Ansprüchen der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft abgebildet werden, offenbart schließlich auch einen in dieser Form ungelösten Wertungswiderspruch. Die Umsetzung einer Sanktion hat anderen Kriterien zu genügen als die Senkung als unangemessen erkannnter KdU: Um - auch pädagogisch - zu wirken, bedarf es bei der Sanktion gerade einer raschen Umsetzung, damit auf die Zukunft gerichtet und dem etwa auch in § 2 Abs. 1 S 1 und § 14 Abs. 1 S 1 SGB II normierten gesetzgeberischen Anliegen entsprechend verhaltensbedingte Hemmnisse und Reibungsverluste bei der Wiedereingliederung kurzfristig und nachhaltig verringert werden. Bei der Senkung der Kosten der Unterkunft wird gerade ein Vorlauf gefordert und eingeräumt, um dem Wohnbedarf in der konkreten Situation in seinen rechtlichen wie tatsächlichen Aspekten Rechnung zu tragen. Dies kommt etwa in dem Instrument der Kostensenkungsaufforderung zum Ausdruck, die durch den vom Beklagten für zulässig gehaltenen Automatismus ebenso leer liefe wie die in § 22 Abs. 1 S 3 SGB II gesetzten Schranken der Möglichkeit und Zummutbarkeit.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage als gegeben angesehen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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