S 16 AS 538/12 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 16 AS 538/12 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann, Herrn XY, ab 15. März 2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlich vorgesehenem Umfang bis einschließlich 30. Juni 2012 zu gewähren.

Der Antragsgegner hat die Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I

Die Antragstellerin begehrt mit ihrem am 11. April 2012 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangenen Antrag, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihr als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann, Herrn XY, ab Antragstellung auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) die genannten Leistungen zu gewähren

Die 1985 geborene Antragstellerin ist iranische Staatsangehörige. Aus der Verwaltungsakte des Antragsgegners ergibt sich u. a., dass sie am 10. März 2012 im Wege des Familiennachzuges zu ihrem Ehemann in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Herr XY, der auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, bezieht seitens des Antragsgegners seit 12. November 2011 SGB II-Leistungen in Form des Regelbedarfs. Seit Monat Januar 2012 übernimmt der Antragsgegner für die von ihm innegehaltene Wohnung in der A-Straße in A-Stadt auch die Kosten der Unterkunft in Höhe seiner tatsächlichen Aufwendungen. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bewilligte der Antragsgegner bis einschließlich 30. April 2012. Am 15. März 2012 sprach die Antragstellerin mit ihrem Ehemann bei dem Antragsgegner vor und stellte Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II. Am 23. März 2012 beantragte der Ehemann der Antragstellerin die Weiterbewilligung der ihm gewährten Leistungen über den 30. April 2012 hinaus und gab ausweislich des Antragsformulars an, die Antragstellerin sei am 10. März 2012 in seine Wohnung eingezogen. Die Antragstellerin sei im 7. Monat schwanger.

Daraufhin bewilligte der Antragsgegner dem Ehemann der Antragstellerin durch Bescheid vom 29. März 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 unter Berücksichtigung des Regelbedarfs eines alleinstehenden Hilfebedürftigen, übernahm jedoch ausweislich des Berechnungsbogens nunmehr lediglich den hälftigen Anteil der Unterkunftskosten. In dem genannten Bewilligungsbescheid heißt es u. a. weiter, die nach den vorliegenden Angaben zugezogene Antragstellerin werde vorerst als zusätzliche Person im Haushalt berücksichtigt. Solle sie in die Bedarfsgemeinschaft aufgenommen werden, so habe der Ehemann der Antragstellerin dies gegenüber dem Antragsgegner ergänzend anzugeben. Gegen den Bescheid vom 29. März 2012 legte der Ehemann der Antragstellerin am 3. April 2012 Widerspruch ein.

Durch Bescheid vom 16. April 2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin vom 15. März 2012 mit der Begründung ab, sie sei von der Leistung ausgeschlossen. Die Antragstellerin sei Ausländerin, die weder in Deutschland Arbeitnehmerin oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sei. Folglich sei sie für die ersten 3 Monate ihres Aufenthalts vom Leistungsbezug ausgenommen. Hiervon würden auch Familienangehörige erfasst, die zu einem Deutschen einreisen.

Zur Begründung ihres Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes trägt die Antragstellerin vor, von dem dreimonatigen Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II seien nach der Rechtsprechung Familienangehörige nicht erfasst, die zu einem im Bundesgebiet länger aufenthaltsberechtigten Ausländer oder Deutschen einreisen. Sie bilde mit ihrem Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft. Gegen den Ablehnungsbescheid vom 16. April 2012 habe sie Widerspruch eingelegt. Sie sei einkommens- und vermögenslos. Sie sei erstmals im März 2012 nach Deutschland eingereist, habe hier noch nie gearbeitet und habe folglich auch keinen Anspruch auf Mutterschaftsgeld. Bei Schaffung der vorgenannten Vorschrift habe der Gesetzgeber diejenigen Unionsbürger im Blick gehabt, die von ihrem voraussetzungslosen Aufenthaltsrecht Gebrauch machten. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, weshalb Ausländer, die zu deutschen Familienangehörigen nachziehen, schlechter gestellt werden sollten als Ausländer mit einem humanitären Aufenthalt. Die Vorschrift sei daher einschränkend auszulegen, anderenfalls sei sie verfassungswidrig. Hinzu komme, dass bei ihr eine fortgeschrittene Schwangerschaft bestehe.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann, Herrn XY, ab 15. März 2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlich vorgesehenen Umfang zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Zwar beziehe der Ehemann der Antragstellerin als deutscher Staatsangehöriger seit seiner (Wieder-) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, die Antragstellerin sei jedoch als iranische Staatsangehörige zu ihrem Ehemann gezogen. In solchen Fällen sei der Antragsgegner behördenintern an die Auslegung des Gesetzes durch die Bundesagentur für Arbeit gebunden. Danach gelte der Ausschluss von Leistungsansprüchen nach dem SGB II in den ersten 3 Monaten nach Einreise für alle Ausländer und auch bei Familienzusammenführung/Ehegattennachzug zu Deutschen (abgesehen von den ausdrücklich im Gesetz genannten Ausnahmen). Leistungen könnten der Antragstellerin daher für die Zeit bis 9. Juni 2012 nicht bewilligt werden. Eine der im Gesetz genannten Ausnahmen von den Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II erfülle die Antragstellerin weder nach Aktenlage noch nach dem Vorbringen im vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahren. Für die Zeit nach Ablauf der Dreimonatsfrist werde der Antragsgegner den Leistungsanspruch der Antragstellerin ohne Annahme eines Ausschlussgrundes prüfen.

Den zwischenzeitlich gegen den Ablehnungsbescheid vom 16. April 2012 eingelegten Widerspruch der Antragstellerin vom 25. April 2012 hat der Antragsgegner durch Widerspruchsbescheid vom 27. April 2012 zurückgewiesen und sich insoweit im Wesentlichen auf das Bestehen eines Leistungsausschlusses in den ersten 3 Monaten nach Einreise der Antragstellerin in die Bundesrepublik Deutschland gestützt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners, der Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen ist.

II

Der zulässige Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch begründet. Denn sie hat das Bestehen einer Leistungsberechtigung nach dem SGB II und damit das Bestehen eines entsprechenden Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem genannten Gesetz glaubhaft gemacht. Darüber hinaus gelangt das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Bestehen des erforderlichen Anordnungsgrundes bereits für die Zeit vor Eingang des Eilantrages der Antragstellerin beim hiesigen Gericht ab 15. März 2012 glaubhaft ist.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach S. 2 der genannten Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, voraus, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch stehen insoweit in Wechselbeziehung zueinander, als die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Hauptsache (dem Anordnungsanspruch) mit zunehmender Eilbedürftigkeit und Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) sinken und umgekehrt. Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist daher dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dann stattzugeben. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO - i. V. m. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG). Dabei sind, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf die Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, Az.: 1 BvR 569/05). Nach dieser Rechtsprechung müssen sich die Gerichte stets schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen.

Die Antragstellerin hat nach diesen Grundsätzen glaubhaft gemacht, dass sie nach dem SGB II leistungsberechtigt ist und der Antragsgegner ihr daher diese existenzsichernde Leistung zu gewähren hat. Denn die Antragstellerin, die nach § 7 Abs. 3 Nr. 3a SGB II als Ehefrau des Herrn XY mit diesem eine Bedarfsgemeinschaft bildet, erfüllt die in § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II geregelten Leistungsvoraussetzungen. Sie ist knapp 27 Jahre alt und hilfebedürftig, da nach dem Akteninhalt davon auszugehen ist, dass sie ebenso wie ihr nach dem genannten Gesetz leistungsberechtigter Ehemann über kein Vermögen und jedenfalls über kein Einkommen verfügt, welches die Anspruchsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit ausschließen würde. Auch spricht insbesondere deswegen nichts gegen die Annahme ihrer Erwerbsfähigkeit i. S. des § 8 Abs. 1 SGB II, weil die Schwangerschaft als solche freilich keine Krankheit im Sinne des Gesetzes darstellt. Tatsächlich hat die Antragstellerin schließlich ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Vor allem aber sprechen weder § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II noch § 7 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 Abs. 2 SGB II gegen eine Leistungsberechtigung der Antragstellerin. Zur Überzeugung des Gerichts ist die Leistungsberechtigung im Falle der Antragstellerin weder nach der erstgenannten Vorschrift für die ersten 3 Monate ihres Aufenthalts ausgeschlossen noch ist ihr im Hinblick auf die Regelung in § 8 Abs. 2 SGB II entgegenzuhalten, es fehle bei ihr an einer Berechtigung, eine Beschäftigung aufzunehmen.

Nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II in der ab 1. April 2012 geltenden, jedoch in seinem Wortlaut nur unwesentlich geänderten Fassung, sind von der Leistungsberechtigung ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind und ihre Familienangehörigen für die ersten 3 Monate ihres Aufenthaltes. Von diesem Leistungsausschluss werden allerdings Familienangehörige, die zu einem im Bundesgebiet länger Aufenthaltsberechtigten Ausländer einreisen, nicht erfasst. Im vorliegenden Fall ist die Antragstellerin zur Aufrechterhaltung/Wiederherstellung der ehelichen/familiären Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann und damit zur Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft mit einem deutschen Staatsangehörigen in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Hinzu kommt, dass die Geburt eines gemeinsamen Kindes kurz bevorsteht. Bereits aufgrund der staatlichen Verpflichtung aus Art. 6 des Grundgesetzes (GG) zur Beachtung des Schutzes von Ehe und Familie ist nach Auffassung des Gerichts zwingend zu schließen, dass § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II in Fällen des Nachzugs eines ausländischen Familienangehörigen zu einem deutschen Ehepartner einschränkend auszulegen ist. Insoweit hält das Gericht die von dem Antragsgegner angeführten Auslegungshinweise der Bundesagentur für Arbeit zu der vorgenannten Vorschrift für verfehlt. Denn Art. 6 Abs. 1 GG enthält einen umfassenden institutionellen Schutz vor Eingriffen des Staates, das Grundrecht gilt auch für Ausländer und betrifft zugleich den Schutz und das Interesse des deutschen Ehepartners, seine Ehe als eine Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner im Bundesgebiet fortzusetzen (so Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 7. Dezember 2009, Az.: L 19 B 363/09 AS mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Dies gilt im vorliegenden Fall umso mehr als im Hinblick auf die bevorstehende Geburt des gemeinsamen Kindes der Antragstellerin mit ihrem deutschen Ehemann das durch die Verfassung in Art. 6 Abs. 2 GG zugleich geschützte Recht der Eltern zur gemeinsamen Erziehung des Kindes einschließlich seiner Versorgung und Betreuung und nicht zuletzt das entsprechende Grundrecht des Kindes selbst betroffen sind. Die Wahrung der familiären Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Eheleute ist aber gefährdet, wenn das Existenzminimum der Antragstellerin nicht gedeckt ist. Denn es ist davon auszugehen, dass der Ehemann der Antragstellerin, dem der Antragsgegner existenzsichernde Leistungen gewährt, nicht in der Lage ist, den Lebensunterhalt der Antragstellerin und damit auch denjenigen des von beiden erwarteten Kindes ohne Gefährdung seines soziokulturellen Existenzminimums zu sichern. Diese Gefährdung erfährt im vorliegenden Fall eine Verstärkung noch dadurch, dass der Antragsgegner im Rahmen der dem Ehemann der Antragstellerin ab 1. Mai 2012 bewilligten Leistungen (Bescheid vom 29. März 2012) nur noch den hälftigen Betrag der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung übernimmt und insoweit offenkundig einen hypothetischen "Mietanteil" der Antragstellerin herausgerechnet hat. Insgesamt führt die hier vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen a.a.O.) somit zu einer einschränkenden Auslegung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II, so dass die Antragstellerin nach dieser Vorschrift nicht von der Leistungsberechtigung ausgenommen ist.

Der Antragstellerin kann schließlich im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem SGB II auch nicht entgegengehalten werden, sie sei nicht erwerbsfähig i. S. d. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i. V. m. § 8 Abs. 2 SGB II. Nach diesen Vorschriften ist zum einen anspruchsberechtigt nach dem SGB II, wer erwerbsfähig ist und können Ausländer dies nur sein, wenn ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist oder erlaubt werden könnte. Nach § 8 Abs. 2 S. 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und des SGB XII vom 29. März 2011 (BGBl I 2011, 453), in Kraft seit 1. April 2011, ist insoweit die rechtliche Möglichkeit ausreichend, eine Beschäftigung vorbehaltlich einer Zustimmung nach § 39 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) aufzunehmen. Zwar ist die Antragstellerin bislang offenbar lediglich im Besitz eines Touristenvisums für Besuchszwecke. Gleichwohl ist im Sinne des § 8 Abs. 2 S. 2 SGB II davon auszugehen, dass ihr auf der Grundlage des § 28 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1 und 3 AufenthG auf einen entsprechenden Antrag eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Denn nach der genannten Vorschrift ist die Aufenthaltserlaubnis sowohl dem ausländischen Ehegatten eines Deutschen als auch (im Hinblick auf die Geburt des von der Antragstellerin erwarteten Kindes) dem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge (vgl. Art. 6 Abs. 3 GG) - mithin zwingend - zu erteilen. Nach § 28 Abs. 5 AufenthG berechtigt eine solche Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit

Der Antragsgegner war schlussendlich auch zur Gewährung der SGB II-Leistungen schon ab 15. März 2012 zu verpflichten. Zwar ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, einen Ausgleich für Rechtsbeeinträchtigungen in der Vergangenheit - d.h. vor Eingang des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht - bereitzustellen. Denn die hier begehrte Regelungsanordnung dient grundsätzlich der Abwendung wesentlicher Nachteile mit dem Ziel, dem Betroffenen die Mittel zur Verfügung zu stellen, die zur Behebung aktueller, also noch bestehender, Notlagen notwendig sind (vgl. die st. Rspr. des Hessischen Landessozialgerichts, für viele: Beschlüsse vom 10. Oktober 2006, Az.: L 7 AS 131/06 ER; vom 9. Januar 2008, Az.: L 7 AS 362/07 ER). Eine Ausnahme ist nach dieser Rechtsprechung bei einer begehrten Regelungsanordnung allerdings dann zu machen, wenn die Notlage noch bis in die Gegenwart fortwirkt und den Betroffenen in seiner menschenwürdigen Existenz bedroht (vgl. Hessisches Landessozialgericht Beschluss vom 22. Mai 2007, Az. L 7 AS 134/07). Von einem derartigen, die Existenz bedrohenden so genannten Nachholbedarf ist nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Fall auszugehen. Denn die mittellose, hochschwangere Antragstellerin lebt seit ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem im Sinne des SGB II hilfebedürftigen Ehemann zusammen. Diesem wird zudem im Rahmen der SGB II-Leistungsgewährung seitens des Antragsgegners seit 1. Mai 2012 lediglich der hälftige Betrag der ihm monatlich entstehenden Aufwendungen für Unterkunft und Heizung gewährt. Nachdem die Antragstellerin den ihr zugeschriebenen Beitrag zu den anfallenden Unterkunftskosten schon seither nicht zu leisten vermochte, steht nach Auffassung des Gerichts fest, dass das Existenzminimum der aus der Antragstellerin und ihrem Ehemann bestehenden Lebensgemeinschaft bzw. der künftigen Familie bereits seit der Einreise der Antragstellerin nicht gesichert war, woraus nunmehr auf einen Nachholbedarf zu schließen ist. Die begehrte einstweilige Anordnung war daher in dem im Tenor genannten Umfang zu erlassen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i. V. m. § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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