L 14 BK 2/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
14
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 AS 868/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 BK 2/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 11. Juni 2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin vom 12. Juli 2012 hat keinen Erfolg.

Dahinstehen kann, ob der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts auf einem wesentlichen Verfahrensmangel aufgrund eines Verstoßes gegen die Vorschriften über den gesetzlichen Richter (vgl. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz i.V.m. § 6 Sozialgerichtsgesetz – SGG –, § 21e Gerichtsverfassungsgesetz) beruht, da ausweislich des Geschäftsverteilungsplans des Sozialgerichts Neuruppin für den maßgeblichen Streitzeitraum die 13. Kammer nicht für Kindergeldsachen zuständig war. Offenbleiben kann auch, ob die Vorschriften über die Zurückverweisung von Berufungen (§ 159 SGG) entsprechend auf Beschwerdeverfahren anwendbar sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ders./Leitherer, SGG, 10. Auflage 2012, § 159 Rn. 1). Denn jedenfalls liegen die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG an das Sozialgericht insofern nicht vor, als aufgrund des – vermeintlichen – Verfahrensmangels keine umfassende und aufwändige Beweisaufnahme notwendig geworden ist.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die 1964 geborene Antragstellerin, der Rente wegen Erwerbsminderung sowie für sich und ihre vier, teilweise volljährigen Kinder Wohngeld gewährt wird, hat keinen im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu sichernden Anspruch auf Übernahme höherer Schülerbeförderungskosten zugunsten ihres am 2000 geborenen, 12jährigen Sohnes J, der seit dem Schuljahr 2011/2012 die – für ihn nicht zuständige – Staatliche Ballettschule B und Schule für Artistik in B besucht, mit dem Ziel, eine professionelle Bühnentanzausbildung zu erhalten.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Voraussetzung hierfür ist regelmäßig, dass sowohl ein Anordnungsanspruch im Sinne der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs sowie ein Anordnungsgrund im Sinne der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) glaubhaft gemacht sind. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Zwar hat die Antragstellerin sowohl im Verwaltungsverfahren – die entsprechenden Ausführungen wurden unter dem 23. Februar 2012 von der schulischen Einrichtung bestätigt – als auch im vorliegenden einstweiligen Anordnungsverfahren dargelegt, dass eine Individualbeförderung ihres Sohnes mittels Privatfahrzeugs vom Wohnort der Familie in O zur Schule erforderlich sei, um die Leistungsfähigkeit ihres Sohnes zu erhalten; dieser sei physisch und psychisch durch die Tanzausbildung und durch Proben sowie die Belastungen einer allgemeinbildenden Schule stark belastet. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei aufgrund der Fahrzeit – 70 bis 80 Minuten je Strecke – für das Kind unzumutbar. Ein Anordnungsanspruch ist gleichwohl nicht gegeben.

Gemäß § 6b Abs. 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) erhalten Personen Leistungen für Bildung und Teilhabe für ein Kind, wenn sie für dieses Kind nach diesem Gesetz oder nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes Anspruch auf Kindergeld oder Anspruch auf andere Leistungen im Sinne von § 4 haben und wenn 1. das Kind mit ihnen in einem Haushalt lebt und sie für ein Kind Kinderzuschlag nach § 6a beziehen oder 2. im Falle der Bewilligung von Wohngeld sie und das Kind, für das sie Kindergeld beziehen, zu berücksichtigende Haushaltsmitglieder sind. Die Voraussetzungen des § 6b Abs. 1 Nr. 2 BKGG liegen bei der Antragstellerin – wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist – vor. Gemäß § 6b Abs. 2 BKGG entsprechen die Leistungen für Bildung und Teilhabe den Leistungen zur Deckung der Bedarfe nach § 28 Absatz 2 bis 7 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II). § 28 Absatz 1 Satz 2 SGB II gilt entsprechend. Für die Bemessung der Leistungen für die Schülerbeförderung nach § 28 Absatz 4 SGB II ist ein Betrag in Höhe der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben nach § 6 des Regelbedarfsermittlungsgesetzes entsprechend zu berücksichtigen. § 6b Abs. 3 BKGG regelt, dass für die Erbringung der Leistungen für Bildung und Teilhabe die §§ 29 und 40 Absatz 3 SGB II entsprechend gelten. Nach § 28 Abs. 4 SGB II werden bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs auf Schülerbeförderung angewiesen sind, die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden und es der leistungsberechtigten Personen nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten. Die Voraussetzungen für eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners hiernach sind nicht gegeben.

Die von dem Sohn J der Antragstellerin besuchte Staatliche Ballettschule B und Schule für Artistik ist bereits nicht die nächstgelegene Schule im Sinne des § 28 Abs. 4 SGB II. Ausweislich des Bescheides des Staatlichen Schulamts P vom 20. Juli 2011 sei die für den Wohnort zuständige Grundschule im Sinne des § 106 Abs. 4 des Brandenburgischen Schulgesetzes (BbgSchulG) die "Grundschule S" Diese befindet sich – anders als die von dem Schüler seit dem Schuljahr 2011/2012 besuchte Staatliche Ballettschule B und Schule für Artistik, die ca. 31 km vom Wohnort entfernt ist, vom Wohnort der Familie aus in nur ca. 2,5 km Entfernung. Dass diese Schule nicht die erforderliche Kapazität gehabt hätte, um den Schüler (weiter) zu beschulen, ist nicht ersichtlich. Geografisch gesehen ist die von ihm besuchte Staatliche Ballettschule B und Schule für Artistik mithin nicht die am nächsten gelegene und für ihn erreichbare allgemeinbildende Schule. Grundsätzlich sind aber Beförderungskosten dann, wenn ein Schüler oder eine Schülerin statt der näher gelegenen Schule des jeweiligen Bildungsgangs (Grundschule, Gymnasium usw.) eine Schule besucht, die nicht als "nächstgelegen" in diesem Sinne anzusehen ist, nicht zu gewähren, sondern allenfalls diejenigen, die beansprucht werden könnten, wenn die nächstgelegene Schule gewählt worden wäre.

Soweit der Beklagte ausweislich des Widerspruchsbescheids vom 16. April 2012 die vom Sohn der Antragstellerin besuchte Schule als nächstgelegene Schule des gewählten Bildungsgangs anerkennt, obgleich ein besonderes Schulprofil keinen Einfluss auf den Bildungsgang habe, Leistungen für Bildung und Teilhabe jedoch mindestens ebenso flexibel anzuwenden seien, wie die landesrechtlichen und kommunalen Regelungen, so dass eine weite Auslegung des Begriffs "nächstgelegene Schule" geboten sei, ist der Senat hieran nicht gebunden. Abgesehen davon, dass gemäß § 106 Abs. 4 BbgSchulG Grundschülerinnen und Grundschüler sowie Berufsschulpflichtige grundsätzlich die für die Wohnung oder den gewöhnlichen Aufenthalt zuständige Schule besuchen – grundsätzlich besteht hiernach keine freie Schulwahl –, ist der Wortlaut der bundesrechtlichen Norm des § 28 Abs. 4 SGB II (vgl. auch die Parallelvorschrift in § 34 Abs. 4 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch – SGB XII), wonach es auf die nächstgelegene Schule des gewählten Bildungsgangs ankommt, eindeutig. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 des BbgSchulG werden die Bildungsgänge jeweils durch gemeinsame Bildungsziele für alle Schülerinnen und Schüler bestimmt, die mit dem Vorrücken in fortschreitende Jahrgangsstufen durch die Art der Erschließung, Erweiterung und Vertiefung der für Erziehung und Bildung relevanten Unterrichtsinhalte ausdifferenziert werden. In der – für den Sohn der Antragstellerin aufgrund seines Alters und der Zugehörigkeit zur 6. Klasse noch relevanten – Primarstufe existiert nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BbgSchulG allein der Bildungsgang der Grundschule. Mit Eintritt in die Sekundarstufe I sind dagegen verschiedene Bildungsgänge wählbar, da das Schulgesetz sodann differenziert zwischen dem Bildungsgang zum Erwerb der erweiterten Berufsbildungsreife, dem Bildungsgang zum Erwerb der Fachoberschulreife und dem Bildungsgang zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife.

Zwar sollen nach § 3 Abs. 2 BbgSchulG besonders leistungsfähige und begabte Schülerinnen und Schüler besonders durch eine Zusammenarbeit mit Hochschulen gemäß § 9 Abs. 1 BbgSchulG und Schulen mit besonderer Prägung gemäß § 8a BbgSchulG und § 143 BbgSchulG sowie die Möglichkeit des Überspringens oder der Vorversetzung gemäß § 59 Abs. 6 BbgSchulG u.a. gefördert werden. Allerdings ist gemäß § 8a Satz 6 BbgSchulG der Besuch einer Schule mit besonderer Prägung freiwillig. Schulen mit besonderer Prägung oder Schulen mit besonderen Schulprofilen (z.B. Waldorf, Montessori u.a.) begründen hiernach keinen eigenständig wählbaren Bildungsgang, sondern es handelt sich vielmehr um freiwillig wählbare Optionen innerhalb des hier aufgrund des Alters des Schülers allein wählbaren Bildungsgangs Grundschule (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Februar 2012 – OVG 3 B 18.09 – Juris Rn. 28 zur gebundenen Ganztagsschule, die keinen eigenständigen Bildungsgang darstellt; a.A. wohl Thommes in Gagel, SGB II/SGB III, Stand April 2012, § 28 Rn. 24).

Bei dieser Sachlage kommt es darauf, ob vorliegend höhere Schülerbeförderungskosten als die bewilligten aufgrund der Wegezeiten im Falle der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erforderlich sind, ebenso wenig an wie auf die Frage, ob es der Antragstellerin gegebenenfalls im Wege der Selbsthilfe zunächst obliegt, von Dritten (vgl. § 28 Abs. 4 SGB II) – etwa dem Förderverein der besuchten Schule oder einem an der Schule selbst eingerichteten oder privat organisierten Fahrdienst – die begehrte Leistung zu erhalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved