L 5 AS 322/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 2 AS 1225/10
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 322/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger und Berufungskläger begehrt Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Anschaffung rechtswissenschaftlicher Literatur in Höhe von 1.318 EUR.

Der am 1970 geborene Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Ihm waren zuletzt mit Bescheid des Beklagten vom 2. Februar 2010 Leistungen für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2010 in Höhe von 473,35 EUR/Monat bewilligt worden. Der Beklagte hatte in der Vergangenheit mehrfach die Leistungen aufgrund von Sanktionen gekürzt, die dagegen gerichteten Rechtsmittel waren - soweit ersichtlich - sämtlich erfolgreich gewesen.

Am 22. Februar 2010 beantragte der Kläger beim Beklagten die Finanzierung der Anschaffung von rechtswissenschaftlicher Literatur in Höhe von 1.318 EUR als Sonderbedarf. Aufgrund der gegen ihn ergriffenen Maßnahmen wie Sanktionen und Eingliederungsvereinbarungen müsse er sich zur Wehr zu setzen können. Dazu benötige er entsprechende Literatur.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 15. März 2010 ab. Die beantragten Sonderbedarfe gehörten nicht zu den unabweisbaren, laufenden und besonderen Bedarfen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (Urteile vom 9. Februar 2010,1 BvL 1, 2 und 4/09). Sie seien mit der Regelleistung pauschaliert abgedeckt. Den dagegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2010 als unbegründet zurück. Ergänzend führte er aus, nach der Rechtsprechung des BVerfG komme ein Anspruch auf Sonderbedarfe im Rahmen der Härtefallregelung nur in seltenen Fällen in Betracht. Vorliegend handele es sich nicht um einen längerfristigen, regelmäßig wiederkehrenden und unabweisbaren atypischen Bedarf. Für einen Darlehensanspruch nach § 23 Abs. 1 SGB II sei ein unabweisbarer Bedarf nicht geltend gemacht worden. Dem Kläger stünden alle Rechtswege offen, ferner seien Sozialleistungsträger und Sozialgerichte an das Gesetz gebunden und es gelte der Amtsermittlungsgrundsatz. Angesichts des offenbar vorhandenen Internetzugangs, seiner Intelligenz und seines Intellekts dürfte der kostenlose Zugriff auf alle gesetzlichen Grundlagen und Durchführungsbestimmungen problemlos möglich sein. Zudem bestehe die Möglichkeit der kostenlosen Beratung beim Beklagten oder auf Beratungsschein im Rahmen der Prozesskostenhilfe.

Dagegen hat der Kläger am 19. April 2010 vor dem Sozialgericht Magdeburg Klage erhoben. Seinen Widerstand gegen das "menschenverachtende Hartz-IV-System" müsse er auf dem Rechtsweg austragen. Er müsse sich nicht auf Rechtsberatung durch einen Rechtsanwalt verweisen lassen. Die benötigte rechtswissenschaftliche Literatur sei unabweisbar zur Verteidigung seiner Menschen- und Grundrechte. Es liege ein laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf vor. Die Sanktionsnormen hätten das Ziel der Vernichtung seiner physischen Existenz. Die Behauptung, die Kosten für die Anschaffung der Literatur seien bereits in der Regelleistung enthalten, widerspreche der kurz vorher erfolgten Absenkung. Nach dem BVerfG seien die Regelleistungen verfassungswidrig.

Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Juli 2010 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf den beantragten Sonderbedarf. Das sozialrechtliche Existenzminimum sei grundsätzlich durch die Regelleistung abgedeckt. Ausnahmen ergäben sich für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt (§ 21 SGB II), bei unabweisbaren Bedarfen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 23 SGB II) sowie für Erstausstattungen und mehrtägige Klassenfahrten (§ 23 Abs. 3 SGB II). Unstreitig werde kein Mehrbedarf nach § 21 SGB II geltend gemacht und es lägen auch keine Mietschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II vor. Es bestehe auch kein unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 23 Absatz 1 SGB II, der ein Darlehen rechtfertigen würde. Es sei nicht erkennbar, dass der angemeldete Mehrbedarf unabweisbar ist. Dieser dürfe keinen Aufschub dulden und müsse zu einer erheblichen Gefährdungslage für die grundrechtliche Rechtsposition des sozialen Existenzminimums führen. Die Bedarfsunterdeckung müsse die Grenze des zum Leben Unerlässlichen unterschreiten. Die Nichtanschaffung von Rechtsliteratur bringe den Kläger nicht in eine derartige Notlage. Im Übrigen stünden ihm zur Gewährleistung rechtlicher Waffengleichheit ausreichende Instrumente zur Verfügung. Der Rechtsweg sei kostenlos, die Behörden und Gerichte seien der Amtsermittlungspflicht unterworfen und hätten den Sachverhalt unabhängig vom Vortrag der Betroffenen zu ermitteln sowie das geltende Recht hierauf anzuwenden. Des Weiteren bestehe die Möglichkeit, Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe in Anspruch zu nehmen. Ferner könne der Kläger auf die Recherche in öffentlichen Bibliotheken, Internetportalen u.a. verwiesen werden. Entstehende Kosten könnten bei Obsiegen in einem Rechtsstreit geltend gemacht werden. Festzustellen sei auch, dass der Kläger sich bislang ohne finanzielle Hilfe ausreichend verteidigen habe können. Da die verhängten Sanktionen jeweils wieder zurückgenommen worden seien, könne er sich insoweit nicht auf eine Absenkung der Regelleistung berufen. Die Finanzierung der rechtswissenschaftlichen Literatur könne auch nicht auf das angeführte Urteil des BVerfG oder die Verfassungswidrigkeit der Regelleistung gestützt werden. Denn bei dem geltend gemachten Bedarf handele es sich um einen einmaligen und nicht um einen laufenden Bedarf. Es sei auch nicht erkennbar, dass dieser unabweisbar wäre.

Dagegen hat der Kläger am 10. August 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt. Für die juristische Waffengleichheit fehlten ihm personelle und finanzielle Ressourcen wie sie etwa beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales vorhanden seien. Er habe auch - anders als die Mitarbeiter des Beklagten - die volle Verantwortung für sein Handeln zu tragen. Für die Revision und die Verfassungsklage würden zudem zwangsläufig Kosten für die Rechtsvertretung entstehen. Außerdem werde Beratungs- und Prozesskostenhilfe nur bei hinreichender Erfolgsaussicht gewährt. Solange § 31 SGB II die Devise "Zwangsarbeit macht frei" enthalte, seien die Erfolgsaussichten als eher gering anzusehen. Auch wenn er schreiben, lesen und atmen könne, dürften der beantragte Sonderbedarf und sein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Dasein nicht verwehrt werden. Er sei unabweisbar zur Verteidigung seiner Menschen- und Grundrechte. Es handele sich auch nicht um einen einmaligen, sondern um einen laufenden Sonderbedarf.

Der Kläger beantragt,

1. den Gerichtsbescheid vom 29. Juli 2010 aufzuheben,

2. dem Beklagten den Auftrag zu geben, ihm einen Sonderbedarf für die Anschaffung rechtswissenschaftlicher Literatur in Höhe von 1.318 EUR zu bewilligen und zu erstatten,

3. für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen,

4. dem Beklagten seine außergerichtlichen Kosten aufzuerlegen.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben mit Erklärungen vom 20. April 2012 einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Verwaltungsverfahrens und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten und Beiakten Bezug genommen. Die Verwaltungsakte des Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Berufung des Klägers ist rechtzeitig erhoben, zulässig und statthaft im Sinne von §§ 151 Abs. 1, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstands überschreitet den Betrag von 750 EUR.

2. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist ausschließlich die Bewilligung eines Betrags von 1.318 EUR zur Anschaffung von rechtswissenschaftlicher Literatur. Nicht streitgegenständlich sind die laufenden Leistungen nach dem SGB II oder etwaige Sanktionen. Der Kläger hat zulässigerweise nur gegen die isolierte Ablehnung des begehrten Mehrbedarfs geklagt. Es handelt sich insoweit um einen abtrennbaren Streitgegenstand (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. August 2008, B 8/9b SO 10/06 zu Sonderbedarfen nach § 30 f. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch Buch - Sozialhilfe (SGB XII).

3. Der Senat durfte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG).

II. Die Berufung ist unbegründet, da der angefochtene Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg nicht zu beanstanden ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrten Leistungen zur Anschaffung von Rechtsliteratur im Rahmen des SGB II.

Zur Begründung bezieht sich der Senat auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid und macht sich diese nach Überprüfung zu eigen (§ 153 Abs. 2 SGG). Für die begehrte Zahlung von 1.318 EUR findet sich im SGB II keine Rechtsgrundlage.

Ergänzend weist der Senat - in Anbetracht der Einführung des § 21 Abs. 6 SGB II nach Erlass des angefochtenen Gerichtsbescheids - darauf hin, dass auch nach der aktuellen Rechtslage kein Anspruch besteht. Nach § 21 Abs. 6 SGB II wird ein Mehrbedarf bei Leistungsberechtigten anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender und nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Es handelt sich bei dieser Anspruchsgrundlage um die Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (a.a.O). Für die Frage eines laufenden besonderen Bedarfs und dessen Unabweisbar ist insoweit auf die vom BVerfG aufgestellten Kriterien abzustellen (Münder in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2012, § 21, Rn. 34).

Nach der Vorstellung des BVerfG ist über den mit der pauschalen Regelleistung gedeckten durchschnittlichen Bedarf hinaus ein unabweisbarer, laufender und nicht nur einmaliger, besonderer Bedarf abzudecken, wenn dies im Einzelfall für ein menschenwürdiges Existenzminimum erforderlich ist. Dieser Anspruch setzt allerdings einen so erheblichen Bedarf voraus, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Der Anspruch soll nach Auffassung des BVerfG angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen in Betracht kommen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rdnr. 208).

Die vom BVerfG aufgestellten Kriterien hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Gerichtsbescheid in nicht zu beanstanden Weise im Hinblick auf ihre Eignung als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachten Geldleistungen geprüft. Auch insoweit macht sich der Senat die Wertung des Sozialgerichts eigen. Entgegen der Behauptung des Klägers handelt es sich nicht um einen laufenden Bedarf, auch wenn die anzuschaffende Rechtsliteratur für einen unbestimmten längeren Zeitraum des Leistungsbezugs nützlich sein kann. Abzustellen ist insoweit darauf, dass einmalige Anschaffungskosten geltend gemacht werden. Es ist auch nicht erkennbar, dass die in Aussicht genommene Rechtsliteratur für ein menschenwürdiges Existenzminimum unabweisbar ist. Die Ausführungen des Klägers in der Berufung enthalten keine weiteren Argumente, die im Rahmen von § 21 Abs. 6 SGB II Berücksichtigung finden könnten. Ein Vergleich des Klägers mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales hinsichtlich personeller und finanzieller Ressourcen ist hier nicht von Bedeutung. Denn es geht allein um die Frage einer drohenden Gefährdung des menschenwürdigen Existenzminimums. Nicht von Bedeutung ist, ob der Kläger sich vorstellt, Aufgaben eines Bundesministeriums erfüllen können zu müssen. Soweit der Kläger einwendet, er habe - anders als Beschäftigte des Beklagten - für sein Handeln selbst die Verantwortung zu tragen, ist ebenfalls kein Bezug zum geltend gemachten Anspruch erkennbar. Ob ihm für Revisionsverfahren und Verfassungsbeschwerden Kosten entstehen, kann dahinstehen. Denn diese würden auch anfallen, wenn der Kläger über die gewünschte Literatur verfügen würde. Der Hinweis auf fehlende staatliche Unterstützung durch Beratungs- und Prozesskostenhilfe bei Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels führt ebenfalls nicht zur behaupteten Bedarfslage. Denn Rechtsstreitigkeiten ohne hinreichende Aussicht auf Erfolg werden auch nach dem Studium rechtswissenschaftlicher Literatur nicht erfolgreich ausgehen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war mangels Vorliegen von Revisionsgründen nicht zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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