L 4 SO 297/11 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 28 SO 66/11 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 SO 297/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. Oktober 2011 geändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, bis zur Entscheidung im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt, Az.: S 28 SO 195/11, längstens jedoch bis zum Ende des Schuljahres 2012/2013, vorläufig die Kosten eines/einer Integrationshelfers/-helferin für die Beschulung des Antragstellers in der XY-Schule in A-Stadt im Umfang von 18 Stunden wöchentlich in gesetzlicher Höhe gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000,00 EUR zu übernehmen. Die Sicherheit kann auch durch selbstschuldnerische, unwiderrufliche, unbefristete und unbedingte Bankbürgschaft einer als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen deutschen Bank oder durch Hinterlegung beim Amtsgericht geleistet werden.

Im Übrigen werden der Antrag abgelehnt und die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger ¾ seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Integrationshilfe während des Schulbesuchs.

Der Antragsteller ist im Jahr 2003 geboren. Das Autismus-Therapieinstitut in AI. hat bei ihm einen atypischen Autismus diagnostiziert. Der Antragsteller besucht die 2. Klasse der XY Grundschule in A-Stadt; der Besuch der Schule ist durch Bescheid des Staatlichen Schulamtes für den Landkreis AM. und die Stadt AL. vom 2. September 2010 gemäß § 86 Hessisches Schulgesetz (HSchG) gestattet. Die Schule verfolgt das Konzept der inklusiven Beschulung und hat sich dem Modellprojekt "Begabungsgerechte Schule" angeschlossen. In diesem Schulversuch gibt es nach Angaben der Schulleiterin (Stellungnahme vom 14. März 2012) eine systemische Ressourcenzuweisung für Kinder mit Förderbedarf Lernen. Es erfolgt nach Erlass des Hessischen Kultusministeriums vom 31. Januar 2009 über die Genehmigung des Schulversuchs (Az: II.3 - 170.000.084 - 51) keine Feststellung eines möglichen sonderpädagogischen Förderbedarfs im Sinne der Schule für Lernhilfe. Die Klasse des Antragstellers erhält sieben Wochenstunden mit einer zusätzlichen Förderlehrerin, die zur Förderung aller Kinder verwendet werden, die alle auf der Grundlage eines individuellen Förderplans differenziert unterrichtet werden. Ziel des Schulversuchs ist es, bestmögliche Lernfortschritte für Schülerinnen und Schüler aller Begabungsebenen zu gewährleisten.

Im September 2010 hat der Antragsteller einen Integrationshelfer für den Besuch der Grundschule beantragt und die Auffassung vertreten, er benötige für den Schulbesuch eine Integrationskraft, die ihm während des Unterrichts zur Seite stehe und ihm beispielsweise beim Bereitlegen der Arbeitsmaterialien behilflich ist. Aufgrund seiner Behinderung sei er während des Unterrichts oftmals nicht selbständig in der Lage, die Arbeitsmaterialien entsprechend der Aufforderung seiner Lehrerin aus der Tasche zu holen. In Folge dessen könne er an den Übungen oftmals nicht richtig teilnehmen.

Der Antragsgegner hat den Antrag nach Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme vom 8. September 2010 mit Bescheid vom 12. November 2010 abgelehnt. Aus der amtsärztlichen Stellungnahme geht hervor, dass sich beim Antragsteller aufgrund der vorliegenden medizinischen und pädagogischen Unterlagen recht deutlich eine schwerwiegende Behinderung abzeichne, er somit grundsätzlich dem berechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe zuzurechnen sei. Der amtsärztliche Dienst komme zu dem Ergebnis, dass ein Bedarf an Beschulung an einer Schule für praktisch bildbare Kinder bestehe. Die Schule und die JV. Kinder- und Jugendpsychiatrische Ambulanz Q Stadt befürworteten die Gewährung einer Integrationshilfe. Es sei eine Kostenübernahme aus den Mitteln der Eingliederungshilfe nicht möglich, die erforderlichen Hilfestellungen bezögen sich ausnahmslos auf Aufgaben, die den Kernbereich pädagogischer Arbeit beträfen, d. h. das gewünschte Personal solle das Umsetzen des gebotenen Unterrichtsstoffs gewährleisten bzw. selbst die von den Pädagogen vorgegebenen Regeln vermitteln. Über den Einsatz zusätzlichen pädagogischen Personals oder pädagogischen Hilfspersonals habe ausschließlich der Schulträger zu entscheiden. Die erforderlichen Hilfestellungen seien in vollem Umfang von dem seitens des Schulträgers eingesetzten Personal abzudecken. Ein zusätzlicher Eingliederungsbedarf aus Mitteln der Sozialhilfe sei nicht gegeben.

Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Antragstellers blieb erfolglos, gegen den Widerspruchsbescheid vom 14. November 2011 hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht Darmstadt (Az.: S 28 SO 195/11) erhoben.

Mit dem am 23. März 2001 beim Verwaltungsgericht Y. erhobenen und von diesem mit Beschluss vom 29. März 2001 an das im Rechtsweg zuständige Sozialgericht Darmstadt verwiesenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Antragsteller die Bewilligung der Kosten eines/einer Integrationshelfers/Integrationshelferin für seine Beschulung in der XY-Schule bis zur Entscheidung in der Hauptsache begehrt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von Lehrerinnen des Antragstellers im Erörterungstermin am 31. Mai 2011. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Aussagen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Mit Beschluss vom 26. Oktober 2001 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt und ausgeführt, der Antrag sei zulässig, aber unbegründet. Es bestehe bereits kein Anordnungsanspruch. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII seien Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne von Hilfen zur Erlangung einer angemessenen Schulbildung vorgesehen. Die Hilfe müsse erforderlich und geeignet sein, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern (Hinweis auf Grube/Wahrendorf, Kommentierung zum SGB XII, § 54 Rdnr. 30 f.). Ziel der Eingliederungshilfe sei, dem behinderten Kind den Schulbesuch zu ermöglichen. Das bedeute, dass ihm Hilfestellungen gegeben werden, um am Schulunterricht teilnehmen zu können. Die Eingliederungshilfe verfolge jedoch nicht das Ziel, den Lernstoff zu ergänzen oder zu vertiefen. Es handele sich daher bei der Eingliederungshilfe um Hilfen, die den externen Bereich der Schule beträfen und nicht den internen Bereich, d. h. den Schulunterricht selbst. Vorliegend werde vorgetragen, dass der Antragsteller Anweisungen der Lehrerin, z. B. bestimmte Arbeitsmaterialien bereit zu legen und mit diesen zu arbeiten, nicht befolge. Dabei sei er nicht aufgrund körperlicher Beeinträchtigungen daran gehindert, die Arbeitsmaterialien herauszuholen, sondern seine fehlende Mitarbeit beruhe nach den Aussagen seiner Lehrerinnen darauf, dass er eine besondere Ansprache und intensive Zuwendung benötige, die innerhalb des Klassenverbands aus Zeitgründen und mit Rücksicht auf das Lernbedürfnis der anderen Kinder nicht zu leisten sei. Die inhaltlichen Belange des Schulunterrichts seien jedoch nicht von der Eingliederungshilfe umfasst. Es sei Aufgabe der jeweiligen Schule, den Schulunterricht inhaltlich so zu gestalten, dass die Schüler den Lernstoff inhaltlich aufnehmen könnten. Gerade von dem von der Schule des Antragstellers verfolgten Konzept der inklusiven Beschulung sei eine intensive Förderung von Schülern mit besonderem Förderungsbedarf zu erwarten. Das Konzept der inklusiven Beschulung bedeute, dass nicht behinderte und behinderte Kinder in einer Klasse beschult würden. Grundgedanke dieses Schulkonzepts sei, dass Kindern mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen der Zugang zu einem einbeziehenden, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht ermöglicht werden solle. Innerhalb des allgemeinen Bildungssystems sollten angemessene Vorkehrungen getroffen und die notwendige Unterstützung geleistet werden, um eine erforderliche Bildung zu erleichtern. Gelinge die Förderung eines Schülers innerhalb der inklusiven Beschulung nicht, sei ggf. der Besuch einer besonderen Förderschule im Sinne einer Sonderschule in Erwägung zu ziehen.

Gegen den ihm am 31. Oktober 2011 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 15. November 2011 Beschwerde beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.

Der Antragsteller trägt vor, das Sozialgericht verkenne, dass der Hilfebedarf behinderungsbedingt sei und nicht pädagogische und/oder inhaltliche Belange des Schulunterrichts betreffe. Der Bedarf beruhe auf der bestehenden Autismuserkrankung, d. h. auf einer nicht körperlichen, sondern geistigen Behinderung. Die Zeugin WW. habe dargelegt, dass und warum es sich allein und ausschließlich um die Herstellung der Voraussetzungen gehe, die die Vermittlung inhaltlicher Unterrichtsbelange erst möglich machten. Die in der XY-Schule praktizierte inklusive Beschulung entspreche den Vorgaben von Art. 24 UN-BRK und § 51 Abs. 1 HSchG, demzufolge sie als Regelform in der allgemeinen Schule stattzufinden habe. Sie bedürfe jedoch der Unterstützung durch die beantragte Integrationshilfe.

Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
den Beschluss des Sozialgerichts Darmstadt vom 26. Oktober 2011 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, bis zu Entscheidung über die in der Hauptsache erhobene Klage (Sozialgericht Darmstadt, Az.: S 28 SO 195/11) die Kosten eines/einer Integrationshelfers/-helferin für seine Beschulung in der XY-Schule in A-Stadt zu bewilligen.

Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner hält den Beschluss des Sozialgerichts für zutreffend. Der Antragsteller habe bereits einen Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht, er habe nicht glaubhaft gemacht, dass der Schulbesuch als solches gefährdet sei, die bisherige Beschulung habe ohne Integrationshelfer stattgefunden, ohne dass der Antragsteller eine hieraus folgende nachhaltige Gefährdung des Schulziels dargelegt habe. Die gewünschten Hilfestellungen würden ganz überwiegend den Kernbereich der pädagogischen Arbeit betreffen. Die Schule habe im Rahmen ihres Projekts "Begabungsgerechte Schule" auch schwächere Schüler zu fördern. Kleinere Handreichungen und Hilfestellungen könnten zudem durch Mitschüler erfolgen.

Der Senat hat Stellungnahmen der XY-Schule, Grundschule des Kreises AM. vom 14. März 2012 und vom 20. März 2012 sowie des Staatlichen Schulamtes für den Landkreis AM. und die Stadt AL. vom 16. März 2012 beigezogen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist teilweise begründet. Der Antragsgegner ist im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, bis zu Entscheidung im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt, Az.: S 28 SO 195/11, längstens jedoch bis zum Ende des Schuljahres 2012/2013, vorläufig die Kosten eines/einer Integrationshelfers/-helferin für die Beschulung des Antragstellers in der XY-Schule in A Stadt im Umfang von 18 Stunden wöchentlich in gesetzlicher Höhe gegen Sicherheitsleistung zu übernehmen. Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet und der Antrag abzulehnen.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Nach § 920 Abs. 2 ZPO sind der Anordnungsanspruch und der Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Gemäß § 53 Abs. 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Dem leistungsberechtigten Personenkreis gehört der Antragsteller im Hinblick auf die bei ihm bestehende Autismuserkrankung an, was zwischen den Beteiligten im Übrigen auch unstreitig ist.

Der Senat sieht darüber hinaus auch die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Bewilligung von Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne eines Integrationshelfers/einer Integrationshelferin als dem Grunde nach glaubhaft an.

Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 SGB IX insbesondere Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu; die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemein Schulpflicht bleiben unberührt. Ergänzend bestimmt § 12 Nr. 1 der nach § 60 SGB XII erlassenen Eingliederungshilfe-Verordnung, dass hiervon auch Maßnahmen der Schulbildung zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher umfasst sind, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen eine im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht üblicherweise erreichbare Bildung zu ermöglichen.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist für den Senat glaubhaft, dass es sich bei dem Besuch der XY-Schule um eine angemessene Beschulung des Antragstellers handelt. Zwar fehlt es an einer Entscheidung der Schulbehörde über den angemessenen Schulbesuch im Sinne einer Zuweisung nach § 54 Abs. 4 und 5 HSchG, die hinsichtlich der Angemessenheit der Schulbildung sozialhilferechtlich Tatbestandswirkung entfalten würde (vgl. hierzu Urteil des 6. Senats des erkennenden Gerichts vom 18. August 2010, L 6 SO 5/10 unter Hinweise auf BVerwG, Urteil vom 28. April 2005, 5 C 20/04, s. auch Wehrhahn in Juris-PK SGB XII, § 54 Rdnr. 48 m. w. N.). Der Bescheid des zuständigen Staatlichen Schulamtes vom 2. September 2010 beinhaltet lediglich eine Gestattung im Sinne von § 66 HSchG über die örtliche Zuständigkeit der Schule, jedoch keine Entscheidung darüber, in welchem Umfang die Beschulung nach den Bestimmungen des Schulrechts den geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Antragstellers entspricht. Eine solche Entscheidung über die Feststellung eines möglichen sonderpädagogischen Förderbedarfs im Sinne der Schule für Lernhilfe (Förderschule) ist nach dem Erlass des Hessischen Kultusministeriums vom 31. Januar 2009 zur Genehmigung des an der XY Schule stattfindenden Schulversuchs "Begabungsgerechte Schule" – worauf sowohl das Staatliche Schulamt in seiner Stellungnahme vom 16. März 2012 als auch die Schule selbst hinweisen – nicht vorgesehen, was dem Konzept der inklusiven Beschulung in der allgemeinen Schule nach § 51 HSchG in der zum 1. August 2011 in Kraft getretenen Fassung entspricht, nach dem inklusive Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Anspruch auf sonderpädagogische Förderung und ohne diesen Förderanspruch als Regelform in der allgemeinen Schule stattfindet. Nachdem grundsätzlich den Anspruch auf sonderpädagogische Förderung sowohl die allgemeinen Schulen als auch die Förderschulen erfüllen (§ 49 Abs. 2 HSchG, vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 18. Dezember 2009, 7 K 597/09.F) verbleibt hiernach vorliegend im Ergebnis die Entscheidung, ob der Antragsteller in der allgemeinen Schule inklusiv beschult wird oder die unmittelbare Aufnahme in die Förderschule beantragt wird (§ 54 Abs. 1 Satz 2 HSchG), bei den Eltern des Antragstellers im Rahmen ihres schulrechtlich gegebenen Wahlrechts.

Dieses schulrechtliche Wahl- bzw. Bestimmungsrecht ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 2007, 5 C 35/06, BVerwGE 130, 1, zur integrativen Beschulung) von dem Antragsgegner als Träger der Sozialhilfe zu respektieren. Das BVerwG (a.a.O.) hat hierzu – noch nach der insoweit jedoch vergleichbaren Rechtslage des BSHG - ausgeführt, dass sowohl der Besuch der Förderschule als auch eine integrative Beschulung gleichermaßen geeignet seien, die Schulpflicht zu erfüllen, bedeute aus sozialhilferechtlicher Perspektive nicht, dass wegen der schulrechtlichen Möglichkeiten des Besuchs einer Förderschule eine integrative Beschulung zum Erreichen einer angemessenen Schulbildung schon nicht im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG, § 12 Nr. 1 EinglHVO "erforderlich" sei, das Kind nach dem Nachranggrundsatz (§ 2 Abs. 1 BSHG) zumutbar auf den Besuch der Förderschule verwiesen werden dürfe oder es sich bei der für das Kind getroffenen Entscheidung der Eltern für eine integrative Beschulung und damit für eine Förderung durch den dort erreichbaren "integrativen Mehrwert" lediglich um einen auf die Gestaltung der Hilfe bezogenen Wunsch handele, dem der Mehrkostenvorbehalt (§ 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG) entgegengehalten werden könne. Das schulrechtlich eröffnete Wahl- und Bestimmungsrecht für eine integrative Beschulung wirke auf das Sozialhilferecht ein und sei vom Träger der Sozialhilfe hinzunehmen. Für die Anwendung und Auslegung des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG, § 12 EinglHVO und die hierbei de lege lata anzuerkennenden Einwirkungen des schulrechtlich bestehenden Wahl- und Bestimmungsrechtes seien dabei die Grundrechte der Kinder und der Eltern aus Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 GG und der besondere verfassungsrechtliche Schutz von Menschen mit Behinderung (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) ungeachtet dessen zu berücksichtigen, dass aus ihnen kein umfassender, verfassungsrechtlich verbürgter, unmittelbarer Leistungsanspruch auf die Ermöglichung einer integrativen Beschulung unabhängig davon folge, ob der dafür benötigte personelle und sächliche Aufwand mit vorhandenen Personal- und Sachmitteln bestritten werden könne. Nichts anderes kann zur Überzeugung des Senats unter Berücksichtigung der einschlägigen schulrechtlichen Normen nach den inhaltsgleichen Vorschriften des SGB XII für die inklusive Beschulung des Antragstellers gelten, welcher daher entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht nach dem Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) auf die Möglichkeit des Besuchs der Förderschule verwiesen werden darf.

Weiterhin sieht der Senat auch die Erforderlichkeit von Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Integrationshelfers/einer Integrationshelferin für die Beschulung des Antragsteller im Umfang von 18 Zeitstunden wöchentlich im Hinblick auf den von ihm mit Schriftsatz vom 22. März 2011 vorgelegten derzeitigen Stundenplan als glaubhaft an, die geltend gemachten 19,25 Stunden wöchentlich waren diesem demgegenüber nicht zu entnehmen. Denn der Antragsteller benötigt - soweit nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand feststellbar - nach den Stellungnahmen des Staatlichen Schulamtes für den Landkreis AM. und die Stadt AL. vom 16. März 2012 und der XY Schule vom 20. März 2012 Hilfen im Sinne von Unterstützung zur Bewältigung der organisatorisch-strukturellen Anforderungen des Schulalltags in den (auch zusätzlichen) Pausen, bei einem Wechsel der Räumlichkeiten, bei Unterrichtsgängen, bei Vertretungsunterricht, beim Ein- und Auspacken und dem ordnungsgemäßen Bereithalten seiner Unterrichtsmaterialien sowie im Umgang damit. Jedenfalls dieser Unterstützungsbedarf stellt sich dem Senat nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht als dem Kernbereich der pädagogischen Aufgaben zugehörig dar, was sich sowohl aus den Aussagen der erstinstanzlich vernommenen Zeuginnen WW. und - bezogen auf die Pausensituation und die Einhaltung ggf. erforderlicher zusätzlicher Pausen - EE. als auch aus der Stellungnahme der XY-Schule vom 20. März 2012 ergibt. Es handelt sich hierbei um Anforderungen, die nach Einschätzung des Senats von Schülerinnen und Schülern einer 2. Klasse im Wesentlichen selbständig erfüllt werden können.

Soweit der Antragsteller darüber hinaus Hilfestellungen im Sinne von Wiederholungen von Arbeitsaufträgen, der Strukturierung von freien Unterrichtssituationen und der Anleitung zum Durchhalten/Arbeiten benötigt, ist dem Antragsgegner zuzugestehen, dass hierin sicherlich pädagogische Elemente enthalten sind. Den genannten Stellungnahmen ist indes eindeutig zu entnehmen, dass nach der - insoweit auch sachverständigen - Einschätzung der Schule und des Schulamtes, der Antragsteller ein über das "normale" Maß hinausgehenden Bedarf an Unterstützung hat, weil er deutlich häufiger und andauernder als andere Schüler solcher Anleitung benötigt. Diese nach Angaben der XY Schule fortwährend erforderlichen Impulse, sich nicht ablenken zu lassen und sich wieder seiner Arbeit zuzuwenden, sind auch - für den Senat nachvollziehbar - über den am individuellen Leistungsvermögen orientierten, lernzieldifferenzierten Unterricht nach einem individuell erstellten Förderplan und die zeitweilig gewährte Einzelförderung hinaus weder durch die Lehrerin noch von der stundenweise zusätzlich eingesetzte Förderlehrerin zu leisten. Dass es sich hierbei um einen Hilfebedarf handelt, der zwar pädagogischer Natur ist, jedoch den Kernbereich des pädagogischen Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schule bereits übersteigt, wird sowohl von den Zeuginnen als auch von der XY-Schule bejaht; letztere verneint in Übereinstimmung mit dem Schulamt demzufolge das Erfordernis eines zusätzlichen sonderpädagogischen Bedarfs, welcher vom Schulträger zu decken wäre. Insofern kann der Senat dies als glaubhaft gemacht ansehen. Ob diese Einschätzung einer näheren Überprüfung - ggf. durch Sachverständigenbeweis - standhalten wird, muss letztendlich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Nachdem für Hilfen außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Schulausbildung wie jedenfalls bei den hier vorgenannten organisatorisch-strukturellen Hilfen - eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII besteht, die auch pädagogischer Art sein können, soweit es sich um eine den Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Lehrer in der Schule lediglich unterstützende Tätigkeit handelt (vgl. Terminbericht des BSG Nr. 18/12 vom 22. März 2012, B 8 SO 30/10 R), und darüber hinaus der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 SGB XII) der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers dann nicht entgegensteht, wenn der Schulträger die zusätzlichen Kosten für einen Integrationshelfer während der Zeit des Schulbesuchs - bei unterstellter Verpflichtung - tatsächlich nicht aufbringt (Hessischer VGH, Beschluss vom 10. November 2004, 7 TG 1413/04, juris Rdnr. 33), ist der Erfolg des Antragstellers in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich.

Weiterhin sieht der Senat auch einen Anordnungsgrund als gegeben an. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (HLSG Beschluss vom 29. Juni 2005 - L 7 AS 1/05 ER; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b, Rdnr. 27 und 29 m. w. N.). Wegen des überwiegend wahrscheinlichen Erfolgs in der Hauptsache hält es der Senat dabei für ausreichend, dass die angemessene Schulbildung des Antragstellers ohne die erforderliche Integrationshilfe zumindest erschwert wird, indem der Antragsteller, wie der Einlassung der Zeugin WW. zu entnehmen ist, wegen seiner Behinderung bestimmte Lerninhalte ohne Unterstützungsleistungen nicht oder nur erschwert wahrnehmen kann, wenn er während des Unterrichts abgelenkt ist oder gar durch das Klassenzimmer läuft. Dabei ist nicht maßgeblich, dass der Antragsteller - worauf der Antragsgegner rekurriert - offenkundig in der Vergangenheit ohne Inanspruchnahme eines Integrationshelfers das Schulziel erreicht hat, d. h. jedenfalls in die zweite Klasse versetzt wurde. Denn insoweit ist festzustellen, dass nach dem Erlass des Hessischen Kultusministerium vom 2. Dezember 2010, Az. II.3 - 170.000.084 - 51 -, sonderpädagogisch geförderte Kinder im Rahmen des inklusiven Schulversuchs in der Regel in der jeweiligen Klasse verbleiben. Zu berücksichtigen war indes insbesondere, dass es sich um eine angemessene Schulbildung nicht nur im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht, sondern im Rahmen der Grundschulausbildung handelt, bei der grundlegendste Inhalte vermittelt werden.

Der Senat hält es jedoch auch vor dem Hintergrund der Einkommens- bzw. Vermögensabhängigkeit der Leistungen (vgl. § 19 Abs. 3 SGB XII) - für interessengerecht, das Kostenrisiko zu Gunsten des Antragsgegners insoweit zu mindern, als die einstweilige Anordnung gem. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 921 ZPO von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird. Deren Höhe bestimmt sich nach den Angaben des Antragstellers in Höhe der Kosten für die - laut des Kostenvoranschlags der Behindertenhilfe in Stadt und Kreis AM. e. V. vom 15. März 2012 - regelmäßig eingesetzten Praktikanten (des Bundesfreiwilligendienstes/im Freiwilligen Sozialen Jahr) nebst Anfahrtspauschale für die Zeit bis zum Ende des Schuljahres 2012/2013 unter Berücksichtigung der Ferienzeiten.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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