S 180 SF 10908/11 E

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
180
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 180 SF 10908/11 E
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Erinnerung wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 15. Juni 2010 (S 156 AS .../10) geändert und der Betrag der aus der Landeskasse zu gewährenden Vergütung wird auf 378,42 EUR festgesetzt. Der Erinnerungsgegner hat einen Betrag von 145,18 EUR an die Landeskasse zu erstatten. Die Anschlusserinnerung wird zurückgewiesen. Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Sätze 2 u. 3 RVG.

Gründe:

I.

In dem, dem Kostenrechtsstreit zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren um die Anfechtung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides betreffend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – iHv 329,19 EUR für einen Zeitraum von einem Monat war die Terminsstunde auf 11:30 Uhr angesetzt. Der Termin zur mündlichen Verhandlung begann tatsächlich um 12:26 Uhr und endete um 12:43 Uhr. Mit seinem Vergütungsfestsetzungsantrag machte der Erinnerungsgegner und Anschlusserinnerungsführer eine Vergütung wie folgt geltend: Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 170,00 Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 250,00 Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 83,60 insgesamt: 523,60 EUR.

Der Erinnerungsgegner und Anschlusserinnerungsführer begründete seinen Ansatz ua damit, dass er ca 1 Stunde vor dem tatsächlichen Beginn des Termins zur mündlichen Verhandlung habe warten müssen. Es ergäbe sich daher eine Terminsdauer von ca eineinviertel Stunden, wobei das Überschreiten der Mittelgebühr nach Nr. 3106 VV RVG nicht unbillig sei. Die Urkundsbeamtin hat die Vergütung antragsgemäß festgesetzt. Aufgrund des von dem Beklagten des Hauptsacherechtsstreits abgegebenen Kostengrundanerkenntnisses forderte sie im Wege des Anspruchsüberganges auf die Landeskasse einen Betrag von 523,60 EUR von dem Beklagten zurück, der gegen diese gerichtliche Kostenrechung im Wege der Erinnerung vorging. Auf die Erinnerung hat die 164. Kammer des Sozialgerichts Berlin mit Beschluss vom 27. Juli 2011 zum Verfahren S 164 SF 3105/11 E die gerichtliche Kostenrechnung geändert und den Erstattungsbetrag auf 378,42 EUR (Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG 170,00; Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 128,00; Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00; Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 60,42; insgesamt: 378,42 EUR) vermindert. Zur Begründung hat die 164. Kammer ua ausgeführt, beim Umfang der Tätigkeit im Rahmen der Bestimmung der angemessenen Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG sei auch zu berücksichtigen, dass der Prozessbevollmächtigte eine knappe Stunde habe auf den Verhandlungsbeginn warten müssen. Unter Darlegung weiterer Erwägungen hat die 164. Kammer angenommen, dass der Ansatz der Mittelgebühr nach Nr. 3103 VV RVG nicht unbillig ist. Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG ist jedoch merklich unterhalb der Mittelgebühr in Ansatz zu bringen, da der Termin letztlich nur 17 Minuten gedauert habe und mit der Gebühr die Vertretung in einem Termin abgegolten werde.

Der Erinnerungsführer begehrt nunmehr die Abänderung der durch die Urkundsbeamtin vorgenommenen Vergütungsfestsetzung. Er verweist vollständig auf den bereits zitierten Beschluss der 164. Kammer des Gerichts.

Der Erinnerungsgegner wendet sich gegen die Erinnerung und macht mit seiner Anschlusserinnerung nunmehr eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG iHv 300,00 EUR unter Festhalten an einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG iHv 250,00 EUR geltend. Zur Begründung trägt er vor, er habe nicht zu seinem Vergnügen auf dem Gerichtsflur gewartet. Darüber hinaus seien mit der Terminsgebühr alle Tätigkeiten des Rechtsanwaltes abzugelten, die mit dem Termin in einem Zusammenhang stünden, insbesondere auch die An- und Abfahrt sowie die Wartezeit im Gericht. Soweit das Gericht in seiner ständigen Rechtsprechung die Auffassung vertrete, dass mit der Terminsgebühr Wartezeiten nicht abzugelten seien, begehre er mit der Anschlusserinnerung die Abänderung der Vergütungsfestsetzung dahingehend, dass nunmehr eine höhere Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG begehrt werde. Eine Wartezeit auf den Verhandlungsbeginn von 1,25 Stunden sei weit überdurchschnittlich, was den Umfang der rechtsanwaltlichen Tätigkeit im Verfahren erheblich ausweite. Allerdings halte er diese Betrachtungsweise grundsätzlich für falsch, da die Wartezeit im Rahmen der Terminsgebühr abzugelten sei. Nur für den Fall, dass das Gericht die Terminsgebühr wegen der tatsächlichen Dauer des Termins kürzen wolle, sei es konsequent, die Verfahrensgebühr zu erhöhen.

Der Erinnerungsführer und Anschlusserinnerungsgegner verweist auf den Ermessensverbrauch bei der Bestimmung der Höhe der Verfahrensgebühr. An das einmal ausgeübte Ermessen sei der Rechtsanwalt gebunden.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf deren vorbereitende Schriftsätze Bezug genommen.

Die Hauptsacheakte S 156 AS /10 nebst PKH-Beiheft haben vorgelegen und sind Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung gewesen.

II.

Die Erinnerung erweist sich als begründet, weshalb die Vergütungsfestsetzung abzuändern war. Die Anschlusserinnerung ist hingegen nicht begründet.

Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG).

Die Kammer verweist zur Höhe der angemessenen und billigen Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG zunächst auf die nach eigener Prüfung durch die Kammer für zutreffend erachteten Gründe in dem Beschluss der 164. Kammer des Sozialgerichts Berlin vom 27. Juli 2011, S 164 SF 3105/11 E, der den Beteiligten bekannt ist. Insbesondere weist die Kammer darauf hin, dass bereits die 164. Kammer zutreffend ausführt, dass die geltend gemachte und beantragte Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG iHv 170,00 EUR netto nur deshalb billig und angemessen ist, weil beim Umfang der anwaltlichen Tätigkeit die knapp einstündige Wartezeit auf den Beginn des Verhandlungstermins berücksichtigt worden ist. Darüber hinaus ist auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren jedenfalls dann keine Nachliquidation möglich, wenn der beigeordnete Rechtsanwalt die Gebühr in Ausübung seines Ermessens nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG bestimmt hat (Festsetzung bei Rahmengebühren, Satzrahmengebühren oder wenn der RA den Gegenstandswert bestimmt hat). Die nachträgliche Geltendmachung einer höheren Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens oder der nachträgliche Ansatz eines höheren Satzrahmens ist also auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren immer dann nicht möglich, wenn es darum geht, eine ursprünglich von dem RA – nach seinem Ermessen bestimmte – Gebühr zu erhöhen (Enders, JurBüro 1995, 561, 562 ff.). Dies ist ständige Rechtsprechung der Kostenkammern des Sozialgerichts Berlin.

Darüber hinaus nimmt die Kammer das vorliegende Erinnerungsverfahren zum Anlass, die ständige Rechtsprechung der Kostenkammern des Sozialgerichts Berlin zur Problematik der Berücksichtigung von Wartezeiten (vgl SG Berlin, Beschluss vom 25. Januar 2010, S 165 SF 1315/09 E – juris -) klarzustellen.

Ausgangspunkt der Honorierung durch die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG ist, wie die Kostenkammern des SG Berlin in ständiger Rechtsprechung vertreten, alleine die Zurverfügungstellung der persönlichen Anwesenheit des prozessbevollmächtigten bzw. des beigeordneten Rechtsanwalts zur Durchführung eines Erörterungs- bzw. Verhandlungstermins auf Ladung des Gerichtes. Der Anspruch auf die Gebühr entsteht nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes für die Vertretung in einem Termin (vgl Vorbemerkung 3 Abs. 3 Satz 1 zu Teil 3 des VV RVG). Handlungen, die der Vor- und Nachbereitung eines Termins dienen, sind über die Verfahrensgebühr abgedeckt (vgl für die Strafgerichtsbarkeit: Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 24. November 2011, Az.: II AR 115/10 – juris -). Damit ist vom Grundsatz her die Terminsgebühr an der im Protokoll vermerkten "Nettoanwesenheit" in der Verhandlung zu bemessen. Für die strafgerichtliche Hauptverhandlung gilt, dass Pausen und Unterbrechungen keine Hauptverhandlung sind (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Juni 2012, Az.: 2 Ws 83/12 – juris - mwN). Auch andere Handlungen des prozessbevollmächtigten bzw. des beigeordneten Rechtsanwalts (z.B. Beratung mit dem Mandanten, Vorbereitung des Termins, Verfassen von Beweisanträgen etc.) dienen letztlich zwar dem Termin, werden jedoch über andere Gebührentatbestände abgegolten (vgl. VV RVG Nr. 3102 f). Ansonsten hätte es der prozessbevollmächtigte bzw. der beigeordnete Rechtsanwalt in der Hand, seine bereits vergüteten Tätigkeiten (z.B. die Vorbereitung des Termins oder die Beratung mit dem Mandanten) über Terminsunterbrechungen bzw. -pausen in den Erörterungs- oder Verhandlungstermin zu verlagern, um so künstlich eine längere Terminsdauer zu generieren und damit eine teilweise Doppelvergütung zu erreichen (vgl für die strafgerichtliche Terminsgebühr OLG Frankfurt, aaO). Wartezeiten und Vorhaltezeiten, wie sie durch Pausen und Unterbrechungen während der Verhandlung entstehen, sind typische Begleiterscheinungen des Berufsbildes des Rechtsanwaltes und weder eigenständig vergütungspflichtig, noch stellen sie Besonderheiten dar, die durch Ausweitung bestehender Vergütungstatbestände aufgefangen werden müssen. Dem RVG liegt die Konzeption einer Mischkalkulation zu Grunde. Die Bewertung, ob der Rechtsanwalt die seiner Tätigkeit immanenten Warte- und Vorhaltezeiten "sinnvoll" nutzen kann, steht weder dem Urkundsbeamten noch dem Gericht zu. Ob er die Zeit für Gespräche auf dem Gerichtsflur nutzt, Mittagessen geht, die öffentliche Bibliothek im Gericht nutzt, mit seinem Büro telefoniert oder sich anderweitig beschäftigt, ist alleine seine Entscheidung.

Die Dauer der Verhandlung ist als Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ein wesentliches Kriterium für die Bestimmung einer angemessenen Terminsgebühr (vgl SG Berlin, aaO). Dass Wartezeiten vor Terminen durchaus üblich sind und bereits bei der Höhe der Terminsgebühr berücksichtigt sind, ergibt sich zwanglos daraus, dass der Gesetzgeber in Nr. 3106 VV RVG einen mittleren Stundenvergütungssatz für Rechtsanwälte iHv 400 EUR nicht festschreiben wollte. Dieser ergäbe sich allerdings, wenn unter Zugrundelegung der überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung (durchschnittliche Terminsdauer an Sozialgerichten 30 Minuten, vgl exempl SG Würzburg, Beschluss vom 08. Januar 2010, Az.: S 2 SF 30/09 E, S 2 SF 31/09 E, S 2 SF 32/09 E, S 2 SF 33/09 E, S 2 SF 34/09 E – juris -) Wartezeiten und Zeiten der An- und Abfahrt hinzurechnen würde. Daher sind Wartezeiten, auch solche von ca 1 Stunde, hinzunehmen (vgl SG Würzburg, 3. November 2009, Az.: S 2 F 9/09 E – juris -). Hinzu kommt, dass die Wartezeit, streng nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG eingeordnet und bewertet, bezüglich der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers bei Bemessung der Rahmengebühr im untersten Bereich liegt (vgl SG Würzburg, Beschluss vom 8. Januar 2010, aaO), weshalb eine Erhöhung der Verfahrensgebühr auch unabhängig von den oben getätigten Ausführungen nicht in Betracht kommt. Der Erinnerungsgegner und Anschlusserinnerungsführer möge sich vergegenwärtigen, dass seine Rechenbeispiele, die er schriftsätzlich vorträgt, nicht stimmig sind, denn mit der vorliegenden Vergütungsfestsetzung einer Terminsgebühr iHv 128,00 EUR netto für einen 17-minütigen Termin würde sein Stundenhonorar, bezogen auf einen einstündigen Termin nahezu 450,00 EUR betragen. Es erschließt sich von selbst, dass in dem Terminshonorar von 128,00 EUR netto pauschal Zeiten der An- und Abfahrt sowie Wartezeiten bereits enthalten sind, denn eine Umsatzerwartung von 450,00 EUR netto in der Stunde ist vom RVG im Rahmen der gesetzlichen Gebühren nicht geschützt. Unter Beachtung des Prinzips der Mischkalkulation weist die Kammer auch darauf hin, dass der Erinnerungsgegner nicht anlässlich jeden geladenen Termins Wartezeiten von einer Stunde, deren Nutzung er selbst gestalten kann, hinnehmen muss, sondern die überwiegende Vielzahl der Termine pünktlich beginnt.

Eine Beschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht statthaft, § 178 SGG, vgl. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.06.2008, L 1 B 60/08 SF AL; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.05.2009, L 8 B 190/08 S
Rechtskraft
Aus
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