L 5 AS 1749/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 43 AS 14213/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 1749/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist europarechtskonform.

Der Vorbehalt der Bundesregierung vom 19. Dezember 2011 in Bezug auf das Europäische Fürsorgeabkommen unterliegt keinen rechtlichen Bedenken.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. Juli 2012 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Die Beteiligten haben einander für beide Rechtszüge keine Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die am 11. Juli 2012 eingegangene Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. Juli 2012 ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht den Antragstellern im Wege der einstweiligen Anordnung für die Zeit vom 1. Juni 2012 bis zum 30. September 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) zugesprochen.

Die griechischen Antragsteller, die als Eheleute in ihrer Wohnung zusammenleben, haben keinen Anordnungsanspruch mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (§§ 86b Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG], 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]).

Ein Anordnungsanspruch aus den §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 SGB II in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453) scheitert bereits daran, dass die Antragsteller dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterliegen. Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen ausgenommen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Als Unionsbürger dürfen sich die erwerbsfähigen Antragsteller, die im November 2011 nach Deutschland gekommen sind, gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sie über ein anderes Aufenthaltsrecht verfügen. Insbesondere können sie sich nicht darauf berufen, dass sie Arbeitnehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU seien. Zwar gehen sie einer Erwerbstätigkeit nach, erzielen dabei jedoch bei einer monatlichen Arbeitszeit von jeweils nur elf Stunden weniger als 100,- EUR, so dass von einem "völlig untergeordneten und unwesentlichen" Umfang auszugehen ist, der die Arbeitnehmereigenschaft nicht begründen kann (vgl. Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 14. Juni 2012, C-542/09). Die Antragsteller gehen auch keiner selbständigen Erwerbstätigkeit und nehmen an keiner Berufsausbildung teil (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FreizügG/EU). Ebenso wenig bestehen Hinweise darauf, dass sie als Empfänger oder Erbringer von Dienstleistungen aufenthaltsberechtigt sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 FreizügG/EU). Schließlich können sie ein Aufenthaltsrecht auch nicht darauf stützen, dass sie ausweislich der eingereichten eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers zu 2) von 1988 bis 2002 in Deutschland gelebt haben. Ihre damalige unbefristete Aufenthaltserlaubnis-EG ist gemäß § 11 Satz 1 des bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Gesetzes über Einreise und Aufenthalt von Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (AufenthG/EWG) erloschen, weil sie sich nach ihrer Rückkehr nach Griechenland mehr als sechs Monate nicht mehr im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufgehalten haben.

Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verletzt nicht das Recht der Europäischen Union. Vielmehr beruht er auf Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl. L 158 S. 77, 112). Auf diese europarechtliche Bestimmung hat der Gesetzgeber die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausdrücklich gestützt (BT-Drucksache 16/688, S. 13). Nach Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Famili-enangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Absatz 4 Buchst. b Richtlinie 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens zu gewähren. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2004/38/EG bestimmt, dass auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden darf, wenn die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Damit dürfen die Mitgliedstaaten einem Unionsbürger die Sozialhilfe versagen, wenn er zum Zwecke der Arbeitsuche eingereist ist.

Die Frage, welche Leistungen unter den Begriff der Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG fallen, ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, der in einem Vorabentscheidungsverfahren über die Vereinbarkeit von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit dem Recht der Europäischen Union zu entscheiden hatte, im Einklang mit dem Gleichbehandlungsanspruch im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 39 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) zu beantworten. Dieser umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Vor dem Hintergrund dieses Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es nicht möglich, Staatsangehörige eines Mitgliedstaates, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, von finanziellen Leistungen auszunehmen, sofern diese den Zugang zum Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates erleichtern sollen. Jedoch ist es legitim, dass ein Mit-gliedstaat solche Leistungen erst gewährt, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt wurde. Es ist Sache der zuständigen nationalen Behörden und gegebenenfalls der innerstaatlichen Gerichte, nicht nur das Vorliegen einer tatsächlichen Verbindung mit dem Arbeitsmarkt festzustellen, sondern auch die grundlegenden Merkmale dieser Leistung zu prüfen, insbesondere ihren Zweck und die Voraussetzungen ihrer Gewährung. Der Zweck der Leistung ist nach Maßgabe ihrer Ergebnisse und nicht anhand ihrer formalen Struktur zu untersuchen. Finanzielle Leistungen, die unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, können somit nicht als Sozialhilfeleistungen angesehen werden (Urteil vom 4. Juni 2009, C 22/08, C 23/08, Vatsouras, Koupatantze).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben handelt es sich bei den im vorliegenden Verfahren begehrten Leistungen um Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. April 2012, L 5 AS 2157/11 B ER; Beschluss vom 5. März 2012, L 29 AS 414/12 B ER; Beschluss vom 29. Februar 2012, L 20 AS 2347/11 B ER; Beschluss vom 8. Juni 2009, L 34 AS 790/09 B ER; Lan-dessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Mai 2012, L 9 AS 347/12 B ER; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2012, L 3 AS 1477/11; Oberverwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 15. November 2007, S 2 B 426/07). Diese Leistungen haben nämlich nicht den Zweck, den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern, sondern die Existenzsicherung zu gewährleisten. Zwar soll die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 1 Abs. 2 Satz 2 SGB II erwerbsfähige Leistungsberechtigte auch bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützen. Dass diese Zielsetzung jedoch nicht für alle Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende zutrifft, zeigt bereits die in § 1 Abs. 3 SGB II vorgenommene Unterscheidung zwischen Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit, insbesondere durch Eingliederung in Arbeit (Nr. 1) und solchen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Nr. 2). Letztere beinhalten die im vorliegenden Verfahren in Betracht kommenden Regelbedarfe sowie Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Diese haben rechtlich keinen Bezug zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Die genannten Leistungen sind in der Nachfolge des zum 31. Dezember 2004 aufgehobenen Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) zur Sicherung des Lebensunterhalts eingeführt worden. Sie unterscheiden sich in Höhe und Art nicht von den entsprechenden Leistungen nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII), denen ausdrücklich ein Bezug zum Arbeitsmarkt fehlt (§ 21 SGB XII). Sie sind auch faktisch grundsätzlich nicht geeignet, einen Beitrag zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu leisten, da der Hilfebedürftige mit diesen Leistungen seinen Lebensunterhalt bestreiten muss. Zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt sieht das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende vielmehr in den §§ 16 ff. SGB II weitere Leistungen vor, die vom Leistungsträger gesondert gewährt werden.

Die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verstößt auch nicht gegen die seit dem 1. Mai 2010 anwendbare Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004) vom 29. April 2004 (ABl. L 166 S. 1). Diese Rechtsfrage hat das Bundessozialgericht bislang offen gelassen (Urteil vom 25. Januar 2012, B 14 AS 138/11 R; Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R). Sie ist bundesweit unter den Lan-dessozialgerichten umstritten (Rechtmäßigkeit bejahend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. April 2012, L 5 AS 2157/11 B ER; Beschluss vom 5. März 2012, L 29 AS 414/12 B ER; Beschluss vom 29. Februar 2012, L 20 AS 2347/11 B ER; Beschluss vom 8. Juni 2009, L 34 AS 790/09 B ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 23. Mai 2012, L 9 AS 347/12 B ER; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Mai 2012, L 3 AS 1477/11; Oberverwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 15. November 2007, S 2 B 426/07; zweifelnd dagegen Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. September 2011, L 14 AS 1148/11 B ER; Beschluss vom 30. November 2010, L 34 AS 1501/10 B ER; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 14. November 2011, L 5 AS 406/11 B ER; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 24. Oktober 2011, L 12 AS 3938/11 ER-B; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August 2011, L 15 AS 188/11 B ER; Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Juli 2011, L 7 AS 107/11 B ER).

Nach Art. 4 VO 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung umfasst gemäß Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004 alle Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats. Gemäß Art. 3 Abs. 3 VO 883/2004 gilt die Verordnung ausdrücklich auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen im Sinne des Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004, also solche Leistungen, die nach Rechtsvor-schriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereiches, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch der Sozialhilfe aufweisen. Dazu gehören nach Art. 70 Abs. 2 Buchst. c VO 883/2004 in Verbindung mit Anhang X VO 883/2004 in Deutschland ausdrücklich auch die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 SGB II) erfüllt sind.

Zwar sprechen diese Regelungen der VO 883/2004 bei isolierter Betrachtung für einen Gleichbehandlungsanspruch aller Unionsbürger auch hinsichtlich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Jedoch ist § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in Verbindung mit Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG als speziellere Regelung anwendbar. Im Recht der Europäischen Union sind sekundärrechtliche Normenkollisionen nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen "lex posterior derogat legi priori" und "lex specialis derogat legi generali" zu lösen (Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Stand Mai 2008, Art. 249 EGV Rn. 234). Die Anwendung des erstgenannten Rechtsgrundsatzes ist im vorliegenden Fall ausgeschlossen, da von einer früheren und einer späteren Regelung keine Rede sein kann. Die Richtlinie 2004/38/EG und die VO 883/2004 wurden am selben Tag erlassen, nämlich am 29. April 2004. An dieser Ausgangslage hat sich auch durch die Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) 883/2004 (ABl. L 284 S. 1) sowie durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 vom 16. September 2009 zur Änderung der VO 883/2004 und zur Festlegung des Inhalts ihrer Anhänge (ABl. L 284 S. 43) nichts geändert. Diese Verordnungen waren nach Art. 91 Verordnung (EG) Nr. 988/2009 sowie nach den Anhängen II, X und XI erforderlich, um die Anwendung der VO 883/2004 überhaupt erst zu ermöglichen. Sie enthalten aber keine Regelungen, die der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG entgegenstehen. Auch soweit Art. 70 VO 883/2004 in Verbindung mit Anlage X VO 883/2004 die Leistungen zur Sicherung des Le-bensunterhalts ausdrücklich als besondere beitragsunabhängige Leistungen einstuft, steht das der Anwendung des Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG nicht entgegen. Im Europarecht entspricht es der ständigen Rechtsetzungspraxis, die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch Wanderarbeitnehmer einzuschränken (vgl. schon Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 90/364/EWG vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht [ABl. L 180 S. 26], Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 90/365/EWG vom 28. Juni 1990 über das Aufenthaltsrecht der aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen [ABl. L 180 S. 28]). Daran ist mit Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG festgehalten worden. Der Sinn und Zweck dieser Regelung liegt darin, eine Zuwanderung unter Ausnutzung des jeweiligen Fürsorgesystems zu unterbinden. Die Richtlinie 2004/38/EG enthält demnach gegenüber der VO 883/2004 ein eigenständiges Regelungswerk. Während die VO 883/2004 allgemeine Vorschriften zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme beinhaltet, regelt die Richtlinie 2004/38/EG das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger. In Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG ist auch das Gleichbehandlungsgebot gesondert geregelt. Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG stellt hierzu eine Ausnahmevorschrift dar. Sie ist erforderlich, weil das Aufenthaltsrecht einerseits unter anderem schon tatbestandlich davon abhängt, dass Sozialhilfeleistungen nicht oder nicht unangemessen in Anspruch genommen werden (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c, 12 Abs. 2, 14 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG), andererseits aber die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen gemäß Art. 14 Abs. 3 Richtlinie 2004/38/EG nicht automatisch zu einer Ausweisung führen darf. Aus dieser Regelungssystematik ebenso wie aus Sinn und Zweck der Richtlinie 2004/38/EG folgt ein gegenüber der VO 883/2004 eigenständiger Sozialhilfebegriff. Dieses Ergebnis wird auch dadurch bestätigt, dass der Europäische Gerichtshof in seiner oben erwähnten Entscheidung, in welcher es um Leistungen für die Zeit ab dem 28. April 2007 ging, die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht für unanwendbar gehalten hat, obwohl er hierzu hinreichend Anlass gehabt hätte. Das Gleichbehandlungsgebot und die Einstufung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als besondere beitragsunabhängige Leistungen galt nämlich bereits nach der Vorgängerregelung des Art. 3 Abs. 1 und Abs. 2a in Verbindung mit Anhang IIa der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (VO 1408/71) vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. L 149, S. 2), in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 629/2006 vom 5. April 2006 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. L 114 S. 1). Die im Rahmen des damaligen Vorabentscheidungsverfahrens gestellten Rechtsfra-gen des vorlegenden Sozialgerichts betrafen zwar ausdrücklich nur die Vereinbarkeit des Leis-tungsausschlusses mit Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG und mit dem Primärrecht der Eu-ropäischen Union. Im Rahmen der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen hätte sich der Europäische Gerichtshof jedoch auch mit der VO 1408/71 auseinandersetzen müssen, wenn er davon ausgegangen wäre, dass der Leistungsausschluss dem dort enthaltenen Gleichbehand-lungsgebot widerspricht, zumal er den persönlichen Anwendungsbereich der VO 1408/71 be-reits dann als eröffnet ansieht, wenn die betreffende Person in dem maßgeblichen Zeitraum auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchst. a VO 1408/71 ge-nannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig weiter versichert ist (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 10. März 2011, C-516/09, Borger).

Die Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist auch nicht wegen des Gleichbehandlungs-gebots aus Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) vom 11. Dezember 1953 (BGBl. II 1956, S. 564) unanwendbar (vgl. hierzu Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R). Zwar gehört Griechenland zu den Vertragsstaaten dieses Abkom-mens. Die Bundesregierung hat jedoch am 19. Dezember 2011 einen Vorbehalt erklärt, wonach sie keine Verpflichtung übernimmt, die im SGB II in der jeweils geltenden Fassung vorgesehe-nen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden. Gleichzeitig hat sie erstmals das SGB II als neue Fürsorgevorschriften notifiziert (www.conventions.coe.int; BGBl. 2012 II S. 144).

Der genannte Vorbehalt unterliegt keinen völkerrechtlichen Bedenken. Er beruht auf Art. 16 Abs. b Satz 2 EFA. Jeder Vertragschließende hat gemäß Art. 16 Abs. b Satz 1 EFA dem Gene-ralsekretär des Europarates alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind. Gleichzeitig mit dieser Mitteilung kann der Vertragschließende gemäß Art. 16 Abs. b Satz 2 EFA Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser neuen Rechtsvor-schriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden machen. Aus dieser Re-gelung ergeben sich also keine Vorgaben über den Inhalt eines zu erklärenden Vorbehalts. Vorausgesetzt wird lediglich, dass neue Rechtsvorschriften vorliegen und gleichzeitig mit dem Vorbehalt notifiziert werden. Bei dem SGB II handelt es sich um solche neuen Rechtsvor-schriften, obwohl die Notifizierung erst etliche Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes er-folgt ist. Die Begriffsbestimmung folgt aus dem maßgeblichen englischen und französischen Wortlaut des Art. 16 Abs. b Satz 1 EFA ("any new law or regulation not already included in Annex I", "tout règlement non encore couvert par l’annexe I"). Neu sind danach jegliche Rechtsvorschriften, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind. Das war bei dem SGB II bis zum Zeitpunkt der genannten Mitteilung und der gleichzeitigen Anbringung des Vorbehalts der Fall. Für ein anderes Begriffsverständnis bestehen keine Anhaltspunkte. Eine Mitteilungsfrist oder gar eine Sanktionierung für eine verspätete Mitteilung sieht das EFA nicht vor. Hierfür besteht auch keine Notwendigkeit, da die Mitteilung neuer Rechtsvorschriften ohnehin keine konstitutive Wirkung entfaltet (Bundessozialgericht, a. a. O., Denkschrift zum EFA und zum Zusatzprotokoll, BT-Drucksache 2/1882, S. 22, 23). Solange also kein Vorbehalt eingreift, hat das zur Folge, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz für die vom EFA erfassten Fürsorgeleis-tungen gilt. Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und Art. 19 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) vom 23. Mai 1969 (BGBl. 1985 II S. 926, 934), da diese Vorschriften nur Vorbehalte bei Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrages sowie beim Beitritt zu einem Vertrag betreffen. Dagegen soll Art. 16 Abs. b EFA nachträgliche Vorbehalte ausdrücklich ermöglichen. Es handelt sich um eine das allgemeine Völkerrecht und die WVRK verdrängende Spezialvorschrift. Soweit sich der Vorbehalt in tatsächlicher Hinsicht dahingehend auswirkt, dass Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, im Gegensatz zur vorherigen Rechtslage keine Leistungen mehr erhalten (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II), entspricht dies nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Regelungszweck des Art. 16 Abs. b EFA. Die Vorschrift soll den Vertragsstaaten die Möglichkeit einräumen, ihr Fürsorgerecht nach Maßgabe der jeweils aktu-ellen Umstände neu zu regeln und dabei auch Einschränkungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorzunehmen. Hierfür spricht auch die systematische Auslegung. Nach § 24 Satz 1 EFA haben die Vertragsstaaten die Möglichkeit, das Abkommen sechs Monate vor Ablauf der sich jeweils automatisch um ein Jahr verlängernden Geltungsdauer durch eine an den Generalsekretär des Europarates zu richtende Erklärung zu kündigen. Sind demnach die Vertragstaaten da-von ausgegangen, dass sie die vertragliche Bindung kurzfristig ohne Angabe von Gründen vollständig beenden dürfen, ist erst recht anzunehmen, dass sie sich im Falle einer Neuregelung der jeweiligen Fürsorgevorschriften auch eine Einschränkung des Fürsorgestandards für die Angehörigen der anderen Vertragsstaaten vorbehalten wollten. Für das hier vertretene Ergebnis spricht auch die Gesetzesbegründung, in der es heißt: "Jede spätere Änderung der Gesetzgebung wirkt sich auf die Staatsangehörigen der übrigen Vertragschließenden in der gleichen Weise aus wie auf die eigenen Staatsangehörigen, wenn nicht mit der Mitteilung an den Gene-ralsekretär des Europarates ein Vorbehalt verbunden wird". Soweit das Bundesverwaltungsgericht in einer Entscheidung zum damals geltenden BSHG ausgeführt hat, eine nachträgliche Absenkung des vorbehaltlos eingeräumten Fürsorgestandards für den vom EFA geschützten Ausländerkreis sei unter dessen Geltung nur durch Absenkung des Fürsorgestandards für Inländer möglich (Urteil vom 18. Mai 2000, 5 C 29/98), steht das dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Diese Rechtsauffassung, die nicht zu den tragenden Erwägungen gehörte, bezog sich nämlich ausdrücklich nur auf das BSHG, das im Anhang I damals bereits aufgeführt war und für das im Anhang II nur geringfügige Vorbehalte enthalten waren (BGBl. 1983 II S. 337, 339, 344).

Der Vorbehalt steht auch mit dem Verfassungsrecht im Einklang. Nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Unter völkerrechtlichen Verträgen sind alle Übereinkünfte zwischen zwei oder mehr Völkerrechtssubjekten zu verstehen, durch welche die zwischen ihnen bestehende Rechtslage verändert werden soll. Unerheblich sind Form und Regelungsgegenstand. Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob eine Übereinkunft als Vertrag bezeichnet wird. Entscheidend ist die durch übereinstimmende Willenserklärungen erzielte Einigung zwischen Völkerrechtssubjekten über bestimmte völkerrechtliche Rechtsfolgen Sämtliche Akte der aus-wärtigen Gewalt, die vom Tatbestand des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfasst werden, sind dagegen grundsätzlich dem Kompetenzbereich der Regierung zugeordnet. Der Vorschrift kann nicht entnommen werden, dass immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regelt oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betrifft, die Form eines der gesetzgeberischen Zustimmung bedürftigen Vertrages gewählt werden muss. Auch insoweit kommt eine analoge oder erweiternde Auslegung dieser Vorschrift nicht in Betracht (Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 12. Juli 1994, 2 BvE 3/92, 2 BvE 5/93, 2 BvE 7/93, 2 BvE 8/93). Demnach kann der ein-seitige Vorbehalt der Bundesregierung wegen der fehlenden Beteiligung mehrerer Völkerrechtssubjektive nicht als Vertrag im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG angesehen werden. Die Bundesregierung durfte den Vorbehalt daher ohne die Zustimmung der für die Bundesge-setzgebung zuständigen Körperschaften erklären.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochtenen werden.
Rechtskraft
Aus
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